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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
in den Krieg gegen England verwickeln lassen? Die Frage durfte für
einen ehrenhaften Staat keine Frage sein. Und dennoch rieth Harden-
berg zu einem Mittelwege: er rieth den Schönbrunner Vertrag anzu-
nehmen, aber unter Vorbehalten, welche dem Zerwürfniß mit England
vorbeugen sollten; denn obgleich er das Verfahren seines Gegners Haugwitz
scharf verdammte, so hoffte er doch noch jetzt durch neue Verhandlungen mit
Napoleon vielleicht neuen Landgewinn zu erreichen. Dergestalt lieferte man
dem listigen Gegner selber den willkommenen Vorwand, sich auch seiner-
seits nicht mehr an den Schönbrunner Vertrag zu binden. Dem schweren
Fehler folgte sogleich ein zweiter, noch gröberer. Während Napoleon sich
in verdächtiges Schweigen hüllte und seine Heersäulen von allen Seiten
her gegen Preußens Grenzen heranrückten, wurde die Abrüstung des
preußischen Heeres beschlossen. Getäuscht durch Laforests zweideutige Zu-
sagen, hielt man Frankreichs Zustimmung für sicher und wollte den
Staatshaushalt nicht noch mehr belasten; war doch bereits zur Bestreitung
der Kosten der Mobilmachung eine Anleihe aufgenommen und die Aus-
gabe von fünf Millionen Thalern Tresorscheinen angeordnet worden. Die
ängstliche Sparsamkeit sollte dem Staate theuer zu stehen kommen. Rapo-
leon hatte nur auf den Heimzug der preußischen Armee gewartet um
"einen noch weiteren Vertrag" zu erzwingen; nun Preußen waffenlos vor
ihm lag, ließ er alsbald die Maske fallen. Hardenberg hoffte noch arg-
los, sich mit dem Imperator über die Neugestaltung Deutschlands freund-
schaftlich zu verständigen; er dachte an eine deutsche Trias, also daß
Oesterreich für sich bliebe, Preußen im Norden, Frankreich im Süden den
beherrschenden Einfluß erlangte, und hielt in solchen ungeheuerlichen Formen
noch eine gewisse politische Gemeinschaft der deutschen Nation für möglich.

Da sendete Haugwitz, der in Paris die Verhandlungen abschließen
sollte, die niederschmetternde Nachricht, daß Napoleon den Schönbrunner
Vertrag nicht mehr anerkenne. Am 15. Februar 1806 unterzeichnete der
geängstete Unterhändler den Pariser Vertrag, der die harten Schönbrunner
Bedingungen noch verschärfte: Preußen versprach die hannoverschen Flüsse
zu sperren, mithin sofort einen Krieg gegen England zu beginnen, der
den preußischen Handel völlig lähmen mußte, und von der in Schönbrunn
verheißenen Entschädigung für Ansbach war nun keine Rede mehr. Welch
eine Lage! Die Regimenter standen längst auf Friedensfuß, zerstreut in
ihren Garnisonen; vom Main und Rhein her zugleich einbrechend konnten
die französischen Heersäulen den Staat in wenigen Wochen überrennen.
Oesterreich hatte seinen Frieden geschlossen; der Czar hielt sich zurück,
stellte seinem Freunde anheim sich wohl oder übel mit der Uebermacht
abzufinden. Auch von England stand rasche Hilfe nicht zu erwarten;
dem großen Pitt war das Herz gebrochen nach dem Tage von Austerlitz,
nach seinem Tode schwankte die britische Politik eine Zeit lang unsicher
umher. Alle Generale, selbst der grimmige Franzosenfeind Rüchel, er-

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
in den Krieg gegen England verwickeln laſſen? Die Frage durfte für
einen ehrenhaften Staat keine Frage ſein. Und dennoch rieth Harden-
berg zu einem Mittelwege: er rieth den Schönbrunner Vertrag anzu-
nehmen, aber unter Vorbehalten, welche dem Zerwürfniß mit England
vorbeugen ſollten; denn obgleich er das Verfahren ſeines Gegners Haugwitz
ſcharf verdammte, ſo hoffte er doch noch jetzt durch neue Verhandlungen mit
Napoleon vielleicht neuen Landgewinn zu erreichen. Dergeſtalt lieferte man
dem liſtigen Gegner ſelber den willkommenen Vorwand, ſich auch ſeiner-
ſeits nicht mehr an den Schönbrunner Vertrag zu binden. Dem ſchweren
Fehler folgte ſogleich ein zweiter, noch gröberer. Während Napoleon ſich
in verdächtiges Schweigen hüllte und ſeine Heerſäulen von allen Seiten
her gegen Preußens Grenzen heranrückten, wurde die Abrüſtung des
preußiſchen Heeres beſchloſſen. Getäuſcht durch Laforeſts zweideutige Zu-
ſagen, hielt man Frankreichs Zuſtimmung für ſicher und wollte den
Staatshaushalt nicht noch mehr belaſten; war doch bereits zur Beſtreitung
der Koſten der Mobilmachung eine Anleihe aufgenommen und die Aus-
gabe von fünf Millionen Thalern Treſorſcheinen angeordnet worden. Die
ängſtliche Sparſamkeit ſollte dem Staate theuer zu ſtehen kommen. Rapo-
leon hatte nur auf den Heimzug der preußiſchen Armee gewartet um
„einen noch weiteren Vertrag“ zu erzwingen; nun Preußen waffenlos vor
ihm lag, ließ er alsbald die Maske fallen. Hardenberg hoffte noch arg-
los, ſich mit dem Imperator über die Neugeſtaltung Deutſchlands freund-
ſchaftlich zu verſtändigen; er dachte an eine deutſche Trias, alſo daß
Oeſterreich für ſich bliebe, Preußen im Norden, Frankreich im Süden den
beherrſchenden Einfluß erlangte, und hielt in ſolchen ungeheuerlichen Formen
noch eine gewiſſe politiſche Gemeinſchaft der deutſchen Nation für möglich.

