Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

I. 4. Der Befreiungskrieg.
während der jüngsten Monate an einem breiten Kanonenwege arbeiten
müssen, der auf dem linken Elbufer über den Ziegenrücken mitten durch die
Felsen der sächsischen Schweiz führte, unter den Kanonen des Königsteins
den Fluß überbrückte und jenseits in die große Teplitzer Straße ein-
mündete. Auf diesem Wege eilte jetzt das Corps Vandammes, gegen
40,000 Mann, herbei den Verbündeten den Rückzug zu verlegen. In
solcher Lage schien dem Kriegsrathe ein Sieg unmöglich; man erneuerte
die Schlacht am Morgen des 27. nur um sich einen gesicherten Abzug
zu erkämpfen. Selbst dieser bescheidene Zweck ward verfehlt. Während
der rechte Flügel der Alliirten im Verlaufe des Tages langsam von dem
Flusse und der Teplitzer Straße abgedrängt wurde, erlitt der linke eine
schwere Niederlage. Die Oesterreicher dort standen auf den Höhen zwischen
der Elbe und dem Plauenschen Grunde; sie waren rechts durch den tiefen
Einschnitt dieses steil abfallenden Felsengrundes von der übrigen Armee
getrennt und hatten versäumt ihre Posten links bis dicht an den Fluß
heranzuschieben. So konnte denn Murat, von ortskundigen sächsischen
Offizieren geleitet, eine gewaltige Reitermasse durch die Hohlwege, die vom
Elbthale aufsteigen, unbemerkt auf die Hochebene führen. Mehrere Vier-
ecke des österreichischen Fußvolks wurden niedergehauen als er nun plötz-
lich in Rücken und Flanke der Ueberraschten erschien; eine ganze Division
mußte, eingekeilt zwischen dem Feinde und dem tiefen Felsenthale, die
Waffen strecken. Der Plauensche Grund, und damit die Straße nach
Freiberg, war in den Händen der Franzosen. Am Nachmittage trat die
geschlagene Armee den Rückzug an. Zwanzigtausend Gefangene lagerten
in den Kirchen Dresdens und im Hofe des Zwingers, dreißig erbeutete
Kanonen standen im Schloßhofe zur Schau. Die unterthänige Residenz
frohlockte über die Befreiung von den russischen Plünderern und erzählte
sich staunend die wundersame Märe von dem großen sächsischen Kanonier,
der durch einen wohlgezielten Schuß den Verräther Moreau an der Seite
Alexanders getödet haben sollte.

War schon der Anmarsch der böhmischen Armee schwerfällig und
ohne Ordnung erfolgt, was ließ sich jetzt von dem Rückzuge erwarten?
Ein geschlagenes Heer von 200,000 Mann, und nur eine einzige Land-
straße -- die Straße, welche über Altenberg nach Dux in das Teplitzer Thal
hinüberführt. Was dort nicht Platz fand mußte wohl oder übel die Neben-
wege einschlagen, die den Gebirgsbächen entlang in engen Felsenthälern
allmählich zum Kamme des Erzgebirges emporsteigen und nachher an dem
steilen südlichen Abhange in unzähligen Windungen sich herniederschlängeln.
Bald waren die schmalen Felsengründe vollgestopft von den unbeweglichen
Massen des ungeheuren Wagentrosses; der Regen strömte vom Himmel;
Unordnung, Angst und Hunger überall, kein Gedanke mehr an eine ge-
meinsame Leitung der in den Engpässen eingeklemmten Heerestheile. Dem
Oberfeldherrn fielen die Zügel aus den Händen; in seiner Angst ließ er

