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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Ende der Waffenruhe.
doch Gentzens reicher Geist in Wien verknöchert und verdorrt, daß er jetzt
mit byzantinischem Redeschwall den kaiserlichen Schwiegervater verherrlichte,
der über gewöhnliche Bedenklichkeiten weit erhaben, für das heiligste Interesse
der Menschheit hingegeben habe was seinem Herzen das Theuerste war! Auch
die bitteren Bemerkungen des Manifestes über die dem regelmäßigen Gange
der Regierungen zuvoreilenden ungeduldigen Wünsche der Völker ließen
ahnen, daß der Krieg durch Oesterreichs Theilnahme seinen Charakter ver-
ändern, manche Hoffnung der Patrioten in Enttäuschung enden würde.
Doch es stand nicht anders, ohne Oesterreichs Zutritt konnte die Coali-
tion sich gegen das Weltreich nicht behaupten. Der Ausgang des Prager
Congresses war ein großer diplomatischer Erfolg; Friedrich Wilhelm wußte,
daß er ihn gutentheils der Gewandtheit seines Staatskanzlers verdankte.
Erleichterten Herzens eilte Humboldt in jener verhängnißvollen Mitternacht
des 10. August auf den Hradschin um das verabredete Zeichen zu geben;
bald flammten die Fanale auf den Kuppen der Riesenberge und trugen
noch in derselben Nacht nach Schlesien hinüber zu dem aufjubelnden
preußischen Heere die frohe Kunde, daß in sechs Tagen der Krieg von
Neuem beginne.


Durch den glücklichen Fortgang der preußisch-russischen Rüstungen
und durch den Zutritt von 110,000 Mann Oesterreichern wurde endlich
das Gleichgewicht der Kopfstärke zwischen den beiden Parteien annähernd
hergestellt. Die Coalition verfügte über eine Feldarmee von über 480,000
Mann, worunter etwa 165,000 Preußen und nahezu ebenso viel Russen,
sie war dem Feinde namentlich durch die Stärke ihrer Reiterei und Artil-
lerie überlegen. Napoleon hatte sein Heer auf 440,000 Mann gebracht.
Die Fürsten des Rheinbundes leisteten willig Heeresfolge, zumal da der
Protector wieder den Schirmherrn des Particularismus spielte und ihnen
die Gefahr der Wiederherstellung des alten deutschen Reichs, des Verlustes
der Souveränität in finsteren Farben schilderte. Nur der Münchener Hof
zeigte eine verdächtige Saumseligkeit; er nahm die Kriegserklärung Oester-
reichs zum Vorwande um die Hauptmasse seines Heeres im Lande zurück-
zuhalten, stellte nur eine schwache Division auf den norddeutschen Kriegs-
schauplatz. Verließ das Glück die französischen Fahnen, so war Baiern zum
Abfall vorbereitet. Unter den unglücklichen Truppen des Rheinbundes
nahm der Unmuth überhand seit den theuer erkauften fruchtlosen Siegen
des Frühjahrs. Napoleon traute ihnen nicht, am wenigsten den West-
phalen. Trotzdem sah er dem Kriege mit Zuversicht entgegen. Die ge-
ringe Ueberzahl der Feldarmee der Verbündeten wurde reichlich aufge-
wogen durch den Besitz der Festungen des Nordostens, deren Einschließung
fast die Hälfte der preußischen Landwehr sowie einen großen Theil des russi-
schen Heeres in Anspruch nahm, vornehmlich aber durch die günstige centrale
Stellung an der Elblinie, die von Glückstadt und Hamburg bis hinauf

Ende der Waffenruhe.
doch Gentzens reicher Geiſt in Wien verknöchert und verdorrt, daß er jetzt
mit byzantiniſchem Redeſchwall den kaiſerlichen Schwiegervater verherrlichte,
der über gewöhnliche Bedenklichkeiten weit erhaben, für das heiligſte Intereſſe
der Menſchheit hingegeben habe was ſeinem Herzen das Theuerſte war! Auch
die bitteren Bemerkungen des Manifeſtes über die dem regelmäßigen Gange
der Regierungen zuvoreilenden ungeduldigen Wünſche der Völker ließen
ahnen, daß der Krieg durch Oeſterreichs Theilnahme ſeinen Charakter ver-
ändern, manche Hoffnung der Patrioten in Enttäuſchung enden würde.
Doch es ſtand nicht anders, ohne Oeſterreichs Zutritt konnte die Coali-
tion ſich gegen das Weltreich nicht behaupten. Der Ausgang des Prager
Congreſſes war ein großer diplomatiſcher Erfolg; Friedrich Wilhelm wußte,
daß er ihn gutentheils der Gewandtheit ſeines Staatskanzlers verdankte.
Erleichterten Herzens eilte Humboldt in jener verhängnißvollen Mitternacht
des 10. Auguſt auf den Hradſchin um das verabredete Zeichen zu geben;
bald flammten die Fanale auf den Kuppen der Rieſenberge und trugen
noch in derſelben Nacht nach Schleſien hinüber zu dem aufjubelnden
preußiſchen Heere die frohe Kunde, daß in ſechs Tagen der Krieg von
Neuem beginne.


