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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Blüchers Zug über die Elbe.
schen Adler zeigt. Der König empfand es bitter so viel herzliche Treue
zurückweisen zu müssen; sein Staatskanzler mußte sobald die Rieder Ver-
abredungen bekannt wurden Preußens Ansprüche auf Ansbach-Baireuth
feierlich vorbehalten. Aber die Verwahrung kam zu spät. Um doch nicht
gänzlich leer auszugehen besetzte Preußen bald nach der Leipziger Schlacht
das Herzogthum Berg und behielt dies Land, das in München von jeher
als das Aequivalent der fränkischen Markgrafschaften angesehen wurde, in
seiner Verwaltung. --

Dergestalt war bereits entschieden, daß Oesterreich die Gestaltung der
deutschen Zukunft in seiner Gewalt hielt. Indessen wuchs die Bedrängniß des
Imperators. Neue gewaltige Aushebungen wurden dem erschöpften Frank-
reich zugemuthet: die Nation solle sich ein Beispiel nehmen an den unge-
heuren Anstrengungen des kleinen Preußens, ihr Alles einsetzen in diesem
Kriege gegen England; denn nur darum dauere der Kampf fort weil der
unversöhnliche englische Feind verlange, daß die Franzosen wie die Hindus
allein für ihn arbeiteten. Das elende Weib, das in Napoleons Namen
die Regentschaft führte, die Tochter des letzten deutschen Kaisers, hatte die
Stirn im Senate auszusprechen: "ich weiß mehr als irgend Jemand,
was unsere Bevölkerung zu gewärtigen hätte, wenn sie sich jemals be-
siegen ließe!" Umringt von den drei feindlichen Heeren versuchte Napo-
leon noch mehrmals durch einen Angriff sich Luft zu machen; zweimal
wendete er sich gegen das schlesische Heer, das bis in die Lausitz vorge-
drungen war, einmal gegen die böhmische Armee; aber Blücher wich ihm
gewandt aus, und als der Imperator am 10. September von der Höhe
des Geiersberges in das Teplitzer Thal hinabschaute, da fand er doch
nicht den Entschluß, dem böhmischen Heere die Schlacht anzubieten. Es
war ein ewiges va et vient, wie Napoleon sagte. Das nutzlose Spiel
drohte sich ins Unendliche zu verlängern. Die große Armee rührte sich
nicht vom Flecke. Karl Johann benutzte den Sieg von Dennewitz nicht,
wollte die Elbe nicht überschreiten so lange Wittenberg noch in französi-
schen Händen war. Wohl vereitelte das Corps Wallmodens durch das
Gefecht an der Göhrde einen Versuch Davousts die Besatzung von Magde-
burg zu verstärken; die Parteigänger Colomb und Thielmann errangen
manchen schönen Erfolg im Rücken des Feindes, ja den Kosaken Czer-
nitscheffs glückte es sogar für einige Tage Cassel zu besetzen und den
König Jerome aus seiner Hauptstadt zu verjagen. Doch was bedeutete
das Alles für den Ausgang des großen Krieges? Clausewitz spottete, die
beiden Theile ständen sich gegenüber wie der Hund und die Feldhühner,
die einander starr ansehen bis der Jäger sein Faß an! ruft.

Von Blücher und Gneisenau ward endlich dieser fröhliche Jägerruf
angestimmt. Sie hatten den wiederholten Befehl zum Abmarsch nach
Böhmen unbefolgt gelassen, weil sie der schlesischen Armee die Freiheit
der Bewegung erhalten wollten. Als der Krieg völlig ins Stocken kam

Blüchers Zug über die Elbe.
ſchen Adler zeigt. Der König empfand es bitter ſo viel herzliche Treue
zurückweiſen zu müſſen; ſein Staatskanzler mußte ſobald die Rieder Ver-
abredungen bekannt wurden Preußens Anſprüche auf Ansbach-Baireuth
feierlich vorbehalten. Aber die Verwahrung kam zu ſpät. Um doch nicht
gänzlich leer auszugehen beſetzte Preußen bald nach der Leipziger Schlacht
das Herzogthum Berg und behielt dies Land, das in München von jeher
als das Aequivalent der fränkiſchen Markgrafſchaften angeſehen wurde, in
ſeiner Verwaltung. —

