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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Vorbereitungen zum Kriege.
nach Konstantinopel, um den Sultan Selim zum Kriege gegen Rußland
zu verlocken. Er fand den Divan in zorniger Aufregung, weil Czartoryskis
unstäte plänereiche Politik die aufständischen Serben insgeheim ermuthigt,
die Hospodare der Donauprovinzen unter russischen Einfluß gebracht und
Unruhen unter den Inselgriechen angezettelt hatte. Es hielt nicht schwer
die Pforte vorwärts zu drängen. Als Czar Alexander den Oubril'schen
Sonderfrieden verwarf, wußte man in Paris bereits, daß Rußland jeden-
falls nur mit halber Kraft in den preußischen Krieg eingreifen konnte.
Bald nach den Schlachten in Thüringen brach der Kampf an der Donau
aus, und Napoleon mahnte den Sultan: "jetzt ist es Zeit Deine Unab-
hängigkeit zu erobern!" Durch diese orientalischen Händel sicherte sich Napo-
leon zugleich die Neutralität Oesterreichs. Der Haß wider den Sieger von
Austerlitz war in Wien stärker, als das Mißtrauen gegen Haugwitz, stärker
sogar als die Befriedigung über die Noth des norddeutschen Nebenbuhlers.
Aber die Macht Oesterreichs war durch den letzten Krieg so tief erschüttert,
daß sie in der Verwicklung des Augenblicks kaum noch mitzählte, und jetzt
wurde sie vollends gelähmt durch die unberechenbaren türkischen Wirren.
Sobald Alexanders Truppen in der Wallachei einrückten, rieth Erzherzog
Karl seinem kaiserlichen Bruder zur Besetzung von Belgrad; monatelang
blieb das Wiener Cabinet gefaßt auf einen Krieg gegen Rußland. Die
Hofburg nahm daher die preußischen Aufforderungen ebenso kühl auf, wie
Napoleons Anfragen wegen einer Allianz zum Schutze der Unabhängig-
keit Sachsens; um sich die Gunst des Imperators zu sichern verrieth
sie sogar dem Tuilerienhofe einige kriegerische Depeschen des preußischen
Ministers.

Also war Haugwitz durch die diplomatische Meisterschaft des Gegners
umgarnt und in Wahrheit schon geschlagen; gleichwohl wiegte er sich in glück-
seligen Hoffnungen. Er rechnete zuversichtlich auf Oesterreichs Beistand, wozu
gar kein Grund vorlag, und wähnte, das Volk des Rheinbundes werde frei-
willig den Fahnen des Königs zuströmen, während überall Mißtrauen und
Kaltsinn den Preußen begegneten. Nur Rußlands Hilfe hatte der König
durch geheime Verhandlungen in Petersburg seinem Staate gesichert; aber
auch der Czar ahnte nichts von der Größe der Gefahr, sondern meinte durch
ein Hilfsheer von 70,000 Mann genug zu leisten und ließ sich in den
orientalischen Krieg hineinziehen, derweil der Kampf um Preußens Dasein
anbrach. Dazu quälte wieder die Sorge um die unzuverlässigen polnischen
Provinzen. Der wohlmeinende Fürst Radziwill rieth, der König möge den
Namen eines Königs von Polen, der Czar den eines Königs von Litthauen
annehmen, "diese Titel würden jedes andere Gefühl verwischen". Friedrich
Wilhelm hütete sich wohl dem zweischneidigen Rathe zu folgen; doch unter-
dessen entwarf man in Paris ein Manifest, das die Polen aufrief an der
Seite ihrer alten französischen Bundesgenossen für die Freiheit zu kämpfen.
