Die Zeit lag im Fieber. Es war ein ewiges geheimnißvolles Kommen und Gehen unter den Patrioten; sie zogen verkleidet umher, sammelten Nachrichten über die Stellungen des Feindes, über die Stärke der festen Plätze; auch der Offenherzige mußte lernen mit sympathetischer Tinte zu schreiben, unter falschem Namen zu reisen. Wie hatte sich doch die stille norddeutsche Welt verwandelt, welche Wildheit dämonischer Leidenschaft flammte jetzt in den vormals so friedlichen Herzen! Die ganze neue Ord- nung der Dinge stand auf zwei Augen; unwillkürlich ward der Gedanke laut, ob diese sich denn niemals schließen sollten? Die treue Gräfin Voß flehte im stillen Kämmerlein zu ihrem Gott, er möge diesen Mann des Unheils von der Erde hinwegnehmen. Unter den jungen Leuten im Magde- burgischen, den Freunden Immermanns, war die Frage, wie man wohl den Corsen aus dem Wege räumen könne, ein gewöhnlicher Gegenstand des Gesprächs, und Keiner fand ein Arges daran. Schwerere Naturen ergriffen den unheimlichen Gedanken mit grimmigem Ernst; Heinrich Kleist trug ihn monatelang mit sich herum in seiner umnachteten Seele. Nach- her lernte Napoleon mit Entsetzen aus dem Mordanfalle des unglücklichen Staps, wie tief sich der Haß selbst in fromme, schlichte Gemüther einge- fressen. Natürlich daß sich auch die akademische Jugend auf ihre Art an den verbotenen Vereinen betheiligte. Schon vor der Katastrophe von Jena bildeten Marburger Studenten, unter dem Eindrucke der Ermordung Palms, einen geheimen Bund zur Wahrung deutscher Art und Freiheit. Der berühmteste aber unter jenen Geheimbünden, mit dessen Namen die Franzosen alle anderen zu bezeichnen pflegten, der Königsberger Tugendbund, zählte nie mehr als etwa 350 Mitglieder, darunter nur vier Berliner. Einige wohlmeinende, aber wenig einflußreiche Patrioten, wie Bärsch, Lehmann, Mosqua und der junge Jurist Bardeleben, hatten ihn mit Erlaubniß des Königs gestiftet um den sittlichen und vaterlän- dischen Sinn zu beleben und lösten ihn sofort gehorsam wieder auf als nach dem Abzuge der Franzosen die rechtmäßige Staatsgewalt zurückkehrte und das alte Verbot der geheimen Gesellschaften wieder einschärfte. Weder Stein noch Scharnhorst gehörten ihm an, und von ihren nahen Freunden nur zwei, Grolmann und Boyen.
Ueberhaupt blieb die Wirksamkeit der Geheimbünde weit geringer als die geängsteten Franzosen annahmen, die sich den Sturz der napoleonischen Herrschaft nur aus dem Walten geheimnißvoller Mächte erklären konnten. Mancher wackere Mann wurde durch dies Vereinsleben für die vater- ländische Sache gewonnen; einige der Besten aus der jungen Generation, die späterhin an die Spitze der Verwaltung traten, Eichhorn, Merckel, Ingersleben sind durch diese Schule gegangen. Scharnhorst, der Alles sah und Alles wußte, betraute dann und wann einzelne der Verschworenen mit gefährlichen Aufträgen, wenn es etwa galt einen Waffentransport über die Grenze zu schaffen. Im Jahre 1812 nahm das stillgeschäftige
Die Geheimbünde.
Die Zeit lag im Fieber. Es war ein ewiges geheimnißvolles Kommen und Gehen unter den Patrioten; ſie zogen verkleidet umher, ſammelten Nachrichten über die Stellungen des Feindes, über die Stärke der feſten Plätze; auch der Offenherzige mußte lernen mit ſympathetiſcher Tinte zu ſchreiben, unter falſchem Namen zu reiſen. Wie hatte ſich doch die ſtille norddeutſche Welt verwandelt, welche Wildheit dämoniſcher Leidenſchaft flammte jetzt in den vormals ſo friedlichen Herzen! Die ganze neue Ord- nung der Dinge ſtand auf zwei Augen; unwillkürlich ward der Gedanke laut, ob dieſe ſich denn niemals ſchließen ſollten? Die treue Gräfin Voß flehte im ſtillen Kämmerlein zu ihrem Gott, er möge dieſen Mann des Unheils von der Erde hinwegnehmen. Unter den jungen Leuten im Magde- burgiſchen, den Freunden Immermanns, war die Frage, wie man wohl den Corſen aus dem Wege räumen könne, ein gewöhnlicher Gegenſtand des Geſprächs, und Keiner fand ein Arges daran. Schwerere Naturen ergriffen den unheimlichen Gedanken mit grimmigem Ernſt; Heinrich Kleiſt trug ihn monatelang mit ſich herum in ſeiner umnachteten Seele. Nach- her lernte Napoleon mit Entſetzen aus dem Mordanfalle des unglücklichen Staps, wie tief ſich der Haß ſelbſt in fromme, ſchlichte Gemüther einge- freſſen. Natürlich daß ſich auch die akademiſche Jugend auf ihre Art an den verbotenen Vereinen betheiligte. Schon vor der Kataſtrophe von Jena bildeten Marburger Studenten, unter dem Eindrucke der Ermordung Palms, einen geheimen Bund zur Wahrung deutſcher Art und Freiheit. Der berühmteſte aber unter jenen Geheimbünden, mit deſſen Namen die Franzoſen alle anderen zu bezeichnen pflegten, der Königsberger Tugendbund, zählte nie mehr als etwa 350 Mitglieder, darunter nur vier Berliner. Einige wohlmeinende, aber wenig einflußreiche Patrioten, wie Bärſch, Lehmann, Mosqua und der junge Juriſt Bardeleben, hatten ihn mit Erlaubniß des Königs geſtiftet um den ſittlichen und vaterlän- diſchen Sinn zu beleben und löſten ihn ſofort gehorſam wieder auf als nach dem Abzuge der Franzoſen die rechtmäßige Staatsgewalt zurückkehrte und das alte Verbot der geheimen Geſellſchaften wieder einſchärfte. Weder Stein noch Scharnhorſt gehörten ihm an, und von ihren nahen Freunden nur zwei, Grolmann und Boyen.
