Niemals wollte er sich trennen von dem Glauben, daß Schauen und Erkennen, Bilden und Dichten den eigentlichen Inhalt der Menschenge- schichte bilde, daß in diesem Scheine des Zeitlichen nur die Idee lebe, nur "des Geistes Sein, das unverstanden gefangen gehet in der Mensch- heit Banden". Ganz unbefangen, ohne jede Absicht der Ueberhebung schrieb er an Schiller, als Bonapartes Gestirn soeben aufging: "Der Maßstab der Dinge in mir bleibt fest und unerschütterlich; das Höchste in der Welt bleiben und sind die Ideen. Hätte ich einen Wirkungskreis wie den, der jetzt eigentlich Europa beherrscht, so würde ich ihn doch immer nur als etwas jenem Höheren Untergeordnetes ansehen." Noch im Alter, nach einer langen und reichen staatsmännischen Thätigkeit, sagte er ein- mal zu Gottfried Herrmann, als er mit dem philologischen Freunde das Leipziger Schlachtfeld durchwanderte: "ja sehen Sie, Liebster! Reiche gehen zu Grunde, wie wir hier sehen, aber ein guter Vers besteht ewig."*) Ein großer Schriftsteller konnte und wollte er nicht werden. Die Kräfte seines Geistes hielten einander so vollkommen das Gleichgewicht, daß keine einzige als die beherrschende heraustrat; darum fehlte seinem Stile, wie Schiller beklagte, die Kunst der Massen, die nothwendige Kühnheit des Ausdrucks.
In jungen Jahren schon trat er mit den Dioskuren von Weimar und mit F. A. Wolf in vertrauten Verkehr, von Allen sogleich als ein Ebenbürtiger begrüßt, und lebte sich ein in das Schaffen der beiden Dichter. Sein feinsinniges Verständniß drang bis in die verborgenen Falten ihres Seelenlebens und ergründete, was noch kein Kritiker vermocht, das große Räthsel des künstlerischen Genies, die geheimnißvolle Verbindung von weiblicher Empfänglichkeit und schöpferischer Manneskraft. Dieselbe Ge- nialität des Verstehens und Urtheilens machte ihn nachher zum Liebling des römischen Volks, da er jahrelang als preußischer Gesandter, ein Hellene unter Römern lebte und auf den Bergen von Albano den Aeschy- lus und Pindar übersetzte. Nach und nach ward er sich auch der pro- ductiven Kräfte seines Geistes bewußt und begann mit seinen baskischen Forschungen jene Studien der Sprachvergleichung, die ihm dienen sollten "das Höchste und Tiefste und die Mannichfaltigkeit der ganzen Welt zu durchfahren", den Schlüssel zu finden zu dem Gemüthsleben der Völker.
Mit diesem kühnen Idealismus verband Humboldt jedoch von früh auf ein sicheres Verständniß für die harten Thatsachen des historischen Lebens. Die französische Revolution widerte ihn an, weil er es für einen Frevel hielt den Staat allein aus der Vernunft heraus aufzubauen; die Friedensseligkeit der Epoche bethörte ihn nicht, denn der Krieg sei eines der heilsamsten Mittel zur Erziehung des Menschengeschlechts. Dem Histo- riker stellte er die Aufgabe, daß er sich immer durch Ideen regieren lasse
*) Nach einer handschriftlichen Aufzeichnung von F. G. Welcker.
W. v. Humboldt.
Niemals wollte er ſich trennen von dem Glauben, daß Schauen und Erkennen, Bilden und Dichten den eigentlichen Inhalt der Menſchenge- ſchichte bilde, daß in dieſem Scheine des Zeitlichen nur die Idee lebe, nur „des Geiſtes Sein, das unverſtanden gefangen gehet in der Menſch- heit Banden“. Ganz unbefangen, ohne jede Abſicht der Ueberhebung ſchrieb er an Schiller, als Bonapartes Geſtirn ſoeben aufging: „Der Maßſtab der Dinge in mir bleibt feſt und unerſchütterlich; das Höchſte in der Welt bleiben und ſind die Ideen. Hätte ich einen Wirkungskreis wie den, der jetzt eigentlich Europa beherrſcht, ſo würde ich ihn doch immer nur als etwas jenem Höheren Untergeordnetes anſehen.“ Noch im Alter, nach einer langen und reichen ſtaatsmänniſchen Thätigkeit, ſagte er ein- mal zu Gottfried Herrmann, als er mit dem philologiſchen Freunde das Leipziger Schlachtfeld durchwanderte: „ja ſehen Sie, Liebſter! Reiche gehen zu Grunde, wie wir hier ſehen, aber ein guter Vers beſteht ewig.“*) Ein großer Schriftſteller konnte und wollte er nicht werden. Die Kräfte ſeines Geiſtes hielten einander ſo vollkommen das Gleichgewicht, daß keine einzige als die beherrſchende heraustrat; darum fehlte ſeinem Stile, wie Schiller beklagte, die Kunſt der Maſſen, die nothwendige Kühnheit des Ausdrucks.
