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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Schlacht von Eylau.
waren die Nachwirkungen eines Jahrzehntes der Schwäche und der Halb-
heit nicht zu überwinden. Wohl ergingen scharfe Mahnungen an die
Truppen, strenge Strafen gegen die pflichtvergessenen Festungscomman-
danten. Die kleine Armee Lestocqs zeigte eine musterhafte Haltung, und
Scharnhorst beseitigte bereits in diesem Winterfeldzuge thatsächlich die
schwerfällige alte Lineartaktik, leitete die Bewegungen des Heeres nach den
Grundsätzen der neuen kühneren Kriegsführung, welche der König selbst in
einer eingehenden Instruction seinen Offizieren eingeschärft hatte. Aber die
Ausrüstung der neunzehn Reservebataillone ging so langsam von statten,
daß keines mehr im Felde zur Verwendung kam. Ein von dem Könige
bereits unterschriebener Aufruf zur allgemeinen Volksbewaffnung blieb
liegen, weil die treuen Stände Ostpreußens dringend vorstellten: der Adel
könne nur in der königlichen Armee, nimmermehr in einem Landsturme
dienen. Auch die Civilverwaltung kam noch monatelang aus einem
unerquicklichen Uebergangszustande nicht heraus. Der Monarch wollte
noch nicht einsehen, daß die altgewohnte Cabinetsregierung mit der selb-
ständigen Verantwortlichkeit der Minister sich nicht vertrug, und entließ
den Minister Stein mit harten und ungerechten Worten, als der stolze
Freiherr schroff und leidenschaftlich auf der Beseitigung des Cabinets
bestand. Richtiger verstand Hardenberg den König zu behandeln. Sein
Freimuth, der immer in liebevollen, ruhigen Formen blieb, drang endlich
durch, und am 26. April 1807 vollzog sich in aller Stille eine Ver-
fassungsveränderung, die folgenreichste, welche der alte Absolutismus seit
den Zeiten Friedrich Wilhelms I. erlebt hatte. Die Cabinetsregierung
wurde aufgehoben, Hardenberg als erster Minister mit der Leitung der
auswärtigen Angelegenheiten sowie aller mit dem Kriege zusammenhängen-
den Geschäfte beauftragt.

Die Lage der Verbündeten blieb auch nach dem halben Erfolge von
Eylau schwer bedrängt. So erfolgreich der zäheste Gegner Napoleons
auf den Meeren kämpfte, in der Behandlung der festländischen Dinge
zeigte Englands Handelspolitik nach wie vor ein Ungeschick, das bereits
anfing sprichwörtlich zu werden. Während sich drei Jahre früher in Lon-
don keine Hand gerührt hatte um Hannover gegen die Franzosen zu ver-
theidigen, wurde Preußen für die Besetzung des Kurfürstenthums sofort
durch eine Kriegserklärung bestraft; und auch als der preußische Hof im
Januar 1807 mit England Frieden geschlossen, alle seine Ansprüche auf
Hannover aufgegeben hatte, that das Cabinet von St. James gar nichts
um den neuen Bundesgenossen gegen den gemeinsamen Feind zu unter-
stützen. Nicht einmal ein Subsidienvertrag kam zu Stande. Graf Münster,
dessen Rath in London bei allen deutschen Angelegenheiten den Ausschlag
gab, konnte das alte welfische Mißtrauen gegen Preußen nicht überwinden.
Oesterreich wurde selbst durch die erschreckende Kunde von dem polnischen
Aufruhr nicht aus seiner Neutralität aufgescheucht. Beide Theile warben

17*

Schlacht von Eylau.
waren die Nachwirkungen eines Jahrzehntes der Schwäche und der Halb-
heit nicht zu überwinden. Wohl ergingen ſcharfe Mahnungen an die
Truppen, ſtrenge Strafen gegen die pflichtvergeſſenen Feſtungscomman-
danten. Die kleine Armee Leſtocqs zeigte eine muſterhafte Haltung, und
Scharnhorſt beſeitigte bereits in dieſem Winterfeldzuge thatſächlich die
ſchwerfällige alte Lineartaktik, leitete die Bewegungen des Heeres nach den
Grundſätzen der neuen kühneren Kriegsführung, welche der König ſelbſt in
einer eingehenden Inſtruction ſeinen Offizieren eingeſchärft hatte. Aber die
Ausrüſtung der neunzehn Reſervebataillone ging ſo langſam von ſtatten,
daß keines mehr im Felde zur Verwendung kam. Ein von dem Könige
bereits unterſchriebener Aufruf zur allgemeinen Volksbewaffnung blieb
liegen, weil die treuen Stände Oſtpreußens dringend vorſtellten: der Adel
könne nur in der königlichen Armee, nimmermehr in einem Landſturme
dienen. Auch die Civilverwaltung kam noch monatelang aus einem
unerquicklichen Uebergangszuſtande nicht heraus. Der Monarch wollte
noch nicht einſehen, daß die altgewohnte Cabinetsregierung mit der ſelb-
ſtändigen Verantwortlichkeit der Miniſter ſich nicht vertrug, und entließ
den Miniſter Stein mit harten und ungerechten Worten, als der ſtolze
Freiherr ſchroff und leidenſchaftlich auf der Beſeitigung des Cabinets
beſtand. Richtiger verſtand Hardenberg den König zu behandeln. Sein
Freimuth, der immer in liebevollen, ruhigen Formen blieb, drang endlich
durch, und am 26. April 1807 vollzog ſich in aller Stille eine Ver-
faſſungsveränderung, die folgenreichſte, welche der alte Abſolutismus ſeit
den Zeiten Friedrich Wilhelms I. erlebt hatte. Die Cabinetsregierung
wurde aufgehoben, Hardenberg als erſter Miniſter mit der Leitung der
auswärtigen Angelegenheiten ſowie aller mit dem Kriege zuſammenhängen-
den Geſchäfte beauftragt.