Da ſendete Haugwitz, der in Paris die Verhandlungen abſchließen
ſollte, die niederſchmetternde Nachricht, daß Napoleon den Schönbrunner
Vertrag nicht mehr anerkenne. Am 15. Februar 1806 unterzeichnete der
geängſtete Unterhändler den Pariſer Vertrag, der die harten Schönbrunner
Bedingungen noch verſchärfte: Preußen verſprach die hannoverſchen Flüſſe
zu ſperren, mithin ſofort einen Krieg gegen England zu beginnen, der
den preußiſchen Handel völlig lähmen mußte, und von der in Schönbrunn
verheißenen Entſchädigung für Ansbach war nun keine Rede mehr. Welch
eine Lage! Die Regimenter ſtanden längſt auf Friedensfuß, zerſtreut in
ihren Garniſonen; vom Main und Rhein her zugleich einbrechend konnten
die franzöſiſchen Heerſäulen den Staat in wenigen Wochen überrennen.
Oeſterreich hatte ſeinen Frieden geſchloſſen; der Czar hielt ſich zurück,
ſtellte ſeinem Freunde anheim ſich wohl oder übel mit der Uebermacht
abzufinden. Auch von England ſtand raſche Hilfe nicht zu erwarten;
dem großen Pitt war das Herz gebrochen nach dem Tage von Auſterlitz,
nach ſeinem Tode ſchwankte die britiſche Politik eine Zeit lang unſicher
umher. Alle Generale, ſelbſt der grimmige Franzoſenfeind Rüchel, er-

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[228/0244] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. in den Krieg gegen England verwickeln laſſen? Die Frage durfte für einen ehrenhaften Staat keine Frage ſein. Und dennoch rieth Harden- berg zu einem Mittelwege: er rieth den Schönbrunner Vertrag anzu- nehmen, aber unter Vorbehalten, welche dem Zerwürfniß mit England vorbeugen ſollten; denn obgleich er das Verfahren ſeines Gegners Haugwitz ſcharf verdammte, ſo hoffte er doch noch jetzt durch neue Verhandlungen mit Napoleon vielleicht neuen Landgewinn zu erreichen. Dergeſtalt lieferte man dem liſtigen Gegner ſelber den willkommenen Vorwand, ſich auch ſeiner- ſeits nicht mehr an den Schönbrunner Vertrag zu binden. Dem ſchweren Fehler folgte ſogleich ein zweiter, noch gröberer. Während Napoleon ſich in verdächtiges Schweigen hüllte und ſeine Heerſäulen von allen Seiten her gegen Preußens Grenzen heranrückten, wurde die Abrüſtung des preußiſchen Heeres beſchloſſen. Getäuſcht durch Laforeſts zweideutige Zu- ſagen, hielt man Frankreichs Zuſtimmung für ſicher und wollte den Staatshaushalt nicht noch mehr belaſten; war doch bereits zur Beſtreitung der Koſten der Mobilmachung eine Anleihe aufgenommen und die Aus- gabe von fünf Millionen Thalern Treſorſcheinen angeordnet worden. Die ängſtliche Sparſamkeit ſollte dem Staate theuer zu ſtehen kommen. Rapo- leon hatte nur auf den Heimzug der preußiſchen Armee gewartet um „einen noch weiteren Vertrag“ zu erzwingen; nun Preußen waffenlos vor ihm lag, ließ er alsbald die Maske fallen. Hardenberg hoffte noch arg- los, ſich mit dem Imperator über die Neugeſtaltung Deutſchlands freund- ſchaftlich zu verſtändigen; er dachte an eine deutſche Trias, alſo daß Oeſterreich für ſich bliebe, Preußen im Norden, Frankreich im Süden den beherrſchenden Einfluß erlangte, und hielt in ſolchen ungeheuerlichen Formen noch eine gewiſſe politiſche Gemeinſchaft der deutſchen Nation für möglich. Da ſendete Haugwitz, der in Paris die Verhandlungen abſchließen ſollte, die niederſchmetternde Nachricht, daß Napoleon den Schönbrunner Vertrag nicht mehr anerkenne. Am 15. Februar 1806 unterzeichnete der geängſtete Unterhändler den Pariſer Vertrag, der die harten Schönbrunner Bedingungen noch verſchärfte: Preußen verſprach die hannoverſchen Flüſſe zu ſperren, mithin ſofort einen Krieg gegen England zu beginnen, der den preußiſchen Handel völlig lähmen mußte, und von der in Schönbrunn verheißenen Entſchädigung für Ansbach war nun keine Rede mehr. Welch eine Lage! Die Regimenter ſtanden längſt auf Friedensfuß, zerſtreut in ihren Garniſonen; vom Main und Rhein her zugleich einbrechend konnten die franzöſiſchen Heerſäulen den Staat in wenigen Wochen überrennen. Oeſterreich hatte ſeinen Frieden geſchloſſen; der Czar hielt ſich zurück, ſtellte ſeinem Freunde anheim ſich wohl oder übel mit der Uebermacht abzufinden. Auch von England ſtand raſche Hilfe nicht zu erwarten; dem großen Pitt war das Herz gebrochen nach dem Tage von Auſterlitz, nach ſeinem Tode ſchwankte die britiſche Politik eine Zeit lang unſicher umher. Alle Generale, ſelbſt der grimmige Franzoſenfeind Rüchel, er-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/244>, abgerufen am 23.11.2024.