zehn Spione, so schrieb er, genügen kaum für eine Stadt wie Hamburg. Niemand war sicher vor den Griffen seiner Polizei. Der in Hamburg von den Franzosen aufgegriffene englische Agent Rumbold wurde zwar auf die Verwendung des Königs von Preußen wieder freigegeben; doch Napoleons Vertraute wußten, ihr Herr würde dem Hohenzollern diese Auflehnung gedenken.
Während die deutschen Mächte die neue Kaiserkrone anerkannten, herrschte am Petersburger Hofe eine erregte kriegerische Stimmung. Der junge Czar hatte seit der Ermordung des Herzogs von Enghien gänzlich mit Frankreich gebrochen; er ersah dann aus Napoleons herausfordernden Er- widerungen, daß dieser einen neuen Festlandskrieg wünschte, begann Ver- handlungen in Wien und London und erging sich bereits in dem schwärme- rischen Traume einer großen Völkerbefreiung, den er acht Jahre später wieder aufnahm. Er wollte sich schlagen für die Freiheit Europas, nicht Frankreich bekämpfen, sondern die Person des Usurpators, die wiederher- gestellten alten Staaten durch freisinnige Verfassungen beglücken, das befriedete Europa zu einem dauernden heiligen Völkerbunde vereinen. Nach langem Zaudern kam Oesterreich dem Drängen Alexanders um einen Schritt entgegen und schloß im December 1804 ein Vertheidigungs- bündniß mit Rußland für den Fall, daß Napoleon in Italien weiter um sich griffe.
Wenn die preußische Politik die Zeichen der Zeit verstand, so mußte sie den kriegerischen Eifer Alexanders zugleich zu benutzen und zu zügeln suchen. Nicht ein unzeitiger Krieg konnte die Freiheit des Welttheils retten, sondern allein eine wohlvorbereitete, im rechten Augenblicke gleich- zeitig gewagte Schilderhebung der drei Ostmächte. Napoleons Gedanken verweilten noch immer bei seiner armee navale und dem Plane der Landung in England. Er brannte vor Begier "sechs Jahrhunderte der Schmach und der Beleidigung zu rächen: ist dies größte aller Ziele erreicht, so fällt alles Uebrige von selbst!" Mit Absicht reiste er im Sommer 1805 lange in Italien, um die Augen der Welt von den Küsten des Canals hinwegzulenken und dann urplötzlich in Boulogne zu erscheinen, "das große Ereigniß, dem ganz Europa entgegenzittert", zu vollenden.
Die Klugheit gebot, den wahrscheinlichen Mißerfolg dieser abenteuer- lichen Pläne abzuwarten und unterdessen in der Stille für den Festlandskrieg zu rüsten; waren doch Oesterreichs Heer und Haushalt in so kläglichem Zu- stande, daß der bedeutendste Mann der kaiserlichen Armee, Erzherzog Karl dringend zum Frieden mahnte. Eine Versöhnung zwischen den Höfen von Berlin und Wien schien jetzt nicht mehr unmöglich. Erzherzog Johann und der patriotische Kreis, der sich um ihn schaarte, vertraten längst die Ansicht, daß man ohne Preußen nichts ausrichten könne; auch Gentz, der sich in seinem Hasse gegen die Revolution mehr und mehr verbitterte und bereits alle Sünden der neuen Geschichte auf den Protestantismus zurückführte,
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
zehn Spione, ſo ſchrieb er, genügen kaum für eine Stadt wie Hamburg. Niemand war ſicher vor den Griffen ſeiner Polizei. Der in Hamburg von den Franzoſen aufgegriffene engliſche Agent Rumbold wurde zwar auf die Verwendung des Königs von Preußen wieder freigegeben; doch Napoleons Vertraute wußten, ihr Herr würde dem Hohenzollern dieſe Auflehnung gedenken.
Während die deutſchen Mächte die neue Kaiſerkrone anerkannten, herrſchte am Petersburger Hofe eine erregte kriegeriſche Stimmung. Der junge Czar hatte ſeit der Ermordung des Herzogs von Enghien gänzlich mit Frankreich gebrochen; er erſah dann aus Napoleons herausfordernden Er- widerungen, daß dieſer einen neuen Feſtlandskrieg wünſchte, begann Ver- handlungen in Wien und London und erging ſich bereits in dem ſchwärme- riſchen Traume einer großen Völkerbefreiung, den er acht Jahre ſpäter wieder aufnahm. Er wollte ſich ſchlagen für die Freiheit Europas, nicht Frankreich bekämpfen, ſondern die Perſon des Uſurpators, die wiederher- geſtellten alten Staaten durch freiſinnige Verfaſſungen beglücken, das befriedete Europa zu einem dauernden heiligen Völkerbunde vereinen. Nach langem Zaudern kam Oeſterreich dem Drängen Alexanders um einen Schritt entgegen und ſchloß im December 1804 ein Vertheidigungs- bündniß mit Rußland für den Fall, daß Napoleon in Italien weiter um ſich griffe.
