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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Großbeeren. Bülow.

Am folgenden Morgen eilten die Berliner in Schaaren auf das
Schlachtfeld hinaus ihre Befreier zu begrüßen; lange Züge hochbepackter
Wagen brachten Bettzeug für die Verwundeten, Wein und Speisen für
die Ermatteten. Welche Ausbrüche des Jubels und der Klage unter allen
diesen Eltern und Geschwistern, die ihre Söhne, ihre Brüder suchten; es
war des Dankes und der Umarmungen kein Ende; in tausend rührenden
Zügen bekundete sich die heilige Macht der Liebe, die ein gerechter Krieg
in edlen Völkern erweckt. Auch mancher ältere Berliner Bürger hatte
mitgeholfen, so der reiche Buchhändler G. A. Reimer, der Freund Nie-
buhrs und Schleiermachers, der unermüdliche Patriot; der stand als
Hauptmann bei der kurmärkischen Landwehr, eilte nach der Schlacht auf
Urlaub heim sein jüngstes Töchterlein über die Taufe zu halten, dann
wieder hinaus zu seinem Bataillon.

Das Beste blieb doch, daß die Preußen abermals einen vaterländischen
Helden lieben lernten, den allezeit glücklichen Bülow: -- so hieß er jetzt seit
den Siegen von Luckau und Großbeeren; in dem Kriege von 1807 hatten die
Kameraden wohl seine Tüchtigkeit gelobt aber sein ewiges Unglück bedauert.
Auch er zählte wie York zu den Soldaten der alten Schule und war den
Bestrebungen der Reformpartei nicht hold, wenngleich er den Groll des alten
Isegrimm nicht theilte. Doch die Schande seines Landes empfand er in tief-
ster Seele und als der Kampf ausbrach führten ihn sein gerader Soldaten-
verstand und der angeborene feurige Muth von selber zu einer kühnen Kriegs-
weise, die den Theorien Scharnhorsts entsprach; zudem stand Boyen als Ge-
neralquartiermeister an seiner Seite. Geistreich und fein gebildet, in jungen
Jahren eine Zierde der Salons des Prinzen Louis Ferdinand, ein Kenner
der Künste und begabter Componist, zeigte er in seinem äußeren Auftreten
gar nichts von jener fortreißenden begeisternden Macht, die aus Blüchers
Flammenaugen blitzte. Wer hätte den unscheinbaren kleinen Mann für
einen Feldherrn gehalten, wenn er so still in Ueberrock und Feldmütze, einen
Kantschu über der Schulter, auf seinem kleinen dauerhaften Rothschimmel
dahertrabte? Aber die Offiziere wußten, was sie an dem gerechten und
wohlwollenden, durchaus wahrhaftigen und gradsinnigen Führer hatten;
der Mannschaft war er ein sorgsamer Vater, sie schwor auf ihn und glaubte
fest, unter dem könne es nicht fehlgehen. Und auch die Furcht fehlte nicht,
die zur Beherrschung eines Heeres nothwendig ist; der stille Mann konnte
zuweilen in unbändigem Jähzorn aufflammen, wenn er etwa gefangenen
Rheinbundsoffizieren mit schonungslosen Worten die Schande ihres Scher-
gendienstes vorhielt oder durch einen Adjutanten Bernadottes einen Befehl
zum Rückzuge empfing. Seit dem Erfolge von Großbeeren trat er dem
Kronprinzen mit der ganzen Schroffheit seines Selbstgefühls entgegen; er
wagte sogar in den Zeitungen dem parteiisch gefärbten Schlachtberichte
des Oberfeldherrn zu widersprechen. Die preußischen Generale nahmen
sich vor, dem hinterhaltigen Zauderer nicht zu gehorchen, falls er wieder

Großbeeren. Bülow.

Am folgenden Morgen eilten die Berliner in Schaaren auf das
Schlachtfeld hinaus ihre Befreier zu begrüßen; lange Züge hochbepackter
Wagen brachten Bettzeug für die Verwundeten, Wein und Speiſen für
die Ermatteten. Welche Ausbrüche des Jubels und der Klage unter allen
dieſen Eltern und Geſchwiſtern, die ihre Söhne, ihre Brüder ſuchten; es
war des Dankes und der Umarmungen kein Ende; in tauſend rührenden
Zügen bekundete ſich die heilige Macht der Liebe, die ein gerechter Krieg
in edlen Völkern erweckt. Auch mancher ältere Berliner Bürger hatte
mitgeholfen, ſo der reiche Buchhändler G. A. Reimer, der Freund Nie-
buhrs und Schleiermachers, der unermüdliche Patriot; der ſtand als
Hauptmann bei der kurmärkiſchen Landwehr, eilte nach der Schlacht auf
Urlaub heim ſein jüngſtes Töchterlein über die Taufe zu halten, dann
wieder hinaus zu ſeinem Bataillon.