Durch den glücklichen Fortgang der preußiſch-ruſſiſchen Rüſtungen
und durch den Zutritt von 110,000 Mann Oeſterreichern wurde endlich
das Gleichgewicht der Kopfſtärke zwiſchen den beiden Parteien annähernd
hergeſtellt. Die Coalition verfügte über eine Feldarmee von über 480,000
Mann, worunter etwa 165,000 Preußen und nahezu ebenſo viel Ruſſen,
ſie war dem Feinde namentlich durch die Stärke ihrer Reiterei und Artil-
lerie überlegen. Napoleon hatte ſein Heer auf 440,000 Mann gebracht.
Die Fürſten des Rheinbundes leiſteten willig Heeresfolge, zumal da der
Protector wieder den Schirmherrn des Particularismus ſpielte und ihnen
die Gefahr der Wiederherſtellung des alten deutſchen Reichs, des Verluſtes
der Souveränität in finſteren Farben ſchilderte. Nur der Münchener Hof
zeigte eine verdächtige Saumſeligkeit; er nahm die Kriegserklärung Oeſter-
reichs zum Vorwande um die Hauptmaſſe ſeines Heeres im Lande zurück-
zuhalten, ſtellte nur eine ſchwache Diviſion auf den norddeutſchen Kriegs-
ſchauplatz. Verließ das Glück die franzöſiſchen Fahnen, ſo war Baiern zum
Abfall vorbereitet. Unter den unglücklichen Truppen des Rheinbundes
nahm der Unmuth überhand ſeit den theuer erkauften fruchtloſen Siegen
des Frühjahrs. Napoleon traute ihnen nicht, am wenigſten den Weſt-
phalen. Trotzdem ſah er dem Kriege mit Zuverſicht entgegen. Die ge-
ringe Ueberzahl der Feldarmee der Verbündeten wurde reichlich aufge-
wogen durch den Beſitz der Feſtungen des Nordoſtens, deren Einſchließung
faſt die Hälfte der preußiſchen Landwehr ſowie einen großen Theil des ruſſi-
ſchen Heeres in Anſpruch nahm, vornehmlich aber durch die günſtige centrale
Stellung an der Elblinie, die von Glückſtadt und Hamburg bis hinauf

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[469/0485] Ende der Waffenruhe. doch Gentzens reicher Geiſt in Wien verknöchert und verdorrt, daß er jetzt mit byzantiniſchem Redeſchwall den kaiſerlichen Schwiegervater verherrlichte, der über gewöhnliche Bedenklichkeiten weit erhaben, für das heiligſte Intereſſe der Menſchheit hingegeben habe was ſeinem Herzen das Theuerſte war! Auch die bitteren Bemerkungen des Manifeſtes über die dem regelmäßigen Gange der Regierungen zuvoreilenden ungeduldigen Wünſche der Völker ließen ahnen, daß der Krieg durch Oeſterreichs Theilnahme ſeinen Charakter ver- ändern, manche Hoffnung der Patrioten in Enttäuſchung enden würde. Doch es ſtand nicht anders, ohne Oeſterreichs Zutritt konnte die Coali- tion ſich gegen das Weltreich nicht behaupten. Der Ausgang des Prager Congreſſes war ein großer diplomatiſcher Erfolg; Friedrich Wilhelm wußte, daß er ihn gutentheils der Gewandtheit ſeines Staatskanzlers verdankte. Erleichterten Herzens eilte Humboldt in jener verhängnißvollen Mitternacht des 10. Auguſt auf den Hradſchin um das verabredete Zeichen zu geben; bald flammten die Fanale auf den Kuppen der Rieſenberge und trugen noch in derſelben Nacht nach Schleſien hinüber zu dem aufjubelnden preußiſchen Heere die frohe Kunde, daß in ſechs Tagen der Krieg von Neuem beginne. Durch den glücklichen Fortgang der preußiſch-ruſſiſchen Rüſtungen und durch den Zutritt von 110,000 Mann Oeſterreichern wurde endlich das Gleichgewicht der Kopfſtärke zwiſchen den beiden Parteien annähernd hergeſtellt. Die Coalition verfügte über eine Feldarmee von über 480,000 Mann, worunter etwa 165,000 Preußen und nahezu ebenſo viel Ruſſen, ſie war dem Feinde namentlich durch die Stärke ihrer Reiterei und Artil- lerie überlegen. Napoleon hatte ſein Heer auf 440,000 Mann gebracht. Die Fürſten des Rheinbundes leiſteten willig Heeresfolge, zumal da der Protector wieder den Schirmherrn des Particularismus ſpielte und ihnen die Gefahr der Wiederherſtellung des alten deutſchen Reichs, des Verluſtes der Souveränität in finſteren Farben ſchilderte. Nur der Münchener Hof zeigte eine verdächtige Saumſeligkeit; er nahm die Kriegserklärung Oeſter- reichs zum Vorwande um die Hauptmaſſe ſeines Heeres im Lande zurück- zuhalten, ſtellte nur eine ſchwache Diviſion auf den norddeutſchen Kriegs- ſchauplatz. Verließ das Glück die franzöſiſchen Fahnen, ſo war Baiern zum Abfall vorbereitet. Unter den unglücklichen Truppen des Rheinbundes nahm der Unmuth überhand ſeit den theuer erkauften fruchtloſen Siegen des Frühjahrs. Napoleon traute ihnen nicht, am wenigſten den Weſt- phalen. Trotzdem ſah er dem Kriege mit Zuverſicht entgegen. Die ge- ringe Ueberzahl der Feldarmee der Verbündeten wurde reichlich aufge- wogen durch den Beſitz der Feſtungen des Nordoſtens, deren Einſchließung faſt die Hälfte der preußiſchen Landwehr ſowie einen großen Theil des ruſſi- ſchen Heeres in Anſpruch nahm, vornehmlich aber durch die günſtige centrale Stellung an der Elblinie, die von Glückſtadt und Hamburg bis hinauf

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/485>, abgerufen am 23.11.2024.