In jungen Jahren ſchon trat er mit den Dioskuren von Weimar und mit F. A. Wolf in vertrauten Verkehr, von Allen ſogleich als ein Ebenbürtiger begrüßt, und lebte ſich ein in das Schaffen der beiden Dichter. Sein feinſinniges Verſtändniß drang bis in die verborgenen Falten ihres Seelenlebens und ergründete, was noch kein Kritiker vermocht, das große Räthſel des künſtleriſchen Genies, die geheimnißvolle Verbindung von weiblicher Empfänglichkeit und ſchöpferiſcher Manneskraft. Dieſelbe Ge- nialität des Verſtehens und Urtheilens machte ihn nachher zum Liebling des römiſchen Volks, da er jahrelang als preußiſcher Geſandter, ein Hellene unter Römern lebte und auf den Bergen von Albano den Aeſchy- lus und Pindar überſetzte. Nach und nach ward er ſich auch der pro- ductiven Kräfte ſeines Geiſtes bewußt und begann mit ſeinen baskiſchen Forſchungen jene Studien der Sprachvergleichung, die ihm dienen ſollten „das Höchſte und Tiefſte und die Mannichfaltigkeit der ganzen Welt zu durchfahren“, den Schlüſſel zu finden zu dem Gemüthsleben der Völker.
Mit dieſem kühnen Idealismus verband Humboldt jedoch von früh auf ein ſicheres Verſtändniß für die harten Thatſachen des hiſtoriſchen Lebens. Die franzöſiſche Revolution widerte ihn an, weil er es für einen Frevel hielt den Staat allein aus der Vernunft heraus aufzubauen; die Friedensſeligkeit der Epoche bethörte ihn nicht, denn der Krieg ſei eines der heilſamſten Mittel zur Erziehung des Menſchengeſchlechts. Dem Hiſto- riker ſtellte er die Aufgabe, daß er ſich immer durch Ideen regieren laſſe
*) Nach einer handſchriftlichen Aufzeichnung von F. G. Welcker.
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W. v. Humboldt.
Niemals wollte er ſich trennen von dem Glauben, daß Schauen und
Erkennen, Bilden und Dichten den eigentlichen Inhalt der Menſchenge-
ſchichte bilde, daß in dieſem Scheine des Zeitlichen nur die Idee lebe,
nur „des Geiſtes Sein, das unverſtanden gefangen gehet in der Menſch-
heit Banden“. Ganz unbefangen, ohne jede Abſicht der Ueberhebung
ſchrieb er an Schiller, als Bonapartes Geſtirn ſoeben aufging: „Der
Maßſtab der Dinge in mir bleibt feſt und unerſchütterlich; das Höchſte
in der Welt bleiben und ſind die Ideen. Hätte ich einen Wirkungskreis
wie den, der jetzt eigentlich Europa beherrſcht, ſo würde ich ihn doch immer
nur als etwas jenem Höheren Untergeordnetes anſehen.“ Noch im Alter,
nach einer langen und reichen ſtaatsmänniſchen Thätigkeit, ſagte er ein-
mal zu Gottfried Herrmann, als er mit dem philologiſchen Freunde das
Leipziger Schlachtfeld durchwanderte: „ja ſehen Sie, Liebſter! Reiche gehen
zu Grunde, wie wir hier ſehen, aber ein guter Vers beſteht ewig.“ *)
Ein großer Schriftſteller konnte und wollte er nicht werden. Die Kräfte
ſeines Geiſtes hielten einander ſo vollkommen das Gleichgewicht, daß keine
einzige als die beherrſchende heraustrat; darum fehlte ſeinem Stile, wie
Schiller beklagte, die Kunſt der Maſſen, die nothwendige Kühnheit des
Ausdrucks.
In jungen Jahren ſchon trat er mit den Dioskuren von Weimar
und mit F. A. Wolf in vertrauten Verkehr, von Allen ſogleich als ein
Ebenbürtiger begrüßt, und lebte ſich ein in das Schaffen der beiden Dichter.
Sein feinſinniges Verſtändniß drang bis in die verborgenen Falten ihres
Seelenlebens und ergründete, was noch kein Kritiker vermocht, das große
Räthſel des künſtleriſchen Genies, die geheimnißvolle Verbindung von
weiblicher Empfänglichkeit und ſchöpferiſcher Manneskraft. Dieſelbe Ge-
nialität des Verſtehens und Urtheilens machte ihn nachher zum Liebling
des römiſchen Volks, da er jahrelang als preußiſcher Geſandter, ein
Hellene unter Römern lebte und auf den Bergen von Albano den Aeſchy-
lus und Pindar überſetzte. Nach und nach ward er ſich auch der pro-
ductiven Kräfte ſeines Geiſtes bewußt und begann mit ſeinen baskiſchen
Forſchungen jene Studien der Sprachvergleichung, die ihm dienen ſollten
„das Höchſte und Tiefſte und die Mannichfaltigkeit der ganzen Welt zu
durchfahren“, den Schlüſſel zu finden zu dem Gemüthsleben der Völker.
Mit dieſem kühnen Idealismus verband Humboldt jedoch von früh
auf ein ſicheres Verſtändniß für die harten Thatſachen des hiſtoriſchen
Lebens. Die franzöſiſche Revolution widerte ihn an, weil er es für einen
Frevel hielt den Staat allein aus der Vernunft heraus aufzubauen; die
Friedensſeligkeit der Epoche bethörte ihn nicht, denn der Krieg ſei eines
der heilſamſten Mittel zur Erziehung des Menſchengeſchlechts. Dem Hiſto-
riker ſtellte er die Aufgabe, daß er ſich immer durch Ideen regieren laſſe
*) Nach einer handſchriftlichen Aufzeichnung von F. G. Welcker.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/351>, abgerufen am 22.11.2024.
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