Ueberhaupt blieb die Wirkſamkeit der Geheimbünde weit geringer als die geängſteten Franzoſen annahmen, die ſich den Sturz der napoleoniſchen Herrſchaft nur aus dem Walten geheimnißvoller Mächte erklären konnten. Mancher wackere Mann wurde durch dies Vereinsleben für die vater- ländiſche Sache gewonnen; einige der Beſten aus der jungen Generation, die ſpäterhin an die Spitze der Verwaltung traten, Eichhorn, Merckel, Ingersleben ſind durch dieſe Schule gegangen. Scharnhorſt, der Alles ſah und Alles wußte, betraute dann und wann einzelne der Verſchworenen mit gefährlichen Aufträgen, wenn es etwa galt einen Waffentransport über die Grenze zu ſchaffen. Im Jahre 1812 nahm das ſtillgeſchäftige
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Die Geheimbünde.
Die Zeit lag im Fieber. Es war ein ewiges geheimnißvolles Kommen
und Gehen unter den Patrioten; ſie zogen verkleidet umher, ſammelten
Nachrichten über die Stellungen des Feindes, über die Stärke der feſten
Plätze; auch der Offenherzige mußte lernen mit ſympathetiſcher Tinte zu
ſchreiben, unter falſchem Namen zu reiſen. Wie hatte ſich doch die ſtille
norddeutſche Welt verwandelt, welche Wildheit dämoniſcher Leidenſchaft
flammte jetzt in den vormals ſo friedlichen Herzen! Die ganze neue Ord-
nung der Dinge ſtand auf zwei Augen; unwillkürlich ward der Gedanke
laut, ob dieſe ſich denn niemals ſchließen ſollten? Die treue Gräfin Voß
flehte im ſtillen Kämmerlein zu ihrem Gott, er möge dieſen Mann des
Unheils von der Erde hinwegnehmen. Unter den jungen Leuten im Magde-
burgiſchen, den Freunden Immermanns, war die Frage, wie man wohl
den Corſen aus dem Wege räumen könne, ein gewöhnlicher Gegenſtand
des Geſprächs, und Keiner fand ein Arges daran. Schwerere Naturen
ergriffen den unheimlichen Gedanken mit grimmigem Ernſt; Heinrich Kleiſt
trug ihn monatelang mit ſich herum in ſeiner umnachteten Seele. Nach-
her lernte Napoleon mit Entſetzen aus dem Mordanfalle des unglücklichen
Staps, wie tief ſich der Haß ſelbſt in fromme, ſchlichte Gemüther einge-
freſſen. Natürlich daß ſich auch die akademiſche Jugend auf ihre Art an
den verbotenen Vereinen betheiligte. Schon vor der Kataſtrophe von Jena
bildeten Marburger Studenten, unter dem Eindrucke der Ermordung
Palms, einen geheimen Bund zur Wahrung deutſcher Art und Freiheit.
Der berühmteſte aber unter jenen Geheimbünden, mit deſſen Namen
die Franzoſen alle anderen zu bezeichnen pflegten, der Königsberger
Tugendbund, zählte nie mehr als etwa 350 Mitglieder, darunter nur
vier Berliner. Einige wohlmeinende, aber wenig einflußreiche Patrioten,
wie Bärſch, Lehmann, Mosqua und der junge Juriſt Bardeleben, hatten
ihn mit Erlaubniß des Königs geſtiftet um den ſittlichen und vaterlän-
diſchen Sinn zu beleben und löſten ihn ſofort gehorſam wieder auf als
nach dem Abzuge der Franzoſen die rechtmäßige Staatsgewalt zurückkehrte
und das alte Verbot der geheimen Geſellſchaften wieder einſchärfte. Weder
Stein noch Scharnhorſt gehörten ihm an, und von ihren nahen Freunden
nur zwei, Grolmann und Boyen.
Ueberhaupt blieb die Wirkſamkeit der Geheimbünde weit geringer als
die geängſteten Franzoſen annahmen, die ſich den Sturz der napoleoniſchen
Herrſchaft nur aus dem Walten geheimnißvoller Mächte erklären konnten.
Mancher wackere Mann wurde durch dies Vereinsleben für die vater-
ländiſche Sache gewonnen; einige der Beſten aus der jungen Generation,
die ſpäterhin an die Spitze der Verwaltung traten, Eichhorn, Merckel,
Ingersleben ſind durch dieſe Schule gegangen. Scharnhorſt, der Alles
ſah und Alles wußte, betraute dann und wann einzelne der Verſchworenen
mit gefährlichen Aufträgen, wenn es etwa galt einen Waffentransport
über die Grenze zu ſchaffen. Im Jahre 1812 nahm das ſtillgeſchäftige
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/319>, abgerufen am 22.11.2024.
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