Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

I. 3. Preußens Erhebung.
der Oesterreicher an der oberen Donau; das unsinnige Unternehmen
scheiterte schon im Beginne, von einem großen Volksaufstande war jetzt
keine Rede mehr. Der König ließ nicht nur, wie seine Pflicht gebot, den
Ernst des Gesetzes gegen die Deserteure in Kraft treten, er sprach auch in
scharfen Worten seine Entrüstung aus über Schills "unglaubliche That"
-- mit vollem Rechte, denn was stand noch fest in dem unglücklichen
Staate, wenn der Gehorsam des Heeres ins Wanken kam? Die ver-
wegene Schaar fand nach planlosen Kreuz- und Querzügen einen ehren-
vollen Untergang in den Mauern von Stralsund, und Napoleon that das
Seine um das Andenken dieser verlorenen Söhne des deutschen Volkes
zu heiligen. Welch ein Eindruck, da man vernahm, daß der Leiche
Schills der Kopf abgeschnitten, seine gefangenen Offiziere -- allerdings
nach dem Buchstaben des Völkerrechts -- als Straßenräuber behandelt
und theils erschossen, theils auf die Galeeren geschleppt wurden! Tausende
wiederholten tief empört die Strophen Schenkendorfs:

Stahl von Männerfaust geschwungen
rettet einzig dies Geschlecht!

Auch den König drängte die Stimme des Herzens zur Theilnahme
an dem Kampfe. Er war entschlossen zu schlagen, doch er blieb nüchtern
inmitten des allgemeinen Fiebers, das Bewußtsein einer ungeheuren Ver-
antwortung lastete schwer auf seiner Seele; denn zog er diesmal vergeb-
lich das Schwert, so war Preußen vernichtet -- nach menschlichem Er-
messen für immer. Die Tollkühnheit einer Kriegserklärung, während der
Feind wohlgerüstet in Danzig und Magdeburg stand und durch die Garni-
sonen der Oderlinie das Staatsgebiet mittendurch zerschnitt -- dies furcht-
bare Wagniß war ein Unrecht, wenn sich nicht zum mindesten eine
Möglichkeit des Erfolges zeigte. Friedrich Wilhelm wollte nicht zum
zweiten male, wie in den Tagen von Austerlitz, durch Oesterreichs Wan-
kelmuth der Rache des Siegers preisgegeben werden; er verlangte Bürg-
schaften, daß Kaiser Franz den Krieg auch nach Mißerfolgen fortführe
bis Preußen im Stande sei in den Kampf einzugreifen. Er forderte
ferner Geld und Waffen von England sowie die Landung eines britischen
Corps in Deutschland. Sein Staat war von allen Mitteln entblößt.
Um nur etwas für die Rüstungen thun zu können hatte man schon, un-
vorsichtig genug, die vertragsmäßigen Contributionszahlungen an Frank-
reich eingestellt; und wie sollte die kleine Armee, in Schach gehalten wie
sie war durch die Festungen des Feindes, sich im Felde behaupten, wenn
sie nicht einen Rückhalt an der Küste fand? Das Allerwichtigste blieb
doch die Gefahr, die von Rußland, dem Verbündeten Frankreichs, drohte;
nur wenn er gegen den Osten gesichert war, schien dem Könige das Unter-
nehmen nicht völlig aussichtslos. Napoleon durchschaute sehr wohl die
verzweifelte Lage seines geheimen Gegners und meinte gleichmüthig:

