Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite
I. 3. Preußens Erhebung.

Dem Könige war die gleichmäßige Ruhe des Generals behaglicher als
Steins aufregendes und aufgeregtes Wesen; Keiner unter seinen Räthen
stand ihm so nahe. Scharnhorst erwiderte das Vertrauen seines könig-
lichen Freundes mit unbedingter Hingebung; er fand es niedrig, jetzt noch
vergangener Fehler zu gedenken, er bewunderte die Seelenstärke des un-
glücklichen Monarchen und hat in seiner Treue nie geschwankt, auch dann
nicht, als manche seiner Freunde in ihrer patriotischen Ungeduld an dem
bedachtsamen Fürsten irr wurden. Ein echter Niederdeutscher, war er
schamhaften Gemüthes, still und verschlossen von Natur; das Lob klang
ihm fast wie eine Beleidigung, ein zärtliches Wort wie eine Entweihung
der Freundschaft. Nun führte ihn das Leben einen rauhen Weg, immer
zwischen Feinden hindurch; in Hannover hatte der Plebejer mit der Miß-
gunst des Adels, in Preußen der Neuerer mit dem Dünkel der alten
Generale zu kämpfen. Als ihn jetzt das Vertrauen des Königs, die all-
gemeine Stimme der Armee an die Spitze des Heerwesens stellten, da
mußte er fünf Jahre lang das finstre Handwerk des Verschwörers treiben,
unter den Augen des Feindes für die Befreiung rüsten. So lernte er
jedes Wort und jede Miene zu beherrschen, und der einfache Mann, der
für sich selber jeden Winkelzug verschmähte, wurde um seines Landes
willen ein Meister in den Künsten der Verstellung, ein unergründlicher
Schweiger, listig und menschenkundig. Mit einem raschen forschenden
Blicke las er dem Eintretenden sofort die Hintergedanken von den Augen
ab, und galt es ein Geheimniß des Königs zu verstecken, dann wußte er mit
halben Worten Freund und Feind auf die falsche Fährte zu locken. Die
Offiziere sagten wohl, seine Seele sei so faltenreich wie sein Gesicht; er
gemahnte sie an jenen Wilhelm von Oranien, der einst in ähnlicher Lage,
still und verschlagen, den Kampf gegen das spanische Weltreich vorbereitet
hatte. Und wie der Oranier, so barg auch Scharnhorst in verschlossener
Brust die hohe Leidenschaft, die Kampflust des Helden; sie hatte ihm
während des jüngsten Krieges die Freundschaft des thatenfrohen Blücher
erworben. Er kannte die Furcht nicht, er wollte nicht wissen, wie sinn-
bethörend die Angst nach einer Niederlage wirken kann; in den Kriegs-
gerichten war sein Urtheilsspruch immer der strengste, schonungslos hart
gegen Zagheit und Untreue. Niemand vielleicht hat die Bitterniß jener
Zeit in so verzehrenden Qualen empfunden wie dieser Schweigsame; Tag
und Nacht folterte ihn der Gedanke an die Schande seines Landes. Alle
nahten ihm mit Ehrfurcht, denn sie fühlten unwillkürlich, daß er die Zu-
kunft des Heeres in seinem Haupte trage.

Unter den Männern, die ihm bei der Reorganisation des Heeres
zur Hand gingen, sind Vier gleichsam die Erben seines Geistes geworden,
so daß Jeder einen Theil von der umfassenden Begabung des Meisters
überkam: die Feldherrennaturen Gneisenau und Grolmann, der Organi-
sator Boyen, der Gelehrte Clausewitz -- alle Vier, wie Scharnhorst selber,

