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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
und Rechtes soll da werden, rief Görres den Diplomaten zu, und man
soll dabei die Stimme des Volkes hören, die vernehmlich und deutlich
aller Orten spricht!" Gleichwohl war der Rheinische Mercur das Beste
was eine Zeitschrift sein kann, ein treues Spiegelbild der Gegenwart,
ehrlich, geistvoll, jugendlich begeistert wie dies ganze Geschlecht, noch ganz
unberührt von jenen unlauteren Nebenzwecken, welche die Presse in Zeiten
entwickelten Verkehres zu verfolgen pflegt. Die clericalen Neigungen des
phantastischen Herausgebers traten noch nicht verletzend hervor. Seine
Verehrung für das kaiserliche Erzhaus hinderte ihn nicht das Lob der
preußischen Helden mit brausendem Jubel zu singen; und wenn er die
Deutschen aufforderte den Kölner Dom als ein Ehrendenkmal für das
wiedererstandene Vaterland auszubauen, wenn er den Papst Pius VII.,
den standhaften Märtyrer der napoleonischen Tyrannei, für den ersten
Helden dieses Weltbefreiungskampfes erklärte, so nahm die romantisch er-
regte Zeit daran keinen Anstoß. Eine verwandte Richtung verfolgten die
Teutschen Blätter in Freiburg, eine vielgelesene Zeitschrift, welche die
Kriegsberichte des großen Hauptquartiers aus erster Hand brachte.

Ebenso freudig wie die Bewohner der altpreußischen Provinzen
empfingen die Hannoveraner, die Braunschweiger, die Kurhessen ihre
wiederkehrende alte Herrschaft. Vor den Thoren von Braunschweig prangte
ein festlich geschmückter Tempel auf der Stelle, wo "Braunschweigs Welfe"
Friedrich Wilhelm vier Jahre zuvor mit seiner schwarzen Schaar gelagert
hatte. Die Hannoveraner fühlten sich wieder stolz als Großbritannier
und begeisterten sich für den geisteskranken englischen König, der während
einer halbhundertjährigen Regierung ihr Land niemals eines Besuches
gewürdigt hatte. In Cassel zog der böse Kurfürst Wilhelm wieder ein,
nachdem König Jerome zum zweiten male geflohen war; die Bürger
spannten ihm die Pferde vom Wagen ab und fuhren den Landesvater
mit dem dicken Kropfe und dem langen Zopfe jauchzend vor das Schloß
seiner Ahnen. Ueber seine Fürstentugenden täuschte sich freilich das ge-
treue Völkchen selber nicht; doch er war der angestammte Herr, und was
fragt die Liebe nach Gründen? Treffender als die unterthänigen Federn
der amtlichen Blätter drückte ein alter Bauer von der Schwelm die Fami-
liengefühle dieser verkommenen kleinstaatlichen Welt aus in den unwider-
leglichen Worten: "und ob er schon ein alter Esel ist, wir wollen ihn doch
wieder haben!" Das große, mit dem Blute der verkauften hessischen Solda-
ten erworbene Vermögen des kurfürstlichen Hauses war während der Jahre
des Exils in Frankfurt bei Amschel Rothschild verwahrt worden, der mit
diesen Geldern die Weltmacht seiner Firma begründete, und der geizige Fürst
hatte nicht das Mindeste von seinen Schätzen aufgeopfert für die Befrei-
ung Deutschlands. Trotzdem nahmen ihn die Verbündeten als einen
wiedergefundenen Freund auf; die Gutmüthigkeit König Friedrich Wilhelms
wollte dem treulosen Nachbarn das zweideutige Spiel von 1806 nicht

I. 5. Ende der Kriegszeit.
und Rechtes ſoll da werden, rief Görres den Diplomaten zu, und man
ſoll dabei die Stimme des Volkes hören, die vernehmlich und deutlich
aller Orten ſpricht!“ Gleichwohl war der Rheiniſche Mercur das Beſte
was eine Zeitſchrift ſein kann, ein treues Spiegelbild der Gegenwart,
ehrlich, geiſtvoll, jugendlich begeiſtert wie dies ganze Geſchlecht, noch ganz
unberührt von jenen unlauteren Nebenzwecken, welche die Preſſe in Zeiten
entwickelten Verkehres zu verfolgen pflegt. Die clericalen Neigungen des
phantaſtiſchen Herausgebers traten noch nicht verletzend hervor. Seine
Verehrung für das kaiſerliche Erzhaus hinderte ihn nicht das Lob der
preußiſchen Helden mit brauſendem Jubel zu ſingen; und wenn er die
Deutſchen aufforderte den Kölner Dom als ein Ehrendenkmal für das
wiedererſtandene Vaterland auszubauen, wenn er den Papſt Pius VII.,
den ſtandhaften Märtyrer der napoleoniſchen Tyrannei, für den erſten
Helden dieſes Weltbefreiungskampfes erklärte, ſo nahm die romantiſch er-
regte Zeit daran keinen Anſtoß. Eine verwandte Richtung verfolgten die
Teutſchen Blätter in Freiburg, eine vielgeleſene Zeitſchrift, welche die
Kriegsberichte des großen Hauptquartiers aus erſter Hand brachte.