I. 3. Preußens Erhebung.
der Oeſterreicher an der oberen Donau; das unſinnige Unternehmen
ſcheiterte ſchon im Beginne, von einem großen Volksaufſtande war jetzt
keine Rede mehr. Der König ließ nicht nur, wie ſeine Pflicht gebot, den
Ernſt des Geſetzes gegen die Deſerteure in Kraft treten, er ſprach auch in
ſcharfen Worten ſeine Entrüſtung aus über Schills „unglaubliche That“
— mit vollem Rechte, denn was ſtand noch feſt in dem unglücklichen
Staate, wenn der Gehorſam des Heeres ins Wanken kam? Die ver-
wegene Schaar fand nach planloſen Kreuz- und Querzügen einen ehren-
vollen Untergang in den Mauern von Stralſund, und Napoleon that das
Seine um das Andenken dieſer verlorenen Söhne des deutſchen Volkes
zu heiligen. Welch ein Eindruck, da man vernahm, daß der Leiche
Schills der Kopf abgeſchnitten, ſeine gefangenen Offiziere — allerdings
nach dem Buchſtaben des Völkerrechts — als Straßenräuber behandelt
und theils erſchoſſen, theils auf die Galeeren geſchleppt wurden! Tauſende
wiederholten tief empört die Strophen Schenkendorfs:

Stahl von Männerfauſt geſchwungen
rettet einzig dies Geſchlecht!

Auch den König drängte die Stimme des Herzens zur Theilnahme
an dem Kampfe. Er war entſchloſſen zu ſchlagen, doch er blieb nüchtern
inmitten des allgemeinen Fiebers, das Bewußtſein einer ungeheuren Ver-
antwortung laſtete ſchwer auf ſeiner Seele; denn zog er diesmal vergeb-
lich das Schwert, ſo war Preußen vernichtet — nach menſchlichem Er-
meſſen für immer. Die Tollkühnheit einer Kriegserklärung, während der
Feind wohlgerüſtet in Danzig und Magdeburg ſtand und durch die Garni-
ſonen der Oderlinie das Staatsgebiet mittendurch zerſchnitt — dies furcht-
bare Wagniß war ein Unrecht, wenn ſich nicht zum mindeſten eine
Möglichkeit des Erfolges zeigte. Friedrich Wilhelm wollte nicht zum
zweiten male, wie in den Tagen von Auſterlitz, durch Oeſterreichs Wan-
kelmuth der Rache des Siegers preisgegeben werden; er verlangte Bürg-
ſchaften, daß Kaiſer Franz den Krieg auch nach Mißerfolgen fortführe
bis Preußen im Stande ſei in den Kampf einzugreifen. Er forderte
ferner Geld und Waffen von England ſowie die Landung eines britiſchen
Corps in Deutſchland. Sein Staat war von allen Mitteln entblößt.
Um nur etwas für die Rüſtungen thun zu können hatte man ſchon, un-
vorſichtig genug, die vertragsmäßigen Contributionszahlungen an Frank-
reich eingeſtellt; und wie ſollte die kleine Armee, in Schach gehalten wie
ſie war durch die Feſtungen des Feindes, ſich im Felde behaupten, wenn
ſie nicht einen Rückhalt an der Küſte fand? Das Allerwichtigſte blieb
doch die Gefahr, die von Rußland, dem Verbündeten Frankreichs, drohte;
nur wenn er gegen den Oſten geſichert war, ſchien dem Könige das Unter-
nehmen nicht völlig ausſichtslos. Napoleon durchſchaute ſehr wohl die
verzweifelte Lage ſeines geheimen Gegners und meinte gleichmüthig:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0360" n="344"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 3. Preußens Erhebung.</fw><lb/>
der Oe&#x017F;terreicher an der oberen Donau; das un&#x017F;innige Unternehmen<lb/>
&#x017F;cheiterte &#x017F;chon im Beginne, von einem großen Volksauf&#x017F;tande war jetzt<lb/>
keine Rede mehr. Der König ließ nicht nur, wie &#x017F;eine Pflicht gebot, den<lb/>