I. 3. Preußens Erhebung.

Dem Könige war die gleichmäßige Ruhe des Generals behaglicher als
Steins aufregendes und aufgeregtes Weſen; Keiner unter ſeinen Räthen
ſtand ihm ſo nahe. Scharnhorſt erwiderte das Vertrauen ſeines könig-
lichen Freundes mit unbedingter Hingebung; er fand es niedrig, jetzt noch
vergangener Fehler zu gedenken, er bewunderte die Seelenſtärke des un-
glücklichen Monarchen und hat in ſeiner Treue nie geſchwankt, auch dann
nicht, als manche ſeiner Freunde in ihrer patriotiſchen Ungeduld an dem
bedachtſamen Fürſten irr wurden. Ein echter Niederdeutſcher, war er
ſchamhaften Gemüthes, ſtill und verſchloſſen von Natur; das Lob klang
ihm faſt wie eine Beleidigung, ein zärtliches Wort wie eine Entweihung
der Freundſchaft. Nun führte ihn das Leben einen rauhen Weg, immer
zwiſchen Feinden hindurch; in Hannover hatte der Plebejer mit der Miß-
gunſt des Adels, in Preußen der Neuerer mit dem Dünkel der alten
Generale zu kämpfen. Als ihn jetzt das Vertrauen des Königs, die all-
gemeine Stimme der Armee an die Spitze des Heerweſens ſtellten, da
mußte er fünf Jahre lang das finſtre Handwerk des Verſchwörers treiben,
unter den Augen des Feindes für die Befreiung rüſten. So lernte er
jedes Wort und jede Miene zu beherrſchen, und der einfache Mann, der
für ſich ſelber jeden Winkelzug verſchmähte, wurde um ſeines Landes
willen ein Meiſter in den Künſten der Verſtellung, ein unergründlicher
Schweiger, liſtig und menſchenkundig. Mit einem raſchen forſchenden
Blicke las er dem Eintretenden ſofort die Hintergedanken von den Augen
ab, und galt es ein Geheimniß des Königs zu verſtecken, dann wußte er mit
halben Worten Freund und Feind auf die falſche Fährte zu locken. Die
Offiziere ſagten wohl, ſeine Seele ſei ſo faltenreich wie ſein Geſicht; er
gemahnte ſie an jenen Wilhelm von Oranien, der einſt in ähnlicher Lage,
ſtill und verſchlagen, den Kampf gegen das ſpaniſche Weltreich vorbereitet
hatte. Und wie der Oranier, ſo barg auch Scharnhorſt in verſchloſſener
Bruſt die hohe Leidenſchaft, die Kampfluſt des Helden; ſie hatte ihm
während des jüngſten Krieges die Freundſchaft des thatenfrohen Blücher
erworben. Er kannte die Furcht nicht, er wollte nicht wiſſen, wie ſinn-
bethörend die Angſt nach einer Niederlage wirken kann; in den Kriegs-
gerichten war ſein Urtheilsſpruch immer der ſtrengſte, ſchonungslos hart
gegen Zagheit und Untreue. Niemand vielleicht hat die Bitterniß jener
Zeit in ſo verzehrenden Qualen empfunden wie dieſer Schweigſame; Tag
und Nacht folterte ihn der Gedanke an die Schande ſeines Landes. Alle
nahten ihm mit Ehrfurcht, denn ſie fühlten unwillkürlich, daß er die Zu-
kunft des Heeres in ſeinem Haupte trage.

Unter den Männern, die ihm bei der Reorganiſation des Heeres
zur Hand gingen, ſind Vier gleichſam die Erben ſeines Geiſtes geworden,
ſo daß Jeder einen Theil von der umfaſſenden Begabung des Meiſters
überkam: die Feldherrennaturen Gneiſenau und Grolmann, der Organi-
ſator Boyen, der Gelehrte Clauſewitz — alle Vier, wie Scharnhorſt ſelber,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0306" n="290"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 3. Preußens Erhebung.</fw><lb/>
            <p>Dem Könige war die gleichmäßige Ruhe des Generals behaglicher als<lb/>
Steins aufregendes und aufgeregtes We&#x017F;en; Keiner unter &#x017F;einen Räthen<lb/>
&#x017F;tand ihm &#x017F;o nahe. Scharnhor&#x017F;t erwiderte das Vertrauen &#x017F;eines könig-<lb/>
