Treiben einen neuen Aufschwung; man unterstützte deutsche Offiziere, die in russischen Dienst treten wollten, man verbreitete im Rücken der großen Armee die Nachrichten von ihren Niederlagen, fing auch wohl einmal einen französischen Courier ab. Doch im Ganzen war der augenblickliche Erfolg unerheblich; um so stärker, und keineswegs erfreulich, die Nachwirkung. Jenes phantastische Wesen, das dem jungen Deutschthum von Haus aus eigen war, gewann durch die Geheimbünde neue Nahrung. Ein Theil der Jugend gewöhnte sich mit dem Unmöglichen zu spielen, die harten That- sachen der gegebenen Machtverhältnisse zu mißachten, und setzte dann nach dem glücklich erkämpften Frieden ein Treiben fort, das allein in dem Drucke der Fremdherrschaft seine Rechtfertigung gefunden hatte. Die Re- gierungen andererseits wurden, als späterhin das Mißtrauen gegen die befreiten Völker erwachte, durch die Erinnerung an jene Zeit der Gährung in ihrer kleinlichen Angst bestärkt.
Genug, der preußische Staat blieb auch in dieser Bedrängniß seinem monarchischen Charakter treu. Was auch Einzelne auf eigene Faust für die Befreiung des Vaterlandes planen mochten, ihre verwegensten Hoff- nungen gingen doch nur darauf, den Monarchen mit sich fortzureißen, sie gedachten für den König, wenn auch ohne seinen Befehl zu kämpfen. Das treue Volk aber konnte zu den Versuchen eigenmächtiger Schilder- hebung niemals Vertrauen fassen; der Aufstand gelang erst als der König selbst die Seinen zu den Waffen rief. Die Unfreiheit, die im Wesen jedes Geheimbundes liegt, sagte dem trotzigen Selbstgefühle der Deutschen nicht zu. Grade die Besten und Stärksten wollten sich nicht also selber die Hände binden, sie sagten wie Gneisenau: "mein Bund ist ein anderer, ohne Zeichen, ohne Mysterien, Gleichgesinntheit mit Allen, die ein fremdes Joch nicht ertragen wollen." Ungleich mächtiger als die Thätigkeit der geheimen Vereine war jene große Verschwörung unter freiem Himmel, die überall wo treue Preußen wohnten ihre Fäden schlang. Wer verzagen wollte, fand überall einen Tröster, der ihn mahnte zu harren auf die Er- füllung der Zeiten. Niemand aber im ganzen Lande sah dem Tage der Entscheidung mit so unerschütterlicher, leuchtender Zuversicht entgegen, wie General Blücher. Der wußte großen Sinnes das Wesentliche aus der Flucht der Erscheinungen herauszufinden, die innere Schwäche und Un- möglichkeit des napoleonischen Weltreichs stand ihm außer allem Zweifel. Zaghafte Gemüther hielten ihn für toll, als er in seiner derben Weise über den Herrscher der Welt kurzab sagte: "laßt ihn machen, er ist doch ein dummer Kerl!"
In der alten Zeit des geistigen Schwelgens konnte ein feingebildeter Berliner nicht leicht auf den Gedanken kommen, daß es Pflicht sei die Genüsse der reizvollen geistsprühenden Geselligkeit dahinzugeben für die Rettung des in langweiliger Steifheit erstarrten Staates. Jetzt fühlten Alle, daß der Reichthum der Bildung Keinem den Frieden der Seele
I. 3. Preußens Erhebung.
Treiben einen neuen Aufſchwung; man unterſtützte deutſche Offiziere, die in ruſſiſchen Dienſt treten wollten, man verbreitete im Rücken der großen Armee die Nachrichten von ihren Niederlagen, fing auch wohl einmal einen franzöſiſchen Courier ab. Doch im Ganzen war der augenblickliche Erfolg unerheblich; um ſo ſtärker, und keineswegs erfreulich, die Nachwirkung. Jenes phantaſtiſche Weſen, das dem jungen Deutſchthum von Haus aus eigen war, gewann durch die Geheimbünde neue Nahrung. Ein Theil der Jugend gewöhnte ſich mit dem Unmöglichen zu ſpielen, die harten That- ſachen der gegebenen Machtverhältniſſe zu mißachten, und ſetzte dann nach dem glücklich erkämpften Frieden ein Treiben fort, das allein in dem Drucke der Fremdherrſchaft ſeine Rechtfertigung gefunden hatte. Die Re- gierungen andererſeits wurden, als ſpäterhin das Mißtrauen gegen die befreiten Völker erwachte, durch die Erinnerung an jene Zeit der Gährung in ihrer kleinlichen Angſt beſtärkt.
