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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Die Landwehr.
nicht genug verwundern, wie unbegreiflich schnell das Werk der preußischen
Rüstungen von statten ging. In Scharnhorsts Händen liefen alle Fäden
des ungeheuren Netzes zusammen, und er verfuhr nach einem festen, seit
Jahren durchdachten Plane. Da man rasch mit einer zahlreichen Feld-
armee den Angriff beginnen wollte und überdies wünschen mußte den bei-
den anderen Ostmächten durch die baldige Aufstellung starker Streitkräfte
die Leistungsfähigkeit Preußens zu zeigen, so ergab sich als erste Aufgabe
die Vermehrung der Linientruppen. Darum wurde schon seit dem De-
cember die Bildung der Reservebataillone betrieben und vollendet. Wesent-
lich demselben Zwecke diente das Aufgebot der freiwilligen Jäger; sie sollten
den Stamm bilden für die Offiziere und Unteroffiziere der Armee, und
in der That ist ein großer Theil der Generale und Stabsoffiziere, welche
späterhin in müden Friedensjahren die Gesinnungen einer großen Zeit
dem Heere erhielten, aus der Schule jener Freiwilligen hervorgegangen.

Die Einberufung der Freiwilligen ließ sich allenfalls noch vor den
Franzosen beschönigen ohne daß man die diplomatische Maske völlig ab-
nahm. Sie erfolgte unter kluger Schonung der tiefeingewurzelten Vorur-
theile, welche sich der allgemeinen Dienstpflicht noch entgegenstemmten. Die
Söhne der höheren Stände kurzab als Gemeine einzustellen ging schlechter-
dings nicht an; deßhalb wurden die Freiwilligen, die sich selber ausrüste-
ten, in besondere, den Regimentern aggregirte Jägerdetachements eingereiht
und durch die grüne Jägeruniform vor der Masse der Mannschaft aus-
gezeichnet, sie erfuhren eine ihren Standesgewohnheiten entsprechende Be-
handlung, erhielten eine besonders sorgfältige Ausbildung und das Recht,
nach einigen Monaten ihre Offiziere selbst zu wählen. Darauf erfolgte
die Aufhebung aller Exemtionen und die Verordnung vom 22. Februar,
die jede Umgehung der Wehrpflicht mit strengen Strafen belegte. Auch
diese Schritte konnten zur Noth noch vor dem französischen Gesandten
entschuldigt werden. Sie erregten viel Unwillen in dem treuen Volke --
denn wozu der Zwang, da doch freiwillig so viel mehr geleistet wurde als
der König verlangte? -- und doch waren sie unerläßlich. Der Staat
mußte für die Linie und die Landwehr mit Sicherheit auf alle Wehr-
fähigen zählen können, auch in den Bezirken, welche geringeren Eifer zeigten.

Dann erst, als die diplomatischen Verhandlungen abgebrochen, die
Cadres der Linie schon formirt und nahezu gefüllt waren, erschien das
Landwehrgesetz, das einer offenen Kriegserklärung gleich kam. Scharn-
horsts Landwehrplan war von Haus aus in einem größeren Sinne ge-
dacht als die Entwürfe des Königsberger Landtags. Auch er rechnete,
wie die Ostpreußen, zunächst auf die Thätigkeit der Kreis- und Provinzial-
stände, wendete die Grundsätze der neuen Selbstverwaltung auf das Heer-
wesen an. In jedem Kreise traten zwei ritterschaftliche, ein städtischer
und ein bäuerlicher Deputirter zu einem Ausschusse zusammen um aus
der Gesammtheit der Männer zwischen siebzehn und vierzig Jahren, die

Die Landwehr.
nicht genug verwundern, wie unbegreiflich ſchnell das Werk der preußiſchen
Rüſtungen von ſtatten ging. In Scharnhorſts Händen liefen alle Fäden
des ungeheuren Netzes zuſammen, und er verfuhr nach einem feſten, ſeit
Jahren durchdachten Plane. Da man raſch mit einer zahlreichen Feld-
armee den Angriff beginnen wollte und überdies wünſchen mußte den bei-
den anderen Oſtmächten durch die baldige Aufſtellung ſtarker Streitkräfte
die Leiſtungsfähigkeit Preußens zu zeigen, ſo ergab ſich als erſte Aufgabe
die Vermehrung der Linientruppen. Darum wurde ſchon ſeit dem De-
cember die Bildung der Reſervebataillone betrieben und vollendet. Weſent-
lich demſelben Zwecke diente das Aufgebot der freiwilligen Jäger; ſie ſollten
den Stamm bilden für die Offiziere und Unteroffiziere der Armee, und
in der That iſt ein großer Theil der Generale und Stabsoffiziere, welche
ſpäterhin in müden Friedensjahren die Geſinnungen einer großen Zeit
dem Heere erhielten, aus der Schule jener Freiwilligen hervorgegangen.