Für die Eröffnung des Feldzugs konnte Preußen allein auf Kursachsens

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Vorbereitungen zum Kriege.
nach Konſtantinopel, um den Sultan Selim zum Kriege gegen Rußland
zu verlocken. Er fand den Divan in zorniger Aufregung, weil Czartoryskis
unſtäte plänereiche Politik die aufſtändiſchen Serben insgeheim ermuthigt,
die Hospodare der Donauprovinzen unter ruſſiſchen Einfluß gebracht und
Unruhen unter den Inſelgriechen angezettelt hatte. Es hielt nicht ſchwer
die Pforte vorwärts zu drängen. Als Czar Alexander den Oubril’ſchen
Sonderfrieden verwarf, wußte man in Paris bereits, daß Rußland jeden-
falls nur mit halber Kraft in den preußiſchen Krieg eingreifen konnte.
Bald nach den Schlachten in Thüringen brach der Kampf an der Donau
aus, und Napoleon mahnte den Sultan: „jetzt iſt es Zeit Deine Unab-
hängigkeit zu erobern!“ Durch dieſe orientaliſchen Händel ſicherte ſich Napo-
leon zugleich die Neutralität Oeſterreichs. Der Haß wider den Sieger von
Auſterlitz war in Wien ſtärker, als das Mißtrauen gegen Haugwitz, ſtärker
ſogar als die Befriedigung über die Noth des norddeutſchen Nebenbuhlers.
Aber die Macht Oeſterreichs war durch den letzten Krieg ſo tief erſchüttert,
daß ſie in der Verwicklung des Augenblicks kaum noch mitzählte, und jetzt
wurde ſie vollends gelähmt durch die unberechenbaren türkiſchen Wirren.
Sobald Alexanders Truppen in der Wallachei einrückten, rieth Erzherzog
Karl ſeinem kaiſerlichen Bruder zur Beſetzung von Belgrad; monatelang
blieb das Wiener Cabinet gefaßt auf einen Krieg gegen Rußland. Die
Hofburg nahm daher die preußiſchen Aufforderungen ebenſo kühl auf, wie
Napoleons Anfragen wegen einer Allianz zum Schutze der Unabhängig-
keit Sachſens; um ſich die Gunſt des Imperators zu ſichern verrieth
ſie ſogar dem Tuilerienhofe einige kriegeriſche Depeſchen des preußiſchen
Miniſters.

Alſo war Haugwitz durch die diplomatiſche Meiſterſchaft des Gegners
umgarnt und in Wahrheit ſchon geſchlagen; gleichwohl wiegte er ſich in glück-
ſeligen Hoffnungen. Er rechnete zuverſichtlich auf Oeſterreichs Beiſtand, wozu
gar kein Grund vorlag, und wähnte, das Volk des Rheinbundes werde frei-
willig den Fahnen des Königs zuſtrömen, während überall Mißtrauen und
Kaltſinn den Preußen begegneten. Nur Rußlands Hilfe hatte der König
durch geheime Verhandlungen in Petersburg ſeinem Staate geſichert; aber
auch der Czar ahnte nichts von der Größe der Gefahr, ſondern meinte durch
ein Hilfsheer von 70,000 Mann genug zu leiſten und ließ ſich in den
orientaliſchen Krieg hineinziehen, derweil der Kampf um Preußens Daſein
anbrach. Dazu quälte wieder die Sorge um die unzuverläſſigen polniſchen
Provinzen. Der wohlmeinende Fürſt Radziwill rieth, der König möge den
Namen eines Königs von Polen, der Czar den eines Königs von Litthauen
annehmen, „dieſe Titel würden jedes andere Gefühl verwiſchen“. Friedrich
Wilhelm hütete ſich wohl dem zweiſchneidigen Rathe zu folgen; doch unter-
deſſen entwarf man in Paris ein Manifeſt, das die Polen aufrief an der
Seite ihrer alten franzöſiſchen Bundesgenoſſen für die Freiheit zu kämpfen.