Ebenſo freudig wie die Bewohner der altpreußiſchen Provinzen
empfingen die Hannoveraner, die Braunſchweiger, die Kurheſſen ihre
wiederkehrende alte Herrſchaft. Vor den Thoren von Braunſchweig prangte
ein feſtlich geſchmückter Tempel auf der Stelle, wo „Braunſchweigs Welfe“
Friedrich Wilhelm vier Jahre zuvor mit ſeiner ſchwarzen Schaar gelagert
hatte. Die Hannoveraner fühlten ſich wieder ſtolz als Großbritannier
und begeiſterten ſich für den geiſteskranken engliſchen König, der während
einer halbhundertjährigen Regierung ihr Land niemals eines Beſuches
gewürdigt hatte. In Caſſel zog der böſe Kurfürſt Wilhelm wieder ein,
nachdem König Jerome zum zweiten male geflohen war; die Bürger
ſpannten ihm die Pferde vom Wagen ab und fuhren den Landesvater
mit dem dicken Kropfe und dem langen Zopfe jauchzend vor das Schloß
ſeiner Ahnen. Ueber ſeine Fürſtentugenden täuſchte ſich freilich das ge-
treue Völkchen ſelber nicht; doch er war der angeſtammte Herr, und was
fragt die Liebe nach Gründen? Treffender als die unterthänigen Federn
der amtlichen Blätter drückte ein alter Bauer von der Schwelm die Fami-
liengefühle dieſer verkommenen kleinſtaatlichen Welt aus in den unwider-
leglichen Worten: „und ob er ſchon ein alter Eſel iſt, wir wollen ihn doch
wieder haben!“ Das große, mit dem Blute der verkauften heſſiſchen Solda-
ten erworbene Vermögen des kurfürſtlichen Hauſes war während der Jahre
des Exils in Frankfurt bei Amſchel Rothſchild verwahrt worden, der mit
dieſen Geldern die Weltmacht ſeiner Firma begründete, und der geizige Fürſt
hatte nicht das Mindeſte von ſeinen Schätzen aufgeopfert für die Befrei-
ung Deutſchlands. Trotzdem nahmen ihn die Verbündeten als einen
wiedergefundenen Freund auf; die Gutmüthigkeit König Friedrich Wilhelms
wollte dem treuloſen Nachbarn das zweideutige Spiel von 1806 nicht

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[514/0530] I. 5. Ende der Kriegszeit. und Rechtes ſoll da werden, rief Görres den Diplomaten zu, und man ſoll dabei die Stimme des Volkes hören, die vernehmlich und deutlich aller Orten ſpricht!“ Gleichwohl war der Rheiniſche Mercur das Beſte was eine Zeitſchrift ſein kann, ein treues Spiegelbild der Gegenwart, ehrlich, geiſtvoll, jugendlich begeiſtert wie dies ganze Geſchlecht, noch ganz unberührt von jenen unlauteren Nebenzwecken, welche die Preſſe in Zeiten entwickelten Verkehres zu verfolgen pflegt. Die clericalen Neigungen des phantaſtiſchen Herausgebers traten noch nicht verletzend hervor. Seine Verehrung für das kaiſerliche Erzhaus hinderte ihn nicht das Lob der preußiſchen Helden mit brauſendem Jubel zu ſingen; und wenn er die Deutſchen aufforderte den Kölner Dom als ein Ehrendenkmal für das wiedererſtandene Vaterland auszubauen, wenn er den Papſt Pius VII., den ſtandhaften Märtyrer der napoleoniſchen Tyrannei, für den erſten Helden dieſes Weltbefreiungskampfes erklärte, ſo nahm die romantiſch er- regte Zeit daran keinen Anſtoß. Eine verwandte Richtung verfolgten die Teutſchen Blätter in Freiburg, eine vielgeleſene Zeitſchrift, welche die Kriegsberichte des großen Hauptquartiers aus erſter Hand brachte. Ebenſo freudig wie die Bewohner der altpreußiſchen Provinzen empfingen die Hannoveraner, die Braunſchweiger, die Kurheſſen ihre wiederkehrende alte Herrſchaft. Vor den Thoren von Braunſchweig prangte ein feſtlich geſchmückter Tempel auf der Stelle, wo „Braunſchweigs Welfe“ Friedrich Wilhelm vier Jahre zuvor mit ſeiner ſchwarzen Schaar gelagert hatte. Die Hannoveraner fühlten ſich wieder ſtolz als Großbritannier und begeiſterten ſich für den geiſteskranken engliſchen König, der während einer halbhundertjährigen Regierung ihr Land niemals eines Beſuches gewürdigt hatte. In Caſſel zog der böſe Kurfürſt Wilhelm wieder ein, nachdem König Jerome zum zweiten male geflohen war; die Bürger ſpannten ihm die Pferde vom Wagen ab und fuhren den Landesvater mit dem dicken Kropfe und dem langen Zopfe jauchzend vor das Schloß ſeiner Ahnen. Ueber ſeine Fürſtentugenden täuſchte ſich freilich das ge- treue Völkchen ſelber nicht; doch er war der angeſtammte Herr, und was fragt die Liebe nach Gründen? Treffender als die unterthänigen Federn der amtlichen Blätter drückte ein alter Bauer von der Schwelm die Fami- liengefühle dieſer verkommenen kleinſtaatlichen Welt aus in den unwider- leglichen Worten: „und ob er ſchon ein alter Eſel iſt, wir wollen ihn doch wieder haben!“ Das große, mit dem Blute der verkauften heſſiſchen Solda- ten erworbene Vermögen des kurfürſtlichen Hauſes war während der Jahre des Exils in Frankfurt bei Amſchel Rothſchild verwahrt worden, der mit dieſen Geldern die Weltmacht ſeiner Firma begründete, und der geizige Fürſt hatte nicht das Mindeſte von ſeinen Schätzen aufgeopfert für die Befrei- ung Deutſchlands. Trotzdem nahmen ihn die Verbündeten als einen wiedergefundenen Freund auf; die Gutmüthigkeit König Friedrich Wilhelms wollte dem treuloſen Nachbarn das zweideutige Spiel von 1806 nicht

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/530>, abgerufen am 22.11.2024.