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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
den Beistand der Armee Wellingtons, die im äußersten Südwesten Frank-
reichs, nahe den Pyrenäen, stand. Die lästigen Stürmer und Dränger
des schlesischen Heeres wollte Langenau durch die Belagerung von Mainz
beschäftigen und dem Kriegsschauplatze fern halten. Erst nach langem,
heftigem Streite erwirkte sich Blücher die Erlaubniß, am Mittelrhein die
französische Grenze zu überschreiten; von da sollte er durch die Saar-
lande und Lothringen ebenfalls jene wunderbare Hochebene zu erreichen
suchen, wo man sein Wasser nach drei Meeren zugleich abschlagen konnte
-- wie der derbe Lagerwitz der erbitterten Schlesier spottete.

Also gewährte die Unfähigkeit einer altväterischen Politik und Stra-
tegie dem Imperator abermals eine Möglichkeit der Rettung. Sie schenkte
ihm drei Monate Frist um ein neues Heer zu schaffen und berechnete ihre
Kriegspläne auf das behutsame Vermeiden jeder durchschlagenden Ent-
scheidung. Mochten immerhin Laine und einige andere muthige Männer
in dem zahmen Gesetzgebenden Körper jetzt ihre Stimme erheben und den
Unwillen des Landes über die endlosen Kriege aussprechen, der Despot
herrschte sie mit verächtlichen Worten an. Noch galt der Wahlspruch des
Kaiserreichs: die Herrschaft der Schwätzerei ist zu Ende! Napoleon förderte
seine Rüstungen mit der alten Umsicht und rechnete zugleich auf den
Erfolg der diplomatischen Verhandlungen, auf den Zerfall der lockeren
Coalition. Wiederholt ließ er den Staatsmännern der Hofburg sagen,
ein großer Sieg liege nicht im Interesse Oesterreichs, könne leicht das
europäische Gleichgewicht zum Nachtheile für Oesterreich verschieben. Keine
Rede von Nachgiebigkeit. "Die alten Grenzen, schrieb er an Caulaincourt,
wären eine Erniedrigung für Frankreich; alle unsere Eroberungen wiegen
nicht auf was Preußen, Oesterreich, Rußland, England während der
letzten Jahrzehnte gewonnen haben." Seine Unterhändler sollten ihre
Friedensvorschläge "so unbestimmt als möglich halten, denn wir haben
Alles von der Zeit zu gewinnen!" --

Währenddem fielen einige der Festungen des Nordostens, die von
den Franzosen allesammt mit ehrenhafter Ausdauer vertheidigt wurden,
so Danzig und Torgau. Am 13. Januar wurde Wittenberg von den
Truppen Tauentziens erstürmt nach einer schweren Beschießung, die der
junge Bardeleben umsichtig leitete; es war der einzige einigermaßen
großartige Belagerungskampf in diesem schlachtenreichen Kriege. Ungleich
wichtiger ward die Eroberung von Holland. Da Bernadotte schon im
November von Hannover aus gegen Dänemark zog um seine norwegische
Beute in Sicherheit zu bringen, so machte sich Bülow von dem verhaßten
Oberfeldherrn los, brach aus Westphalen in die Niederlande ein, und so-
fort erfuhr die Welt wieder, was die Nordarmee vermochte wenn man
sie frei gewähren ließ. General Oppen erstürmte das feste Doesborgh,
das Kolbergische Regiment und die Königin Dragoner, die alten Ansbach-
Baireuther, flochten sich ein neues Blatt in ihren Lorbeerkranz. Dann

I. 5. Ende der Kriegszeit.
den Beiſtand der Armee Wellingtons, die im äußerſten Südweſten Frank-
reichs, nahe den Pyrenäen, ſtand. Die läſtigen Stürmer und Dränger
des ſchleſiſchen Heeres wollte Langenau durch die Belagerung von Mainz
beſchäftigen und dem Kriegsſchauplatze fern halten. Erſt nach langem,
heftigem Streite erwirkte ſich Blücher die Erlaubniß, am Mittelrhein die
franzöſiſche Grenze zu überſchreiten; von da ſollte er durch die Saar-
lande und Lothringen ebenfalls jene wunderbare Hochebene zu erreichen
ſuchen, wo man ſein Waſſer nach drei Meeren zugleich abſchlagen konnte
— wie der derbe Lagerwitz der erbitterten Schleſier ſpottete.

Alſo gewährte die Unfähigkeit einer altväteriſchen Politik und Stra-
tegie dem Imperator abermals eine Möglichkeit der Rettung. Sie ſchenkte
ihm drei Monate Friſt um ein neues Heer zu ſchaffen und berechnete ihre
Kriegspläne auf das behutſame Vermeiden jeder durchſchlagenden Ent-
ſcheidung. Mochten immerhin Lainé und einige andere muthige Männer
in dem zahmen Geſetzgebenden Körper jetzt ihre Stimme erheben und den
Unwillen des Landes über die endloſen Kriege ausſprechen, der Despot
herrſchte ſie mit verächtlichen Worten an. Noch galt der Wahlſpruch des
Kaiſerreichs: die Herrſchaft der Schwätzerei iſt zu Ende! Napoleon förderte
ſeine Rüſtungen mit der alten Umſicht und rechnete zugleich auf den
Erfolg der diplomatiſchen Verhandlungen, auf den Zerfall der lockeren
Coalition. Wiederholt ließ er den Staatsmännern der Hofburg ſagen,
ein großer Sieg liege nicht im Intereſſe Oeſterreichs, könne leicht das
europäiſche Gleichgewicht zum Nachtheile für Oeſterreich verſchieben. Keine
Rede von Nachgiebigkeit. „Die alten Grenzen, ſchrieb er an Caulaincourt,
wären eine Erniedrigung für Frankreich; alle unſere Eroberungen wiegen
nicht auf was Preußen, Oeſterreich, Rußland, England während der
letzten Jahrzehnte gewonnen haben.“ Seine Unterhändler ſollten ihre
Friedensvorſchläge „ſo unbeſtimmt als möglich halten, denn wir haben
Alles von der Zeit zu gewinnen!“ —