Für die Eröffnung des Feldzugs konnte Preußen allein auf Kurſachſens

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[243/0259] Vorbereitungen zum Kriege. nach Konſtantinopel, um den Sultan Selim zum Kriege gegen Rußland zu verlocken. Er fand den Divan in zorniger Aufregung, weil Czartoryskis unſtäte plänereiche Politik die aufſtändiſchen Serben insgeheim ermuthigt, die Hospodare der Donauprovinzen unter ruſſiſchen Einfluß gebracht und Unruhen unter den Inſelgriechen angezettelt hatte. Es hielt nicht ſchwer die Pforte vorwärts zu drängen. Als Czar Alexander den Oubril’ſchen Sonderfrieden verwarf, wußte man in Paris bereits, daß Rußland jeden- falls nur mit halber Kraft in den preußiſchen Krieg eingreifen konnte. Bald nach den Schlachten in Thüringen brach der Kampf an der Donau aus, und Napoleon mahnte den Sultan: „jetzt iſt es Zeit Deine Unab- hängigkeit zu erobern!“ Durch dieſe orientaliſchen Händel ſicherte ſich Napo- leon zugleich die Neutralität Oeſterreichs. Der Haß wider den Sieger von Auſterlitz war in Wien ſtärker, als das Mißtrauen gegen Haugwitz, ſtärker ſogar als die Befriedigung über die Noth des norddeutſchen Nebenbuhlers. Aber die Macht Oeſterreichs war durch den letzten Krieg ſo tief erſchüttert, daß ſie in der Verwicklung des Augenblicks kaum noch mitzählte, und jetzt wurde ſie vollends gelähmt durch die unberechenbaren türkiſchen Wirren. Sobald Alexanders Truppen in der Wallachei einrückten, rieth Erzherzog Karl ſeinem kaiſerlichen Bruder zur Beſetzung von Belgrad; monatelang blieb das Wiener Cabinet gefaßt auf einen Krieg gegen Rußland. Die Hofburg nahm daher die preußiſchen Aufforderungen ebenſo kühl auf, wie Napoleons Anfragen wegen einer Allianz zum Schutze der Unabhängig- keit Sachſens; um ſich die Gunſt des Imperators zu ſichern verrieth ſie ſogar dem Tuilerienhofe einige kriegeriſche Depeſchen des preußiſchen Miniſters. Alſo war Haugwitz durch die diplomatiſche Meiſterſchaft des Gegners umgarnt und in Wahrheit ſchon geſchlagen; gleichwohl wiegte er ſich in glück- ſeligen Hoffnungen. Er rechnete zuverſichtlich auf Oeſterreichs Beiſtand, wozu gar kein Grund vorlag, und wähnte, das Volk des Rheinbundes werde frei- willig den Fahnen des Königs zuſtrömen, während überall Mißtrauen und Kaltſinn den Preußen begegneten. Nur Rußlands Hilfe hatte der König durch geheime Verhandlungen in Petersburg ſeinem Staate geſichert; aber auch der Czar ahnte nichts von der Größe der Gefahr, ſondern meinte durch ein Hilfsheer von 70,000 Mann genug zu leiſten und ließ ſich in den orientaliſchen Krieg hineinziehen, derweil der Kampf um Preußens Daſein anbrach. Dazu quälte wieder die Sorge um die unzuverläſſigen polniſchen Provinzen. Der wohlmeinende Fürſt Radziwill rieth, der König möge den Namen eines Königs von Polen, der Czar den eines Königs von Litthauen annehmen, „dieſe Titel würden jedes andere Gefühl verwiſchen“. Friedrich Wilhelm hütete ſich wohl dem zweiſchneidigen Rathe zu folgen; doch unter- deſſen entwarf man in Paris ein Manifeſt, das die Polen aufrief an der Seite ihrer alten franzöſiſchen Bundesgenoſſen für die Freiheit zu kämpfen. Für die Eröffnung des Feldzugs konnte Preußen allein auf Kurſachſens 16*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/259>, abgerufen am 24.11.2024.