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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
neue Richtung erhalten, von dieser Nation aus wolle Gott ein neues
Reich seiner Kraft und Herrlichkeit über die Welt verbreiten. Das Reise-
geld zur Romfahrt, das ihm der Fürstprimas Dalberg anbot, wies der
junge Künstler kurzerhand zurück, weil man ihm zumuthete franzö-
sischen Mustern zu folgen. Aus der vaterländischen Sagenwelt, aus Faust
und den Nibelungen entnahm er die Stoffe zu seinen ersten größeren
Werken -- eine echt deutsche Natur, ernst, tief und groß, unerschöpflich
reich an Ideen, aber hart und ungelenk in der Form, fast mehr ein
Dichter als ein Maler. Auch für ihn galt der Name poeta tacente,
womit man einst treffend die Eigenart Dürers bezeichnet hatte.

Als Cornelius endlich nach Rom kam, wuchs er bald hinaus über
das einseitige Nazarenerthum Overbecks und der Klosterbrüder von San
Isidoro, die nur in der nordischen und der älteren italienischen Kunst
das wahre Christenthum wiederfinden wollten. In seinem Geiste fanden
neben Siegfried und Faust auch die Gestalten der Ilias und der Aeneide
Raum; auch die heidnische Schönheit der Werke des Cinquecento genoß er
mit tiefem Verständniß. So hat er, unerbittlich an sich selber arbeitend und
mit jedem neuen Blatte des Nibelungencyclus wachsend und erstarkend,
den Grund gelegt für den monumentalen Stil der deutschen Malerei.
Und wie vormals die classische Dichtung, so entsprang auch diese Er-
neuerung unserer bildenden Kunst in köstlicher Freiheit, ohne jedes Zu-
thun der Höfe, gradeswegs aus den Tiefen des Volksgeistes. Erst als
die neue Richtung sich ihres Wesens und ihrer Ziele schon klar bewußt
war, sollte sie den Mäcenas finden, der ihr die Mittel bot zu großem
Schaffen. --


Einige Monate lang that Stein seinem heißen Zorne Gewalt an.
Er gewann es über sich, nachgiebig, fast unterwürfig mit den Franzosen
zu unterhandeln, da die versprochene Räumung des Landes um jeden Preis
erlangt werden mußte. Napoleon dagegen wollte den Aufenthalt seiner
Truppen ins Unabsehbare verlängern, die zu Tilsit nur halb gelungene
Vernichtung des preußischen Staates jetzt im Frieden vollenden. Schon
im November 1807 erklärte er sich bereit die Donauprovinzen an Ruß-
land zu überlassen, wenn er dafür Schlesien erhielte und dem Könige von
Preußen nur noch ein Gebiet von zwei Millionen Köpfen übrig bliebe.
Auf alle Bitten der Preußen hieß es kurzab: die gegenwärtige Lage ge-
fällt dem Kaiser, nichts drängt ihn sie zu ändern -- und wieder: der
König hat Geld genug, er braucht keine Armee, da er ja mit Niemand
Krieg führt! Daru aber meinte trocken: diese Kriegskostenrechnung sei eine
Frage der Politik, nicht der Arithmetik; im Uebrigen bleibe der Wille des
Kaisers unabänderlich wie das Fatum, auch glaube man gar nicht was
ein Land Alles aushalten könne. Vergeblich ging Prinz Wilhelm nach

I. 3. Preußens Erhebung.
neue Richtung erhalten, von dieſer Nation aus wolle Gott ein neues
Reich ſeiner Kraft und Herrlichkeit über die Welt verbreiten. Das Reiſe-
geld zur Romfahrt, das ihm der Fürſtprimas Dalberg anbot, wies der
junge Künſtler kurzerhand zurück, weil man ihm zumuthete franzö-
ſiſchen Muſtern zu folgen. Aus der vaterländiſchen Sagenwelt, aus Fauſt
und den Nibelungen entnahm er die Stoffe zu ſeinen erſten größeren
Werken — eine echt deutſche Natur, ernſt, tief und groß, unerſchöpflich
reich an Ideen, aber hart und ungelenk in der Form, faſt mehr ein
Dichter als ein Maler. Auch für ihn galt der Name poeta tacente,
womit man einſt treffend die Eigenart Dürers bezeichnet hatte.

Als Cornelius endlich nach Rom kam, wuchs er bald hinaus über
das einſeitige Nazarenerthum Overbecks und der Kloſterbrüder von San
Iſidoro, die nur in der nordiſchen und der älteren italieniſchen Kunſt
das wahre Chriſtenthum wiederfinden wollten. In ſeinem Geiſte fanden
neben Siegfried und Fauſt auch die Geſtalten der Ilias und der Aeneide
Raum; auch die heidniſche Schönheit der Werke des Cinquecento genoß er
mit tiefem Verſtändniß. So hat er, unerbittlich an ſich ſelber arbeitend und
mit jedem neuen Blatte des Nibelungencyclus wachſend und erſtarkend,
den Grund gelegt für den monumentalen Stil der deutſchen Malerei.
Und wie vormals die claſſiſche Dichtung, ſo entſprang auch dieſe Er-
neuerung unſerer bildenden Kunſt in köſtlicher Freiheit, ohne jedes Zu-
thun der Höfe, gradeswegs aus den Tiefen des Volksgeiſtes. Erſt als
die neue Richtung ſich ihres Weſens und ihrer Ziele ſchon klar bewußt
war, ſollte ſie den Mäcenas finden, der ihr die Mittel bot zu großem
Schaffen. —