Wenn die preußiſche Politik die Zeichen der Zeit verſtand, ſo mußte ſie den kriegeriſchen Eifer Alexanders zugleich zu benutzen und zu zügeln ſuchen. Nicht ein unzeitiger Krieg konnte die Freiheit des Welttheils retten, ſondern allein eine wohlvorbereitete, im rechten Augenblicke gleich- zeitig gewagte Schilderhebung der drei Oſtmächte. Napoleons Gedanken verweilten noch immer bei ſeiner armée navale und dem Plane der Landung in England. Er brannte vor Begier „ſechs Jahrhunderte der Schmach und der Beleidigung zu rächen: iſt dies größte aller Ziele erreicht, ſo fällt alles Uebrige von ſelbſt!“ Mit Abſicht reiſte er im Sommer 1805 lange in Italien, um die Augen der Welt von den Küſten des Canals hinwegzulenken und dann urplötzlich in Boulogne zu erſcheinen, „das große Ereigniß, dem ganz Europa entgegenzittert“, zu vollenden.
Die Klugheit gebot, den wahrſcheinlichen Mißerfolg dieſer abenteuer- lichen Pläne abzuwarten und unterdeſſen in der Stille für den Feſtlandskrieg zu rüſten; waren doch Oeſterreichs Heer und Haushalt in ſo kläglichem Zu- ſtande, daß der bedeutendſte Mann der kaiſerlichen Armee, Erzherzog Karl dringend zum Frieden mahnte. Eine Verſöhnung zwiſchen den Höfen von Berlin und Wien ſchien jetzt nicht mehr unmöglich. Erzherzog Johann und der patriotiſche Kreis, der ſich um ihn ſchaarte, vertraten längſt die Anſicht, daß man ohne Preußen nichts ausrichten könne; auch Gentz, der ſich in ſeinem Haſſe gegen die Revolution mehr und mehr verbitterte und bereits alle Sünden der neuen Geſchichte auf den Proteſtantismus zurückführte,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0234"n="218"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> 2. Revolution und Fremdherrſchaft.</fw><lb/>
zehn Spione, ſo ſchrieb er, genügen kaum für eine Stadt wie Hamburg.<lb/>
Niemand war ſicher vor den Griffen ſeiner Polizei. Der in Hamburg<lb/>
von den Franzoſen aufgegriffene engliſche Agent Rumbold wurde zwar<lb/>
auf die Verwendung des Königs von Preußen wieder freigegeben; doch<lb/>
Napoleons Vertraute wußten, ihr Herr würde dem Hohenzollern dieſe<lb/>
Auflehnung gedenken.</p><lb/><p>Während die deutſchen Mächte die neue Kaiſerkrone anerkannten,<lb/>
herrſchte am Petersburger Hofe eine erregte kriegeriſche Stimmung. Der<lb/>
junge Czar hatte ſeit der Ermordung des Herzogs von Enghien gänzlich mit<lb/>
Frankreich gebrochen; er erſah dann aus Napoleons herausfordernden Er-<lb/>
widerungen, daß dieſer einen neuen Feſtlandskrieg wünſchte, begann Ver-<lb/>
handlungen in Wien und London und erging ſich bereits in dem ſchwärme-<lb/>
riſchen Traume einer großen Völkerbefreiung, den er acht Jahre ſpäter<lb/>
wieder aufnahm. Er wollte ſich ſchlagen für die Freiheit Europas, nicht<lb/>
Frankreich bekämpfen, ſondern die Perſon des Uſurpators, die wiederher-<lb/>
geſtellten alten Staaten durch freiſinnige Verfaſſungen beglücken, das<lb/>
befriedete Europa zu einem dauernden heiligen Völkerbunde vereinen.<lb/>
Nach langem Zaudern kam Oeſterreich dem Drängen Alexanders um<lb/>
einen Schritt entgegen und ſchloß im December 1804 ein Vertheidigungs-<lb/>
bündniß mit Rußland für den Fall, daß Napoleon in Italien weiter um<lb/>ſich griffe.</p><lb/><p>Wenn die preußiſche Politik die Zeichen der Zeit verſtand, ſo mußte<lb/>ſie den kriegeriſchen Eifer Alexanders zugleich zu benutzen und zu zügeln<lb/>ſuchen. Nicht ein unzeitiger Krieg konnte die Freiheit des Welttheils<lb/>
retten, ſondern allein eine wohlvorbereitete, im rechten Augenblicke gleich-<lb/>
zeitig gewagte Schilderhebung der drei Oſtmächte. Napoleons Gedanken<lb/>
verweilten noch immer bei ſeiner <hirendition="#aq">armée navale</hi> und dem Plane der<lb/>
Landung in England. Er brannte vor Begier „ſechs Jahrhunderte der<lb/>
Schmach und der Beleidigung zu rächen: iſt dies größte aller Ziele<lb/>
erreicht, ſo fällt alles Uebrige von ſelbſt!“ Mit Abſicht reiſte er im<lb/>
Sommer 1805 lange in Italien, um die Augen der Welt von den Küſten<lb/>
des Canals hinwegzulenken und dann urplötzlich in Boulogne zu erſcheinen,<lb/>„das große Ereigniß, dem ganz Europa entgegenzittert“, zu vollenden.</p><lb/><p>Die Klugheit gebot, den wahrſcheinlichen Mißerfolg dieſer abenteuer-<lb/>
lichen Pläne abzuwarten und unterdeſſen in der Stille für den Feſtlandskrieg<lb/>
zu rüſten; waren doch Oeſterreichs Heer und Haushalt in ſo kläglichem Zu-<lb/>ſtande, daß der bedeutendſte Mann der kaiſerlichen Armee, Erzherzog Karl<lb/>
dringend zum Frieden mahnte. Eine Verſöhnung zwiſchen den Höfen von<lb/>
Berlin und Wien ſchien jetzt nicht mehr unmöglich. Erzherzog Johann und<lb/>
der patriotiſche Kreis, der ſich um ihn ſchaarte, vertraten längſt die Anſicht,<lb/>
daß man ohne Preußen nichts ausrichten könne; auch Gentz, der ſich in<lb/>ſeinem Haſſe gegen die Revolution mehr und mehr verbitterte und bereits<lb/>
alle Sünden der neuen Geſchichte auf den Proteſtantismus zurückführte,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[218/0234]
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
zehn Spione, ſo ſchrieb er, genügen kaum für eine Stadt wie Hamburg.
