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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
mann von so rückhaltlosem Freimuth jetzt nicht mehr zu ertragen ver-
mochte. Dieser vulkanische Geist konnte seine vaterländischen Hoffnungen
nicht auf die Dauer schweigsam in sich verschließen -- das war sein
Charakter und also sein Schicksal; er konnte das verdeckte diplomatische
Spiel, dessen der Staat bedurfte, nicht mit behutsamer List durchführen
und mußte früher oder später dem lauernden Gegner erliegen. Der
Sturz des Ministers genügte der Rachsucht Napoleons noch nicht. Am
16. December wurde durch ein kaiserliches Decret aus Madrid le nomme
Stein
als ein Feind Frankreichs und des Rheinbundes geächtet und seine
Güter eingezogen. "Sie gehören nun der Geschichte an," rief Gneisenau
dem Verbannten zu. Die Nation wußte jetzt, wen unter den Deutschen
der Imperator am bittersten haßte. Stein ertrug den Verlust mit ge-
lassener Hoheit; ich habe, meinte er nachher gleichmüthig, mehrmals im
Leben mein Gepäck verloren. Als er einsam in der Winternacht durch
das Riesengebirge fuhr, den schützenden Grenzen Oesterreichs entgegen,
da erhob er sich die Seele an den Trostworten der Schleiermacher'schen
Predigt: was der Mensch zu fürchten habe? Unwandelbar fest stand
ihm der fromme Glaube, daß Gott diese Herrschaft der Gewalt und der
Lüge nicht dulden könne.

In Oesterreich aber wußte man mit einer solchen Kraft nichts an-
zufangen. Kaiser Franz glaubte der französischen Polizei willig alle die
finsteren Märchen von den Umsturzplänen der Tugendbündler, ließ den
gefährlichen Jacobiner insgeheim überwachen. Nur dann und wann durfte
Stein den kaiserlichen Staatsmännern einen Rath ertheilen. In Troppau
verkehrte er viel mit Pozzo di Borgo: der persönliche Feind des Hauses
Bonaparte, den die Rachgier corsischer Vendetta ruhelos von Land zu
Lande peitschte, und der erste Mann der deutschen Nation fanden sich
zusammen in gemeinsamem Hasse. Drei Jahre lang blieb der Geächtete
ohne politischen Einfluß. Es war die Zeit, da Gneisenau die entsetzlichen
Worte schrieb: "wir dürfen es uns nicht verhehlen, die Nation ist so
schlecht wie ihr Regiment." Auch Stein unterlag während dieser Jahre
des Harrens zuweilen der Verbitterung des Emigranten; er verlebte Augen-
blicke da er an dem unverbesserlichen Phlegma der nördlichen Deutschen
verzweifelte und trostlos schrieb: möge denn Preußen untergehen! So fest
wie sein König oder Hardenberg war dieser Reichsritter doch nicht mit
dem Staate Friedrichs verwachsen, zur Noth konnte er sich sein verjüngtes
Deutschland auch ohne Preußen denken. Jetzt sah er in Europa nur noch
zwei große Heerlager: dort das Weltreich, hier die Freiheit der Völker;
mochten alle Theilfürsten und selbst die Hohenzollern versinken, wer immer
den Deutschen die Befreiung brachte der sollte des Reiches Krone tragen.
Erst das Frühjahr 1813 hat den heißblütigen Franken wieder ausgesöhnt
mit dem norddeutschen Volke und ihn für immer der preußischen Sache
gewonnen. --

I. 3. Preußens Erhebung.
mann von ſo rückhaltloſem Freimuth jetzt nicht mehr zu ertragen ver-
mochte. Dieſer vulkaniſche Geiſt konnte ſeine vaterländiſchen Hoffnungen
nicht auf die Dauer ſchweigſam in ſich verſchließen — das war ſein
Charakter und alſo ſein Schickſal; er konnte das verdeckte diplomatiſche
Spiel, deſſen der Staat bedurfte, nicht mit behutſamer Liſt durchführen
und mußte früher oder ſpäter dem lauernden Gegner erliegen. Der
Sturz des Miniſters genügte der Rachſucht Napoleons noch nicht. Am
16. December wurde durch ein kaiſerliches Decret aus Madrid le nommé
Stein
als ein Feind Frankreichs und des Rheinbundes geächtet und ſeine
Güter eingezogen. „Sie gehören nun der Geſchichte an,“ rief Gneiſenau
dem Verbannten zu. Die Nation wußte jetzt, wen unter den Deutſchen
der Imperator am bitterſten haßte. Stein ertrug den Verluſt mit ge-
laſſener Hoheit; ich habe, meinte er nachher gleichmüthig, mehrmals im
Leben mein Gepäck verloren. Als er einſam in der Winternacht durch
das Rieſengebirge fuhr, den ſchützenden Grenzen Oeſterreichs entgegen,
da erhob er ſich die Seele an den Troſtworten der Schleiermacher’ſchen
Predigt: was der Menſch zu fürchten habe? Unwandelbar feſt ſtand
ihm der fromme Glaube, daß Gott dieſe Herrſchaft der Gewalt und der
Lüge nicht dulden könne.

