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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
auch die Gesetze, welche Hardenberg den Landesdeputirten vorlegte, waren
zum Theil schon vollendete Thatsachen.

Der Staatskanzler versammelte die Deputirten in seiner Wohnung
und begrüßte sie sogleich in der väterlichen Weise des alten Absolutismus:
wie ein guter Vater von seinen Kindern so verlange der König von seinem
geliebten Volke nicht blinden Gehorsam, sondern freie Zustimmung zu
seinen wohlthätigen Befehlen. Darauf wurden vier Abtheilungen ge-
bildet, unter dem Vorsitze der vier anwesenden Regierungspräsidenten;
jede berieth für sich, schickte ihre Protokolle an Hardenberg, der dann
nach Belieben noch einzelne Mitglieder zu sich berief und endlich dem
Monarchen Bericht erstattete. Die Verhandlungen erschienen wie eine
vertrauliche Besprechung mit der Person des höchsten Beamten, und doch
wurden sie dem Staatskanzler bald sehr unbequem. Eine ganze Welt
von bedrohten wirthschaftlichen und örtlichen Interessen erhob sich aufge-
scheucht; gerechte und ungerechte Klagen schwirrten hin und her; keine
Spur einer Parteibildung, nur ein krauses Durcheinander von Lands-
mannschaften und ständischen Gruppen. Ueber die Härte der neuen Mahl-
steuer waren die Vertreter des flachen Landes einig; die beabsichtigte Con-
solidation der Kriegsschulden rief stürmischen Widerspruch hervor, da die
Kurmark tief verschuldet war, während Altpreußen einen großen Theil
seiner Kriegslasten durch Steuern gedeckt hatte.

Am Lautesten lärmten die Vertreter der Ritterschaft; sie waren ver-
traut mit der neuen englischen Theorie, wornach die Grundsteuer den
Charakter einer Rente trug, behaupteten steif und fest, die geplante Aus-
gleichung der Grundsteuer sei offenbarer Raub. Neben dem ehrlichen
Rechtsgefühle spielte auch die nackte Selbstsucht mit; dieselbe kurmärkische
Landschaft, deren Redner so zäh an dem Rechtsboden ihrer alten Frei-
heitsbriefe festhielten, stellte dem Staatskanzler unbedenklich die Zumu-
thung: es sollten die Klagen ihrer Gläubiger durch einen königlichen
Machtbefehl vorläufig eingestellt werden!*) Währenddem rückten die un-
aufhaltsamen Stände von Lebus, Beeskow und Storkow mit einer neuen
Verwahrung ihrer "vertragsmäßigen Exemtionen und Freiheiten" heran.
Mit groben, unziemlichen Worten betheuerten sie, durch die neuen Ge-
setze werde das Grundgesetz des Staates vernichtet, und fragten, ob man
das alte ehrliche brandenburgische Preußen in einen neumodischen Juden-
staat verwandeln wolle. Unter den Unterzeichnern stand Marwitz natür-
lich obenan; neben ihm der alte Graf Finkenstein, einer jener pflichtge-
treuen Richter, welche bei dem Processe des Müllers Arnold die unverdiente
Ungnade König Friedrichs erfahren hatten. Dem Staatskanzler riß
jetzt die Geduld; er ließ die beiden ersten Unterzeichner ohne Urtheil und
Recht nach Spandau auf die Festung bringen. Am 16. September schloß

*) Eingabe der kurmärkischen Landschaft v. 10. Oct. 1810.

I. 3. Preußens Erhebung.
auch die Geſetze, welche Hardenberg den Landesdeputirten vorlegte, waren
zum Theil ſchon vollendete Thatſachen.

Der Staatskanzler verſammelte die Deputirten in ſeiner Wohnung
und begrüßte ſie ſogleich in der väterlichen Weiſe des alten Abſolutismus:
wie ein guter Vater von ſeinen Kindern ſo verlange der König von ſeinem
geliebten Volke nicht blinden Gehorſam, ſondern freie Zuſtimmung zu
ſeinen wohlthätigen Befehlen. Darauf wurden vier Abtheilungen ge-
bildet, unter dem Vorſitze der vier anweſenden Regierungspräſidenten;
jede berieth für ſich, ſchickte ihre Protokolle an Hardenberg, der dann
nach Belieben noch einzelne Mitglieder zu ſich berief und endlich dem
Monarchen Bericht erſtattete. Die Verhandlungen erſchienen wie eine
vertrauliche Beſprechung mit der Perſon des höchſten Beamten, und doch
wurden ſie dem Staatskanzler bald ſehr unbequem. Eine ganze Welt
von bedrohten wirthſchaftlichen und örtlichen Intereſſen erhob ſich aufge-
ſcheucht; gerechte und ungerechte Klagen ſchwirrten hin und her; keine
Spur einer Parteibildung, nur ein krauſes Durcheinander von Lands-
mannſchaften und ſtändiſchen Gruppen. Ueber die Härte der neuen Mahl-
ſteuer waren die Vertreter des flachen Landes einig; die beabſichtigte Con-
ſolidation der Kriegsſchulden rief ſtürmiſchen Widerſpruch hervor, da die
Kurmark tief verſchuldet war, während Altpreußen einen großen Theil
ſeiner Kriegslaſten durch Steuern gedeckt hatte.