I. 4. Der Befreiungskrieg.
während der jüngſten Monate an einem breiten Kanonenwege arbeiten
müſſen, der auf dem linken Elbufer über den Ziegenrücken mitten durch die
Felſen der ſächſiſchen Schweiz führte, unter den Kanonen des Königſteins
den Fluß überbrückte und jenſeits in die große Teplitzer Straße ein-
mündete. Auf dieſem Wege eilte jetzt das Corps Vandammes, gegen
40,000 Mann, herbei den Verbündeten den Rückzug zu verlegen. In
ſolcher Lage ſchien dem Kriegsrathe ein Sieg unmöglich; man erneuerte
die Schlacht am Morgen des 27. nur um ſich einen geſicherten Abzug
zu erkämpfen. Selbſt dieſer beſcheidene Zweck ward verfehlt. Während
der rechte Flügel der Alliirten im Verlaufe des Tages langſam von dem
Fluſſe und der Teplitzer Straße abgedrängt wurde, erlitt der linke eine
ſchwere Niederlage. Die Oeſterreicher dort ſtanden auf den Höhen zwiſchen
der Elbe und dem Plauenſchen Grunde; ſie waren rechts durch den tiefen
Einſchnitt dieſes ſteil abfallenden Felſengrundes von der übrigen Armee
getrennt und hatten verſäumt ihre Poſten links bis dicht an den Fluß
heranzuſchieben. So konnte denn Murat, von ortskundigen ſächſiſchen
Offizieren geleitet, eine gewaltige Reitermaſſe durch die Hohlwege, die vom
Elbthale aufſteigen, unbemerkt auf die Hochebene führen. Mehrere Vier-
ecke des öſterreichiſchen Fußvolks wurden niedergehauen als er nun plötz-
lich in Rücken und Flanke der Ueberraſchten erſchien; eine ganze Diviſion
mußte, eingekeilt zwiſchen dem Feinde und dem tiefen Felſenthale, die
Waffen ſtrecken. Der Plauenſche Grund, und damit die Straße nach
Freiberg, war in den Händen der Franzoſen. Am Nachmittage trat die
geſchlagene Armee den Rückzug an. Zwanzigtauſend Gefangene lagerten
in den Kirchen Dresdens und im Hofe des Zwingers, dreißig erbeutete
Kanonen ſtanden im Schloßhofe zur Schau. Die unterthänige Reſidenz
frohlockte über die Befreiung von den ruſſiſchen Plünderern und erzählte
ſich ſtaunend die wunderſame Märe von dem großen ſächſiſchen Kanonier,
der durch einen wohlgezielten Schuß den Verräther Moreau an der Seite
Alexanders getödet haben ſollte.

War ſchon der Anmarſch der böhmiſchen Armee ſchwerfällig und
ohne Ordnung erfolgt, was ließ ſich jetzt von dem Rückzuge erwarten?
Ein geſchlagenes Heer von 200,000 Mann, und nur eine einzige Land-
ſtraße — die Straße, welche über Altenberg nach Dux in das Teplitzer Thal
hinüberführt. Was dort nicht Platz fand mußte wohl oder übel die Neben-
wege einſchlagen, die den Gebirgsbächen entlang in engen Felſenthälern
allmählich zum Kamme des Erzgebirges emporſteigen und nachher an dem
ſteilen ſüdlichen Abhange in unzähligen Windungen ſich herniederſchlängeln.
Bald waren die ſchmalen Felſengründe vollgeſtopft von den unbeweglichen
Maſſen des ungeheuren Wagentroſſes; der Regen ſtrömte vom Himmel;
Unordnung, Angſt und Hunger überall, kein Gedanke mehr an eine ge-
meinſame Leitung der in den Engpäſſen eingeklemmten Heerestheile. Dem
Oberfeldherrn fielen die Zügel aus den Händen; in ſeiner Angſt ließ er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0498" n="482"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 4. Der Befreiungskrieg.</fw><lb/>
während der jüng&#x017F;ten Monate an einem breiten Kanonenwege arbeiten<lb/>&#x017F;&#x017F;en, der auf dem linken Elbufer über den Ziegenrücken mitten durch die<lb/>
Fel&#x017F;en der &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen Schweiz führte, unter den Kanonen des König&#x017F;teins<lb/>
