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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
blieben bestehen, doch als Untergebene des Kanzlers; der von Stein ge-
plante Staatsrath wurde endlich, auf dem Papiere mindestens, gebildet,
doch in so bescheidener Gestalt, daß er der Allmacht des Kanzlers nicht
bedrohlich werden konnte; das soeben erst neu geschaffene Amt der Ober-
präsidenten fiel hinweg, die Regierungen sollten wie Napoleons Präfecten
unmittelbar unter der Centralverwaltung stehen. So verrieth sich schon
hier ein scharf bureaukratischer Zug; an einem selbständigen Leben der
Provinzen lag dem Staatskanzler wenig. Am nämlichen Tage erschien
das Edict über die Finanzen des Staates -- ein Gesetz, dessen gleichen
die preußische Monarchie noch nie gesehen, nach Form und Inhalt ein
denkwürdiges Zeugniß für die unternehmende Leichtfertigkeit des geistreichen
Cavaliers, der jetzt die Zügel hielt. Während Steins Gesetze immer nur
eine bestimmte Frage ins Auge faßten und diese durch umsichtige, gründ-
liche Vorschriften nach allen Seiten hin erledigten, überschüttete das neue
Finanzedict die Nation mit einem Sturzbade herrlicher Versprechungen.
Von der Nationalbank, den Tresorscheinen und den anderen gleißenden
Projecten des vergangenen Sommers war der Staatskanzler freilich zu-
rückgekommen; dafür entrollte er das Programm einer großartigen Steuer-
reform "zur Rettung des Landes". Er versprach, daß fortan "alle Auf-
lagen nach gleichen Grundsätzen von Jedermann zu tragen" seien, ver-
sprach ein neues Kataster und die Ausgleichung der in den einzelnen
Landestheilen grundverschiedenen Grundsteuern, er versprach die völlige
Gewerbefreiheit, die Secularisation der geistlichen Güter, die Vereinigung
der gesammten Kriegsschulden des Staates und der Provinzen, ebenso
die Einführung allgemeiner Consumtions- und Luxussteuern und ließ
endlich nach allen diesen Versicherungen den König noch erklären: Seine
Majestät behalte sich vor "der Nation eine zweckmäßig eingerichtete Re-
präsentation sowohl in den Provinzen als für das Ganze zu geben. So
wird sich das Band der Liebe und des Vertrauens zwischen Uns und
Unserem treuen Volke immer fester knüpfen!" Welch ein Leichtsinn: die
Krone also feierliche Versprechungen geben zu lassen, deren Sinn und
Umfang sie, wie sich bald genug herausstellte, noch gar nicht beurtheilen
konnte! Als einzige Entschuldigung für diese in Preußen unerhörte Leicht-
fertigkeit wußte Hardenberg nur vorzubringen, daß man dem gefährlichen
westphälischen Nachbar in der Gunst der Opinion den Rang ablaufen
müsse!

Einige jener Versprechungen löste der Staatskanzler in der That so-
fort ein. Schon am nächsten Tage wurde eine allgemeine Luxussteuer für
Jedermann, von Dienstboten, Pferden, Hunden und Wagen, angeordnet,
desgleichen eine Consumtionssteuer von etwa zehn der gangbarsten Verzeh-
rungsartikel, Fleisch, Mehl, Bier u. s. f., für die Städte wie für das
flache Land. Man beabsichtigte dadurch die alte Accise, welche die Städte
von den Dörfern absperrte, zu Falle zu bringen; doch namentlich die

I. 3. Preußens Erhebung.
blieben beſtehen, doch als Untergebene des Kanzlers; der von Stein ge-
plante Staatsrath wurde endlich, auf dem Papiere mindeſtens, gebildet,
doch in ſo beſcheidener Geſtalt, daß er der Allmacht des Kanzlers nicht
bedrohlich werden konnte; das ſoeben erſt neu geſchaffene Amt der Ober-
präſidenten fiel hinweg, die Regierungen ſollten wie Napoleons Präfecten
unmittelbar unter der Centralverwaltung ſtehen. So verrieth ſich ſchon
hier ein ſcharf bureaukratiſcher Zug; an einem ſelbſtändigen Leben der
Provinzen lag dem Staatskanzler wenig. Am nämlichen Tage erſchien
das Edict über die Finanzen des Staates — ein Geſetz, deſſen gleichen
die preußiſche Monarchie noch nie geſehen, nach Form und Inhalt ein
denkwürdiges Zeugniß für die unternehmende Leichtfertigkeit des geiſtreichen
Cavaliers, der jetzt die Zügel hielt. Während Steins Geſetze immer nur
eine beſtimmte Frage ins Auge faßten und dieſe durch umſichtige, gründ-
liche Vorſchriften nach allen Seiten hin erledigten, überſchüttete das neue
Finanzedict die Nation mit einem Sturzbade herrlicher Verſprechungen.
Von der Nationalbank, den Treſorſcheinen und den anderen gleißenden
Projecten des vergangenen Sommers war der Staatskanzler freilich zu-
rückgekommen; dafür entrollte er das Programm einer großartigen Steuer-
reform „zur Rettung des Landes“. Er verſprach, daß fortan „alle Auf-
lagen nach gleichen Grundſätzen von Jedermann zu tragen“ ſeien, ver-
ſprach ein neues Kataſter und die Ausgleichung der in den einzelnen
Landestheilen grundverſchiedenen Grundſteuern, er verſprach die völlige
Gewerbefreiheit, die Seculariſation der geiſtlichen Güter, die Vereinigung
der geſammten Kriegsſchulden des Staates und der Provinzen, ebenſo
die Einführung allgemeiner Conſumtions- und Luxusſteuern und ließ
endlich nach allen dieſen Verſicherungen den König noch erklären: Seine
Majeſtät behalte ſich vor „der Nation eine zweckmäßig eingerichtete Re-
präſentation ſowohl in den Provinzen als für das Ganze zu geben. So
wird ſich das Band der Liebe und des Vertrauens zwiſchen Uns und
Unſerem treuen Volke immer feſter knüpfen!“ Welch ein Leichtſinn: die
Krone alſo feierliche Verſprechungen geben zu laſſen, deren Sinn und
Umfang ſie, wie ſich bald genug herausſtellte, noch gar nicht beurtheilen
konnte! Als einzige Entſchuldigung für dieſe in Preußen unerhörte Leicht-
fertigkeit wußte Hardenberg nur vorzubringen, daß man dem gefährlichen
weſtphäliſchen Nachbar in der Gunſt der Opinion den Rang ablaufen
müſſe!

