schen Lehre eigenmächtig verschlossen und dadurch die kirchlich-politische Spaltung der deutschen Nation begründeten, war der tapfere und treue, an rüstiger Kraft des Leibes und des Willens den besten Deutschen eben- bürtige altbairische Stamm dem geistigen Leben dieses paritätischen Volkes fast so fremd geworden wie die Oesterreicher. Am Schlusse des alten Jahr- hunderts lebten in München drei Protestanten, die amtlich als Katholiken galten und zum Abendmahl nach Augsburg hinüberfuhren.*) Auf Schritt und Tritt begegnete der Wanderer den Erinnerungen des streitbaren Katho- licismus; zu den Füßen der Mariensäule auf dem Schrannenplatze stand der Genius, der den Drachen der Ketzerei zerschmettert. Das Volk glaubte fest, ein Protestant sehe ganz anders aus als ehrliche Christenmenschen; in den Fastnachtszügen der Bauern erschien der Luther mit seiner Kathi neben dem bairischen Hiesel und dem Schinderhannes; noch während der napoleonischen Feldzüge ließ ein altbairisches Bataillon ein Bild des heiligen Petrus Spießruthen laufen, weil der Heilige seiner Heerde das erbetene gute Marschwetter versagt hatte. Die gesammte neue Literatur war "luthe- risch deutsch", blieb diesen Hinterwäldlern verpönt und unbekannt.
Welch ein Umschwung nun, als plötzlich ein ganzes Bündel evange- lischer Territorien mit dem gelobten Lande der Klöster und der geistlichen Schulen zusammengeschweißt wurde und gleichzeitig die Dynastie Zwei- brücken ihren Einzug hielt -- jene Nebenlinie des Hauses Wittelsbach, die zwar wieder zur römischen Kirche zurückgekehrt, aber durch ihre schwe- disch-protestantischen Traditionen und durch langjährigen Familienzwist mit der bigotten älteren Linie tief verfeindet war. Für große, schöpferische politische Ideen freilich blieb die flache gedankenlose Gutmüthigkeit des neuen Königs Max Joseph ebenso unzugänglich wie die bureaukratische Härte und Herrschsucht seines Ministers Montgelas. Niemand verfiel auf den so naheliegenden Gedanken, den Schwerpunkt des jungen Königreichs in einen paritätischen Landstrich, nach Nürnberg oder Augsburg zu verlegen. Die Residenz blieb in München, und die Hauptstadt übte auf die Provinzen einen schädlichen Einfluß. Das Bier, das den Altbaiern, nach dem Ge- ständniß ihres Historikers Westenrieder, das fünfte Element des Lebens bildete, hielt seinen Siegeszug durch das ganze Land; die rührigen Schwa- ben und Franken nahmen bald Vieles an von der bequemen, läßlichen Sinnlichkeit der Altbaiern. Diese reichbegabten Stämme kamen langsam herab in ihrem geistigen Leben, sie haben unter bairischem Scepter nie- mals wieder so Großes für die deutsche Cultur geleistet wie einst in den Zeiten ihres reichsstädtischen Glanzes. Für die altbairischen Lande dagegen wurde das Zusammenleben mit den geistreicheren, aufgeweckten Nachbarn ein unermeßlicher Segen.
*) Ich benutze hier die Aufzeichnungen des bair. Oberconsistorialraths v. Schmitt, die mir sein Sohn, Herr Pfarrer Schmitt in Heidelberg mitgetheilt hat.
Baiern.
ſchen Lehre eigenmächtig verſchloſſen und dadurch die kirchlich-politiſche Spaltung der deutſchen Nation begründeten, war der tapfere und treue, an rüſtiger Kraft des Leibes und des Willens den beſten Deutſchen eben- bürtige altbairiſche Stamm dem geiſtigen Leben dieſes paritätiſchen Volkes faſt ſo fremd geworden wie die Oeſterreicher. Am Schluſſe des alten Jahr- hunderts lebten in München drei Proteſtanten, die amtlich als Katholiken galten und zum Abendmahl nach Augsburg hinüberfuhren.*) Auf Schritt und Tritt begegnete der Wanderer den Erinnerungen des ſtreitbaren Katho- licismus; zu den Füßen der Marienſäule auf dem Schrannenplatze ſtand der Genius, der den Drachen der Ketzerei zerſchmettert. Das Volk glaubte feſt, ein Proteſtant ſehe ganz anders aus als ehrliche Chriſtenmenſchen; in den Faſtnachtszügen der Bauern erſchien der Luther mit ſeiner Kathi neben dem bairiſchen Hieſel und dem Schinderhannes; noch während der napoleoniſchen Feldzüge ließ ein altbairiſches Bataillon ein Bild des heiligen Petrus Spießruthen laufen, weil der Heilige ſeiner Heerde das erbetene gute Marſchwetter verſagt hatte. Die geſammte neue Literatur war „luthe- riſch deutſch“, blieb dieſen Hinterwäldlern verpönt und unbekannt.
