fechten die alte fridericianische Kühnheit und zugleich ihre Gewandtheit in den Künsten der beweglichen neuen Taktik erprobt hatten. Die aus allen Waffengattungen gemischten Brigadeverbände bewährten sich ebenso trefflich wie die neuen Exercirreglements vom Januar 1812. York behauptete den Herbst über seine gefährliche Position in Kurland; erst der Untergang des Hauptheeres nöthigte auch den linken Flügel zum Rückzuge. Mac- donalds Corps erhielt Befehl die Trümmer der großen Armee im Rücken zu decken und den nachdrängenden Russen den Einmarsch nach Ostpreußen zu verbieten.
Schon seit Wochen hatten der schlaue Italiener Paulucci und andere russische Befehlshaber den preußischen General zum Uebertritt zu bereden versucht. Immer vergeblich. Auch die patriotischen Aufrufe in dem Rigaer Zuschauer des wackeren Patrioten Garlieb Merkel ließen den Verächter der Literaten kalt. Aber dem scharfen Soldatenblicke Yorks entging nicht, daß sein wohlgeordnetes kleines Corps -- es mochte jetzt noch an 13,000 Mann zählen -- nach der Katastrophe der Hauptarmee einen ganz un- geahnten Werth erlangte. Folgte er den Befehlen Macdonalds, so konnten die wenigen Russen, die weiter südlich schon in Ostpreußen eingedrungen waren, sich dort nicht halten, die Franzosen blieben stark genug dem russischen Corps des Fürsten Wittgenstein die preußische Grenze zu sper- ren, und der russische Krieg endete nach menschlichem Ermessen mit einem nutzlosen Kosakenstreifzug am Niemen -- freilich nur wenn das preußi- sche Corps mit übermenschlicher Selbstverleugnung sich für seine gehaßten Bundesgenossen aufopferte. Schieden die Preußen aus dem Kriege aus, so drang das russische Heer über die deutsche Grenze hinüber, und der König -- das ließ sich vermuthen -- ward fortgerissen zu dem rettenden Entschlusse, welchen York seit Jahren ersehnte. Eine Welt von wider- sprechenden Gedanken stürmte auf den eisernen Mann ein; während der Schlacht kalt und sicher, war er vor dem Kampfe immer aufgeregt und schwarzsichtig. Sollte er seine treuen Truppen, den Kern des preu- ßischen Heeres, preisgeben für die Rettung des Todfeindes der Deut- schen oder durch einen eigenmächtigen Schritt Thron und Leben seines Königs, der noch immer in der Gewalt der Fremden war, gefährden? Sollte er jetzt, in Ehren grau geworden, nochmals dem eisernen Gesetze des Krieges den Gehorsam versagen, wie einst, da der vorwitzige Knabe aus der Armee verjagt wurde, und sein Leben schimpflich auf dem Sand- haufen schließen -- oder diese große Stunde des Gottesgerichts unbenützt vorüberstreichen lassen? Auf wiederholte Anfragen in Berlin kam nur die Erwiderung: er möge nach den Umständen handeln -- eine Antwort, die lediglich errathen ließ, daß der König sich an das französische Bündniß nicht für immer binden wolle.
Den Ausschlag gab ein Schreiben Alexanders vom 18. December, das bestimmt versicherte, der Czar sei bereit mit dem Könige ein Bündniß
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Convention von Tauroggen.
fechten die alte fridericianiſche Kühnheit und zugleich ihre Gewandtheit in den Künſten der beweglichen neuen Taktik erprobt hatten. Die aus allen Waffengattungen gemiſchten Brigadeverbände bewährten ſich ebenſo trefflich wie die neuen Exercirreglements vom Januar 1812. York behauptete den Herbſt über ſeine gefährliche Poſition in Kurland; erſt der Untergang des Hauptheeres nöthigte auch den linken Flügel zum Rückzuge. Mac- donalds Corps erhielt Befehl die Trümmer der großen Armee im Rücken zu decken und den nachdrängenden Ruſſen den Einmarſch nach Oſtpreußen zu verbieten.