In Oeſterreich aber wußte man mit einer ſolchen Kraft nichts an-
zufangen. Kaiſer Franz glaubte der franzöſiſchen Polizei willig alle die
finſteren Märchen von den Umſturzplänen der Tugendbündler, ließ den
gefährlichen Jacobiner insgeheim überwachen. Nur dann und wann durfte
Stein den kaiſerlichen Staatsmännern einen Rath ertheilen. In Troppau
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Bonaparte, den die Rachgier corſiſcher Vendetta ruhelos von Land zu
Lande peitſchte, und der erſte Mann der deutſchen Nation fanden ſich
zuſammen in gemeinſamem Haſſe. Drei Jahre lang blieb der Geächtete
ohne politiſchen Einfluß. Es war die Zeit, da Gneiſenau die entſetzlichen
Worte ſchrieb: „wir dürfen es uns nicht verhehlen, die Nation iſt ſo
ſchlecht wie ihr Regiment.“ Auch Stein unterlag während dieſer Jahre
des Harrens zuweilen der Verbitterung des Emigranten; er verlebte Augen-
blicke da er an dem unverbeſſerlichen Phlegma der nördlichen Deutſchen
verzweifelte und troſtlos ſchrieb: möge denn Preußen untergehen! So feſt
wie ſein König oder Hardenberg war dieſer Reichsritter doch nicht mit
dem Staate Friedrichs verwachſen, zur Noth konnte er ſich ſein verjüngtes
Deutſchland auch ohne Preußen denken. Jetzt ſah er in Europa nur noch
zwei große Heerlager: dort das Weltreich, hier die Freiheit der Völker;
mochten alle Theilfürſten und ſelbſt die Hohenzollern verſinken, wer immer
den Deutſchen die Befreiung brachte der ſollte des Reiches Krone tragen.
Erſt das Frühjahr 1813 hat den heißblütigen Franken wieder ausgeſöhnt
mit dem norddeutſchen Volke und ihn für immer der preußiſchen Sache
gewonnen. —

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[330/0346] I. 3. Preußens Erhebung. mann von ſo rückhaltloſem Freimuth jetzt nicht mehr zu ertragen ver- mochte. Dieſer vulkaniſche Geiſt konnte ſeine vaterländiſchen Hoffnungen nicht auf die Dauer ſchweigſam in ſich verſchließen — das war ſein Charakter und alſo ſein Schickſal; er konnte das verdeckte diplomatiſche Spiel, deſſen der Staat bedurfte, nicht mit behutſamer Liſt durchführen und mußte früher oder ſpäter dem lauernden Gegner erliegen. Der Sturz des Miniſters genügte der Rachſucht Napoleons noch nicht. Am 16. December wurde durch ein kaiſerliches Decret aus Madrid le nommé Stein als ein Feind Frankreichs und des Rheinbundes geächtet und ſeine Güter eingezogen. „Sie gehören nun der Geſchichte an,“ rief Gneiſenau dem Verbannten zu. Die Nation wußte jetzt, wen unter den Deutſchen der Imperator am bitterſten haßte. Stein ertrug den Verluſt mit ge- laſſener Hoheit; ich habe, meinte er nachher gleichmüthig, mehrmals im Leben mein Gepäck verloren. Als er einſam in der Winternacht durch das Rieſengebirge fuhr, den ſchützenden Grenzen Oeſterreichs entgegen, da erhob er ſich die Seele an den Troſtworten der Schleiermacher’ſchen Predigt: was der Menſch zu fürchten habe? Unwandelbar feſt ſtand ihm der fromme Glaube, daß Gott dieſe Herrſchaft der Gewalt und der Lüge nicht dulden könne. In Oeſterreich aber wußte man mit einer ſolchen Kraft nichts an- zufangen. Kaiſer Franz glaubte der franzöſiſchen Polizei willig alle die finſteren Märchen von den Umſturzplänen der Tugendbündler, ließ den gefährlichen Jacobiner insgeheim überwachen. Nur dann und wann durfte Stein den kaiſerlichen Staatsmännern einen Rath ertheilen. In Troppau verkehrte er viel mit Pozzo di Borgo: der perſönliche Feind des Hauſes Bonaparte, den die Rachgier corſiſcher Vendetta ruhelos von Land zu Lande peitſchte, und der erſte Mann der deutſchen Nation fanden ſich zuſammen in gemeinſamem Haſſe. Drei Jahre lang blieb der Geächtete ohne politiſchen Einfluß. Es war die Zeit, da Gneiſenau die entſetzlichen Worte ſchrieb: „wir dürfen es uns nicht verhehlen, die Nation iſt ſo ſchlecht wie ihr Regiment.“ Auch Stein unterlag während dieſer Jahre des Harrens zuweilen der Verbitterung des Emigranten; er verlebte Augen- blicke da er an dem unverbeſſerlichen Phlegma der nördlichen Deutſchen verzweifelte und troſtlos ſchrieb: möge denn Preußen untergehen! So feſt wie ſein König oder Hardenberg war dieſer Reichsritter doch nicht mit dem Staate Friedrichs verwachſen, zur Noth konnte er ſich ſein verjüngtes Deutſchland auch ohne Preußen denken. Jetzt ſah er in Europa nur noch zwei große Heerlager: dort das Weltreich, hier die Freiheit der Völker; mochten alle Theilfürſten und ſelbſt die Hohenzollern verſinken, wer immer den Deutſchen die Befreiung brachte der ſollte des Reiches Krone tragen. Erſt das Frühjahr 1813 hat den heißblütigen Franken wieder ausgeſöhnt mit dem norddeutſchen Volke und ihn für immer der preußiſchen Sache gewonnen. —

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/346>, abgerufen am 22.11.2024.