Welch ein Umſchwung nun, als plötzlich ein ganzes Bündel evange- liſcher Territorien mit dem gelobten Lande der Klöſter und der geiſtlichen Schulen zuſammengeſchweißt wurde und gleichzeitig die Dynaſtie Zwei- brücken ihren Einzug hielt — jene Nebenlinie des Hauſes Wittelsbach, die zwar wieder zur römiſchen Kirche zurückgekehrt, aber durch ihre ſchwe- diſch-proteſtantiſchen Traditionen und durch langjährigen Familienzwiſt mit der bigotten älteren Linie tief verfeindet war. Für große, ſchöpferiſche politiſche Ideen freilich blieb die flache gedankenloſe Gutmüthigkeit des neuen Königs Max Joſeph ebenſo unzugänglich wie die bureaukratiſche Härte und Herrſchſucht ſeines Miniſters Montgelas. Niemand verfiel auf den ſo naheliegenden Gedanken, den Schwerpunkt des jungen Königreichs in einen paritätiſchen Landſtrich, nach Nürnberg oder Augsburg zu verlegen. Die Reſidenz blieb in München, und die Hauptſtadt übte auf die Provinzen einen ſchädlichen Einfluß. Das Bier, das den Altbaiern, nach dem Ge- ſtändniß ihres Hiſtorikers Weſtenrieder, das fünfte Element des Lebens bildete, hielt ſeinen Siegeszug durch das ganze Land; die rührigen Schwa- ben und Franken nahmen bald Vieles an von der bequemen, läßlichen Sinnlichkeit der Altbaiern. Dieſe reichbegabten Stämme kamen langſam herab in ihrem geiſtigen Leben, ſie haben unter bairiſchem Scepter nie- mals wieder ſo Großes für die deutſche Cultur geleiſtet wie einſt in den Zeiten ihres reichsſtädtiſchen Glanzes. Für die altbairiſchen Lande dagegen wurde das Zuſammenleben mit den geiſtreicheren, aufgeweckten Nachbarn ein unermeßlicher Segen.
*) Ich benutze hier die Aufzeichnungen des bair. Oberconſiſtorialraths v. Schmitt, die mir ſein Sohn, Herr Pfarrer Schmitt in Heidelberg mitgetheilt hat.
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Baiern.
ſchen Lehre eigenmächtig verſchloſſen und dadurch die kirchlich-politiſche
Spaltung der deutſchen Nation begründeten, war der tapfere und treue,
an rüſtiger Kraft des Leibes und des Willens den beſten Deutſchen eben-
bürtige altbairiſche Stamm dem geiſtigen Leben dieſes paritätiſchen Volkes
faſt ſo fremd geworden wie die Oeſterreicher. Am Schluſſe des alten Jahr-
hunderts lebten in München drei Proteſtanten, die amtlich als Katholiken
galten und zum Abendmahl nach Augsburg hinüberfuhren. *) Auf Schritt
und Tritt begegnete der Wanderer den Erinnerungen des ſtreitbaren Katho-
licismus; zu den Füßen der Marienſäule auf dem Schrannenplatze ſtand
der Genius, der den Drachen der Ketzerei zerſchmettert. Das Volk glaubte
feſt, ein Proteſtant ſehe ganz anders aus als ehrliche Chriſtenmenſchen;
in den Faſtnachtszügen der Bauern erſchien der Luther mit ſeiner Kathi
neben dem bairiſchen Hieſel und dem Schinderhannes; noch während der
napoleoniſchen Feldzüge ließ ein altbairiſches Bataillon ein Bild des heiligen
Petrus Spießruthen laufen, weil der Heilige ſeiner Heerde das erbetene
gute Marſchwetter verſagt hatte. Die geſammte neue Literatur war „luthe-
riſch deutſch“, blieb dieſen Hinterwäldlern verpönt und unbekannt.
Welch ein Umſchwung nun, als plötzlich ein ganzes Bündel evange-
liſcher Territorien mit dem gelobten Lande der Klöſter und der geiſtlichen
Schulen zuſammengeſchweißt wurde und gleichzeitig die Dynaſtie Zwei-
brücken ihren Einzug hielt — jene Nebenlinie des Hauſes Wittelsbach,
die zwar wieder zur römiſchen Kirche zurückgekehrt, aber durch ihre ſchwe-
diſch-proteſtantiſchen Traditionen und durch langjährigen Familienzwiſt
mit der bigotten älteren Linie tief verfeindet war. Für große, ſchöpferiſche
politiſche Ideen freilich blieb die flache gedankenloſe Gutmüthigkeit des neuen
Königs Max Joſeph ebenſo unzugänglich wie die bureaukratiſche Härte
und Herrſchſucht ſeines Miniſters Montgelas. Niemand verfiel auf den ſo
naheliegenden Gedanken, den Schwerpunkt des jungen Königreichs in einen
paritätiſchen Landſtrich, nach Nürnberg oder Augsburg zu verlegen. Die
Reſidenz blieb in München, und die Hauptſtadt übte auf die Provinzen
einen ſchädlichen Einfluß. Das Bier, das den Altbaiern, nach dem Ge-
ſtändniß ihres Hiſtorikers Weſtenrieder, das fünfte Element des Lebens
bildete, hielt ſeinen Siegeszug durch das ganze Land; die rührigen Schwa-
ben und Franken nahmen bald Vieles an von der bequemen, läßlichen
Sinnlichkeit der Altbaiern. Dieſe reichbegabten Stämme kamen langſam
herab in ihrem geiſtigen Leben, ſie haben unter bairiſchem Scepter nie-
mals wieder ſo Großes für die deutſche Cultur geleiſtet wie einſt in den
Zeiten ihres reichsſtädtiſchen Glanzes. Für die altbairiſchen Lande dagegen
wurde das Zuſammenleben mit den geiſtreicheren, aufgeweckten Nachbarn
ein unermeßlicher Segen.
*) Ich benutze hier die Aufzeichnungen des bair. Oberconſiſtorialraths v. Schmitt,
die mir ſein Sohn, Herr Pfarrer Schmitt in Heidelberg mitgetheilt hat.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/373>, abgerufen am 23.07.2024.
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