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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Württemberg.
Satrapenlandes, dem der sittliche Schwung des preußischen Lebens völlig
fehlte? Wie schwer und langsam die zarte Pflanze der Bildung in diesem
harten Boden Wurzeln schlug, das lehrte der Mordanfall eines bairischen
Studenten auf den Philologen Thiersch; der bigotte Bajuvare konnte den
Anblick des norddeutschen Ketzers nicht länger ertragen. Alles alte Her-
kommen war zerstört, Niemand fühlte sich mehr sicher im Besitze wohler-
worbener Rechte; dabei wuchs die Noth der Finanzen von Jahr zu Jahr,
die gewissenlose Verwaltung kannte den Betrag der Staatsschulden selbst
nicht mehr. Und doch hat das gewaltthätige Regiment des Halbfranzosen
Montgelas eine glücklichere Zeit für Altbaiern vorbereitet; dieser Verächter
alles deutschen Wesens -- so wenig übersieht der Mensch die letzten Wirk-
ungen seines Schaffens -- führte ahnungslos den bairischen Stamm
aus einem dreihundertjährigen Sonderleben wieder zu der Gemeinschaft
der modernen deutschen Cultur zurück.

Jene alte Weissagung, die dem ehrgeizigen kleinen Hause Württem-
berg die Königskrone von Schwaben verhieß, war nun endlich in Erfül-
lung gegangen; aber auch ein anderes Sprichwort sollte sich bewähren,
das die Altwürttemberger mit naivem Selbstgefühle zu wiederholen pfleg-
ten: "unsere Fürsten sind immer böse Kerle gewesen." Ein hochbegabter
Mann, neben Herzog Karl August vielleicht der beste Kopf in jener Ge-
neration deutscher Fürsten, hatte König Friedrich den Sinn für edlere
Bildung früh in sich ertödet: alle Gelehrten waren ihm nur noch Schrei-
ber, Schulmeister und Barbierer. Als er dann den Befehl Napoleons
chassez les bougres! gelehrig befolgt und seine alten Landstände aus-
einandergejagt hatte, da kannte der Hochmuth des Selbstherrschers keine
Schranken mehr, und er begann ein Sündenregiment, wie es der gedul-
dige deutsche Boden noch nie gesehen. Breit und frech wie die neue
Königskrone auf dem Dache des Stuttgarter Schlosses prunkte die Willkür
daher; der König verbarg es nicht, daß er Tarquinius und Nero als die
Meister der Herrscherkunst bewunderte. Zweitausend dreihundert Rescripte
der Sacra Regia Majestas warfen den gesammten Bestand des histori-
schen Rechtes über den Haufen, verschmolzen das bürgerlich-protestantische
Altwürttemberg mit den geistlichen, reichsstädtischen und adlichen Territo-
rien Neuwürttembergs zu einer Masse. Der Wille des Königs und seiner
zwölf Landvögte gebot unumschränkt in den nördlichen wie in den südlichen
Provinzen des Reichs -- so lautete der bescheidene Ausdruck der Amts-
sprache; sämmtliche Gemeindebeamten ernannte der König. Alles zitterte,
wenn der ruchlose dicke Herr in seinem Muschelwagen heranfuhr; die Werk-
zeuge seiner unnatürlichen Lüste sowie einige habgierige mecklenburgische
Junker bildeten seine tägliche Umgebung. Durch Zwangsaushebung ver-
schaffte er sich alle Arbeitskräfte, die er brauchte, sogar seine Lakaien; in
einem einzigen Oberamte wurden mehr als 21,000 Mann zur königlichen
Jagdfrohne aufgeboten. Ein strenges Verbot der Auswanderung raubte

Württemberg.
Satrapenlandes, dem der ſittliche Schwung des preußiſchen Lebens völlig
fehlte? Wie ſchwer und langſam die zarte Pflanze der Bildung in dieſem
harten Boden Wurzeln ſchlug, das lehrte der Mordanfall eines bairiſchen
Studenten auf den Philologen Thierſch; der bigotte Bajuvare konnte den
Anblick des norddeutſchen Ketzers nicht länger ertragen. Alles alte Her-
kommen war zerſtört, Niemand fühlte ſich mehr ſicher im Beſitze wohler-
worbener Rechte; dabei wuchs die Noth der Finanzen von Jahr zu Jahr,
die gewiſſenloſe Verwaltung kannte den Betrag der Staatsſchulden ſelbſt
nicht mehr. Und doch hat das gewaltthätige Regiment des Halbfranzoſen
Montgelas eine glücklichere Zeit für Altbaiern vorbereitet; dieſer Verächter
alles deutſchen Weſens — ſo wenig überſieht der Menſch die letzten Wirk-
ungen ſeines Schaffens — führte ahnungslos den bairiſchen Stamm
aus einem dreihundertjährigen Sonderleben wieder zu der Gemeinſchaft
der modernen deutſchen Cultur zurück.