Das Beſte blieb doch, daß die Preußen abermals einen vaterländiſchen
Helden lieben lernten, den allezeit glücklichen Bülow: — ſo hieß er jetzt ſeit
den Siegen von Luckau und Großbeeren; in dem Kriege von 1807 hatten die
Kameraden wohl ſeine Tüchtigkeit gelobt aber ſein ewiges Unglück bedauert.
Auch er zählte wie York zu den Soldaten der alten Schule und war den
Beſtrebungen der Reformpartei nicht hold, wenngleich er den Groll des alten
Iſegrimm nicht theilte. Doch die Schande ſeines Landes empfand er in tief-
ſter Seele und als der Kampf ausbrach führten ihn ſein gerader Soldaten-
verſtand und der angeborene feurige Muth von ſelber zu einer kühnen Kriegs-
weiſe, die den Theorien Scharnhorſts entſprach; zudem ſtand Boyen als Ge-
neralquartiermeiſter an ſeiner Seite. Geiſtreich und fein gebildet, in jungen
Jahren eine Zierde der Salons des Prinzen Louis Ferdinand, ein Kenner
der Künſte und begabter Componiſt, zeigte er in ſeinem äußeren Auftreten
gar nichts von jener fortreißenden begeiſternden Macht, die aus Blüchers
Flammenaugen blitzte. Wer hätte den unſcheinbaren kleinen Mann für
einen Feldherrn gehalten, wenn er ſo ſtill in Ueberrock und Feldmütze, einen
Kantſchu über der Schulter, auf ſeinem kleinen dauerhaften Rothſchimmel
dahertrabte? Aber die Offiziere wußten, was ſie an dem gerechten und
wohlwollenden, durchaus wahrhaftigen und gradſinnigen Führer hatten;
der Mannſchaft war er ein ſorgſamer Vater, ſie ſchwor auf ihn und glaubte
feſt, unter dem könne es nicht fehlgehen. Und auch die Furcht fehlte nicht,
die zur Beherrſchung eines Heeres nothwendig iſt; der ſtille Mann konnte
zuweilen in unbändigem Jähzorn aufflammen, wenn er etwa gefangenen
Rheinbundsoffizieren mit ſchonungsloſen Worten die Schande ihres Scher-
gendienſtes vorhielt oder durch einen Adjutanten Bernadottes einen Befehl
zum Rückzuge empfing. Seit dem Erfolge von Großbeeren trat er dem
Kronprinzen mit der ganzen Schroffheit ſeines Selbſtgefühls entgegen; er
wagte ſogar in den Zeitungen dem parteiiſch gefärbten Schlachtberichte
des Oberfeldherrn zu widerſprechen. Die preußiſchen Generale nahmen
ſich vor, dem hinterhaltigen Zauderer nicht zu gehorchen, falls er wieder

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[479/0495] Großbeeren. Bülow. Am folgenden Morgen eilten die Berliner in Schaaren auf das Schlachtfeld hinaus ihre Befreier zu begrüßen; lange Züge hochbepackter Wagen brachten Bettzeug für die Verwundeten, Wein und Speiſen für die Ermatteten. Welche Ausbrüche des Jubels und der Klage unter allen dieſen Eltern und Geſchwiſtern, die ihre Söhne, ihre Brüder ſuchten; es war des Dankes und der Umarmungen kein Ende; in tauſend rührenden Zügen bekundete ſich die heilige Macht der Liebe, die ein gerechter Krieg in edlen Völkern erweckt. Auch mancher ältere Berliner Bürger hatte mitgeholfen, ſo der reiche Buchhändler G. A. Reimer, der Freund Nie- buhrs und Schleiermachers, der unermüdliche Patriot; der ſtand als Hauptmann bei der kurmärkiſchen Landwehr, eilte nach der Schlacht auf Urlaub heim ſein jüngſtes Töchterlein über die Taufe zu halten, dann wieder hinaus zu ſeinem Bataillon. Das Beſte blieb doch, daß die Preußen abermals einen vaterländiſchen Helden lieben lernten, den allezeit glücklichen Bülow: — ſo hieß er jetzt ſeit den Siegen von Luckau und Großbeeren; in dem Kriege von 1807 hatten die Kameraden wohl ſeine Tüchtigkeit gelobt aber ſein ewiges Unglück bedauert. Auch er zählte wie York zu den Soldaten der alten Schule und war den Beſtrebungen der Reformpartei nicht hold, wenngleich er den Groll des alten Iſegrimm nicht theilte. Doch die Schande ſeines Landes empfand er in tief- ſter Seele und als der Kampf ausbrach führten ihn ſein gerader Soldaten- verſtand und der angeborene feurige Muth von ſelber zu einer kühnen Kriegs- weiſe, die den Theorien Scharnhorſts entſprach; zudem ſtand Boyen als Ge- neralquartiermeiſter an ſeiner Seite. Geiſtreich und fein gebildet, in jungen Jahren eine Zierde der Salons des Prinzen Louis Ferdinand, ein Kenner der Künſte und begabter Componiſt, zeigte er in ſeinem äußeren Auftreten gar nichts von jener fortreißenden begeiſternden Macht, die aus Blüchers Flammenaugen blitzte. Wer hätte den unſcheinbaren kleinen Mann für einen Feldherrn gehalten, wenn er ſo ſtill in Ueberrock und Feldmütze, einen Kantſchu über der Schulter, auf ſeinem kleinen dauerhaften Rothſchimmel dahertrabte? Aber die Offiziere wußten, was ſie an dem gerechten und wohlwollenden, durchaus wahrhaftigen und gradſinnigen Führer hatten; der Mannſchaft war er ein ſorgſamer Vater, ſie ſchwor auf ihn und glaubte feſt, unter dem könne es nicht fehlgehen. Und auch die Furcht fehlte nicht, die zur Beherrſchung eines Heeres nothwendig iſt; der ſtille Mann konnte zuweilen in unbändigem Jähzorn aufflammen, wenn er etwa gefangenen Rheinbundsoffizieren mit ſchonungsloſen Worten die Schande ihres Scher- gendienſtes vorhielt oder durch einen Adjutanten Bernadottes einen Befehl zum Rückzuge empfing. Seit dem Erfolge von Großbeeren trat er dem Kronprinzen mit der ganzen Schroffheit ſeines Selbſtgefühls entgegen; er wagte ſogar in den Zeitungen dem parteiiſch gefärbten Schlachtberichte des Oberfeldherrn zu widerſprechen. Die preußiſchen Generale nahmen ſich vor, dem hinterhaltigen Zauderer nicht zu gehorchen, falls er wieder

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/495>, abgerufen am 22.11.2024.