König dachte anders. Nicht einen Augenblick glaubte er an die Groß- muth des Imperators; hatte er doch aus dem Schicksal des Oldenburger Herzogs soeben gelernt, daß selbst ein Bündniß keine Sicherheit bot gegen die Gewaltschläge dieses Freundes. Aber er sah die Lage wie sie war: begann man den Krieg für Rußland und doch ohne russische Hilfe, so opferte man sich unfehlbar und völlig nutzlos; schloß man sich dem Ver- haßten an, so wurde dem Staate freilich nur für ein Jahr das Dasein gefristet, jedoch ein Jahr war viel in so wilder Zeit, und vielleicht zeigte sich dann noch irgend ein anderer Weg der Rettung. Erschüttert, ver- zweifelt stand der unglückliche Fürst zwischen seinen theuersten Neigungen und dem Staatsinteresse. Noch einmal versuchte er einen Ausweg. Oberst Knesebeck, ein erklärter Anhänger der Friedenspartei, wurde nach Peters- burg geschickt um den Czaren zu beschwören, daß er einen Unterhändler nach Paris sende, diesen für Preußen auf jeden Fall verderblichen Krieg abzuwenden suche; komme es zum Schlagen, so sei der König nicht in der Lage sich dem französischen Bündniß zu entziehen. Auch diese Sen- dung schlug fehl, und nun war die Allianz mit Napoleon unvermeidlich.
Der Imperator hatte unterdessen seinen Beschluß gefaßt. Um den russischen Krieg ohne Aufenthalt sogleich am Niemen eröffnen zu können hielt er es doch für gerathen sich vorläufig mit der friedlichen Unter- werfung Preußens zu begnügen. Die preußischen Rüstungen waren, auf seine Drohung, schon im Herbst theilweis eingestellt worden; jetzt hatte er an 300,000 Mann dicht an den Grenzen des Staates stehen. Noch bevor die Verhandlung zum Abschluß kam streiften französische Truppen von Magdeburg und Schwedisch-Pommern aus in das preußische Gebiet hinüber; der Commandant der Artillerie der großen Armee erhielt ge- heimen Befehl, die Belagerungsparks für Spandau, Kolberg und Grau- denz bereit zu halten. Der König war verloren wenn er nicht unter- schrieb. So kam der Bundesvertrag vom 24. Febr. 1812 zu Stande. Preußen stellte ein Hilfscorps von 20,000 Mann, die Hälfte seines Heeres verschwand als siebenundzwanzigste Division in den Massen der großen Armee; was übrig blieb genügte kaum die Festungen zu besetzen, da der König sich ausdrücklich verpflichten mußte, den Bestand seiner Truppen nicht zu vermehren. Das ganze Land, außer Oberschlesien und Breslau, stand den Heersäulen Napoleons zum Durchmarsch offen und hatte für ihren Unterhalt zu sorgen. Und für alle diese neuen Opfer nur das Versprechen, daß die Verpflegungskosten späterhin vergütet und der rückständige Rest der Contribution darauf angerechnet werden sollte! Die besetzten Festungen blieben nach wie vor in Napoleons Händen; selbst die Hauptstadt mußte den Franzosen eingeräumt werden, da Napoleon einen Aufstand des Berliner Pöbels fürchtete. Nur Potsdam blieb frei; dort hauste jetzt der König, von wenigen hundert Mann seiner Garde umgeben, doch ließ er sich nicht abhalten zuweilen in Berlin mitten unter den
I. 3. Preußens Erhebung.
König dachte anders. Nicht einen Augenblick glaubte er an die Groß- muth des Imperators; hatte er doch aus dem Schickſal des Oldenburger Herzogs ſoeben gelernt, daß ſelbſt ein Bündniß keine Sicherheit bot gegen die Gewaltſchläge dieſes Freundes. Aber er ſah die Lage wie ſie war: begann man den Krieg für Rußland und doch ohne ruſſiſche Hilfe, ſo opferte man ſich unfehlbar und völlig nutzlos; ſchloß man ſich dem Ver- haßten an, ſo wurde dem Staate freilich nur für ein Jahr das Daſein gefriſtet, jedoch ein Jahr war viel in ſo wilder Zeit, und vielleicht zeigte ſich dann noch irgend ein anderer Weg der Rettung. Erſchüttert, ver- zweifelt ſtand der unglückliche Fürſt zwiſchen ſeinen theuerſten Neigungen und dem Staatsintereſſe. Noch einmal verſuchte er einen Ausweg. Oberſt Kneſebeck, ein erklärter Anhänger der Friedenspartei, wurde nach Peters- burg geſchickt um den Czaren zu beſchwören, daß er einen Unterhändler nach Paris ſende, dieſen für Preußen auf jeden Fall verderblichen Krieg abzuwenden ſuche; komme es zum Schlagen, ſo ſei der König nicht in der Lage ſich dem franzöſiſchen Bündniß zu entziehen. Auch dieſe Sen- dung ſchlug fehl, und nun war die Allianz mit Napoleon unvermeidlich.