lichen Freundes mit unbedingter Hingebung; er fand es niedrig, jetzt noch<lb/>
vergangener Fehler zu gedenken, er bewunderte die Seelen&#x017F;tärke des un-<lb/>
glücklichen Monarchen und hat in &#x017F;einer Treue nie ge&#x017F;chwankt, auch dann<lb/>
nicht, als manche &#x017F;einer Freunde in ihrer patrioti&#x017F;chen Ungeduld an dem<lb/>
bedacht&#x017F;amen Für&#x017F;ten irr wurden. Ein echter Niederdeut&#x017F;cher, war er<lb/>
&#x017F;chamhaften Gemüthes, &#x017F;till und ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en von Natur; das Lob klang<lb/>
ihm fa&#x017F;t wie eine Beleidigung, ein zärtliches Wort wie eine Entweihung<lb/>
der Freund&#x017F;chaft. Nun führte ihn das Leben einen rauhen Weg, immer<lb/>
zwi&#x017F;chen Feinden hindurch; in Hannover hatte der Plebejer mit der Miß-<lb/>
gun&#x017F;t des Adels, in Preußen der Neuerer mit dem Dünkel der alten<lb/>
Generale zu kämpfen. Als ihn jetzt das Vertrauen des Königs, die all-<lb/>
gemeine Stimme der Armee an die Spitze des Heerwe&#x017F;ens &#x017F;tellten, da<lb/>
mußte er fünf Jahre lang das fin&#x017F;tre Handwerk des Ver&#x017F;chwörers treiben,<lb/>
unter den Augen des Feindes für die Befreiung rü&#x017F;ten. So lernte er<lb/>
jedes Wort und jede Miene zu beherr&#x017F;chen, und der einfache Mann, der<lb/>
für &#x017F;ich &#x017F;elber jeden Winkelzug ver&#x017F;chmähte, wurde um &#x017F;eines Landes<lb/>
willen ein Mei&#x017F;ter in den Kün&#x017F;ten der Ver&#x017F;tellung, ein unergründlicher<lb/>
Schweiger, li&#x017F;tig und men&#x017F;chenkundig. Mit einem ra&#x017F;chen for&#x017F;chenden<lb/>
Blicke las er dem Eintretenden &#x017F;ofort die Hintergedanken von den Augen<lb/>
ab, und galt es ein Geheimniß des Königs zu ver&#x017F;tecken, dann wußte er mit<lb/>
halben Worten Freund und Feind auf die fal&#x017F;che Fährte zu locken. Die<lb/>
Offiziere &#x017F;agten wohl, &#x017F;eine Seele &#x017F;ei &#x017F;o faltenreich wie &#x017F;ein Ge&#x017F;icht; er<lb/>
gemahnte &#x017F;ie an jenen Wilhelm von Oranien, der ein&#x017F;t in ähnlicher Lage,<lb/>
&#x017F;till und ver&#x017F;chlagen, den Kampf gegen das &#x017F;pani&#x017F;che Weltreich vorbereitet<lb/>
hatte. Und wie der Oranier, &#x017F;o barg auch Scharnhor&#x017F;t in ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener<lb/>
Bru&#x017F;t die hohe Leiden&#x017F;chaft, die Kampflu&#x017F;t des Helden; &#x017F;ie hatte ihm<lb/>
während des jüng&#x017F;ten Krieges die Freund&#x017F;chaft des thatenfrohen Blücher<lb/>
erworben. Er kannte die Furcht nicht, er wollte nicht wi&#x017F;&#x017F;en, wie &#x017F;inn-<lb/>
bethörend die Ang&#x017F;t nach einer Niederlage wirken kann; in den Kriegs-<lb/>
gerichten war &#x017F;ein Urtheils&#x017F;pruch immer der &#x017F;treng&#x017F;te, &#x017F;chonungslos hart<lb/>
gegen Zagheit und Untreue. Niemand vielleicht hat die Bitterniß jener<lb/>
Zeit in &#x017F;o verzehrenden Qualen empfunden wie die&#x017F;er Schweig&#x017F;ame; Tag<lb/>
und Nacht folterte ihn der Gedanke an die Schande &#x017F;eines Landes. Alle<lb/>
nahten ihm mit Ehrfurcht, denn &#x017F;ie fühlten unwillkürlich, daß er die Zu-<lb/>
kunft des Heeres in &#x017F;einem Haupte trage.</p><lb/>
            <p>Unter den Männern, die ihm bei der Reorgani&#x017F;ation des Heeres<lb/>
zur Hand gingen, &#x017F;ind Vier gleich&#x017F;am die Erben &#x017F;eines Gei&#x017F;tes geworden,<lb/>
&#x017F;o daß Jeder einen Theil von der umfa&#x017F;&#x017F;enden Begabung des Mei&#x017F;ters<lb/>
