geringen Einfluß; in der Regel gaben die Generale Duca und Langenau den Ausschlag im Kriegsrathe, zwei Theoretiker aus Lloyds behutsam methodischer Kriegsschule, denen nichts schrecklicher war als das Wagniß der Feldschlacht. Noch war der Zauber des napoleonischen Namens un- gebrochen. Selbst Czar Alexander begann zu glauben, daß die neufran- zösische Kriegskunst allein durch ihre eigenen Schüler zu überwinden sei; er setzte sein Vertrauen vornehmlich auf Bernadotte und zwei andere französische Ueberläufer, Moreau und Jomini, ja er erwartete sogar, daß diese Abtrünnigen Zwiespalt und Parteikampf im napoleonischen Heere her- vorrufen könnten -- eine Hoffnung, die an dem ehrenwerthen Patriotis- mus der Franzosen zu Schanden wurde. Nur im preußischen Lager lebte das leidenschaftliche Verlangen nach großen durchschlagenden Entscheidungen und das stolze Selbstvertrauen, das den Sieg verbürgt; aber erst im Ver- laufe des Kriegs, nach errungenem Erfolge erlangten die preußischen Heer- führer, die bedeutendsten militärischen Talente der Coalition, Macht und Ansehen.
Die Absicht Metternichs seinem Hofe die führende Stellung in der Allianz zu verschaffen, erfüllte sich vollständig. Wie der Oberbefehl der gesammten Streitkräfte dem Fürsten Schwarzenberg anvertraut wurde, so berücksichtigte auch der Kriegsplan der Verbündeten in erster Linie die Interessen Oesterreichs. General Toll, der fähigste Generalstabsoffizier der russischen Armee, vereinbarte am 12. Juli zu Trachenberg mit Kne- sebeck und dem schwedischen Kronprinzen die Bildung dreier Heere, deren jedes aus Truppen der verschiedenen Nationen gemischt sein sollte, während Blücher umgekehrt seine Preußen unter seinem eigenen Befehle zu ver- einigen wünschte. Die Hauptarmee von 235,000 Mann versammelte sich an der Nordgrenze von Böhmen unter Schwarzenbergs unmittelbarer Führung; dadurch wurde Kaiser Franz seiner schwersten Sorge ledig, eine Verlegung des Kriegsschauplatzes nach dem Innern Oesterreichs war kaum noch zu befürchten. In den Marken und an der Niederelbe stand die Nordarmee unter Bernadotte, über 150,000 Mann, in Schlesien Blücher mit 95,000 Mann. Alle drei Heere sollten die Offensive er- greifen und ihren Sammelplatz im Lager des Feindes suchen; wendete sich Napoleon von seinem Stützpunkte Dresden aus mit überlegener Macht gegen eine der drei Armeen, so wich diese aus und die beiden anderen bedrohten ihn in Rücken und Flanke. So hatte das alte Europa doch endlich etwas gelernt von der neuen großartigen Kriegsweise: nicht mehr die Besitznahme einzelner geographischer Punkte, sondern die Besiegung des Feindes wurde als der Zweck der Operationen bezeichnet. Frei- lich stimmten die überbehutsamen Vorschriften für die Ausführung wenig zu der Kühnheit des strategischen Grundgedankens. Der schlesischen Armee dachte das große Hauptquartier nur die bescheidenen Aufgaben eines großen Observationscorps zu, da sie die schwächste von allen war
Beginn des Herbſtfeldzugs.
geringen Einfluß; in der Regel gaben die Generale Duca und Langenau den Ausſchlag im Kriegsrathe, zwei Theoretiker aus Lloyds behutſam methodiſcher Kriegsſchule, denen nichts ſchrecklicher war als das Wagniß der Feldſchlacht. Noch war der Zauber des napoleoniſchen Namens un- gebrochen. Selbſt Czar Alexander begann zu glauben, daß die neufran- zöſiſche Kriegskunſt allein durch ihre eigenen Schüler zu überwinden ſei; er ſetzte ſein Vertrauen vornehmlich auf Bernadotte und zwei andere franzöſiſche Ueberläufer, Moreau und Jomini, ja er erwartete ſogar, daß dieſe Abtrünnigen Zwieſpalt und Parteikampf im napoleoniſchen Heere her- vorrufen könnten — eine Hoffnung, die an dem ehrenwerthen Patriotis- mus der Franzoſen zu Schanden wurde. Nur im preußiſchen Lager lebte das leidenſchaftliche Verlangen nach großen durchſchlagenden Entſcheidungen und das ſtolze Selbſtvertrauen, das den Sieg verbürgt; aber erſt im Ver- laufe des Kriegs, nach errungenem Erfolge erlangten die preußiſchen Heer- führer, die bedeutendſten militäriſchen Talente der Coalition, Macht und Anſehen.