Einige jener Verſprechungen löſte der Staatskanzler in der That ſo-
fort ein. Schon am nächſten Tage wurde eine allgemeine Luxusſteuer für
Jedermann, von Dienſtboten, Pferden, Hunden und Wagen, angeordnet,
desgleichen eine Conſumtionsſteuer von etwa zehn der gangbarſten Verzeh-
rungsartikel, Fleiſch, Mehl, Bier u. ſ. f., für die Städte wie für das
flache Land. Man beabſichtigte dadurch die alte Acciſe, welche die Städte
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[370/0386] I. 3. Preußens Erhebung. blieben beſtehen, doch als Untergebene des Kanzlers; der von Stein ge- plante Staatsrath wurde endlich, auf dem Papiere mindeſtens, gebildet, doch in ſo beſcheidener Geſtalt, daß er der Allmacht des Kanzlers nicht bedrohlich werden konnte; das ſoeben erſt neu geſchaffene Amt der Ober- präſidenten fiel hinweg, die Regierungen ſollten wie Napoleons Präfecten unmittelbar unter der Centralverwaltung ſtehen. So verrieth ſich ſchon hier ein ſcharf bureaukratiſcher Zug; an einem ſelbſtändigen Leben der Provinzen lag dem Staatskanzler wenig. Am nämlichen Tage erſchien das Edict über die Finanzen des Staates — ein Geſetz, deſſen gleichen die preußiſche Monarchie noch nie geſehen, nach Form und Inhalt ein denkwürdiges Zeugniß für die unternehmende Leichtfertigkeit des geiſtreichen Cavaliers, der jetzt die Zügel hielt. Während Steins Geſetze immer nur eine beſtimmte Frage ins Auge faßten und dieſe durch umſichtige, gründ- liche Vorſchriften nach allen Seiten hin erledigten, überſchüttete das neue Finanzedict die Nation mit einem Sturzbade herrlicher Verſprechungen. Von der Nationalbank, den Treſorſcheinen und den anderen gleißenden Projecten des vergangenen Sommers war der Staatskanzler freilich zu- rückgekommen; dafür entrollte er das Programm einer großartigen Steuer- reform „zur Rettung des Landes“. Er verſprach, daß fortan „alle Auf- lagen nach gleichen Grundſätzen von Jedermann zu tragen“ ſeien, ver- ſprach ein neues Kataſter und die Ausgleichung der in den einzelnen Landestheilen grundverſchiedenen Grundſteuern, er verſprach die völlige Gewerbefreiheit, die Seculariſation der geiſtlichen Güter, die Vereinigung der geſammten Kriegsſchulden des Staates und der Provinzen, ebenſo die Einführung allgemeiner Conſumtions- und Luxusſteuern und ließ endlich nach allen dieſen Verſicherungen den König noch erklären: Seine Majeſtät behalte ſich vor „der Nation eine zweckmäßig eingerichtete Re- präſentation ſowohl in den Provinzen als für das Ganze zu geben. So wird ſich das Band der Liebe und des Vertrauens zwiſchen Uns und Unſerem treuen Volke immer feſter knüpfen!“ Welch ein Leichtſinn: die Krone alſo feierliche Verſprechungen geben zu laſſen, deren Sinn und Umfang ſie, wie ſich bald genug herausſtellte, noch gar nicht beurtheilen konnte! Als einzige Entſchuldigung für dieſe in Preußen unerhörte Leicht- fertigkeit wußte Hardenberg nur vorzubringen, daß man dem gefährlichen weſtphäliſchen Nachbar in der Gunſt der Opinion den Rang ablaufen müſſe! Einige jener Verſprechungen löſte der Staatskanzler in der That ſo- fort ein. Schon am nächſten Tage wurde eine allgemeine Luxusſteuer für Jedermann, von Dienſtboten, Pferden, Hunden und Wagen, angeordnet, desgleichen eine Conſumtionsſteuer von etwa zehn der gangbarſten Verzeh- rungsartikel, Fleiſch, Mehl, Bier u. ſ. f., für die Städte wie für das flache Land. Man beabſichtigte dadurch die alte Acciſe, welche die Städte von den Dörfern abſperrte, zu Falle zu bringen; doch namentlich die

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/386>, abgerufen am 22.11.2024.