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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Da preußisch-französische Bündniß.
Truppen Napoleons zu erscheinen. Gleich darauf schloß sich auch Oester-
reich den Franzosen an, freiwillig und unter weit günstigeren Bedingungen:
ihm wurde die Wiedererwerbung der illyrischen Provinzen in Aussicht ge-
stellt, falls Galizien mit dem wiederhergestellten Polen vereinigt werden sollte.

Also war der gesammte Continent zum Kriege gegen das Czarenreich
verbunden, und verheerend ergoß sich die große Armee über Preußens
Gefilde -- an 650,000 Mann, das gewaltigste Heer, das die Welt seit
den Tagen des Xerxes gesehen. Die beste Kraft der europäischen Jugend
vom Ebro bis zur Elbe, von Tarent bis zur Nordsee stand in Waffen.
Keine Rede mehr von den Verträgen. Wider die Abrede wurden auch
Pillau und Spandau -- die Citadelle Berlins, wie Napoleon sagte --
von den Franzosen besetzt. Was man irgend noch im Jahre 1807 zu
rauben vergessen hatte oder was von Kriegsvorräthen neu angeschafft
war in diesen vier Jahren, fiel jetzt den durchziehenden Freunden in die
Hände. Preußen verlor durch den Marsch der großen Armee noch minde-
stens 146 Mill. Fr. über den schuldigen Rest der Contribution hinaus*)
-- eine Summe die niemals vergütet wurde. Es war Napoleons Ab-
sicht, den gefährlichen Bundesgenossen in seinem Rücken gänzlich unschädlich
zu machen; nöthigenfalls konnte ein Handstreich auf Potsdam die Person
des Königs in seine Gewalt bringen.

Entsetzlich, niederschmetternd war der Eindruck dieser Ereignisse in
dem Kreise der preußischen Patrioten. Je höher im vorigen Sommer
ihre Hoffnungen sich erhoben hatten, um so stürmischer wallte nun die
Entrüstung auf. Die Urheber der Rüstungen von 1811 konnten nach
dem vollzogenen Systemwechsel selbstverständlich nicht mehr in ihren Stel-
len verbleiben. Blücher war schon im Herbst, auf Napoleons dringendes
Verlangen, seines Commandos enthoben worden, von dem Monarchen
mit herzlichen Worten getröstet. Jetzt wurde auch Scharnhorst entlassen,
behielt aber das Vertrauen des Königs nach wie vor. Gneisenau erhielt
scheinbar den Abschied und reiste mit geheimen Aufträgen nach Oesterreich,
Rußland, Schweden und England. Boyen und Clausewitz gingen nach
Rußland. Der Letztere richtete zum Abschied noch eine feurige Mahnung
für die Zukunft an seinen Schüler, den jungen Kronprinzen und legte
das Programm der Kriegspartei nieder in seinen "Bekenntnissen" -- einer
classischen Denkschrift, die noch heute jedes deutsche Herz erzittern macht.
Noch einmal versuchte er, stolz und groß, mit hinreißenden Worten, den
Nachweis zu führen: es müsse möglich sein in diesem mißhandelten Lande

*) Nach der Rechnung des Finanzministeriums, die in Paris am 17. Mai 1814
übergeben wurde. Der Ansatz ist aber unzweifelhaft viel zu niedrig. Dem zweiten
Pariser Friedenscongresse überreichte Hardenberg im Septbr. 1815 eine andere Rech-
nung, wornach Preußen 94 Mill. Fr. über den Rest der Contribution hinaus gezahlt
und außerdem noch durch den Durchmarsch der großen Armee einen Schaden von 309
Mill. Fr. erlitten hatte.

Da preußiſch-franzöſiſche Bündniß.
Truppen Napoleons zu erſcheinen. Gleich darauf ſchloß ſich auch Oeſter-
reich den Franzoſen an, freiwillig und unter weit günſtigeren Bedingungen:
ihm wurde die Wiedererwerbung der illyriſchen Provinzen in Ausſicht ge-
ſtellt, falls Galizien mit dem wiederhergeſtellten Polen vereinigt werden ſollte.

Alſo war der geſammte Continent zum Kriege gegen das Czarenreich
verbunden, und verheerend ergoß ſich die große Armee über Preußens
Gefilde — an 650,000 Mann, das gewaltigſte Heer, das die Welt ſeit
den Tagen des Xerxes geſehen. Die beſte Kraft der europäiſchen Jugend
vom Ebro bis zur Elbe, von Tarent bis zur Nordſee ſtand in Waffen.
Keine Rede mehr von den Verträgen. Wider die Abrede wurden auch
Pillau und Spandau — die Citadelle Berlins, wie Napoleon ſagte —
von den Franzoſen beſetzt. Was man irgend noch im Jahre 1807 zu
rauben vergeſſen hatte oder was von Kriegsvorräthen neu angeſchafft
war in dieſen vier Jahren, fiel jetzt den durchziehenden Freunden in die
Hände. Preußen verlor durch den Marſch der großen Armee noch minde-
ſtens 146 Mill. Fr. über den ſchuldigen Reſt der Contribution hinaus*)
— eine Summe die niemals vergütet wurde. Es war Napoleons Ab-
ſicht, den gefährlichen Bundesgenoſſen in ſeinem Rücken gänzlich unſchädlich
zu machen; nöthigenfalls konnte ein Handſtreich auf Potsdam die Perſon
des Königs in ſeine Gewalt bringen.