Die Lage der Verbündeten blieb auch nach dem halben Erfolge von
Eylau ſchwer bedrängt. So erfolgreich der zäheſte Gegner Napoleons
auf den Meeren kämpfte, in der Behandlung der feſtländiſchen Dinge
zeigte Englands Handelspolitik nach wie vor ein Ungeſchick, das bereits
anfing ſprichwörtlich zu werden. Während ſich drei Jahre früher in Lon-
don keine Hand gerührt hatte um Hannover gegen die Franzoſen zu ver-
theidigen, wurde Preußen für die Beſetzung des Kurfürſtenthums ſofort
durch eine Kriegserklärung beſtraft; und auch als der preußiſche Hof im
Januar 1807 mit England Frieden geſchloſſen, alle ſeine Anſprüche auf
Hannover aufgegeben hatte, that das Cabinet von St. James gar nichts
um den neuen Bundesgenoſſen gegen den gemeinſamen Feind zu unter-
ſtützen. Nicht einmal ein Subſidienvertrag kam zu Stande. Graf Münſter,
deſſen Rath in London bei allen deutſchen Angelegenheiten den Ausſchlag
gab, konnte das alte welfiſche Mißtrauen gegen Preußen nicht überwinden.
Oeſterreich wurde ſelbſt durch die erſchreckende Kunde von dem polniſchen
Aufruhr nicht aus ſeiner Neutralität aufgeſcheucht. Beide Theile warben

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[259/0275] Schlacht von Eylau. waren die Nachwirkungen eines Jahrzehntes der Schwäche und der Halb- heit nicht zu überwinden. Wohl ergingen ſcharfe Mahnungen an die Truppen, ſtrenge Strafen gegen die pflichtvergeſſenen Feſtungscomman- danten. Die kleine Armee Leſtocqs zeigte eine muſterhafte Haltung, und Scharnhorſt beſeitigte bereits in dieſem Winterfeldzuge thatſächlich die ſchwerfällige alte Lineartaktik, leitete die Bewegungen des Heeres nach den Grundſätzen der neuen kühneren Kriegsführung, welche der König ſelbſt in einer eingehenden Inſtruction ſeinen Offizieren eingeſchärft hatte. Aber die Ausrüſtung der neunzehn Reſervebataillone ging ſo langſam von ſtatten, daß keines mehr im Felde zur Verwendung kam. Ein von dem Könige bereits unterſchriebener Aufruf zur allgemeinen Volksbewaffnung blieb liegen, weil die treuen Stände Oſtpreußens dringend vorſtellten: der Adel könne nur in der königlichen Armee, nimmermehr in einem Landſturme dienen. Auch die Civilverwaltung kam noch monatelang aus einem unerquicklichen Uebergangszuſtande nicht heraus. Der Monarch wollte noch nicht einſehen, daß die altgewohnte Cabinetsregierung mit der ſelb- ſtändigen Verantwortlichkeit der Miniſter ſich nicht vertrug, und entließ den Miniſter Stein mit harten und ungerechten Worten, als der ſtolze Freiherr ſchroff und leidenſchaftlich auf der Beſeitigung des Cabinets beſtand. Richtiger verſtand Hardenberg den König zu behandeln. Sein Freimuth, der immer in liebevollen, ruhigen Formen blieb, drang endlich durch, und am 26. April 1807 vollzog ſich in aller Stille eine Ver- faſſungsveränderung, die folgenreichſte, welche der alte Abſolutismus ſeit den Zeiten Friedrich Wilhelms I. erlebt hatte. Die Cabinetsregierung wurde aufgehoben, Hardenberg als erſter Miniſter mit der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten ſowie aller mit dem Kriege zuſammenhängen- den Geſchäfte beauftragt. Die Lage der Verbündeten blieb auch nach dem halben Erfolge von Eylau ſchwer bedrängt. So erfolgreich der zäheſte Gegner Napoleons auf den Meeren kämpfte, in der Behandlung der feſtländiſchen Dinge zeigte Englands Handelspolitik nach wie vor ein Ungeſchick, das bereits anfing ſprichwörtlich zu werden. Während ſich drei Jahre früher in Lon- don keine Hand gerührt hatte um Hannover gegen die Franzoſen zu ver- theidigen, wurde Preußen für die Beſetzung des Kurfürſtenthums ſofort durch eine Kriegserklärung beſtraft; und auch als der preußiſche Hof im Januar 1807 mit England Frieden geſchloſſen, alle ſeine Anſprüche auf Hannover aufgegeben hatte, that das Cabinet von St. James gar nichts um den neuen Bundesgenoſſen gegen den gemeinſamen Feind zu unter- ſtützen. Nicht einmal ein Subſidienvertrag kam zu Stande. Graf Münſter, deſſen Rath in London bei allen deutſchen Angelegenheiten den Ausſchlag gab, konnte das alte welfiſche Mißtrauen gegen Preußen nicht überwinden. Oeſterreich wurde ſelbſt durch die erſchreckende Kunde von dem polniſchen Aufruhr nicht aus ſeiner Neutralität aufgeſcheucht. Beide Theile warben 17*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/275>, abgerufen am 25.11.2024.