konnte durch den freien Entschluß der Krone der Uebergang von der ab- soluten Monarchie zum Repräsentativsystem vollzogen, dem preußischen Staate vielleicht ein Menschenalter tastender Versuche erspart werden. Stein baute auf die wachsende Einsicht in dem treuen, gutherzigen Volke. Die tiefe Kluft, welche die überfeinerte, weltfremde Bildung der Gelehrten von der gründlichen Roheit der Massen trennte, entging seinem Blicke nicht; er dachte sie zu überbrücken durch die Neugestaltung des Unter- richtswesens, und nur sein plötzlicher Sturz ließ diese Pläne nicht zur Reife kommen. Daß auch dieser Zweig der inneren Verwaltung seinem freien, umfassenden Geiste nicht fremd war, hatte er schon vor Jahren in Münster bewiesen, als er dort den Jesuitismus auf der Hochschule be- kämpfte und an der erstarrten Universität ein neues Leben erweckte. --
Hand in Hand mit der Verwaltungsreform ging die Neugestaltung des Heeres, ebenfalls unter Steins persönlicher Theilnahme. Der König selbst gab den ersten Anstoß. Auf diesem seinem eigensten Gebiete behielt er immer die unmittelbare Leitung in der Hand, zeigte stets treffendes Urtheil und eindringende Sachkenntniß. Schon im Juli 1807 berief er Scharnhorst zum Vorsitzenden einer Commission für die Reorganisation der Armee und legte ihr eine eigenhändige Denkschrift vor, worin er alle die wunden Stellen des Heerwesens mit sicherem Griffe heraushob, die Mittel der Heilung richtig angab. Zu Scharnhorst aber gesellte sich eine Schaar jüngerer Talente, die, wie er, der gesammten geistigen Arbeit der Zeit mit lebendigem Verständniß folgten, staatsmännische Köpfe, die das Heer als eine Schule des Volks, die Kriegskunde als einen Zweig der Politik betrachteten. Ihr stilles Wirken hat nicht nur die Waffen geschliffen für den Kampf der Befreiung, sondern auch die preußische Armee wieder in Einklang ge- bracht mit der neuen Cultur, dem deutschen Heerwesen für alle Zukunft den Charakter ernster Bildung, geistiger Frische und Rührigkeit aufgeprägt.
Eine merkwürdige, instinctive Uebereinstimmung der sittlichen und politischen Ueberzeugungen verband diese Offiziere von Haus aus mit dem leitenden Staatsmanne. Klang es doch wie ein Bekenntniß aus Steins eignem Munde, wenn Gneisenau, gegenüber den Menschenrechten der Franzosen, die Mäßigung anrief: "begeist're Du das menschliche Geschlecht für seine Pflicht zuerst, dann für sein Recht!" Wie der Schüler Adam Smiths den Grundsatz der Arbeitstheilung nicht unbedingt auf die Staats- verwaltung anwenden wollte, sondern die Geschäftsgewandtheit des Berufs- beamtenthums geringer schätzte als die in der Selbstverwaltung bewährte Mündigkeit des Volks, so lebten auch diese militärischen Fachmänner des Glaubens, daß im Kriege zuletzt die sittlichen Mächte entscheiden. Wie hoch sie den Werth der gründlichen technischen Ausbildung anschlugen, höher stand ihnen doch, nach Scharnhorsts Worten, die innige Verbindung der Armee mit der Nation. Auch ihnen, wie dem Minister, galt als der Eckstein aller Freiheit das alte deutsche: selbst ist der Mann! "Man muß
I. 3. Preußens Erhebung.
konnte durch den freien Entſchluß der Krone der Uebergang von der ab- ſoluten Monarchie zum Repräſentativſyſtem vollzogen, dem preußiſchen Staate vielleicht ein Menſchenalter taſtender Verſuche erſpart werden. Stein baute auf die wachſende Einſicht in dem treuen, gutherzigen Volke. Die tiefe Kluft, welche die überfeinerte, weltfremde Bildung der Gelehrten von der gründlichen Roheit der Maſſen trennte, entging ſeinem Blicke nicht; er dachte ſie zu überbrücken durch die Neugeſtaltung des Unter- richtsweſens, und nur ſein plötzlicher Sturz ließ dieſe Pläne nicht zur Reife kommen. Daß auch dieſer Zweig der inneren Verwaltung ſeinem freien, umfaſſenden Geiſte nicht fremd war, hatte er ſchon vor Jahren in Münſter bewieſen, als er dort den Jeſuitismus auf der Hochſchule be- kämpfte und an der erſtarrten Univerſität ein neues Leben erweckte. —
Hand in Hand mit der Verwaltungsreform ging die Neugeſtaltung des Heeres, ebenfalls unter Steins perſönlicher Theilnahme. Der König ſelbſt gab den erſten Anſtoß. Auf dieſem ſeinem eigenſten Gebiete behielt er immer die unmittelbare Leitung in der Hand, zeigte ſtets treffendes Urtheil und eindringende Sachkenntniß. Schon im Juli 1807 berief er Scharnhorſt zum Vorſitzenden einer Commiſſion für die Reorganiſation der Armee und legte ihr eine eigenhändige Denkſchrift vor, worin er alle die wunden Stellen des Heerweſens mit ſicherem Griffe heraushob, die Mittel der Heilung richtig angab. Zu Scharnhorſt aber geſellte ſich eine Schaar jüngerer Talente, die, wie er, der geſammten geiſtigen Arbeit der Zeit mit lebendigem Verſtändniß folgten, ſtaatsmänniſche Köpfe, die das Heer als eine Schule des Volks, die Kriegskunde als einen Zweig der Politik betrachteten. Ihr ſtilles Wirken hat nicht nur die Waffen geſchliffen für den Kampf der Befreiung, ſondern auch die preußiſche Armee wieder in Einklang ge- bracht mit der neuen Cultur, dem deutſchen Heerweſen für alle Zukunft den Charakter ernſter Bildung, geiſtiger Friſche und Rührigkeit aufgeprägt.