Einige Monate lang that Stein ſeinem heißen Zorne Gewalt an.
Er gewann es über ſich, nachgiebig, faſt unterwürfig mit den Franzoſen
zu unterhandeln, da die verſprochene Räumung des Landes um jeden Preis
erlangt werden mußte. Napoleon dagegen wollte den Aufenthalt ſeiner
Truppen ins Unabſehbare verlängern, die zu Tilſit nur halb gelungene
Vernichtung des preußiſchen Staates jetzt im Frieden vollenden. Schon
im November 1807 erklärte er ſich bereit die Donauprovinzen an Ruß-
land zu überlaſſen, wenn er dafür Schleſien erhielte und dem Könige von
Preußen nur noch ein Gebiet von zwei Millionen Köpfen übrig bliebe.
Auf alle Bitten der Preußen hieß es kurzab: die gegenwärtige Lage ge-
fällt dem Kaiſer, nichts drängt ihn ſie zu ändern — und wieder: der
König hat Geld genug, er braucht keine Armee, da er ja mit Niemand
Krieg führt! Daru aber meinte trocken: dieſe Kriegskoſtenrechnung ſei eine
Frage der Politik, nicht der Arithmetik; im Uebrigen bleibe der Wille des
Kaiſers unabänderlich wie das Fatum, auch glaube man gar nicht was
ein Land Alles aushalten könne. Vergeblich ging Prinz Wilhelm nach

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[320/0336] I. 3. Preußens Erhebung. neue Richtung erhalten, von dieſer Nation aus wolle Gott ein neues Reich ſeiner Kraft und Herrlichkeit über die Welt verbreiten. Das Reiſe- geld zur Romfahrt, das ihm der Fürſtprimas Dalberg anbot, wies der junge Künſtler kurzerhand zurück, weil man ihm zumuthete franzö- ſiſchen Muſtern zu folgen. Aus der vaterländiſchen Sagenwelt, aus Fauſt und den Nibelungen entnahm er die Stoffe zu ſeinen erſten größeren Werken — eine echt deutſche Natur, ernſt, tief und groß, unerſchöpflich reich an Ideen, aber hart und ungelenk in der Form, faſt mehr ein Dichter als ein Maler. Auch für ihn galt der Name poeta tacente, womit man einſt treffend die Eigenart Dürers bezeichnet hatte. Als Cornelius endlich nach Rom kam, wuchs er bald hinaus über das einſeitige Nazarenerthum Overbecks und der Kloſterbrüder von San Iſidoro, die nur in der nordiſchen und der älteren italieniſchen Kunſt das wahre Chriſtenthum wiederfinden wollten. In ſeinem Geiſte fanden neben Siegfried und Fauſt auch die Geſtalten der Ilias und der Aeneide Raum; auch die heidniſche Schönheit der Werke des Cinquecento genoß er mit tiefem Verſtändniß. So hat er, unerbittlich an ſich ſelber arbeitend und mit jedem neuen Blatte des Nibelungencyclus wachſend und erſtarkend, den Grund gelegt für den monumentalen Stil der deutſchen Malerei. Und wie vormals die claſſiſche Dichtung, ſo entſprang auch dieſe Er- neuerung unſerer bildenden Kunſt in köſtlicher Freiheit, ohne jedes Zu- thun der Höfe, gradeswegs aus den Tiefen des Volksgeiſtes. Erſt als die neue Richtung ſich ihres Weſens und ihrer Ziele ſchon klar bewußt war, ſollte ſie den Mäcenas finden, der ihr die Mittel bot zu großem Schaffen. — Einige Monate lang that Stein ſeinem heißen Zorne Gewalt an. Er gewann es über ſich, nachgiebig, faſt unterwürfig mit den Franzoſen zu unterhandeln, da die verſprochene Räumung des Landes um jeden Preis erlangt werden mußte. Napoleon dagegen wollte den Aufenthalt ſeiner Truppen ins Unabſehbare verlängern, die zu Tilſit nur halb gelungene Vernichtung des preußiſchen Staates jetzt im Frieden vollenden. Schon im November 1807 erklärte er ſich bereit die Donauprovinzen an Ruß- land zu überlaſſen, wenn er dafür Schleſien erhielte und dem Könige von Preußen nur noch ein Gebiet von zwei Millionen Köpfen übrig bliebe. Auf alle Bitten der Preußen hieß es kurzab: die gegenwärtige Lage ge- fällt dem Kaiſer, nichts drängt ihn ſie zu ändern — und wieder: der König hat Geld genug, er braucht keine Armee, da er ja mit Niemand Krieg führt! Daru aber meinte trocken: dieſe Kriegskoſtenrechnung ſei eine Frage der Politik, nicht der Arithmetik; im Uebrigen bleibe der Wille des Kaiſers unabänderlich wie das Fatum, auch glaube man gar nicht was ein Land Alles aushalten könne. Vergeblich ging Prinz Wilhelm nach

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/336>, abgerufen am 05.05.2024.