Am Lauteſten lärmten die Vertreter der Ritterſchaft; ſie waren ver-
traut mit der neuen engliſchen Theorie, wornach die Grundſteuer den
Charakter einer Rente trug, behaupteten ſteif und feſt, die geplante Aus-
gleichung der Grundſteuer ſei offenbarer Raub. Neben dem ehrlichen
Rechtsgefühle ſpielte auch die nackte Selbſtſucht mit; dieſelbe kurmärkiſche
Landſchaft, deren Redner ſo zäh an dem Rechtsboden ihrer alten Frei-
heitsbriefe feſthielten, ſtellte dem Staatskanzler unbedenklich die Zumu-
thung: es ſollten die Klagen ihrer Gläubiger durch einen königlichen
Machtbefehl vorläufig eingeſtellt werden!*) Währenddem rückten die un-
aufhaltſamen Stände von Lebus, Beeskow und Storkow mit einer neuen
Verwahrung ihrer „vertragsmäßigen Exemtionen und Freiheiten“ heran.
Mit groben, unziemlichen Worten betheuerten ſie, durch die neuen Ge-
ſetze werde das Grundgeſetz des Staates vernichtet, und fragten, ob man
das alte ehrliche brandenburgiſche Preußen in einen neumodiſchen Juden-
ſtaat verwandeln wolle. Unter den Unterzeichnern ſtand Marwitz natür-
lich obenan; neben ihm der alte Graf Finkenſtein, einer jener pflichtge-
treuen Richter, welche bei dem Proceſſe des Müllers Arnold die unverdiente
Ungnade König Friedrichs erfahren hatten. Dem Staatskanzler riß
jetzt die Geduld; er ließ die beiden erſten Unterzeichner ohne Urtheil und
Recht nach Spandau auf die Feſtung bringen. Am 16. September ſchloß

*) Eingabe der kurmärkiſchen Landſchaft v. 10. Oct. 1810.
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[374/0390] I. 3. Preußens Erhebung. auch die Geſetze, welche Hardenberg den Landesdeputirten vorlegte, waren zum Theil ſchon vollendete Thatſachen. Der Staatskanzler verſammelte die Deputirten in ſeiner Wohnung und begrüßte ſie ſogleich in der väterlichen Weiſe des alten Abſolutismus: wie ein guter Vater von ſeinen Kindern ſo verlange der König von ſeinem geliebten Volke nicht blinden Gehorſam, ſondern freie Zuſtimmung zu ſeinen wohlthätigen Befehlen. Darauf wurden vier Abtheilungen ge- bildet, unter dem Vorſitze der vier anweſenden Regierungspräſidenten; jede berieth für ſich, ſchickte ihre Protokolle an Hardenberg, der dann nach Belieben noch einzelne Mitglieder zu ſich berief und endlich dem Monarchen Bericht erſtattete. Die Verhandlungen erſchienen wie eine vertrauliche Beſprechung mit der Perſon des höchſten Beamten, und doch wurden ſie dem Staatskanzler bald ſehr unbequem. Eine ganze Welt von bedrohten wirthſchaftlichen und örtlichen Intereſſen erhob ſich aufge- ſcheucht; gerechte und ungerechte Klagen ſchwirrten hin und her; keine Spur einer Parteibildung, nur ein krauſes Durcheinander von Lands- mannſchaften und ſtändiſchen Gruppen. Ueber die Härte der neuen Mahl- ſteuer waren die Vertreter des flachen Landes einig; die beabſichtigte Con- ſolidation der Kriegsſchulden rief ſtürmiſchen Widerſpruch hervor, da die Kurmark tief verſchuldet war, während Altpreußen einen großen Theil ſeiner Kriegslaſten durch Steuern gedeckt hatte. Am Lauteſten lärmten die Vertreter der Ritterſchaft; ſie waren ver- traut mit der neuen engliſchen Theorie, wornach die Grundſteuer den Charakter einer Rente trug, behaupteten ſteif und feſt, die geplante Aus- gleichung der Grundſteuer ſei offenbarer Raub. Neben dem ehrlichen Rechtsgefühle ſpielte auch die nackte Selbſtſucht mit; dieſelbe kurmärkiſche Landſchaft, deren Redner ſo zäh an dem Rechtsboden ihrer alten Frei- heitsbriefe feſthielten, ſtellte dem Staatskanzler unbedenklich die Zumu- thung: es ſollten die Klagen ihrer Gläubiger durch einen königlichen Machtbefehl vorläufig eingeſtellt werden! *) Währenddem rückten die un- aufhaltſamen Stände von Lebus, Beeskow und Storkow mit einer neuen Verwahrung ihrer „vertragsmäßigen Exemtionen und Freiheiten“ heran. Mit groben, unziemlichen Worten betheuerten ſie, durch die neuen Ge- ſetze werde das Grundgeſetz des Staates vernichtet, und fragten, ob man das alte ehrliche brandenburgiſche Preußen in einen neumodiſchen Juden- ſtaat verwandeln wolle. Unter den Unterzeichnern ſtand Marwitz natür- lich obenan; neben ihm der alte Graf Finkenſtein, einer jener pflichtge- treuen Richter, welche bei dem Proceſſe des Müllers Arnold die unverdiente Ungnade König Friedrichs erfahren hatten. Dem Staatskanzler riß jetzt die Geduld; er ließ die beiden erſten Unterzeichner ohne Urtheil und Recht nach Spandau auf die Feſtung bringen. Am 16. September ſchloß *) Eingabe der kurmärkiſchen Landſchaft v. 10. Oct. 1810.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/390>, abgerufen am 22.11.2024.