wegung; wie that es ihm wohl, daß der frische Luftzug der Wahrhaftig- keit wieder durch das deutsche Leben ging und Jeder tapfer von der Leber weg sprach. "Dichten Sie man druf, sagte er seelenvergnügt zu einem patriotischen Poeten; in solchen Zeiten muß Jeder singen wie es ihm ums Herz ist, der Eine mit dem Schnabel, der Andere mit dem Sabel!"
So war der Held, den die Stimme der Nation zum Führer wählte -- ein echter Germane, nur germanischen Menschen ganz verständlich in der rauhen Größe, der formlosen Ursprünglichkeit seines Wesens. Die Franzosen haben ihm niemals auch nur jene bedingte Anerkennung geschenkt, welche der anhaltende Erfolg selbst dem Besiegten abzuzwingen pflegt. Er selber konnte in die feine romanische Art sich nicht finden und meinte noch als die Wuth des Kampfes längst verraucht war: "dies Volk ist mich zu- wider!" -- während ihm der laute Freimuth und der derbe Humor "des närrischen Volkes" der Engländer von Herzen behagten. Sobald der Krieg begann widmete er sich mit ganzer Kraft seinem Berufe und legte sogar die geliebten Spielkarten aus der Hand um sie nicht wieder zu berühren vor dem Einzuge in Paris. Er kannte die Gebrechen seiner Bildung und wußte, daß er eines methodisch geschulten Kopfes bedurfte, der ihm die Gedanken für die Kriegführung angab. So hatte er im Feldzuge von 1806 die Ideen Scharnhorsts ausgeführt; neidlos, in aufrichtiger Be- scheidenheit erkannte er die geistige Ueberlegenheit des Freundes an und freute sich ihn auch diesmal als Generalquartiermeister an seiner Seite zu sehen. Mit diesem hellen Kopfe und seiner eigenen Verwegenheit dachte er der ganzen Welt zu trotzen -- denn einen vielköpfigen Kriegsrath hat der Alte nie gehalten.
Doch vorläufig stand er selbst noch unter russischem Oberbefehle. Nach dem Tode des unfähigen alten Feldmarschalls Kutusow übernahm General Wittgenstein die Führung des verbündeten Heeres, ein tapferer wohlmeinender Soldat ohne die Gaben des Feldherrn. Das russische Hauptquartier war, stolz auf die Erfolge des jüngsten Jahres, wenig ge- neigt auf die Rathschläge der Preußen zu hören. Schon am Tage nach dem Aufrufe des Königs brach Blücher aus Breslau auf, überschritt die Elbe bei Dresden, unterwarf fast ganz Sachsen bis auf die Festungen und rückte in den ersten Tagen des April bis in die Altenburger Gegend; seine leichten Truppen schweiften weit nach Westen, über Gotha hinaus. Gleichzeitig näherten sich im Norden York und Bülow der Elbe, schlugen den Vicekönig Eugen in dem glänzenden Gefechte von Möckern -- dem ersten größeren Treffen, das den Franzosen zeigte, daß sie nicht mehr mit dem Heere von 1806 zu thun hatten -- und gingen im Anhaltischen auf das linke Ufer des Stromes hinüber.
Wenn Scharnhorst und seine Freunde anfangs hofften, es werde gelingen vor Napoleons Ankunft einen großen Theil von Westdeutschland zu besetzen und überall die Volksbewaffnung in Gang zu bringen, so
I. 4. Der Befreiungskrieg.
wegung; wie that es ihm wohl, daß der friſche Luftzug der Wahrhaftig- keit wieder durch das deutſche Leben ging und Jeder tapfer von der Leber weg ſprach. „Dichten Sie man druf, ſagte er ſeelenvergnügt zu einem patriotiſchen Poeten; in ſolchen Zeiten muß Jeder ſingen wie es ihm ums Herz iſt, der Eine mit dem Schnabel, der Andere mit dem Sabel!“
So war der Held, den die Stimme der Nation zum Führer wählte — ein echter Germane, nur germaniſchen Menſchen ganz verſtändlich in der rauhen Größe, der formloſen Urſprünglichkeit ſeines Weſens. Die Franzoſen haben ihm niemals auch nur jene bedingte Anerkennung geſchenkt, welche der anhaltende Erfolg ſelbſt dem Beſiegten abzuzwingen pflegt. Er ſelber konnte in die feine romaniſche Art ſich nicht finden und meinte noch als die Wuth des Kampfes längſt verraucht war: „dies Volk iſt mich zu- wider!“ — während ihm der laute Freimuth und der derbe Humor „des närriſchen Volkes“ der Engländer von Herzen behagten. Sobald der Krieg begann widmete er ſich mit ganzer Kraft ſeinem Berufe und legte ſogar die geliebten Spielkarten aus der Hand um ſie nicht wieder zu berühren vor dem Einzuge in Paris. Er kannte die Gebrechen ſeiner Bildung und wußte, daß er eines methodiſch geſchulten Kopfes bedurfte, der ihm die Gedanken für die Kriegführung angab. So hatte er im Feldzuge von 1806 die Ideen Scharnhorſts ausgeführt; neidlos, in aufrichtiger Be- ſcheidenheit erkannte er die geiſtige Ueberlegenheit des Freundes an und freute ſich ihn auch diesmal als Generalquartiermeiſter an ſeiner Seite zu ſehen. Mit dieſem hellen Kopfe und ſeiner eigenen Verwegenheit dachte er der ganzen Welt zu trotzen — denn einen vielköpfigen Kriegsrath hat der Alte nie gehalten.