Jene alte Weiſſagung, die dem ehrgeizigen kleinen Hauſe Württem-
berg die Königskrone von Schwaben verhieß, war nun endlich in Erfül-
lung gegangen; aber auch ein anderes Sprichwort ſollte ſich bewähren,
das die Altwürttemberger mit naivem Selbſtgefühle zu wiederholen pfleg-
ten: „unſere Fürſten ſind immer böſe Kerle geweſen.“ Ein hochbegabter
Mann, neben Herzog Karl Auguſt vielleicht der beſte Kopf in jener Ge-
neration deutſcher Fürſten, hatte König Friedrich den Sinn für edlere
Bildung früh in ſich ertödet: alle Gelehrten waren ihm nur noch Schrei-
ber, Schulmeiſter und Barbierer. Als er dann den Befehl Napoleons
chassez les bougres! gelehrig befolgt und ſeine alten Landſtände aus-
einandergejagt hatte, da kannte der Hochmuth des Selbſtherrſchers keine
Schranken mehr, und er begann ein Sündenregiment, wie es der gedul-
dige deutſche Boden noch nie geſehen. Breit und frech wie die neue
Königskrone auf dem Dache des Stuttgarter Schloſſes prunkte die Willkür
daher; der König verbarg es nicht, daß er Tarquinius und Nero als die
Meiſter der Herrſcherkunſt bewunderte. Zweitauſend dreihundert Reſcripte
der Sacra Regia Majestas warfen den geſammten Beſtand des hiſtori-
ſchen Rechtes über den Haufen, verſchmolzen das bürgerlich-proteſtantiſche
Altwürttemberg mit den geiſtlichen, reichsſtädtiſchen und adlichen Territo-
rien Neuwürttembergs zu einer Maſſe. Der Wille des Königs und ſeiner
zwölf Landvögte gebot unumſchränkt in den nördlichen wie in den ſüdlichen
Provinzen des Reichs — ſo lautete der beſcheidene Ausdruck der Amts-
ſprache; ſämmtliche Gemeindebeamten ernannte der König. Alles zitterte,
wenn der ruchloſe dicke Herr in ſeinem Muſchelwagen heranfuhr; die Werk-
zeuge ſeiner unnatürlichen Lüſte ſowie einige habgierige mecklenburgiſche
Junker bildeten ſeine tägliche Umgebung. Durch Zwangsaushebung ver-
ſchaffte er ſich alle Arbeitskräfte, die er brauchte, ſogar ſeine Lakaien; in
einem einzigen Oberamte wurden mehr als 21,000 Mann zur königlichen
Jagdfrohne aufgeboten. Ein ſtrenges Verbot der Auswanderung raubte

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[359/0375] Württemberg. Satrapenlandes, dem der ſittliche Schwung des preußiſchen Lebens völlig fehlte? Wie ſchwer und langſam die zarte Pflanze der Bildung in dieſem harten Boden Wurzeln ſchlug, das lehrte der Mordanfall eines bairiſchen Studenten auf den Philologen Thierſch; der bigotte Bajuvare konnte den Anblick des norddeutſchen Ketzers nicht länger ertragen. Alles alte Her- kommen war zerſtört, Niemand fühlte ſich mehr ſicher im Beſitze wohler- worbener Rechte; dabei wuchs die Noth der Finanzen von Jahr zu Jahr, die gewiſſenloſe Verwaltung kannte den Betrag der Staatsſchulden ſelbſt nicht mehr. Und doch hat das gewaltthätige Regiment des Halbfranzoſen Montgelas eine glücklichere Zeit für Altbaiern vorbereitet; dieſer Verächter alles deutſchen Weſens — ſo wenig überſieht der Menſch die letzten Wirk- ungen ſeines Schaffens — führte ahnungslos den bairiſchen Stamm aus einem dreihundertjährigen Sonderleben wieder zu der Gemeinſchaft der modernen deutſchen Cultur zurück. Jene alte Weiſſagung, die dem ehrgeizigen kleinen Hauſe Württem- berg die Königskrone von Schwaben verhieß, war nun endlich in Erfül- lung gegangen; aber auch ein anderes Sprichwort ſollte ſich bewähren, das die Altwürttemberger mit naivem Selbſtgefühle zu wiederholen pfleg- ten: „unſere Fürſten ſind immer böſe Kerle geweſen.“ Ein hochbegabter Mann, neben Herzog Karl Auguſt vielleicht der beſte Kopf in jener Ge- neration deutſcher Fürſten, hatte König Friedrich den Sinn für edlere Bildung früh in ſich ertödet: alle Gelehrten waren ihm nur noch Schrei- ber, Schulmeiſter und Barbierer. Als er dann den Befehl Napoleons chassez les bougres! gelehrig befolgt und ſeine alten Landſtände aus- einandergejagt hatte, da kannte der Hochmuth des Selbſtherrſchers keine Schranken mehr, und er begann ein Sündenregiment, wie es der gedul- dige deutſche Boden noch nie geſehen. Breit und frech wie die neue Königskrone auf dem Dache des Stuttgarter Schloſſes prunkte die Willkür daher; der König verbarg es nicht, daß er Tarquinius und Nero als die Meiſter der Herrſcherkunſt bewunderte. Zweitauſend dreihundert Reſcripte der Sacra Regia Majestas warfen den geſammten Beſtand des hiſtori- ſchen Rechtes über den Haufen, verſchmolzen das bürgerlich-proteſtantiſche Altwürttemberg mit den geiſtlichen, reichsſtädtiſchen und adlichen Territo- rien Neuwürttembergs zu einer Maſſe. Der Wille des Königs und ſeiner zwölf Landvögte gebot unumſchränkt in den nördlichen wie in den ſüdlichen Provinzen des Reichs — ſo lautete der beſcheidene Ausdruck der Amts- ſprache; ſämmtliche Gemeindebeamten ernannte der König. Alles zitterte, wenn der ruchloſe dicke Herr in ſeinem Muſchelwagen heranfuhr; die Werk- zeuge ſeiner unnatürlichen Lüſte ſowie einige habgierige mecklenburgiſche Junker bildeten ſeine tägliche Umgebung. Durch Zwangsaushebung ver- ſchaffte er ſich alle Arbeitskräfte, die er brauchte, ſogar ſeine Lakaien; in einem einzigen Oberamte wurden mehr als 21,000 Mann zur königlichen Jagdfrohne aufgeboten. Ein ſtrenges Verbot der Auswanderung raubte

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/375>, abgerufen am 15.05.2024.