Die Abſicht Metternichs ſeinem Hofe die führende Stellung in der Allianz zu verſchaffen, erfüllte ſich vollſtändig. Wie der Oberbefehl der geſammten Streitkräfte dem Fürſten Schwarzenberg anvertraut wurde, ſo berückſichtigte auch der Kriegsplan der Verbündeten in erſter Linie die Intereſſen Oeſterreichs. General Toll, der fähigſte Generalſtabsoffizier der ruſſiſchen Armee, vereinbarte am 12. Juli zu Trachenberg mit Kne- ſebeck und dem ſchwediſchen Kronprinzen die Bildung dreier Heere, deren jedes aus Truppen der verſchiedenen Nationen gemiſcht ſein ſollte, während Blücher umgekehrt ſeine Preußen unter ſeinem eigenen Befehle zu ver- einigen wünſchte. Die Hauptarmee von 235,000 Mann verſammelte ſich an der Nordgrenze von Böhmen unter Schwarzenbergs unmittelbarer Führung; dadurch wurde Kaiſer Franz ſeiner ſchwerſten Sorge ledig, eine Verlegung des Kriegsſchauplatzes nach dem Innern Oeſterreichs war kaum noch zu befürchten. In den Marken und an der Niederelbe ſtand die Nordarmee unter Bernadotte, über 150,000 Mann, in Schleſien Blücher mit 95,000 Mann. Alle drei Heere ſollten die Offenſive er- greifen und ihren Sammelplatz im Lager des Feindes ſuchen; wendete ſich Napoleon von ſeinem Stützpunkte Dresden aus mit überlegener Macht gegen eine der drei Armeen, ſo wich dieſe aus und die beiden anderen bedrohten ihn in Rücken und Flanke. So hatte das alte Europa doch endlich etwas gelernt von der neuen großartigen Kriegsweiſe: nicht mehr die Beſitznahme einzelner geographiſcher Punkte, ſondern die Beſiegung des Feindes wurde als der Zweck der Operationen bezeichnet. Frei- lich ſtimmten die überbehutſamen Vorſchriften für die Ausführung wenig zu der Kühnheit des ſtrategiſchen Grundgedankens. Der ſchleſiſchen Armee dachte das große Hauptquartier nur die beſcheidenen Aufgaben eines großen Obſervationscorps zu, da ſie die ſchwächſte von allen war
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Beginn des Herbſtfeldzugs.
geringen Einfluß; in der Regel gaben die Generale Duca und Langenau
den Ausſchlag im Kriegsrathe, zwei Theoretiker aus Lloyds behutſam
methodiſcher Kriegsſchule, denen nichts ſchrecklicher war als das Wagniß
der Feldſchlacht. Noch war der Zauber des napoleoniſchen Namens un-
gebrochen. Selbſt Czar Alexander begann zu glauben, daß die neufran-
zöſiſche Kriegskunſt allein durch ihre eigenen Schüler zu überwinden ſei;
er ſetzte ſein Vertrauen vornehmlich auf Bernadotte und zwei andere
franzöſiſche Ueberläufer, Moreau und Jomini, ja er erwartete ſogar, daß
dieſe Abtrünnigen Zwieſpalt und Parteikampf im napoleoniſchen Heere her-
vorrufen könnten — eine Hoffnung, die an dem ehrenwerthen Patriotis-
mus der Franzoſen zu Schanden wurde. Nur im preußiſchen Lager lebte
das leidenſchaftliche Verlangen nach großen durchſchlagenden Entſcheidungen
und das ſtolze Selbſtvertrauen, das den Sieg verbürgt; aber erſt im Ver-
laufe des Kriegs, nach errungenem Erfolge erlangten die preußiſchen Heer-
führer, die bedeutendſten militäriſchen Talente der Coalition, Macht und
Anſehen.
Die Abſicht Metternichs ſeinem Hofe die führende Stellung in der
Allianz zu verſchaffen, erfüllte ſich vollſtändig. Wie der Oberbefehl der
geſammten Streitkräfte dem Fürſten Schwarzenberg anvertraut wurde,
ſo berückſichtigte auch der Kriegsplan der Verbündeten in erſter Linie die
Intereſſen Oeſterreichs. General Toll, der fähigſte Generalſtabsoffizier
der ruſſiſchen Armee, vereinbarte am 12. Juli zu Trachenberg mit Kne-
ſebeck und dem ſchwediſchen Kronprinzen die Bildung dreier Heere, deren
jedes aus Truppen der verſchiedenen Nationen gemiſcht ſein ſollte, während
Blücher umgekehrt ſeine Preußen unter ſeinem eigenen Befehle zu ver-
einigen wünſchte. Die Hauptarmee von 235,000 Mann verſammelte ſich
an der Nordgrenze von Böhmen unter Schwarzenbergs unmittelbarer
Führung; dadurch wurde Kaiſer Franz ſeiner ſchwerſten Sorge ledig, eine
Verlegung des Kriegsſchauplatzes nach dem Innern Oeſterreichs war
kaum noch zu befürchten. In den Marken und an der Niederelbe ſtand
die Nordarmee unter Bernadotte, über 150,000 Mann, in Schleſien
Blücher mit 95,000 Mann. Alle drei Heere ſollten die Offenſive er-
greifen und ihren Sammelplatz im Lager des Feindes ſuchen; wendete
ſich Napoleon von ſeinem Stützpunkte Dresden aus mit überlegener Macht
gegen eine der drei Armeen, ſo wich dieſe aus und die beiden anderen
bedrohten ihn in Rücken und Flanke. So hatte das alte Europa doch
endlich etwas gelernt von der neuen großartigen Kriegsweiſe: nicht mehr
die Beſitznahme einzelner geographiſcher Punkte, ſondern die Beſiegung
des Feindes wurde als der Zweck der Operationen bezeichnet. Frei-
lich ſtimmten die überbehutſamen Vorſchriften für die Ausführung wenig
zu der Kühnheit des ſtrategiſchen Grundgedankens. Der ſchleſiſchen
Armee dachte das große Hauptquartier nur die beſcheidenen Aufgaben
eines großen Obſervationscorps zu, da ſie die ſchwächſte von allen war
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/487>, abgerufen am 22.11.2024.
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