Niemand war ſicher vor den Griffen ſeiner Polizei. Der in Hamburg
von den Franzoſen aufgegriffene engliſche Agent Rumbold wurde zwar
auf die Verwendung des Königs von Preußen wieder freigegeben; doch
Napoleons Vertraute wußten, ihr Herr würde dem Hohenzollern dieſe
Auflehnung gedenken.
Während die deutſchen Mächte die neue Kaiſerkrone anerkannten,
herrſchte am Petersburger Hofe eine erregte kriegeriſche Stimmung. Der
junge Czar hatte ſeit der Ermordung des Herzogs von Enghien gänzlich mit
Frankreich gebrochen; er erſah dann aus Napoleons herausfordernden Er-
widerungen, daß dieſer einen neuen Feſtlandskrieg wünſchte, begann Ver-
handlungen in Wien und London und erging ſich bereits in dem ſchwärme-
riſchen Traume einer großen Völkerbefreiung, den er acht Jahre ſpäter
wieder aufnahm. Er wollte ſich ſchlagen für die Freiheit Europas, nicht
Frankreich bekämpfen, ſondern die Perſon des Uſurpators, die wiederher-
geſtellten alten Staaten durch freiſinnige Verfaſſungen beglücken, das
befriedete Europa zu einem dauernden heiligen Völkerbunde vereinen.
Nach langem Zaudern kam Oeſterreich dem Drängen Alexanders um
einen Schritt entgegen und ſchloß im December 1804 ein Vertheidigungs-
bündniß mit Rußland für den Fall, daß Napoleon in Italien weiter um
ſich griffe.
Wenn die preußiſche Politik die Zeichen der Zeit verſtand, ſo mußte
ſie den kriegeriſchen Eifer Alexanders zugleich zu benutzen und zu zügeln
ſuchen. Nicht ein unzeitiger Krieg konnte die Freiheit des Welttheils
retten, ſondern allein eine wohlvorbereitete, im rechten Augenblicke gleich-
zeitig gewagte Schilderhebung der drei Oſtmächte. Napoleons Gedanken
verweilten noch immer bei ſeiner armée navale und dem Plane der
Landung in England. Er brannte vor Begier „ſechs Jahrhunderte der
Schmach und der Beleidigung zu rächen: iſt dies größte aller Ziele
erreicht, ſo fällt alles Uebrige von ſelbſt!“ Mit Abſicht reiſte er im
Sommer 1805 lange in Italien, um die Augen der Welt von den Küſten
des Canals hinwegzulenken und dann urplötzlich in Boulogne zu erſcheinen,
„das große Ereigniß, dem ganz Europa entgegenzittert“, zu vollenden.
Die Klugheit gebot, den wahrſcheinlichen Mißerfolg dieſer abenteuer-
lichen Pläne abzuwarten und unterdeſſen in der Stille für den Feſtlandskrieg
zu rüſten; waren doch Oeſterreichs Heer und Haushalt in ſo kläglichem Zu-
ſtande, daß der bedeutendſte Mann der kaiſerlichen Armee, Erzherzog Karl
dringend zum Frieden mahnte. Eine Verſöhnung zwiſchen den Höfen von
Berlin und Wien ſchien jetzt nicht mehr unmöglich. Erzherzog Johann und
der patriotiſche Kreis, der ſich um ihn ſchaarte, vertraten längſt die Anſicht,
daß man ohne Preußen nichts ausrichten könne; auch Gentz, der ſich in
ſeinem Haſſe gegen die Revolution mehr und mehr verbitterte und bereits
alle Sünden der neuen Geſchichte auf den Proteſtantismus zurückführte,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/234>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.