Ern&#x017F;t des Ge&#x017F;etzes gegen die De&#x017F;erteure in Kraft treten, er &#x017F;prach auch in<lb/>
&#x017F;charfen Worten &#x017F;eine Entrü&#x017F;tung aus über Schills &#x201E;unglaubliche That&#x201C;<lb/>
&#x2014; mit vollem Rechte, denn was &#x017F;tand noch fe&#x017F;t in dem unglücklichen<lb/>
Staate, wenn der Gehor&#x017F;am des Heeres ins Wanken kam? Die ver-<lb/>
wegene Schaar fand nach planlo&#x017F;en Kreuz- und Querzügen einen ehren-<lb/>
vollen Untergang in den Mauern von Stral&#x017F;und, und Napoleon that das<lb/>
Seine um das Andenken die&#x017F;er verlorenen Söhne des deut&#x017F;chen Volkes<lb/>
zu heiligen. Welch ein Eindruck, da man vernahm, daß der Leiche<lb/>
Schills der Kopf abge&#x017F;chnitten, &#x017F;eine gefangenen Offiziere &#x2014; allerdings<lb/>
nach dem Buch&#x017F;taben des Völkerrechts &#x2014; als Straßenräuber behandelt<lb/>
und theils er&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en, theils auf die Galeeren ge&#x017F;chleppt wurden! Tau&#x017F;ende<lb/>
wiederholten tief empört die Strophen Schenkendorfs:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Stahl von Männerfau&#x017F;t ge&#x017F;chwungen</l><lb/>
              <l>rettet einzig dies Ge&#x017F;chlecht!</l>
            </lg><lb/>
            <p>Auch den König drängte die Stimme des Herzens zur Theilnahme<lb/>
an dem Kampfe. Er war ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en zu &#x017F;chlagen, doch er blieb nüchtern<lb/>
inmitten des allgemeinen Fiebers, das Bewußt&#x017F;ein einer ungeheuren Ver-<lb/>
antwortung la&#x017F;tete &#x017F;chwer auf &#x017F;einer Seele; denn zog er diesmal vergeb-<lb/>
lich das Schwert, &#x017F;o war Preußen vernichtet &#x2014; nach men&#x017F;chlichem Er-<lb/>
me&#x017F;&#x017F;en für immer. Die Tollkühnheit einer Kriegserklärung, während der<lb/>
Feind wohlgerü&#x017F;tet in Danzig und Magdeburg &#x017F;tand und durch die Garni-<lb/>
&#x017F;onen der Oderlinie das Staatsgebiet mittendurch zer&#x017F;chnitt &#x2014; dies furcht-<lb/>
bare Wagniß war ein Unrecht, wenn &#x017F;ich nicht zum minde&#x017F;ten eine<lb/>
Möglichkeit des Erfolges zeigte. Friedrich Wilhelm wollte nicht zum<lb/>
zweiten male, wie in den Tagen von Au&#x017F;terlitz, durch Oe&#x017F;terreichs Wan-<lb/>
kelmuth der Rache des Siegers preisgegeben werden; er verlangte Bürg-<lb/>
&#x017F;chaften, daß Kai&#x017F;er Franz den Krieg auch nach Mißerfolgen fortführe<lb/>
bis Preußen im Stande &#x017F;ei in den Kampf einzugreifen. Er forderte<lb/>
ferner Geld und Waffen von England &#x017F;owie die Landung eines briti&#x017F;chen<lb/>
Corps in Deut&#x017F;chland. Sein Staat war von allen Mitteln entblößt.<lb/>
Um nur etwas für die Rü&#x017F;tungen thun zu können hatte man &#x017F;chon, un-<lb/>
vor&#x017F;ichtig genug, die vertragsmäßigen Contributionszahlungen an Frank-<lb/>
reich einge&#x017F;tellt; und wie &#x017F;ollte die kleine Armee, in Schach gehalten wie<lb/>
&#x017F;ie war durch die Fe&#x017F;tungen des Feindes, &#x017F;ich im Felde behaupten, wenn<lb/>
&#x017F;ie nicht einen Rückhalt an der Kü&#x017F;te fand? Das Allerwichtig&#x017F;te blieb<lb/>
doch die Gefahr, die von Rußland, dem Verbündeten Frankreichs, drohte;<lb/>
nur wenn er gegen den O&#x017F;ten ge&#x017F;ichert war, &#x017F;chien dem Könige das Unter-<lb/>