den Fluß überbrückte und jen&#x017F;eits in die große Teplitzer Straße ein-<lb/>
mündete. Auf die&#x017F;em Wege eilte jetzt das Corps Vandammes, gegen<lb/>
40,000 Mann, herbei den Verbündeten den Rückzug zu verlegen. In<lb/>
&#x017F;olcher Lage &#x017F;chien dem Kriegsrathe ein Sieg unmöglich; man erneuerte<lb/>
die Schlacht am Morgen des 27. nur um &#x017F;ich einen ge&#x017F;icherten Abzug<lb/>
zu erkämpfen. Selb&#x017F;t die&#x017F;er be&#x017F;cheidene Zweck ward verfehlt. Während<lb/>
der rechte Flügel der Alliirten im Verlaufe des Tages lang&#x017F;am von dem<lb/>
Flu&#x017F;&#x017F;e und der Teplitzer Straße abgedrängt wurde, erlitt der linke eine<lb/>
&#x017F;chwere Niederlage. Die Oe&#x017F;terreicher dort &#x017F;tanden auf den Höhen zwi&#x017F;chen<lb/>
der Elbe und dem Plauen&#x017F;chen Grunde; &#x017F;ie waren rechts durch den tiefen<lb/>
Ein&#x017F;chnitt die&#x017F;es &#x017F;teil abfallenden Fel&#x017F;engrundes von der übrigen Armee<lb/>
getrennt und hatten ver&#x017F;äumt ihre Po&#x017F;ten links bis dicht an den Fluß<lb/>
heranzu&#x017F;chieben. So konnte denn Murat, von ortskundigen &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Offizieren geleitet, eine gewaltige Reiterma&#x017F;&#x017F;e durch die Hohlwege, die vom<lb/>
Elbthale auf&#x017F;teigen, unbemerkt auf die Hochebene führen. Mehrere Vier-<lb/>
ecke des ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Fußvolks wurden niedergehauen als er nun plötz-<lb/>
lich in Rücken und Flanke der Ueberra&#x017F;chten er&#x017F;chien; eine ganze Divi&#x017F;ion<lb/>
mußte, eingekeilt zwi&#x017F;chen dem Feinde und dem tiefen Fel&#x017F;enthale, die<lb/>
Waffen &#x017F;trecken. Der Plauen&#x017F;che Grund, und damit die Straße nach<lb/>
Freiberg, war in den Händen der Franzo&#x017F;en. Am Nachmittage trat die<lb/>
ge&#x017F;chlagene Armee den Rückzug an. Zwanzigtau&#x017F;end Gefangene lagerten<lb/>
in den Kirchen Dresdens und im Hofe des Zwingers, dreißig erbeutete<lb/>
Kanonen &#x017F;tanden im Schloßhofe zur Schau. Die unterthänige Re&#x017F;idenz<lb/>
frohlockte über die Befreiung von den ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Plünderern und erzählte<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;taunend die wunder&#x017F;ame Märe von dem großen &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen Kanonier,<lb/>
der durch einen wohlgezielten Schuß den Verräther Moreau an der Seite<lb/>
Alexanders getödet haben &#x017F;ollte.</p><lb/>
            <p>War &#x017F;chon der Anmar&#x017F;ch der böhmi&#x017F;chen Armee &#x017F;chwerfällig und<lb/>
ohne Ordnung erfolgt, was ließ &#x017F;ich jetzt von dem Rückzuge erwarten?<lb/>
Ein ge&#x017F;chlagenes Heer von 200,000 Mann, und nur eine einzige Land-<lb/>
&#x017F;traße &#x2014; die Straße, welche über Altenberg nach Dux in das Teplitzer Thal<lb/>
hinüberführt. Was dort nicht Platz fand mußte wohl oder übel die Neben-<lb/>
wege ein&#x017F;chlagen, die den Gebirgsbächen entlang in engen Fel&#x017F;enthälern<lb/>
allmählich zum Kamme des Erzgebirges empor&#x017F;teigen und nachher an dem<lb/>
&#x017F;teilen &#x017F;üdlichen Abhange in unzähligen Windungen &#x017F;ich hernieder&#x017F;chlängeln.<lb/>
Bald waren die &#x017F;chmalen Fel&#x017F;engründe vollge&#x017F;topft von den unbeweglichen<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;en des ungeheuren Wagentro&#x017F;&#x017F;es; der Regen &#x017F;trömte vom Himmel;<lb/>