Genug, der preußiſche Staat blieb auch in dieſer Bedrängniß ſeinem monarchiſchen Charakter treu. Was auch Einzelne auf eigene Fauſt für die Befreiung des Vaterlandes planen mochten, ihre verwegenſten Hoff- nungen gingen doch nur darauf, den Monarchen mit ſich fortzureißen, ſie gedachten für den König, wenn auch ohne ſeinen Befehl zu kämpfen. Das treue Volk aber konnte zu den Verſuchen eigenmächtiger Schilder- hebung niemals Vertrauen faſſen; der Aufſtand gelang erſt als der König ſelbſt die Seinen zu den Waffen rief. Die Unfreiheit, die im Weſen jedes Geheimbundes liegt, ſagte dem trotzigen Selbſtgefühle der Deutſchen nicht zu. Grade die Beſten und Stärkſten wollten ſich nicht alſo ſelber die Hände binden, ſie ſagten wie Gneiſenau: „mein Bund iſt ein anderer, ohne Zeichen, ohne Myſterien, Gleichgeſinntheit mit Allen, die ein fremdes Joch nicht ertragen wollen.“ Ungleich mächtiger als die Thätigkeit der geheimen Vereine war jene große Verſchwörung unter freiem Himmel, die überall wo treue Preußen wohnten ihre Fäden ſchlang. Wer verzagen wollte, fand überall einen Tröſter, der ihn mahnte zu harren auf die Er- füllung der Zeiten. Niemand aber im ganzen Lande ſah dem Tage der Entſcheidung mit ſo unerſchütterlicher, leuchtender Zuverſicht entgegen, wie General Blücher. Der wußte großen Sinnes das Weſentliche aus der Flucht der Erſcheinungen herauszufinden, die innere Schwäche und Un- möglichkeit des napoleoniſchen Weltreichs ſtand ihm außer allem Zweifel. Zaghafte Gemüther hielten ihn für toll, als er in ſeiner derben Weiſe über den Herrſcher der Welt kurzab ſagte: „laßt ihn machen, er iſt doch ein dummer Kerl!“
In der alten Zeit des geiſtigen Schwelgens konnte ein feingebildeter Berliner nicht leicht auf den Gedanken kommen, daß es Pflicht ſei die Genüſſe der reizvollen geiſtſprühenden Geſelligkeit dahinzugeben für die Rettung des in langweiliger Steifheit erſtarrten Staates. Jetzt fühlten Alle, daß der Reichthum der Bildung Keinem den Frieden der Seele
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I. 3. Preußens Erhebung.
Treiben einen neuen Aufſchwung; man unterſtützte deutſche Offiziere, die
in ruſſiſchen Dienſt treten wollten, man verbreitete im Rücken der großen
Armee die Nachrichten von ihren Niederlagen, fing auch wohl einmal einen
franzöſiſchen Courier ab. Doch im Ganzen war der augenblickliche Erfolg
unerheblich; um ſo ſtärker, und keineswegs erfreulich, die Nachwirkung.
Jenes phantaſtiſche Weſen, das dem jungen Deutſchthum von Haus aus
eigen war, gewann durch die Geheimbünde neue Nahrung. Ein Theil der
Jugend gewöhnte ſich mit dem Unmöglichen zu ſpielen, die harten That-
ſachen der gegebenen Machtverhältniſſe zu mißachten, und ſetzte dann nach
dem glücklich erkämpften Frieden ein Treiben fort, das allein in dem
Drucke der Fremdherrſchaft ſeine Rechtfertigung gefunden hatte. Die Re-
gierungen andererſeits wurden, als ſpäterhin das Mißtrauen gegen die
befreiten Völker erwachte, durch die Erinnerung an jene Zeit der Gährung
in ihrer kleinlichen Angſt beſtärkt.
Genug, der preußiſche Staat blieb auch in dieſer Bedrängniß ſeinem
monarchiſchen Charakter treu. Was auch Einzelne auf eigene Fauſt für
die Befreiung des Vaterlandes planen mochten, ihre verwegenſten Hoff-
nungen gingen doch nur darauf, den Monarchen mit ſich fortzureißen,
ſie gedachten für den König, wenn auch ohne ſeinen Befehl zu kämpfen.
Das treue Volk aber konnte zu den Verſuchen eigenmächtiger Schilder-
hebung niemals Vertrauen faſſen; der Aufſtand gelang erſt als der König
ſelbſt die Seinen zu den Waffen rief. Die Unfreiheit, die im Weſen
jedes Geheimbundes liegt, ſagte dem trotzigen Selbſtgefühle der Deutſchen
nicht zu. Grade die Beſten und Stärkſten wollten ſich nicht alſo ſelber
die Hände binden, ſie ſagten wie Gneiſenau: „mein Bund iſt ein anderer,
ohne Zeichen, ohne Myſterien, Gleichgeſinntheit mit Allen, die ein fremdes
Joch nicht ertragen wollen.“ Ungleich mächtiger als die Thätigkeit der
geheimen Vereine war jene große Verſchwörung unter freiem Himmel,
die überall wo treue Preußen wohnten ihre Fäden ſchlang. Wer verzagen
wollte, fand überall einen Tröſter, der ihn mahnte zu harren auf die Er-
füllung der Zeiten. Niemand aber im ganzen Lande ſah dem Tage der
Entſcheidung mit ſo unerſchütterlicher, leuchtender Zuverſicht entgegen,
wie General Blücher. Der wußte großen Sinnes das Weſentliche aus der
Flucht der Erſcheinungen herauszufinden, die innere Schwäche und Un-
möglichkeit des napoleoniſchen Weltreichs ſtand ihm außer allem Zweifel.
Zaghafte Gemüther hielten ihn für toll, als er in ſeiner derben Weiſe
über den Herrſcher der Welt kurzab ſagte: „laßt ihn machen, er iſt doch
ein dummer Kerl!“
In der alten Zeit des geiſtigen Schwelgens konnte ein feingebildeter
Berliner nicht leicht auf den Gedanken kommen, daß es Pflicht ſei die
Genüſſe der reizvollen geiſtſprühenden Geſelligkeit dahinzugeben für die
Rettung des in langweiliger Steifheit erſtarrten Staates. Jetzt fühlten
Alle, daß der Reichthum der Bildung Keinem den Frieden der Seele
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/320>, abgerufen am 22.11.2024.
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