nehmen nicht völlig aus&#x017F;ichtslos. Napoleon durch&#x017F;chaute &#x017F;ehr wohl die<lb/>
verzweifelte Lage &#x017F;eines geheimen Gegners und meinte gleichmüthig:<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[344/0360] I. 3. Preußens Erhebung. der Oeſterreicher an der oberen Donau; das unſinnige Unternehmen ſcheiterte ſchon im Beginne, von einem großen Volksaufſtande war jetzt keine Rede mehr. Der König ließ nicht nur, wie ſeine Pflicht gebot, den Ernſt des Geſetzes gegen die Deſerteure in Kraft treten, er ſprach auch in ſcharfen Worten ſeine Entrüſtung aus über Schills „unglaubliche That“ — mit vollem Rechte, denn was ſtand noch feſt in dem unglücklichen Staate, wenn der Gehorſam des Heeres ins Wanken kam? Die ver- wegene Schaar fand nach planloſen Kreuz- und Querzügen einen ehren- vollen Untergang in den Mauern von Stralſund, und Napoleon that das Seine um das Andenken dieſer verlorenen Söhne des deutſchen Volkes zu heiligen. Welch ein Eindruck, da man vernahm, daß der Leiche Schills der Kopf abgeſchnitten, ſeine gefangenen Offiziere — allerdings nach dem Buchſtaben des Völkerrechts — als Straßenräuber behandelt und theils erſchoſſen, theils auf die Galeeren geſchleppt wurden! Tauſende wiederholten tief empört die Strophen Schenkendorfs: Stahl von Männerfauſt geſchwungen rettet einzig dies Geſchlecht! Auch den König drängte die Stimme des Herzens zur Theilnahme an dem Kampfe. Er war entſchloſſen zu ſchlagen, doch er blieb nüchtern inmitten des allgemeinen Fiebers, das Bewußtſein einer ungeheuren Ver- antwortung laſtete ſchwer auf ſeiner Seele; denn zog er diesmal vergeb- lich das Schwert, ſo war Preußen vernichtet — nach menſchlichem Er- meſſen für immer. Die Tollkühnheit einer Kriegserklärung, während der Feind wohlgerüſtet in Danzig und Magdeburg ſtand und durch die Garni- ſonen der Oderlinie das Staatsgebiet mittendurch zerſchnitt — dies furcht- bare Wagniß war ein Unrecht, wenn ſich nicht zum mindeſten eine Möglichkeit des Erfolges zeigte. Friedrich Wilhelm wollte nicht zum zweiten male, wie in den Tagen von Auſterlitz, durch Oeſterreichs Wan- kelmuth der Rache des Siegers preisgegeben werden; er verlangte Bürg- ſchaften, daß Kaiſer Franz den Krieg auch nach Mißerfolgen fortführe bis Preußen im Stande ſei in den Kampf einzugreifen. Er forderte ferner Geld und Waffen von England ſowie die Landung eines britiſchen Corps in Deutſchland. Sein Staat war von allen Mitteln entblößt. Um nur etwas für die Rüſtungen thun zu können hatte man ſchon, un- vorſichtig genug, die vertragsmäßigen Contributionszahlungen an Frank- reich eingeſtellt; und wie ſollte die kleine Armee, in Schach gehalten wie ſie war durch die Feſtungen des Feindes, ſich im Felde behaupten, wenn ſie nicht einen Rückhalt an der Küſte fand? Das Allerwichtigſte blieb doch die Gefahr, die von Rußland, dem Verbündeten Frankreichs, drohte; nur wenn er gegen den Oſten geſichert war, ſchien dem Könige das Unter- nehmen nicht völlig ausſichtslos. Napoleon durchſchaute ſehr wohl die verzweifelte Lage ſeines geheimen Gegners und meinte gleichmüthig:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/360
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/360>, abgerufen am 22.05.2024.