die Erfahrungen der jüngsten fünfzehn Jahre bestätigt zu werden schien: als ob der Staat durch friedliche Verhandlungen einen Gewinn, eine Verstärkung seines unhaltbaren Besitzstandes erlangen könne. Auch der gewandte neue Minister des Auswärtigen war noch weit entfernt von der Einsicht, daß allein ein europäischer Bund gegen Frankreich die Rettung bringen konnte, sondern erhoffte von Frankreichs Freundschaft eine Ver- größerung des preußischen Gebiets.
Indessen mußte das heilige Reich den Becher der Schande bis zur Hefe leeren. Als Bonaparte den Herzog von Enghien auf badischem Ge- biete aufheben und zum Tode führen ließ, da wagten in Regensburg nur die fremden Mächte Rußland, Schweden und England Genugthuung zu fordern für die frevelhafte Verletzung des Reichsfriedens. Baden dagegen ersuchte, auf Napoleons Befehl, inständig, die peinliche Angelegenheit nicht zu verfolgen, die übrigen Gesandten aber traten vor der Zeit ihre Ferien an, schnitten durch die Flucht jede weitere Verhandlung ab. Im Mai 1804 wurde das napoleonische Kaiserthum gegründet; und es lag vor Augen: die Krone, womit dieser Usurpator unter dem Segen des Papstes seinen Scheitel schmückte, war das Diadem der Caesaren und der Karolinger. Das römische Kaiserthum ging von den Habsburg-Lothringern auf die Napoleons über. Unverhohlen sprach der Gewaltige schon von dem Kaiser- thum des Abendlandes; alle die altrömischen Erinnerungen, die in der gallischen Mischcultur sich erhalten hatten, rief er wach; die Adler des kaiserlichen Roms prangten auf den Feldzeichen seiner Legionen. Und schon fragte er drohend in seinen Briefen: ob wohl Oesterreich oder Rußland die Narrheit begehen würden die Fahne der Empörung zu erheben?
Vergeblich beschwor Gentz den Wiener Hof: die Anerkennung dieser angemaßten Krone werde den Unersättlichen, der nur groß sei durch die Kleinheit seiner Knechte, zu neuen Uebergriffen ermuthigen. Der geistvolle Anwalt der alten Staatengesellschaft erfand bereits die vieldeutige Formel, welche nachher den Höfen bei der Bekämpfung des Bonapartismus zur Richtschnur gedient hat; es gelte, so schrieb er, das historische Recht zu behaupten gegen das Recht der Empörung, gegen die Idee der Volks- souveränität. Die ermüdete österreichische Politik blieb für solche Ideen vorderhand noch ganz unempfänglich. Die Krone Karls des Großen war ihrem rechtmäßigen Träger längst verleidet, zumal da das Haus Lothringen auf die Stimmen der Kurfürsten nicht mehr sicher rechnen konnte. Kaiser Franz benutzte also die Aufrichtung der napoleonischen Monarchie um den hohen Rang seines Hauses für alle Zukunft sicher zu stellen. Mit Zustimmung Napoleons nahm er den Namen eines Kaisers von Oester- reich an, und zum Danke erhielt der Usurpator die Anerkennung des alten Kaiserhauses. So wurde das Kaiserthum Oesterreich, das in Wahr- heit schon seit Leopold I. bestand, förmlich begründet; die Hauspolitik der Habsburg-Lothringer, die seit drei Jahrhunderten allein auf die Wahrung
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
die Erfahrungen der jüngſten fünfzehn Jahre beſtätigt zu werden ſchien: als ob der Staat durch friedliche Verhandlungen einen Gewinn, eine Verſtärkung ſeines unhaltbaren Beſitzſtandes erlangen könne. Auch der gewandte neue Miniſter des Auswärtigen war noch weit entfernt von der Einſicht, daß allein ein europäiſcher Bund gegen Frankreich die Rettung bringen konnte, ſondern erhoffte von Frankreichs Freundſchaft eine Ver- größerung des preußiſchen Gebiets.