Unordnung, Ang&#x017F;t und Hunger überall, kein Gedanke mehr an eine ge-<lb/>
mein&#x017F;ame Leitung der in den Engpä&#x017F;&#x017F;en eingeklemmten Heerestheile. Dem<lb/>
Oberfeldherrn fielen die Zügel aus den Händen; in &#x017F;einer Ang&#x017F;t ließ er<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[482/0498] I. 4. Der Befreiungskrieg. während der jüngſten Monate an einem breiten Kanonenwege arbeiten müſſen, der auf dem linken Elbufer über den Ziegenrücken mitten durch die Felſen der ſächſiſchen Schweiz führte, unter den Kanonen des Königſteins den Fluß überbrückte und jenſeits in die große Teplitzer Straße ein- mündete. Auf dieſem Wege eilte jetzt das Corps Vandammes, gegen 40,000 Mann, herbei den Verbündeten den Rückzug zu verlegen. In ſolcher Lage ſchien dem Kriegsrathe ein Sieg unmöglich; man erneuerte die Schlacht am Morgen des 27. nur um ſich einen geſicherten Abzug zu erkämpfen. Selbſt dieſer beſcheidene Zweck ward verfehlt. Während der rechte Flügel der Alliirten im Verlaufe des Tages langſam von dem Fluſſe und der Teplitzer Straße abgedrängt wurde, erlitt der linke eine ſchwere Niederlage. Die Oeſterreicher dort ſtanden auf den Höhen zwiſchen der Elbe und dem Plauenſchen Grunde; ſie waren rechts durch den tiefen Einſchnitt dieſes ſteil abfallenden Felſengrundes von der übrigen Armee getrennt und hatten verſäumt ihre Poſten links bis dicht an den Fluß heranzuſchieben. So konnte denn Murat, von ortskundigen ſächſiſchen Offizieren geleitet, eine gewaltige Reitermaſſe durch die Hohlwege, die vom Elbthale aufſteigen, unbemerkt auf die Hochebene führen. Mehrere Vier- ecke des öſterreichiſchen Fußvolks wurden niedergehauen als er nun plötz- lich in Rücken und Flanke der Ueberraſchten erſchien; eine ganze Diviſion mußte, eingekeilt zwiſchen dem Feinde und dem tiefen Felſenthale, die Waffen ſtrecken. Der Plauenſche Grund, und damit die Straße nach Freiberg, war in den Händen der Franzoſen. Am Nachmittage trat die geſchlagene Armee den Rückzug an. Zwanzigtauſend Gefangene lagerten in den Kirchen Dresdens und im Hofe des Zwingers, dreißig erbeutete Kanonen ſtanden im Schloßhofe zur Schau. Die unterthänige Reſidenz frohlockte über die Befreiung von den ruſſiſchen Plünderern und erzählte ſich ſtaunend die wunderſame Märe von dem großen ſächſiſchen Kanonier, der durch einen wohlgezielten Schuß den Verräther Moreau an der Seite Alexanders getödet haben ſollte. War ſchon der Anmarſch der böhmiſchen Armee ſchwerfällig und ohne Ordnung erfolgt, was ließ ſich jetzt von dem Rückzuge erwarten? Ein geſchlagenes Heer von 200,000 Mann, und nur eine einzige Land- ſtraße — die Straße, welche über Altenberg nach Dux in das Teplitzer Thal hinüberführt. Was dort nicht Platz fand mußte wohl oder übel die Neben- wege einſchlagen, die den Gebirgsbächen entlang in engen Felſenthälern allmählich zum Kamme des Erzgebirges emporſteigen und nachher an dem ſteilen ſüdlichen Abhange in unzähligen Windungen ſich herniederſchlängeln. Bald waren die ſchmalen Felſengründe vollgeſtopft von den unbeweglichen Maſſen des ungeheuren Wagentroſſes; der Regen ſtrömte vom Himmel; Unordnung, Angſt und Hunger überall, kein Gedanke mehr an eine ge- meinſame Leitung der in den Engpäſſen eingeklemmten Heerestheile. Dem Oberfeldherrn fielen die Zügel aus den Händen; in ſeiner Angſt ließ er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/498
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/498>, abgerufen am 20.05.2024.