Eine merkwürdige, inſtinctive Uebereinſtimmung der ſittlichen und politiſchen Ueberzeugungen verband dieſe Offiziere von Haus aus mit dem leitenden Staatsmanne. Klang es doch wie ein Bekenntniß aus Steins eignem Munde, wenn Gneiſenau, gegenüber den Menſchenrechten der Franzoſen, die Mäßigung anrief: „begeiſt’re Du das menſchliche Geſchlecht für ſeine Pflicht zuerſt, dann für ſein Recht!“ Wie der Schüler Adam Smiths den Grundſatz der Arbeitstheilung nicht unbedingt auf die Staats- verwaltung anwenden wollte, ſondern die Geſchäftsgewandtheit des Berufs- beamtenthums geringer ſchätzte als die in der Selbſtverwaltung bewährte Mündigkeit des Volks, ſo lebten auch dieſe militäriſchen Fachmänner des Glaubens, daß im Kriege zuletzt die ſittlichen Mächte entſcheiden. Wie hoch ſie den Werth der gründlichen techniſchen Ausbildung anſchlugen, höher ſtand ihnen doch, nach Scharnhorſts Worten, die innige Verbindung der Armee mit der Nation. Auch ihnen, wie dem Miniſter, galt als der Eckſtein aller Freiheit das alte deutſche: ſelbſt iſt der Mann! „Man muß
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konnte durch den freien Entſchluß der Krone der Uebergang von der ab-
ſoluten Monarchie zum Repräſentativſyſtem vollzogen, dem preußiſchen
Staate vielleicht ein Menſchenalter taſtender Verſuche erſpart werden.
Stein baute auf die wachſende Einſicht in dem treuen, gutherzigen Volke.
Die tiefe Kluft, welche die überfeinerte, weltfremde Bildung der Gelehrten
von der gründlichen Roheit der Maſſen trennte, entging ſeinem Blicke
nicht; er dachte ſie zu überbrücken durch die Neugeſtaltung des Unter-
richtsweſens, und nur ſein plötzlicher Sturz ließ dieſe Pläne nicht zur
Reife kommen. Daß auch dieſer Zweig der inneren Verwaltung ſeinem
freien, umfaſſenden Geiſte nicht fremd war, hatte er ſchon vor Jahren
in Münſter bewieſen, als er dort den Jeſuitismus auf der Hochſchule be-
kämpfte und an der erſtarrten Univerſität ein neues Leben erweckte. —
Hand in Hand mit der Verwaltungsreform ging die Neugeſtaltung
des Heeres, ebenfalls unter Steins perſönlicher Theilnahme. Der König
ſelbſt gab den erſten Anſtoß. Auf dieſem ſeinem eigenſten Gebiete behielt
er immer die unmittelbare Leitung in der Hand, zeigte ſtets treffendes
Urtheil und eindringende Sachkenntniß. Schon im Juli 1807 berief er
Scharnhorſt zum Vorſitzenden einer Commiſſion für die Reorganiſation
der Armee und legte ihr eine eigenhändige Denkſchrift vor, worin er alle die
wunden Stellen des Heerweſens mit ſicherem Griffe heraushob, die Mittel
der Heilung richtig angab. Zu Scharnhorſt aber geſellte ſich eine Schaar
jüngerer Talente, die, wie er, der geſammten geiſtigen Arbeit der Zeit mit
lebendigem Verſtändniß folgten, ſtaatsmänniſche Köpfe, die das Heer als eine
Schule des Volks, die Kriegskunde als einen Zweig der Politik betrachteten.
Ihr ſtilles Wirken hat nicht nur die Waffen geſchliffen für den Kampf
der Befreiung, ſondern auch die preußiſche Armee wieder in Einklang ge-
bracht mit der neuen Cultur, dem deutſchen Heerweſen für alle Zukunft
den Charakter ernſter Bildung, geiſtiger Friſche und Rührigkeit aufgeprägt.
Eine merkwürdige, inſtinctive Uebereinſtimmung der ſittlichen und
politiſchen Ueberzeugungen verband dieſe Offiziere von Haus aus mit dem
leitenden Staatsmanne. Klang es doch wie ein Bekenntniß aus Steins
eignem Munde, wenn Gneiſenau, gegenüber den Menſchenrechten der
Franzoſen, die Mäßigung anrief: „begeiſt’re Du das menſchliche Geſchlecht
für ſeine Pflicht zuerſt, dann für ſein Recht!“ Wie der Schüler Adam
Smiths den Grundſatz der Arbeitstheilung nicht unbedingt auf die Staats-
verwaltung anwenden wollte, ſondern die Geſchäftsgewandtheit des Berufs-
beamtenthums geringer ſchätzte als die in der Selbſtverwaltung bewährte
Mündigkeit des Volks, ſo lebten auch dieſe militäriſchen Fachmänner des
Glaubens, daß im Kriege zuletzt die ſittlichen Mächte entſcheiden. Wie hoch
ſie den Werth der gründlichen techniſchen Ausbildung anſchlugen, höher
ſtand ihnen doch, nach Scharnhorſts Worten, die innige Verbindung der
Armee mit der Nation. Auch ihnen, wie dem Miniſter, galt als der
Eckſtein aller Freiheit das alte deutſche: ſelbſt iſt der Mann! „Man muß
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/304>, abgerufen am 22.11.2024.
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