Schon ſeit Wochen hatten der ſchlaue Italiener Paulucci und andere ruſſiſche Befehlshaber den preußiſchen General zum Uebertritt zu bereden verſucht. Immer vergeblich. Auch die patriotiſchen Aufrufe in dem Rigaer Zuſchauer des wackeren Patrioten Garlieb Merkel ließen den Verächter der Literaten kalt. Aber dem ſcharfen Soldatenblicke Yorks entging nicht, daß ſein wohlgeordnetes kleines Corps — es mochte jetzt noch an 13,000 Mann zählen — nach der Kataſtrophe der Hauptarmee einen ganz un- geahnten Werth erlangte. Folgte er den Befehlen Macdonalds, ſo konnten die wenigen Ruſſen, die weiter ſüdlich ſchon in Oſtpreußen eingedrungen waren, ſich dort nicht halten, die Franzoſen blieben ſtark genug dem ruſſiſchen Corps des Fürſten Wittgenſtein die preußiſche Grenze zu ſper- ren, und der ruſſiſche Krieg endete nach menſchlichem Ermeſſen mit einem nutzloſen Koſakenſtreifzug am Niemen — freilich nur wenn das preußi- ſche Corps mit übermenſchlicher Selbſtverleugnung ſich für ſeine gehaßten Bundesgenoſſen aufopferte. Schieden die Preußen aus dem Kriege aus, ſo drang das ruſſiſche Heer über die deutſche Grenze hinüber, und der König — das ließ ſich vermuthen — ward fortgeriſſen zu dem rettenden Entſchluſſe, welchen York ſeit Jahren erſehnte. Eine Welt von wider- ſprechenden Gedanken ſtürmte auf den eiſernen Mann ein; während der Schlacht kalt und ſicher, war er vor dem Kampfe immer aufgeregt und ſchwarzſichtig. Sollte er ſeine treuen Truppen, den Kern des preu- ßiſchen Heeres, preisgeben für die Rettung des Todfeindes der Deut- ſchen oder durch einen eigenmächtigen Schritt Thron und Leben ſeines Königs, der noch immer in der Gewalt der Fremden war, gefährden? Sollte er jetzt, in Ehren grau geworden, nochmals dem eiſernen Geſetze des Krieges den Gehorſam verſagen, wie einſt, da der vorwitzige Knabe aus der Armee verjagt wurde, und ſein Leben ſchimpflich auf dem Sand- haufen ſchließen — oder dieſe große Stunde des Gottesgerichts unbenützt vorüberſtreichen laſſen? Auf wiederholte Anfragen in Berlin kam nur die Erwiderung: er möge nach den Umſtänden handeln — eine Antwort, die lediglich errathen ließ, daß der König ſich an das franzöſiſche Bündniß nicht für immer binden wolle.
Den Ausſchlag gab ein Schreiben Alexanders vom 18. December, das beſtimmt verſicherte, der Czar ſei bereit mit dem Könige ein Bündniß
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Convention von Tauroggen.
fechten die alte fridericianiſche Kühnheit und zugleich ihre Gewandtheit in
den Künſten der beweglichen neuen Taktik erprobt hatten. Die aus allen
Waffengattungen gemiſchten Brigadeverbände bewährten ſich ebenſo trefflich
wie die neuen Exercirreglements vom Januar 1812. York behauptete
den Herbſt über ſeine gefährliche Poſition in Kurland; erſt der Untergang
des Hauptheeres nöthigte auch den linken Flügel zum Rückzuge. Mac-
donalds Corps erhielt Befehl die Trümmer der großen Armee im Rücken
zu decken und den nachdrängenden Ruſſen den Einmarſch nach Oſtpreußen
zu verbieten.
Schon ſeit Wochen hatten der ſchlaue Italiener Paulucci und andere
ruſſiſche Befehlshaber den preußiſchen General zum Uebertritt zu bereden
verſucht. Immer vergeblich. Auch die patriotiſchen Aufrufe in dem Rigaer
Zuſchauer des wackeren Patrioten Garlieb Merkel ließen den Verächter
der Literaten kalt. Aber dem ſcharfen Soldatenblicke Yorks entging nicht,
daß ſein wohlgeordnetes kleines Corps — es mochte jetzt noch an 13,000
Mann zählen — nach der Kataſtrophe der Hauptarmee einen ganz un-
geahnten Werth erlangte. Folgte er den Befehlen Macdonalds, ſo konnten
die wenigen Ruſſen, die weiter ſüdlich ſchon in Oſtpreußen eingedrungen
waren, ſich dort nicht halten, die Franzoſen blieben ſtark genug dem
ruſſiſchen Corps des Fürſten Wittgenſtein die preußiſche Grenze zu ſper-
ren, und der ruſſiſche Krieg endete nach menſchlichem Ermeſſen mit einem
nutzloſen Koſakenſtreifzug am Niemen — freilich nur wenn das preußi-
ſche Corps mit übermenſchlicher Selbſtverleugnung ſich für ſeine gehaßten
Bundesgenoſſen aufopferte. Schieden die Preußen aus dem Kriege aus,
ſo drang das ruſſiſche Heer über die deutſche Grenze hinüber, und der
König — das ließ ſich vermuthen — ward fortgeriſſen zu dem rettenden
Entſchluſſe, welchen York ſeit Jahren erſehnte. Eine Welt von wider-
ſprechenden Gedanken ſtürmte auf den eiſernen Mann ein; während
der Schlacht kalt und ſicher, war er vor dem Kampfe immer aufgeregt
und ſchwarzſichtig. Sollte er ſeine treuen Truppen, den Kern des preu-
ßiſchen Heeres, preisgeben für die Rettung des Todfeindes der Deut-
ſchen oder durch einen eigenmächtigen Schritt Thron und Leben ſeines
Königs, der noch immer in der Gewalt der Fremden war, gefährden?
Sollte er jetzt, in Ehren grau geworden, nochmals dem eiſernen Geſetze
des Krieges den Gehorſam verſagen, wie einſt, da der vorwitzige Knabe
aus der Armee verjagt wurde, und ſein Leben ſchimpflich auf dem Sand-
haufen ſchließen — oder dieſe große Stunde des Gottesgerichts unbenützt
vorüberſtreichen laſſen? Auf wiederholte Anfragen in Berlin kam nur die
Erwiderung: er möge nach den Umſtänden handeln — eine Antwort, die
lediglich errathen ließ, daß der König ſich an das franzöſiſche Bündniß
nicht für immer binden wolle.
Den Ausſchlag gab ein Schreiben Alexanders vom 18. December,
das beſtimmt verſicherte, der Czar ſei bereit mit dem Könige ein Bündniß
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/419>, abgerufen am 22.11.2024.
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