Doch vorläufig ſtand er ſelbſt noch unter ruſſiſchem Oberbefehle. Nach dem Tode des unfähigen alten Feldmarſchalls Kutuſow übernahm General Wittgenſtein die Führung des verbündeten Heeres, ein tapferer wohlmeinender Soldat ohne die Gaben des Feldherrn. Das ruſſiſche Hauptquartier war, ſtolz auf die Erfolge des jüngſten Jahres, wenig ge- neigt auf die Rathſchläge der Preußen zu hören. Schon am Tage nach dem Aufrufe des Königs brach Blücher aus Breslau auf, überſchritt die Elbe bei Dresden, unterwarf faſt ganz Sachſen bis auf die Feſtungen und rückte in den erſten Tagen des April bis in die Altenburger Gegend; ſeine leichten Truppen ſchweiften weit nach Weſten, über Gotha hinaus. Gleichzeitig näherten ſich im Norden York und Bülow der Elbe, ſchlugen den Vicekönig Eugen in dem glänzenden Gefechte von Möckern — dem erſten größeren Treffen, das den Franzoſen zeigte, daß ſie nicht mehr mit dem Heere von 1806 zu thun hatten — und gingen im Anhaltiſchen auf das linke Ufer des Stromes hinüber.
Wenn Scharnhorſt und ſeine Freunde anfangs hofften, es werde gelingen vor Napoleons Ankunft einen großen Theil von Weſtdeutſchland zu beſetzen und überall die Volksbewaffnung in Gang zu bringen, ſo
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I. 4. Der Befreiungskrieg.
wegung; wie that es ihm wohl, daß der friſche Luftzug der Wahrhaftig-
keit wieder durch das deutſche Leben ging und Jeder tapfer von der Leber
weg ſprach. „Dichten Sie man druf, ſagte er ſeelenvergnügt zu einem
patriotiſchen Poeten; in ſolchen Zeiten muß Jeder ſingen wie es ihm
ums Herz iſt, der Eine mit dem Schnabel, der Andere mit dem Sabel!“
So war der Held, den die Stimme der Nation zum Führer wählte
— ein echter Germane, nur germaniſchen Menſchen ganz verſtändlich in der
rauhen Größe, der formloſen Urſprünglichkeit ſeines Weſens. Die Franzoſen
haben ihm niemals auch nur jene bedingte Anerkennung geſchenkt, welche
der anhaltende Erfolg ſelbſt dem Beſiegten abzuzwingen pflegt. Er ſelber
konnte in die feine romaniſche Art ſich nicht finden und meinte noch als
die Wuth des Kampfes längſt verraucht war: „dies Volk iſt mich zu-
wider!“ — während ihm der laute Freimuth und der derbe Humor „des
närriſchen Volkes“ der Engländer von Herzen behagten. Sobald der Krieg
begann widmete er ſich mit ganzer Kraft ſeinem Berufe und legte ſogar
die geliebten Spielkarten aus der Hand um ſie nicht wieder zu berühren
vor dem Einzuge in Paris. Er kannte die Gebrechen ſeiner Bildung und
wußte, daß er eines methodiſch geſchulten Kopfes bedurfte, der ihm die
Gedanken für die Kriegführung angab. So hatte er im Feldzuge von
1806 die Ideen Scharnhorſts ausgeführt; neidlos, in aufrichtiger Be-
ſcheidenheit erkannte er die geiſtige Ueberlegenheit des Freundes an und
freute ſich ihn auch diesmal als Generalquartiermeiſter an ſeiner Seite
zu ſehen. Mit dieſem hellen Kopfe und ſeiner eigenen Verwegenheit dachte
er der ganzen Welt zu trotzen — denn einen vielköpfigen Kriegsrath hat
der Alte nie gehalten.
Doch vorläufig ſtand er ſelbſt noch unter ruſſiſchem Oberbefehle.
Nach dem Tode des unfähigen alten Feldmarſchalls Kutuſow übernahm
General Wittgenſtein die Führung des verbündeten Heeres, ein tapferer
wohlmeinender Soldat ohne die Gaben des Feldherrn. Das ruſſiſche
Hauptquartier war, ſtolz auf die Erfolge des jüngſten Jahres, wenig ge-
neigt auf die Rathſchläge der Preußen zu hören. Schon am Tage nach
dem Aufrufe des Königs brach Blücher aus Breslau auf, überſchritt die
Elbe bei Dresden, unterwarf faſt ganz Sachſen bis auf die Feſtungen
und rückte in den erſten Tagen des April bis in die Altenburger Gegend;
ſeine leichten Truppen ſchweiften weit nach Weſten, über Gotha hinaus.
Gleichzeitig näherten ſich im Norden York und Bülow der Elbe, ſchlugen
den Vicekönig Eugen in dem glänzenden Gefechte von Möckern — dem
erſten größeren Treffen, das den Franzoſen zeigte, daß ſie nicht mehr mit
dem Heere von 1806 zu thun hatten — und gingen im Anhaltiſchen auf
das linke Ufer des Stromes hinüber.
Wenn Scharnhorſt und ſeine Freunde anfangs hofften, es werde
gelingen vor Napoleons Ankunft einen großen Theil von Weſtdeutſchland
zu beſetzen und überall die Volksbewaffnung in Gang zu bringen, ſo
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/468>, abgerufen am 23.11.2024.
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