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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Verträge von Schönbrunn und Paris.
klärten den Widerstand für unmöglich; Hardenberg aber, in tiefster Seele
erschüttert und empört, überließ die Entscheidung dem Könige, da ja die
Minister noch keine selbständige Verantwortlichkeit trugen. Friedrich Wil-
helm entschied wie er mußte; er genehmigte den Pariser Vertrag.

So jammervoll verlief der erste Versuch die bequeme Baseler Neu-
tralitätspolitik zu verlassen. Die Coalition war durch den Vorwitz des
Czaren und den Kleinmuth des Kaisers Franz zerstört, das isolirte Preußen
durch Napoleon aus einer falschen Stellung in die andere gelockt und
endlich zu Gnaden und Ungnaden unterworfen worden. Unter den Ver-
wünschungen der Hannoveraner wurden die schwarzen Adler an die Thore
der alten Welfenstädte angeschlagen; ungehört verhallten die Klagen der
getreuen Ansbacher, die in verzweifelten Adressen den König baten, er
möge sie nicht verstoßen. Aber mitten in dieser Demüthigung zeigten sich
schon die ersten Spuren einer sittlichen Widerstandskraft, die in den trägen
Jahren des friedlichen Behagens ganz verschwunden schien. Während des
Winters war die alte unbelehrbare Selbstgefälligkeit oft sehr prahlerisch
hervorgetreten; noch im Januar konnte ein begabter, thatenlustiger Offizier
wie der junge Bardeleben triumphirend schreiben: "wir haben das Glück
des Friedens mit großem, wahrem Ruhme herbeigeführt!" Nach dem
Pariser Vertrage schlug die Stimmung um. Unter den aufgeklärten
Publicisten der Hauptstadt fanden sich zwar einige pfiffige Köpfe, die den
König lobten, weil er ohne Schwertstreich eine schöne Provinz gewonnen
habe. Der Adel dagegen und das Heer empfanden mit Unmuth, daß die
Glorie der fridericianischen Zeiten dahin war; tiefere Naturen wie Gneisenau
sahen den Entscheidungskampf mit schnellen Schritten heranrücken und
setzten ihre Hoffnung auf ein Bündniß der zwei deutschen Großmächte.
Niemand fühlte den Schimpf schwerer als die ehrliche Natur des Königs.
Er erklärte seinen Vertrauten rund heraus: der Pariser Vertrag sei nicht
bindend, sei durch Lug und Trug erschlichen, die Pflicht gebiete bei dem
nächsten Uebergriffe Frankreichs das Schwert zu ziehen.

Während der Schützling Napoleons Haugwitz die amtliche Leitung der
auswärtigen Angelegenheiten übernahm und den Staat im Fahrwasser der
französischen Allianz steuerte, blieb Hardenberg der vertraute Rathgeber des
Königs und knüpfte, in der Voraussicht des nahen Krieges, insgeheim die
Verbindung mit Rußland wieder an. Auch diesem Hoffnungsvollen waren
jetzt die Augen aufgegangen. Er hatte an den politischen Sünden der
letzten zwei Jahre seinen reichen Antheil und galt gleichwohl in Paris
als der Führer der antifranzösischen Partei, weil er ein Gegner von
Haugwitz war und den König wiederholt beschworen hatte, sich von
diesem homme sans foi et sans loi *) zu trennen. Napoleon witterte
in Hardenberg mit feiner Spürkraft den tapferen und hochherzigen

*) Hardenbergs Journal, 6. Sept. 1806.

Verträge von Schönbrunn und Paris.
klärten den Widerſtand für unmöglich; Hardenberg aber, in tiefſter Seele
erſchüttert und empört, überließ die Entſcheidung dem Könige, da ja die
Miniſter noch keine ſelbſtändige Verantwortlichkeit trugen. Friedrich Wil-
helm entſchied wie er mußte; er genehmigte den Pariſer Vertrag.

So jammervoll verlief der erſte Verſuch die bequeme Baſeler Neu-
tralitätspolitik zu verlaſſen. Die Coalition war durch den Vorwitz des
Czaren und den Kleinmuth des Kaiſers Franz zerſtört, das iſolirte Preußen
durch Napoleon aus einer falſchen Stellung in die andere gelockt und
endlich zu Gnaden und Ungnaden unterworfen worden. Unter den Ver-
wünſchungen der Hannoveraner wurden die ſchwarzen Adler an die Thore
der alten Welfenſtädte angeſchlagen; ungehört verhallten die Klagen der
getreuen Ansbacher, die in verzweifelten Adreſſen den König baten, er
möge ſie nicht verſtoßen. Aber mitten in dieſer Demüthigung zeigten ſich
ſchon die erſten Spuren einer ſittlichen Widerſtandskraft, die in den trägen
Jahren des friedlichen Behagens ganz verſchwunden ſchien. Während des
Winters war die alte unbelehrbare Selbſtgefälligkeit oft ſehr prahleriſch
hervorgetreten; noch im Januar konnte ein begabter, thatenluſtiger Offizier
wie der junge Bardeleben triumphirend ſchreiben: „wir haben das Glück
des Friedens mit großem, wahrem Ruhme herbeigeführt!“ Nach dem
Pariſer Vertrage ſchlug die Stimmung um. Unter den aufgeklärten
Publiciſten der Hauptſtadt fanden ſich zwar einige pfiffige Köpfe, die den
König lobten, weil er ohne Schwertſtreich eine ſchöne Provinz gewonnen
habe. Der Adel dagegen und das Heer empfanden mit Unmuth, daß die
Glorie der fridericianiſchen Zeiten dahin war; tiefere Naturen wie Gneiſenau
ſahen den Entſcheidungskampf mit ſchnellen Schritten heranrücken und
ſetzten ihre Hoffnung auf ein Bündniß der zwei deutſchen Großmächte.
Niemand fühlte den Schimpf ſchwerer als die ehrliche Natur des Königs.
Er erklärte ſeinen Vertrauten rund heraus: der Pariſer Vertrag ſei nicht
bindend, ſei durch Lug und Trug erſchlichen, die Pflicht gebiete bei dem
nächſten Uebergriffe Frankreichs das Schwert zu ziehen.