Entſetzlich, niederſchmetternd war der Eindruck dieſer Ereigniſſe in
dem Kreiſe der preußiſchen Patrioten. Je höher im vorigen Sommer
ihre Hoffnungen ſich erhoben hatten, um ſo ſtürmiſcher wallte nun die
Entrüſtung auf. Die Urheber der Rüſtungen von 1811 konnten nach
dem vollzogenen Syſtemwechſel ſelbſtverſtändlich nicht mehr in ihren Stel-
len verbleiben. Blücher war ſchon im Herbſt, auf Napoleons dringendes
Verlangen, ſeines Commandos enthoben worden, von dem Monarchen
mit herzlichen Worten getröſtet. Jetzt wurde auch Scharnhorſt entlaſſen,
behielt aber das Vertrauen des Königs nach wie vor. Gneiſenau erhielt
ſcheinbar den Abſchied und reiſte mit geheimen Aufträgen nach Oeſterreich,
Rußland, Schweden und England. Boyen und Clauſewitz gingen nach
Rußland. Der Letztere richtete zum Abſchied noch eine feurige Mahnung
für die Zukunft an ſeinen Schüler, den jungen Kronprinzen und legte
das Programm der Kriegspartei nieder in ſeinen „Bekenntniſſen“ — einer
claſſiſchen Denkſchrift, die noch heute jedes deutſche Herz erzittern macht.
Noch einmal verſuchte er, ſtolz und groß, mit hinreißenden Worten, den
Nachweis zu führen: es müſſe möglich ſein in dieſem mißhandelten Lande

*) Nach der Rechnung des Finanzminiſteriums, die in Paris am 17. Mai 1814
übergeben wurde. Der Anſatz iſt aber unzweifelhaft viel zu niedrig. Dem zweiten
Pariſer Friedenscongreſſe überreichte Hardenberg im Septbr. 1815 eine andere Rech-
nung, wornach Preußen 94 Mill. Fr. über den Reſt der Contribution hinaus gezahlt
und außerdem noch durch den Durchmarſch der großen Armee einen Schaden von 309
Mill. Fr. erlitten hatte.
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[391/0407] Da preußiſch-franzöſiſche Bündniß. Truppen Napoleons zu erſcheinen. Gleich darauf ſchloß ſich auch Oeſter- reich den Franzoſen an, freiwillig und unter weit günſtigeren Bedingungen: ihm wurde die Wiedererwerbung der illyriſchen Provinzen in Ausſicht ge- ſtellt, falls Galizien mit dem wiederhergeſtellten Polen vereinigt werden ſollte. Alſo war der geſammte Continent zum Kriege gegen das Czarenreich verbunden, und verheerend ergoß ſich die große Armee über Preußens Gefilde — an 650,000 Mann, das gewaltigſte Heer, das die Welt ſeit den Tagen des Xerxes geſehen. Die beſte Kraft der europäiſchen Jugend vom Ebro bis zur Elbe, von Tarent bis zur Nordſee ſtand in Waffen. Keine Rede mehr von den Verträgen. Wider die Abrede wurden auch Pillau und Spandau — die Citadelle Berlins, wie Napoleon ſagte — von den Franzoſen beſetzt. Was man irgend noch im Jahre 1807 zu rauben vergeſſen hatte oder was von Kriegsvorräthen neu angeſchafft war in dieſen vier Jahren, fiel jetzt den durchziehenden Freunden in die Hände. Preußen verlor durch den Marſch der großen Armee noch minde- ſtens 146 Mill. Fr. über den ſchuldigen Reſt der Contribution hinaus *) — eine Summe die niemals vergütet wurde. Es war Napoleons Ab- ſicht, den gefährlichen Bundesgenoſſen in ſeinem Rücken gänzlich unſchädlich zu machen; nöthigenfalls konnte ein Handſtreich auf Potsdam die Perſon des Königs in ſeine Gewalt bringen. Entſetzlich, niederſchmetternd war der Eindruck dieſer Ereigniſſe in dem Kreiſe der preußiſchen Patrioten. Je höher im vorigen Sommer ihre Hoffnungen ſich erhoben hatten, um ſo ſtürmiſcher wallte nun die Entrüſtung auf. Die Urheber der Rüſtungen von 1811 konnten nach dem vollzogenen Syſtemwechſel ſelbſtverſtändlich nicht mehr in ihren Stel- len verbleiben. Blücher war ſchon im Herbſt, auf Napoleons dringendes Verlangen, ſeines Commandos enthoben worden, von dem Monarchen mit herzlichen Worten getröſtet. Jetzt wurde auch Scharnhorſt entlaſſen, behielt aber das Vertrauen des Königs nach wie vor. Gneiſenau erhielt ſcheinbar den Abſchied und reiſte mit geheimen Aufträgen nach Oeſterreich, Rußland, Schweden und England. Boyen und Clauſewitz gingen nach Rußland. Der Letztere richtete zum Abſchied noch eine feurige Mahnung für die Zukunft an ſeinen Schüler, den jungen Kronprinzen und legte das Programm der Kriegspartei nieder in ſeinen „Bekenntniſſen“ — einer claſſiſchen Denkſchrift, die noch heute jedes deutſche Herz erzittern macht. Noch einmal verſuchte er, ſtolz und groß, mit hinreißenden Worten, den Nachweis zu führen: es müſſe möglich ſein in dieſem mißhandelten Lande *) Nach der Rechnung des Finanzminiſteriums, die in Paris am 17. Mai 1814 übergeben wurde. Der Anſatz iſt aber unzweifelhaft viel zu niedrig. Dem zweiten Pariſer Friedenscongreſſe überreichte Hardenberg im Septbr. 1815 eine andere Rech- nung, wornach Preußen 94 Mill. Fr. über den Reſt der Contribution hinaus gezahlt und außerdem noch durch den Durchmarſch der großen Armee einen Schaden von 309 Mill. Fr. erlitten hatte.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/407>, abgerufen am 22.11.2024.