Währenddem fielen einige der Feſtungen des Nordoſtens, die von
den Franzoſen alleſammt mit ehrenhafter Ausdauer vertheidigt wurden,
ſo Danzig und Torgau. Am 13. Januar wurde Wittenberg von den
Truppen Tauentziens erſtürmt nach einer ſchweren Beſchießung, die der
junge Bardeleben umſichtig leitete; es war der einzige einigermaßen
großartige Belagerungskampf in dieſem ſchlachtenreichen Kriege. Ungleich
wichtiger ward die Eroberung von Holland. Da Bernadotte ſchon im
November von Hannover aus gegen Dänemark zog um ſeine norwegiſche
Beute in Sicherheit zu bringen, ſo machte ſich Bülow von dem verhaßten
Oberfeldherrn los, brach aus Weſtphalen in die Niederlande ein, und ſo-
fort erfuhr die Welt wieder, was die Nordarmee vermochte wenn man
ſie frei gewähren ließ. General Oppen erſtürmte das feſte Doesborgh,
das Kolbergiſche Regiment und die Königin Dragoner, die alten Ansbach-
Baireuther, flochten ſich ein neues Blatt in ihren Lorbeerkranz. Dann

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[524/0540] I. 5. Ende der Kriegszeit. den Beiſtand der Armee Wellingtons, die im äußerſten Südweſten Frank- reichs, nahe den Pyrenäen, ſtand. Die läſtigen Stürmer und Dränger des ſchleſiſchen Heeres wollte Langenau durch die Belagerung von Mainz beſchäftigen und dem Kriegsſchauplatze fern halten. Erſt nach langem, heftigem Streite erwirkte ſich Blücher die Erlaubniß, am Mittelrhein die franzöſiſche Grenze zu überſchreiten; von da ſollte er durch die Saar- lande und Lothringen ebenfalls jene wunderbare Hochebene zu erreichen ſuchen, wo man ſein Waſſer nach drei Meeren zugleich abſchlagen konnte — wie der derbe Lagerwitz der erbitterten Schleſier ſpottete. Alſo gewährte die Unfähigkeit einer altväteriſchen Politik und Stra- tegie dem Imperator abermals eine Möglichkeit der Rettung. Sie ſchenkte ihm drei Monate Friſt um ein neues Heer zu ſchaffen und berechnete ihre Kriegspläne auf das behutſame Vermeiden jeder durchſchlagenden Ent- ſcheidung. Mochten immerhin Lainé und einige andere muthige Männer in dem zahmen Geſetzgebenden Körper jetzt ihre Stimme erheben und den Unwillen des Landes über die endloſen Kriege ausſprechen, der Despot herrſchte ſie mit verächtlichen Worten an. Noch galt der Wahlſpruch des Kaiſerreichs: die Herrſchaft der Schwätzerei iſt zu Ende! Napoleon förderte ſeine Rüſtungen mit der alten Umſicht und rechnete zugleich auf den Erfolg der diplomatiſchen Verhandlungen, auf den Zerfall der lockeren Coalition. Wiederholt ließ er den Staatsmännern der Hofburg ſagen, ein großer Sieg liege nicht im Intereſſe Oeſterreichs, könne leicht das europäiſche Gleichgewicht zum Nachtheile für Oeſterreich verſchieben. Keine Rede von Nachgiebigkeit. „Die alten Grenzen, ſchrieb er an Caulaincourt, wären eine Erniedrigung für Frankreich; alle unſere Eroberungen wiegen nicht auf was Preußen, Oeſterreich, Rußland, England während der letzten Jahrzehnte gewonnen haben.“ Seine Unterhändler ſollten ihre Friedensvorſchläge „ſo unbeſtimmt als möglich halten, denn wir haben Alles von der Zeit zu gewinnen!“ — Währenddem fielen einige der Feſtungen des Nordoſtens, die von den Franzoſen alleſammt mit ehrenhafter Ausdauer vertheidigt wurden, ſo Danzig und Torgau. Am 13. Januar wurde Wittenberg von den Truppen Tauentziens erſtürmt nach einer ſchweren Beſchießung, die der junge Bardeleben umſichtig leitete; es war der einzige einigermaßen großartige Belagerungskampf in dieſem ſchlachtenreichen Kriege. Ungleich wichtiger ward die Eroberung von Holland. Da Bernadotte ſchon im November von Hannover aus gegen Dänemark zog um ſeine norwegiſche Beute in Sicherheit zu bringen, ſo machte ſich Bülow von dem verhaßten Oberfeldherrn los, brach aus Weſtphalen in die Niederlande ein, und ſo- fort erfuhr die Welt wieder, was die Nordarmee vermochte wenn man ſie frei gewähren ließ. General Oppen erſtürmte das feſte Doesborgh, das Kolbergiſche Regiment und die Königin Dragoner, die alten Ansbach- Baireuther, flochten ſich ein neues Blatt in ihren Lorbeerkranz. Dann

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/540>, abgerufen am 22.11.2024.