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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
lichsten, wenn sie durch widerwillige Werkzeuge vollstreckt werden. Wer
hätte auch nur für denkbar gehalten, daß General York, der Befehlshaber
des preußischen Hilfscorps jemals an seinem Fahneneide deuteln könnte?
Vor langen Jahren war der Jüngling einst wegen Ungehorsams aus der
fridericianischen Armee entlassen worden; als er dann nach langen aben-
teuerlichen Fahrten gereift und gesetzt wieder eintrat, erschien er den
Soldaten wie der gestrenge Geist der altpreußischen Manneszucht. Der
Mannschaft klopfte das Herz, wenn die hagere straffe Gestalt des alten
Isegrimm mit der drohenden Falte über der Adlernase auf dem Braunen
daherritt. Kein Fehler entging den harten stechenden grauen Augen;
jedes Schimpfwort ließ sich leichter ertragen als der gemessene und doch
so furchtbare, so tief demüthigende Tadel von diesen stolzen herrischen
Lippen. Die Offiziere sagten wohl, er sei scharf wie gehacktes Eisen; sie
erriethen aus dem rastlos wechselnden Mienenspiele der finsteren Züge,
wie viel Ehrgeiz, wie viel heiße Leidenschaft, durch eiserne Willenskraft
mühsam gebändigt, in dem wortkargen, unliebenswürdigen Manne arbei-
tete. Die Truppen vertrauten ihm unbedingt, denn sie kannten seine
Tapferkeit und Umsicht aus den Kämpfen von Altenzaun und Lübeck und
sie wußten, wie eifrig der durch und durch praktische Offizier für Kleidung,
Proviant und Quartiere seiner Leute sorgte. Wie in Marwitz die Stan-
desgesinnungen des Landadels, so verkörperte sich in York der schroffe
Stolz des alten Offizierscorps; gegen die neumodischen Narrheiten der
Reformer war ihm kein Hohn zu giftig. Er haßte die Franzosen, die
ihm seine Fahnen entehrt und den stolzen Bau der altpreußischen Ord-
nung über den Haufen geworfen hatten, mit dem ganzen Ingrimm seiner
vulkanischen Natur; doch für die Kameraden, die den Dienst des Königs
verließen um nach Rußland zu gehen, hatte er nur Worte herber Ver-
achtung, sie waren ihm Verräther und Deserteure.

Die preußische Division gehörte während des Kriegs zu dem Corps
Macdonalds und rückte auf dem äußersten linken Flügel der großen
Armee in die Ostseeprovinzen ein. So widerwillig die Truppen dem
französischen Oberbefehle folgten, sie brannten vor Begier, jetzt unter den
Augen der Sieger von Jena zu zeigen, was preußische Tapferkeit ver-
möge. York durfte sich rühmen, daß seine Schaar an kriegerischer Tüch-
tigkeit keinem anderen Corps der großen Armee nachstand, in fester Manns-
zucht alle übertraf; er hielt sie geschlossen zusammen, bewahrte sie vor
jener Vermischung mit fremdem Kriegsvolk, die in den Heeren des Welt-
reichs grundsätzlich begünstigt wurde, und zeigte den Franzosen durch
schroff abweisenden Stolz, daß sie nicht rheinbündnerische Vasallen, son-
dern das Hilfscorps eines freien Königs vor sich hätten. Die trübe, durch
die jammervollen Erlebnisse dieser sechs Jahre verbitterte Stimmung der
Truppen wich einem kräftigen, trotzigen Selbstgefühle, als sie in dem
glänzenden Treffen von Bauske und in vielen anderen rühmlichen Ge-

I. 3. Preußens Erhebung.
lichſten, wenn ſie durch widerwillige Werkzeuge vollſtreckt werden. Wer
hätte auch nur für denkbar gehalten, daß General York, der Befehlshaber
des preußiſchen Hilfscorps jemals an ſeinem Fahneneide deuteln könnte?
Vor langen Jahren war der Jüngling einſt wegen Ungehorſams aus der
fridericianiſchen Armee entlaſſen worden; als er dann nach langen aben-
teuerlichen Fahrten gereift und geſetzt wieder eintrat, erſchien er den
Soldaten wie der geſtrenge Geiſt der altpreußiſchen Manneszucht. Der
Mannſchaft klopfte das Herz, wenn die hagere ſtraffe Geſtalt des alten
Iſegrimm mit der drohenden Falte über der Adlernaſe auf dem Braunen
daherritt. Kein Fehler entging den harten ſtechenden grauen Augen;
jedes Schimpfwort ließ ſich leichter ertragen als der gemeſſene und doch
ſo furchtbare, ſo tief demüthigende Tadel von dieſen ſtolzen herriſchen
Lippen. Die Offiziere ſagten wohl, er ſei ſcharf wie gehacktes Eiſen; ſie
erriethen aus dem raſtlos wechſelnden Mienenſpiele der finſteren Züge,
wie viel Ehrgeiz, wie viel heiße Leidenſchaft, durch eiſerne Willenskraft
mühſam gebändigt, in dem wortkargen, unliebenswürdigen Manne arbei-
tete. Die Truppen vertrauten ihm unbedingt, denn ſie kannten ſeine
Tapferkeit und Umſicht aus den Kämpfen von Altenzaun und Lübeck und
ſie wußten, wie eifrig der durch und durch praktiſche Offizier für Kleidung,
Proviant und Quartiere ſeiner Leute ſorgte. Wie in Marwitz die Stan-
desgeſinnungen des Landadels, ſo verkörperte ſich in York der ſchroffe
Stolz des alten Offizierscorps; gegen die neumodiſchen Narrheiten der
Reformer war ihm kein Hohn zu giftig. Er haßte die Franzoſen, die
ihm ſeine Fahnen entehrt und den ſtolzen Bau der altpreußiſchen Ord-
nung über den Haufen geworfen hatten, mit dem ganzen Ingrimm ſeiner
vulkaniſchen Natur; doch für die Kameraden, die den Dienſt des Königs
verließen um nach Rußland zu gehen, hatte er nur Worte herber Ver-
achtung, ſie waren ihm Verräther und Deſerteure.