Dergeſtalt war bereits entſchieden, daß Oeſterreich die Geſtaltung der
deutſchen Zukunft in ſeiner Gewalt hielt. Indeſſen wuchs die Bedrängniß des
Imperators. Neue gewaltige Aushebungen wurden dem erſchöpften Frank-
reich zugemuthet: die Nation ſolle ſich ein Beiſpiel nehmen an den unge-
heuren Anſtrengungen des kleinen Preußens, ihr Alles einſetzen in dieſem
Kriege gegen England; denn nur darum dauere der Kampf fort weil der
unverſöhnliche engliſche Feind verlange, daß die Franzoſen wie die Hindus
allein für ihn arbeiteten. Das elende Weib, das in Napoleons Namen
die Regentſchaft führte, die Tochter des letzten deutſchen Kaiſers, hatte die
Stirn im Senate auszuſprechen: „ich weiß mehr als irgend Jemand,
was unſere Bevölkerung zu gewärtigen hätte, wenn ſie ſich jemals be-
ſiegen ließe!“ Umringt von den drei feindlichen Heeren verſuchte Napo-
leon noch mehrmals durch einen Angriff ſich Luft zu machen; zweimal
wendete er ſich gegen das ſchleſiſche Heer, das bis in die Lauſitz vorge-
drungen war, einmal gegen die böhmiſche Armee; aber Blücher wich ihm
gewandt aus, und als der Imperator am 10. September von der Höhe
des Geiersberges in das Teplitzer Thal hinabſchaute, da fand er doch
nicht den Entſchluß, dem böhmiſchen Heere die Schlacht anzubieten. Es
war ein ewiges va et vient, wie Napoleon ſagte. Das nutzloſe Spiel
drohte ſich ins Unendliche zu verlängern. Die große Armee rührte ſich
nicht vom Flecke. Karl Johann benutzte den Sieg von Dennewitz nicht,
wollte die Elbe nicht überſchreiten ſo lange Wittenberg noch in franzöſi-
ſchen Händen war. Wohl vereitelte das Corps Wallmodens durch das
Gefecht an der Göhrde einen Verſuch Davouſts die Beſatzung von Magde-
burg zu verſtärken; die Parteigänger Colomb und Thielmann errangen
manchen ſchönen Erfolg im Rücken des Feindes, ja den Koſaken Czer-
nitſcheffs glückte es ſogar für einige Tage Caſſel zu beſetzen und den
König Jerome aus ſeiner Hauptſtadt zu verjagen. Doch was bedeutete
das Alles für den Ausgang des großen Krieges? Clauſewitz ſpottete, die
beiden Theile ſtänden ſich gegenüber wie der Hund und die Feldhühner,
die einander ſtarr anſehen bis der Jäger ſein Faß an! ruft.

Von Blücher und Gneiſenau ward endlich dieſer fröhliche Jägerruf
angeſtimmt. Sie hatten den wiederholten Befehl zum Abmarſch nach
Böhmen unbefolgt gelaſſen, weil ſie der ſchleſiſchen Armee die Freiheit
der Bewegung erhalten wollten. Als der Krieg völlig ins Stocken kam

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[495/0511] Blüchers Zug über die Elbe. ſchen Adler zeigt. Der König empfand es bitter ſo viel herzliche Treue zurückweiſen zu müſſen; ſein Staatskanzler mußte ſobald die Rieder Ver- abredungen bekannt wurden Preußens Anſprüche auf Ansbach-Baireuth feierlich vorbehalten. Aber die Verwahrung kam zu ſpät. Um doch nicht gänzlich leer auszugehen beſetzte Preußen bald nach der Leipziger Schlacht das Herzogthum Berg und behielt dies Land, das in München von jeher als das Aequivalent der fränkiſchen Markgrafſchaften angeſehen wurde, in ſeiner Verwaltung. — Dergeſtalt war bereits entſchieden, daß Oeſterreich die Geſtaltung der deutſchen Zukunft in ſeiner Gewalt hielt. Indeſſen wuchs die Bedrängniß des Imperators. Neue gewaltige Aushebungen wurden dem erſchöpften Frank- reich zugemuthet: die Nation ſolle ſich ein Beiſpiel nehmen an den unge- heuren Anſtrengungen des kleinen Preußens, ihr Alles einſetzen in dieſem Kriege gegen England; denn nur darum dauere der Kampf fort weil der unverſöhnliche engliſche Feind verlange, daß die Franzoſen wie die Hindus allein für ihn arbeiteten. Das elende Weib, das in Napoleons Namen die Regentſchaft führte, die Tochter des letzten deutſchen Kaiſers, hatte die Stirn im Senate auszuſprechen: „ich weiß mehr als irgend Jemand, was unſere Bevölkerung zu gewärtigen hätte, wenn ſie ſich jemals be- ſiegen ließe!“ Umringt von den drei feindlichen Heeren verſuchte Napo- leon noch mehrmals durch einen Angriff ſich Luft zu machen; zweimal wendete er ſich gegen das ſchleſiſche Heer, das bis in die Lauſitz vorge- drungen war, einmal gegen die böhmiſche Armee; aber Blücher wich ihm gewandt aus, und als der Imperator am 10. September von der Höhe des Geiersberges in das Teplitzer Thal hinabſchaute, da fand er doch nicht den Entſchluß, dem böhmiſchen Heere die Schlacht anzubieten. Es war ein ewiges va et vient, wie Napoleon ſagte. Das nutzloſe Spiel drohte ſich ins Unendliche zu verlängern. Die große Armee rührte ſich nicht vom Flecke. Karl Johann benutzte den Sieg von Dennewitz nicht, wollte die Elbe nicht überſchreiten ſo lange Wittenberg noch in franzöſi- ſchen Händen war. Wohl vereitelte das Corps Wallmodens durch das Gefecht an der Göhrde einen Verſuch Davouſts die Beſatzung von Magde- burg zu verſtärken; die Parteigänger Colomb und Thielmann errangen manchen ſchönen Erfolg im Rücken des Feindes, ja den Koſaken Czer- nitſcheffs glückte es ſogar für einige Tage Caſſel zu beſetzen und den König Jerome aus ſeiner Hauptſtadt zu verjagen. Doch was bedeutete das Alles für den Ausgang des großen Krieges? Clauſewitz ſpottete, die beiden Theile ſtänden ſich gegenüber wie der Hund und die Feldhühner, die einander ſtarr anſehen bis der Jäger ſein Faß an! ruft. Von Blücher und Gneiſenau ward endlich dieſer fröhliche Jägerruf angeſtimmt. Sie hatten den wiederholten Befehl zum Abmarſch nach Böhmen unbefolgt gelaſſen, weil ſie der ſchleſiſchen Armee die Freiheit der Bewegung erhalten wollten. Als der Krieg völlig ins Stocken kam

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/511>, abgerufen am 17.05.2024.