überkam: die Feldherrennaturen Gnei&#x017F;enau und Grolmann, der Organi-<lb/>
&#x017F;ator Boyen, der Gelehrte Clau&#x017F;ewitz &#x2014; alle Vier, wie Scharnhor&#x017F;t &#x017F;elber,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[290/0306] I. 3. Preußens Erhebung. Dem Könige war die gleichmäßige Ruhe des Generals behaglicher als Steins aufregendes und aufgeregtes Weſen; Keiner unter ſeinen Räthen ſtand ihm ſo nahe. Scharnhorſt erwiderte das Vertrauen ſeines könig- lichen Freundes mit unbedingter Hingebung; er fand es niedrig, jetzt noch vergangener Fehler zu gedenken, er bewunderte die Seelenſtärke des un- glücklichen Monarchen und hat in ſeiner Treue nie geſchwankt, auch dann nicht, als manche ſeiner Freunde in ihrer patriotiſchen Ungeduld an dem bedachtſamen Fürſten irr wurden. Ein echter Niederdeutſcher, war er ſchamhaften Gemüthes, ſtill und verſchloſſen von Natur; das Lob klang ihm faſt wie eine Beleidigung, ein zärtliches Wort wie eine Entweihung der Freundſchaft. Nun führte ihn das Leben einen rauhen Weg, immer zwiſchen Feinden hindurch; in Hannover hatte der Plebejer mit der Miß- gunſt des Adels, in Preußen der Neuerer mit dem Dünkel der alten Generale zu kämpfen. Als ihn jetzt das Vertrauen des Königs, die all- gemeine Stimme der Armee an die Spitze des Heerweſens ſtellten, da mußte er fünf Jahre lang das finſtre Handwerk des Verſchwörers treiben, unter den Augen des Feindes für die Befreiung rüſten. So lernte er jedes Wort und jede Miene zu beherrſchen, und der einfache Mann, der für ſich ſelber jeden Winkelzug verſchmähte, wurde um ſeines Landes willen ein Meiſter in den Künſten der Verſtellung, ein unergründlicher Schweiger, liſtig und menſchenkundig. Mit einem raſchen forſchenden Blicke las er dem Eintretenden ſofort die Hintergedanken von den Augen ab, und galt es ein Geheimniß des Königs zu verſtecken, dann wußte er mit halben Worten Freund und Feind auf die falſche Fährte zu locken. Die Offiziere ſagten wohl, ſeine Seele ſei ſo faltenreich wie ſein Geſicht; er gemahnte ſie an jenen Wilhelm von Oranien, der einſt in ähnlicher Lage, ſtill und verſchlagen, den Kampf gegen das ſpaniſche Weltreich vorbereitet hatte. Und wie der Oranier, ſo barg auch Scharnhorſt in verſchloſſener Bruſt die hohe Leidenſchaft, die Kampfluſt des Helden; ſie hatte ihm während des jüngſten Krieges die Freundſchaft des thatenfrohen Blücher erworben. Er kannte die Furcht nicht, er wollte nicht wiſſen, wie ſinn- bethörend die Angſt nach einer Niederlage wirken kann; in den Kriegs- gerichten war ſein Urtheilsſpruch immer der ſtrengſte, ſchonungslos hart gegen Zagheit und Untreue. Niemand vielleicht hat die Bitterniß jener Zeit in ſo verzehrenden Qualen empfunden wie dieſer Schweigſame; Tag und Nacht folterte ihn der Gedanke an die Schande ſeines Landes. Alle nahten ihm mit Ehrfurcht, denn ſie fühlten unwillkürlich, daß er die Zu- kunft des Heeres in ſeinem Haupte trage. Unter den Männern, die ihm bei der Reorganiſation des Heeres zur Hand gingen, ſind Vier gleichſam die Erben ſeines Geiſtes geworden, ſo daß Jeder einen Theil von der umfaſſenden Begabung des Meiſters überkam: die Feldherrennaturen Gneiſenau und Grolmann, der Organi- ſator Boyen, der Gelehrte Clauſewitz — alle Vier, wie Scharnhorſt ſelber,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/306
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/306>, abgerufen am 04.05.2024.