Die preußiſche Diviſion gehörte während des Kriegs zu dem Corps
Macdonalds und rückte auf dem äußerſten linken Flügel der großen
Armee in die Oſtſeeprovinzen ein. So widerwillig die Truppen dem
franzöſiſchen Oberbefehle folgten, ſie brannten vor Begier, jetzt unter den
Augen der Sieger von Jena zu zeigen, was preußiſche Tapferkeit ver-
möge. York durfte ſich rühmen, daß ſeine Schaar an kriegeriſcher Tüch-
tigkeit keinem anderen Corps der großen Armee nachſtand, in feſter Manns-
zucht alle übertraf; er hielt ſie geſchloſſen zuſammen, bewahrte ſie vor
jener Vermiſchung mit fremdem Kriegsvolk, die in den Heeren des Welt-
reichs grundſätzlich begünſtigt wurde, und zeigte den Franzoſen durch
ſchroff abweiſenden Stolz, daß ſie nicht rheinbündneriſche Vaſallen, ſon-
dern das Hilfscorps eines freien Königs vor ſich hätten. Die trübe, durch
die jammervollen Erlebniſſe dieſer ſechs Jahre verbitterte Stimmung der
Truppen wich einem kräftigen, trotzigen Selbſtgefühle, als ſie in dem
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[402/0418] I. 3. Preußens Erhebung. lichſten, wenn ſie durch widerwillige Werkzeuge vollſtreckt werden. Wer hätte auch nur für denkbar gehalten, daß General York, der Befehlshaber des preußiſchen Hilfscorps jemals an ſeinem Fahneneide deuteln könnte? Vor langen Jahren war der Jüngling einſt wegen Ungehorſams aus der fridericianiſchen Armee entlaſſen worden; als er dann nach langen aben- teuerlichen Fahrten gereift und geſetzt wieder eintrat, erſchien er den Soldaten wie der geſtrenge Geiſt der altpreußiſchen Manneszucht. Der Mannſchaft klopfte das Herz, wenn die hagere ſtraffe Geſtalt des alten Iſegrimm mit der drohenden Falte über der Adlernaſe auf dem Braunen daherritt. Kein Fehler entging den harten ſtechenden grauen Augen; jedes Schimpfwort ließ ſich leichter ertragen als der gemeſſene und doch ſo furchtbare, ſo tief demüthigende Tadel von dieſen ſtolzen herriſchen Lippen. Die Offiziere ſagten wohl, er ſei ſcharf wie gehacktes Eiſen; ſie erriethen aus dem raſtlos wechſelnden Mienenſpiele der finſteren Züge, wie viel Ehrgeiz, wie viel heiße Leidenſchaft, durch eiſerne Willenskraft mühſam gebändigt, in dem wortkargen, unliebenswürdigen Manne arbei- tete. Die Truppen vertrauten ihm unbedingt, denn ſie kannten ſeine Tapferkeit und Umſicht aus den Kämpfen von Altenzaun und Lübeck und ſie wußten, wie eifrig der durch und durch praktiſche Offizier für Kleidung, Proviant und Quartiere ſeiner Leute ſorgte. Wie in Marwitz die Stan- desgeſinnungen des Landadels, ſo verkörperte ſich in York der ſchroffe Stolz des alten Offizierscorps; gegen die neumodiſchen Narrheiten der Reformer war ihm kein Hohn zu giftig. Er haßte die Franzoſen, die ihm ſeine Fahnen entehrt und den ſtolzen Bau der altpreußiſchen Ord- nung über den Haufen geworfen hatten, mit dem ganzen Ingrimm ſeiner vulkaniſchen Natur; doch für die Kameraden, die den Dienſt des Königs verließen um nach Rußland zu gehen, hatte er nur Worte herber Ver- achtung, ſie waren ihm Verräther und Deſerteure. Die preußiſche Diviſion gehörte während des Kriegs zu dem Corps Macdonalds und rückte auf dem äußerſten linken Flügel der großen Armee in die Oſtſeeprovinzen ein. So widerwillig die Truppen dem franzöſiſchen Oberbefehle folgten, ſie brannten vor Begier, jetzt unter den Augen der Sieger von Jena zu zeigen, was preußiſche Tapferkeit ver- möge. York durfte ſich rühmen, daß ſeine Schaar an kriegeriſcher Tüch- tigkeit keinem anderen Corps der großen Armee nachſtand, in feſter Manns- zucht alle übertraf; er hielt ſie geſchloſſen zuſammen, bewahrte ſie vor jener Vermiſchung mit fremdem Kriegsvolk, die in den Heeren des Welt- reichs grundſätzlich begünſtigt wurde, und zeigte den Franzoſen durch ſchroff abweiſenden Stolz, daß ſie nicht rheinbündneriſche Vaſallen, ſon- dern das Hilfscorps eines freien Königs vor ſich hätten. Die trübe, durch die jammervollen Erlebniſſe dieſer ſechs Jahre verbitterte Stimmung der Truppen wich einem kräftigen, trotzigen Selbſtgefühle, als ſie in dem glänzenden Treffen von Bauske und in vielen anderen rühmlichen Ge-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/418>, abgerufen am 21.05.2024.