Während der Schützling Napoleons Haugwitz die amtliche Leitung der
auswärtigen Angelegenheiten übernahm und den Staat im Fahrwaſſer der
franzöſiſchen Allianz ſteuerte, blieb Hardenberg der vertraute Rathgeber des
Königs und knüpfte, in der Vorausſicht des nahen Krieges, insgeheim die
Verbindung mit Rußland wieder an. Auch dieſem Hoffnungsvollen waren
jetzt die Augen aufgegangen. Er hatte an den politiſchen Sünden der
letzten zwei Jahre ſeinen reichen Antheil und galt gleichwohl in Paris
als der Führer der antifranzöſiſchen Partei, weil er ein Gegner von
Haugwitz war und den König wiederholt beſchworen hatte, ſich von
dieſem homme sans foi et sans loi *) zu trennen. Napoleon witterte
in Hardenberg mit feiner Spürkraft den tapferen und hochherzigen

*) Hardenbergs Journal, 6. Sept. 1806.
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[229/0245] Verträge von Schönbrunn und Paris. klärten den Widerſtand für unmöglich; Hardenberg aber, in tiefſter Seele erſchüttert und empört, überließ die Entſcheidung dem Könige, da ja die Miniſter noch keine ſelbſtändige Verantwortlichkeit trugen. Friedrich Wil- helm entſchied wie er mußte; er genehmigte den Pariſer Vertrag. So jammervoll verlief der erſte Verſuch die bequeme Baſeler Neu- tralitätspolitik zu verlaſſen. Die Coalition war durch den Vorwitz des Czaren und den Kleinmuth des Kaiſers Franz zerſtört, das iſolirte Preußen durch Napoleon aus einer falſchen Stellung in die andere gelockt und endlich zu Gnaden und Ungnaden unterworfen worden. Unter den Ver- wünſchungen der Hannoveraner wurden die ſchwarzen Adler an die Thore der alten Welfenſtädte angeſchlagen; ungehört verhallten die Klagen der getreuen Ansbacher, die in verzweifelten Adreſſen den König baten, er möge ſie nicht verſtoßen. Aber mitten in dieſer Demüthigung zeigten ſich ſchon die erſten Spuren einer ſittlichen Widerſtandskraft, die in den trägen Jahren des friedlichen Behagens ganz verſchwunden ſchien. Während des Winters war die alte unbelehrbare Selbſtgefälligkeit oft ſehr prahleriſch hervorgetreten; noch im Januar konnte ein begabter, thatenluſtiger Offizier wie der junge Bardeleben triumphirend ſchreiben: „wir haben das Glück des Friedens mit großem, wahrem Ruhme herbeigeführt!“ Nach dem Pariſer Vertrage ſchlug die Stimmung um. Unter den aufgeklärten Publiciſten der Hauptſtadt fanden ſich zwar einige pfiffige Köpfe, die den König lobten, weil er ohne Schwertſtreich eine ſchöne Provinz gewonnen habe. Der Adel dagegen und das Heer empfanden mit Unmuth, daß die Glorie der fridericianiſchen Zeiten dahin war; tiefere Naturen wie Gneiſenau ſahen den Entſcheidungskampf mit ſchnellen Schritten heranrücken und ſetzten ihre Hoffnung auf ein Bündniß der zwei deutſchen Großmächte. Niemand fühlte den Schimpf ſchwerer als die ehrliche Natur des Königs. Er erklärte ſeinen Vertrauten rund heraus: der Pariſer Vertrag ſei nicht bindend, ſei durch Lug und Trug erſchlichen, die Pflicht gebiete bei dem nächſten Uebergriffe Frankreichs das Schwert zu ziehen. Während der Schützling Napoleons Haugwitz die amtliche Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übernahm und den Staat im Fahrwaſſer der franzöſiſchen Allianz ſteuerte, blieb Hardenberg der vertraute Rathgeber des Königs und knüpfte, in der Vorausſicht des nahen Krieges, insgeheim die Verbindung mit Rußland wieder an. Auch dieſem Hoffnungsvollen waren jetzt die Augen aufgegangen. Er hatte an den politiſchen Sünden der letzten zwei Jahre ſeinen reichen Antheil und galt gleichwohl in Paris als der Führer der antifranzöſiſchen Partei, weil er ein Gegner von Haugwitz war und den König wiederholt beſchworen hatte, ſich von dieſem homme sans foi et sans loi *) zu trennen. Napoleon witterte in Hardenberg mit feiner Spürkraft den tapferen und hochherzigen *) Hardenbergs Journal, 6. Sept. 1806.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/245>, abgerufen am 23.11.2024.