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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Das Kriegsmanifest vom 1. December.
gleichzeitig den Krieg weiterzuführen. Damit hatte Stein gewonnenes
Spiel; denn jeder neue Waffenerfolg der Verbündeten mußte unvermeid-
lich die Friedensbedingungen verschärfen. Die Zuversicht wuchs von
Tag zu Tag und bald galt es ohne förmliche Abrede als ausgemachte
Sache, daß man nunmehr mindestens einen Theil des linken Ufers,
etwa die Grenzen von 1792, zurückfordern werde. Die Kriegspartei
triumphirte. Als Blücher in Frankfurt von dem Staatskanzler Abschied
nahm, sagte er auf die Frage: "Wo werden wir uns wiedersehen?"
mit seinem fröhlichsten Lachen: "Im Palais Royal!"*)

Die Worte und Thaten des großen Hauptquartiers ließen freilich
von solcher frischen Entschlossenheit nichts erkennen. Das Manifest vom
1. December, das den Franzosen den bevorstehenden Angriff ankündigte,
schien geradezu darauf berechnet, den französischen Hochmuth, der die
Welt seit zwei Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommen ließ, auf das Aeußerste
zu steigern. Mit schmeichelnden Worten, deren gleichen noch nie in einer
Kriegserklärung vorgekommen, entschuldigten die Verbündeten ihr Unter-
nehmen: sie wollten nicht Frankreich bekriegen, sondern die Uebermacht
Napoleons, sie wünschten, daß Frankreich groß, stark und glücklich sei,
und versprachen dem französischen Staate einen größeren Gebietsumfang,
als er jemals unter seinen Königen gehabt, denn eine tapfere Nation
dürfe darum noch nicht von ihrer Höhe herabsinken, weil sie in einem
heldenhaften Kampfe unglücklich gewesen sei!

Kläglich, mattherzig wie diese Worte war auch der von Duca und Lan-
genau ausgeklügelte Kriegsplan. Vergeblich vertheidigte Gneisenau die da-
mals noch neue Ansicht, daß dieses centralisirte Frankreich nur in seiner
Hauptstadt ganz besiegt werden könne. Die k. k. Kriegstheoretiker hatten auf
der Landkarte das Plateau von Langres entdeckt, jene bescheidene Bodener-
hebung an den Grenzen von Hochburgund, welche die Wasserscheide dreier
Meere bildet; sie nahmen an, daß auch Napoleon bei seinen Feldzügen sich
durch die Erwägungen geographischer Gelehrsamkeit bestimmen lasse, und
mithin eine Demonstration, "eine Winterbewegung" gegen diese merkwürdige
Hochebene den Imperator zum Frieden zwingen werde. Im December setzte
sich die große Armee langsam in Bewegung, um auf dem ungeheuren Um-
wege durch Baden, das Elsaß und die Schweiz nach Langres zu gelangen.
Die Hofburg verfolgte dabei zugleich politische Nebenzwecke: sie dachte in
der Schweiz das alte aristokratische Regiment herzustellen und den Feind
zur Räumung des italienischen Kriegsschauplatzes, der ihr ungleich wich-
tiger war als der französische, zu nöthigen. Ihre Strategen rechtfertigten
die unnatürliche Künstelei dieses Kriegsplanes, der die Uebermacht der
Verbündeten willkürlich von der geraden und sicheren Siegesstraße ab-
lenkte, mit der wundersamen Behauptung: auf diese Weise gewinne man

*) Hardenbergs Tagebuch, 16. December 1813.

Das Kriegsmanifeſt vom 1. December.
gleichzeitig den Krieg weiterzuführen. Damit hatte Stein gewonnenes
Spiel; denn jeder neue Waffenerfolg der Verbündeten mußte unvermeid-
lich die Friedensbedingungen verſchärfen. Die Zuverſicht wuchs von
Tag zu Tag und bald galt es ohne förmliche Abrede als ausgemachte
Sache, daß man nunmehr mindeſtens einen Theil des linken Ufers,
etwa die Grenzen von 1792, zurückfordern werde. Die Kriegspartei
triumphirte. Als Blücher in Frankfurt von dem Staatskanzler Abſchied
nahm, ſagte er auf die Frage: „Wo werden wir uns wiederſehen?“
mit ſeinem fröhlichſten Lachen: „Im Palais Royal!“*)

Die Worte und Thaten des großen Hauptquartiers ließen freilich
von ſolcher friſchen Entſchloſſenheit nichts erkennen. Das Manifeſt vom
1. December, das den Franzoſen den bevorſtehenden Angriff ankündigte,
ſchien geradezu darauf berechnet, den franzöſiſchen Hochmuth, der die
Welt ſeit zwei Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommen ließ, auf das Aeußerſte
zu ſteigern. Mit ſchmeichelnden Worten, deren gleichen noch nie in einer
Kriegserklärung vorgekommen, entſchuldigten die Verbündeten ihr Unter-
nehmen: ſie wollten nicht Frankreich bekriegen, ſondern die Uebermacht
Napoleons, ſie wünſchten, daß Frankreich groß, ſtark und glücklich ſei,
und verſprachen dem franzöſiſchen Staate einen größeren Gebietsumfang,
als er jemals unter ſeinen Königen gehabt, denn eine tapfere Nation
dürfe darum noch nicht von ihrer Höhe herabſinken, weil ſie in einem
heldenhaften Kampfe unglücklich geweſen ſei!