Der Imperator hatte unterdeſſen ſeinen Beſchluß gefaßt. Um den ruſſiſchen Krieg ohne Aufenthalt ſogleich am Niemen eröffnen zu können hielt er es doch für gerathen ſich vorläufig mit der friedlichen Unter- werfung Preußens zu begnügen. Die preußiſchen Rüſtungen waren, auf ſeine Drohung, ſchon im Herbſt theilweis eingeſtellt worden; jetzt hatte er an 300,000 Mann dicht an den Grenzen des Staates ſtehen. Noch bevor die Verhandlung zum Abſchluß kam ſtreiften franzöſiſche Truppen von Magdeburg und Schwediſch-Pommern aus in das preußiſche Gebiet hinüber; der Commandant der Artillerie der großen Armee erhielt ge- heimen Befehl, die Belagerungsparks für Spandau, Kolberg und Grau- denz bereit zu halten. Der König war verloren wenn er nicht unter- ſchrieb. So kam der Bundesvertrag vom 24. Febr. 1812 zu Stande. Preußen ſtellte ein Hilfscorps von 20,000 Mann, die Hälfte ſeines Heeres verſchwand als ſiebenundzwanzigſte Diviſion in den Maſſen der großen Armee; was übrig blieb genügte kaum die Feſtungen zu beſetzen, da der König ſich ausdrücklich verpflichten mußte, den Beſtand ſeiner Truppen nicht zu vermehren. Das ganze Land, außer Oberſchleſien und Breslau, ſtand den Heerſäulen Napoleons zum Durchmarſch offen und hatte für ihren Unterhalt zu ſorgen. Und für alle dieſe neuen Opfer nur das Verſprechen, daß die Verpflegungskoſten ſpäterhin vergütet und der rückſtändige Reſt der Contribution darauf angerechnet werden ſollte! Die beſetzten Feſtungen blieben nach wie vor in Napoleons Händen; ſelbſt die Hauptſtadt mußte den Franzoſen eingeräumt werden, da Napoleon einen Aufſtand des Berliner Pöbels fürchtete. Nur Potsdam blieb frei; dort hauſte jetzt der König, von wenigen hundert Mann ſeiner Garde umgeben, doch ließ er ſich nicht abhalten zuweilen in Berlin mitten unter den
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I. 3. Preußens Erhebung.
König dachte anders. Nicht einen Augenblick glaubte er an die Groß-
muth des Imperators; hatte er doch aus dem Schickſal des Oldenburger
Herzogs ſoeben gelernt, daß ſelbſt ein Bündniß keine Sicherheit bot gegen
die Gewaltſchläge dieſes Freundes. Aber er ſah die Lage wie ſie war:
begann man den Krieg für Rußland und doch ohne ruſſiſche Hilfe, ſo
opferte man ſich unfehlbar und völlig nutzlos; ſchloß man ſich dem Ver-
haßten an, ſo wurde dem Staate freilich nur für ein Jahr das Daſein
gefriſtet, jedoch ein Jahr war viel in ſo wilder Zeit, und vielleicht zeigte
ſich dann noch irgend ein anderer Weg der Rettung. Erſchüttert, ver-
zweifelt ſtand der unglückliche Fürſt zwiſchen ſeinen theuerſten Neigungen
und dem Staatsintereſſe. Noch einmal verſuchte er einen Ausweg. Oberſt
Kneſebeck, ein erklärter Anhänger der Friedenspartei, wurde nach Peters-
burg geſchickt um den Czaren zu beſchwören, daß er einen Unterhändler
nach Paris ſende, dieſen für Preußen auf jeden Fall verderblichen Krieg
abzuwenden ſuche; komme es zum Schlagen, ſo ſei der König nicht in
der Lage ſich dem franzöſiſchen Bündniß zu entziehen. Auch dieſe Sen-
dung ſchlug fehl, und nun war die Allianz mit Napoleon unvermeidlich.
Der Imperator hatte unterdeſſen ſeinen Beſchluß gefaßt. Um den
ruſſiſchen Krieg ohne Aufenthalt ſogleich am Niemen eröffnen zu können
hielt er es doch für gerathen ſich vorläufig mit der friedlichen Unter-
werfung Preußens zu begnügen. Die preußiſchen Rüſtungen waren, auf
ſeine Drohung, ſchon im Herbſt theilweis eingeſtellt worden; jetzt hatte
er an 300,000 Mann dicht an den Grenzen des Staates ſtehen. Noch
bevor die Verhandlung zum Abſchluß kam ſtreiften franzöſiſche Truppen
von Magdeburg und Schwediſch-Pommern aus in das preußiſche Gebiet
hinüber; der Commandant der Artillerie der großen Armee erhielt ge-
heimen Befehl, die Belagerungsparks für Spandau, Kolberg und Grau-
denz bereit zu halten. Der König war verloren wenn er nicht unter-
ſchrieb. So kam der Bundesvertrag vom 24. Febr. 1812 zu Stande.
Preußen ſtellte ein Hilfscorps von 20,000 Mann, die Hälfte ſeines
Heeres verſchwand als ſiebenundzwanzigſte Diviſion in den Maſſen der
großen Armee; was übrig blieb genügte kaum die Feſtungen zu beſetzen,
da der König ſich ausdrücklich verpflichten mußte, den Beſtand ſeiner
Truppen nicht zu vermehren. Das ganze Land, außer Oberſchleſien und
Breslau, ſtand den Heerſäulen Napoleons zum Durchmarſch offen und
hatte für ihren Unterhalt zu ſorgen. Und für alle dieſe neuen Opfer
nur das Verſprechen, daß die Verpflegungskoſten ſpäterhin vergütet und der
rückſtändige Reſt der Contribution darauf angerechnet werden ſollte! Die
beſetzten Feſtungen blieben nach wie vor in Napoleons Händen; ſelbſt die
Hauptſtadt mußte den Franzoſen eingeräumt werden, da Napoleon einen
Aufſtand des Berliner Pöbels fürchtete. Nur Potsdam blieb frei; dort
hauſte jetzt der König, von wenigen hundert Mann ſeiner Garde umgeben,
doch ließ er ſich nicht abhalten zuweilen in Berlin mitten unter den
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/406>, abgerufen am 22.11.2024.
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