Die Einberufung der Freiwilligen ließ ſich allenfalls noch vor den
Franzoſen beſchönigen ohne daß man die diplomatiſche Maske völlig ab-
nahm. Sie erfolgte unter kluger Schonung der tiefeingewurzelten Vorur-
theile, welche ſich der allgemeinen Dienſtpflicht noch entgegenſtemmten. Die
Söhne der höheren Stände kurzab als Gemeine einzuſtellen ging ſchlechter-
dings nicht an; deßhalb wurden die Freiwilligen, die ſich ſelber ausrüſte-
ten, in beſondere, den Regimentern aggregirte Jägerdetachements eingereiht
und durch die grüne Jägeruniform vor der Maſſe der Mannſchaft aus-
gezeichnet, ſie erfuhren eine ihren Standesgewohnheiten entſprechende Be-
handlung, erhielten eine beſonders ſorgfältige Ausbildung und das Recht,
nach einigen Monaten ihre Offiziere ſelbſt zu wählen. Darauf erfolgte
die Aufhebung aller Exemtionen und die Verordnung vom 22. Februar,
die jede Umgehung der Wehrpflicht mit ſtrengen Strafen belegte. Auch
dieſe Schritte konnten zur Noth noch vor dem franzöſiſchen Geſandten
entſchuldigt werden. Sie erregten viel Unwillen in dem treuen Volke —
denn wozu der Zwang, da doch freiwillig ſo viel mehr geleiſtet wurde als
der König verlangte? — und doch waren ſie unerläßlich. Der Staat
mußte für die Linie und die Landwehr mit Sicherheit auf alle Wehr-
fähigen zählen können, auch in den Bezirken, welche geringeren Eifer zeigten.

Dann erſt, als die diplomatiſchen Verhandlungen abgebrochen, die
Cadres der Linie ſchon formirt und nahezu gefüllt waren, erſchien das
Landwehrgeſetz, das einer offenen Kriegserklärung gleich kam. Scharn-
horſts Landwehrplan war von Haus aus in einem größeren Sinne ge-
dacht als die Entwürfe des Königsberger Landtags. Auch er rechnete,
wie die Oſtpreußen, zunächſt auf die Thätigkeit der Kreis- und Provinzial-
ſtände, wendete die Grundſätze der neuen Selbſtverwaltung auf das Heer-
weſen an. In jedem Kreiſe traten zwei ritterſchaftliche, ein ſtädtiſcher
und ein bäuerlicher Deputirter zu einem Ausſchuſſe zuſammen um aus
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[437/0453] Die Landwehr. nicht genug verwundern, wie unbegreiflich ſchnell das Werk der preußiſchen Rüſtungen von ſtatten ging. In Scharnhorſts Händen liefen alle Fäden des ungeheuren Netzes zuſammen, und er verfuhr nach einem feſten, ſeit Jahren durchdachten Plane. Da man raſch mit einer zahlreichen Feld- armee den Angriff beginnen wollte und überdies wünſchen mußte den bei- den anderen Oſtmächten durch die baldige Aufſtellung ſtarker Streitkräfte die Leiſtungsfähigkeit Preußens zu zeigen, ſo ergab ſich als erſte Aufgabe die Vermehrung der Linientruppen. Darum wurde ſchon ſeit dem De- cember die Bildung der Reſervebataillone betrieben und vollendet. Weſent- lich demſelben Zwecke diente das Aufgebot der freiwilligen Jäger; ſie ſollten den Stamm bilden für die Offiziere und Unteroffiziere der Armee, und in der That iſt ein großer Theil der Generale und Stabsoffiziere, welche ſpäterhin in müden Friedensjahren die Geſinnungen einer großen Zeit dem Heere erhielten, aus der Schule jener Freiwilligen hervorgegangen. Die Einberufung der Freiwilligen ließ ſich allenfalls noch vor den Franzoſen beſchönigen ohne daß man die diplomatiſche Maske völlig ab- nahm. Sie erfolgte unter kluger Schonung der tiefeingewurzelten Vorur- theile, welche ſich der allgemeinen Dienſtpflicht noch entgegenſtemmten. Die Söhne der höheren Stände kurzab als Gemeine einzuſtellen ging ſchlechter- dings nicht an; deßhalb wurden die Freiwilligen, die ſich ſelber ausrüſte- ten, in beſondere, den Regimentern aggregirte Jägerdetachements eingereiht und durch die grüne Jägeruniform vor der Maſſe der Mannſchaft aus- gezeichnet, ſie erfuhren eine ihren Standesgewohnheiten entſprechende Be- handlung, erhielten eine beſonders ſorgfältige Ausbildung und das Recht, nach einigen Monaten ihre Offiziere ſelbſt zu wählen. Darauf erfolgte die Aufhebung aller Exemtionen und die Verordnung vom 22. Februar, die jede Umgehung der Wehrpflicht mit ſtrengen Strafen belegte. Auch dieſe Schritte konnten zur Noth noch vor dem franzöſiſchen Geſandten entſchuldigt werden. Sie erregten viel Unwillen in dem treuen Volke — denn wozu der Zwang, da doch freiwillig ſo viel mehr geleiſtet wurde als der König verlangte? — und doch waren ſie unerläßlich. Der Staat mußte für die Linie und die Landwehr mit Sicherheit auf alle Wehr- fähigen zählen können, auch in den Bezirken, welche geringeren Eifer zeigten. Dann erſt, als die diplomatiſchen Verhandlungen abgebrochen, die Cadres der Linie ſchon formirt und nahezu gefüllt waren, erſchien das Landwehrgeſetz, das einer offenen Kriegserklärung gleich kam. Scharn- horſts Landwehrplan war von Haus aus in einem größeren Sinne ge- dacht als die Entwürfe des Königsberger Landtags. Auch er rechnete, wie die Oſtpreußen, zunächſt auf die Thätigkeit der Kreis- und Provinzial- ſtände, wendete die Grundſätze der neuen Selbſtverwaltung auf das Heer- weſen an. In jedem Kreiſe traten zwei ritterſchaftliche, ein ſtädtiſcher und ein bäuerlicher Deputirter zu einem Ausſchuſſe zuſammen um aus der Geſammtheit der Männer zwiſchen ſiebzehn und vierzig Jahren, die

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/453>, abgerufen am 26.11.2024.