Kläglich, mattherzig wie dieſe Worte war auch der von Duca und Lan-
genau ausgeklügelte Kriegsplan. Vergeblich vertheidigte Gneiſenau die da-
mals noch neue Anſicht, daß dieſes centraliſirte Frankreich nur in ſeiner
Hauptſtadt ganz beſiegt werden könne. Die k. k. Kriegstheoretiker hatten auf
der Landkarte das Plateau von Langres entdeckt, jene beſcheidene Bodener-
hebung an den Grenzen von Hochburgund, welche die Waſſerſcheide dreier
Meere bildet; ſie nahmen an, daß auch Napoleon bei ſeinen Feldzügen ſich
durch die Erwägungen geographiſcher Gelehrſamkeit beſtimmen laſſe, und
mithin eine Demonſtration, „eine Winterbewegung“ gegen dieſe merkwürdige
Hochebene den Imperator zum Frieden zwingen werde. Im December ſetzte
ſich die große Armee langſam in Bewegung, um auf dem ungeheuren Um-
wege durch Baden, das Elſaß und die Schweiz nach Langres zu gelangen.
Die Hofburg verfolgte dabei zugleich politiſche Nebenzwecke: ſie dachte in
der Schweiz das alte ariſtokratiſche Regiment herzuſtellen und den Feind
zur Räumung des italieniſchen Kriegsſchauplatzes, der ihr ungleich wich-
tiger war als der franzöſiſche, zu nöthigen. Ihre Strategen rechtfertigten
die unnatürliche Künſtelei dieſes Kriegsplanes, der die Uebermacht der
Verbündeten willkürlich von der geraden und ſicheren Siegesſtraße ab-
lenkte, mit der wunderſamen Behauptung: auf dieſe Weiſe gewinne man

*) Hardenbergs Tagebuch, 16. December 1813.
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[523/0539] Das Kriegsmanifeſt vom 1. December. gleichzeitig den Krieg weiterzuführen. Damit hatte Stein gewonnenes Spiel; denn jeder neue Waffenerfolg der Verbündeten mußte unvermeid- lich die Friedensbedingungen verſchärfen. Die Zuverſicht wuchs von Tag zu Tag und bald galt es ohne förmliche Abrede als ausgemachte Sache, daß man nunmehr mindeſtens einen Theil des linken Ufers, etwa die Grenzen von 1792, zurückfordern werde. Die Kriegspartei triumphirte. Als Blücher in Frankfurt von dem Staatskanzler Abſchied nahm, ſagte er auf die Frage: „Wo werden wir uns wiederſehen?“ mit ſeinem fröhlichſten Lachen: „Im Palais Royal!“ *) Die Worte und Thaten des großen Hauptquartiers ließen freilich von ſolcher friſchen Entſchloſſenheit nichts erkennen. Das Manifeſt vom 1. December, das den Franzoſen den bevorſtehenden Angriff ankündigte, ſchien geradezu darauf berechnet, den franzöſiſchen Hochmuth, der die Welt ſeit zwei Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommen ließ, auf das Aeußerſte zu ſteigern. Mit ſchmeichelnden Worten, deren gleichen noch nie in einer Kriegserklärung vorgekommen, entſchuldigten die Verbündeten ihr Unter- nehmen: ſie wollten nicht Frankreich bekriegen, ſondern die Uebermacht Napoleons, ſie wünſchten, daß Frankreich groß, ſtark und glücklich ſei, und verſprachen dem franzöſiſchen Staate einen größeren Gebietsumfang, als er jemals unter ſeinen Königen gehabt, denn eine tapfere Nation dürfe darum noch nicht von ihrer Höhe herabſinken, weil ſie in einem heldenhaften Kampfe unglücklich geweſen ſei! Kläglich, mattherzig wie dieſe Worte war auch der von Duca und Lan- genau ausgeklügelte Kriegsplan. Vergeblich vertheidigte Gneiſenau die da- mals noch neue Anſicht, daß dieſes centraliſirte Frankreich nur in ſeiner Hauptſtadt ganz beſiegt werden könne. Die k. k. Kriegstheoretiker hatten auf der Landkarte das Plateau von Langres entdeckt, jene beſcheidene Bodener- hebung an den Grenzen von Hochburgund, welche die Waſſerſcheide dreier Meere bildet; ſie nahmen an, daß auch Napoleon bei ſeinen Feldzügen ſich durch die Erwägungen geographiſcher Gelehrſamkeit beſtimmen laſſe, und mithin eine Demonſtration, „eine Winterbewegung“ gegen dieſe merkwürdige Hochebene den Imperator zum Frieden zwingen werde. Im December ſetzte ſich die große Armee langſam in Bewegung, um auf dem ungeheuren Um- wege durch Baden, das Elſaß und die Schweiz nach Langres zu gelangen. Die Hofburg verfolgte dabei zugleich politiſche Nebenzwecke: ſie dachte in der Schweiz das alte ariſtokratiſche Regiment herzuſtellen und den Feind zur Räumung des italieniſchen Kriegsſchauplatzes, der ihr ungleich wich- tiger war als der franzöſiſche, zu nöthigen. Ihre Strategen rechtfertigten die unnatürliche Künſtelei dieſes Kriegsplanes, der die Uebermacht der Verbündeten willkürlich von der geraden und ſicheren Siegesſtraße ab- lenkte, mit der wunderſamen Behauptung: auf dieſe Weiſe gewinne man *) Hardenbergs Tagebuch, 16. December 1813.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/539>, abgerufen am 17.05.2024.