Indeſſen mußte das heilige Reich den Becher der Schande bis zur Hefe leeren. Als Bonaparte den Herzog von Enghien auf badiſchem Ge- biete aufheben und zum Tode führen ließ, da wagten in Regensburg nur die fremden Mächte Rußland, Schweden und England Genugthuung zu fordern für die frevelhafte Verletzung des Reichsfriedens. Baden dagegen erſuchte, auf Napoleons Befehl, inſtändig, die peinliche Angelegenheit nicht zu verfolgen, die übrigen Geſandten aber traten vor der Zeit ihre Ferien an, ſchnitten durch die Flucht jede weitere Verhandlung ab. Im Mai 1804 wurde das napoleoniſche Kaiſerthum gegründet; und es lag vor Augen: die Krone, womit dieſer Uſurpator unter dem Segen des Papſtes ſeinen Scheitel ſchmückte, war das Diadem der Caeſaren und der Karolinger. Das römiſche Kaiſerthum ging von den Habsburg-Lothringern auf die Napoleons über. Unverhohlen ſprach der Gewaltige ſchon von dem Kaiſer- thum des Abendlandes; alle die altrömiſchen Erinnerungen, die in der galliſchen Miſchcultur ſich erhalten hatten, rief er wach; die Adler des kaiſerlichen Roms prangten auf den Feldzeichen ſeiner Legionen. Und ſchon fragte er drohend in ſeinen Briefen: ob wohl Oeſterreich oder Rußland die Narrheit begehen würden die Fahne der Empörung zu erheben?
Vergeblich beſchwor Gentz den Wiener Hof: die Anerkennung dieſer angemaßten Krone werde den Unerſättlichen, der nur groß ſei durch die Kleinheit ſeiner Knechte, zu neuen Uebergriffen ermuthigen. Der geiſtvolle Anwalt der alten Staatengeſellſchaft erfand bereits die vieldeutige Formel, welche nachher den Höfen bei der Bekämpfung des Bonapartismus zur Richtſchnur gedient hat; es gelte, ſo ſchrieb er, das hiſtoriſche Recht zu behaupten gegen das Recht der Empörung, gegen die Idee der Volks- ſouveränität. Die ermüdete öſterreichiſche Politik blieb für ſolche Ideen vorderhand noch ganz unempfänglich. Die Krone Karls des Großen war ihrem rechtmäßigen Träger längſt verleidet, zumal da das Haus Lothringen auf die Stimmen der Kurfürſten nicht mehr ſicher rechnen konnte. Kaiſer Franz benutzte alſo die Aufrichtung der napoleoniſchen Monarchie um den hohen Rang ſeines Hauſes für alle Zukunft ſicher zu ſtellen. Mit Zuſtimmung Napoleons nahm er den Namen eines Kaiſers von Oeſter- reich an, und zum Danke erhielt der Uſurpator die Anerkennung des alten Kaiſerhauſes. So wurde das Kaiſerthum Oeſterreich, das in Wahr- heit ſchon ſeit Leopold I. beſtand, förmlich begründet; die Hauspolitik der Habsburg-Lothringer, die ſeit drei Jahrhunderten allein auf die Wahrung
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0232"n="216"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> 2. Revolution und Fremdherrſchaft.</fw><lb/>
die Erfahrungen der jüngſten fünfzehn Jahre beſtätigt zu werden ſchien:<lb/>
als ob der Staat durch friedliche Verhandlungen einen Gewinn, eine<lb/>
Verſtärkung ſeines unhaltbaren Beſitzſtandes erlangen könne. Auch der<lb/>
gewandte neue Miniſter des Auswärtigen war noch weit entfernt von der<lb/>
Einſicht, daß allein ein europäiſcher Bund gegen Frankreich die Rettung<lb/>
bringen konnte, ſondern erhoffte von Frankreichs Freundſchaft eine Ver-<lb/>
größerung des preußiſchen Gebiets.</p><lb/><p>Indeſſen mußte das heilige Reich den Becher der Schande bis zur<lb/>
Hefe leeren. Als Bonaparte den Herzog von Enghien auf badiſchem Ge-<lb/>
biete aufheben und zum Tode führen ließ, da wagten in Regensburg nur<lb/>
die fremden Mächte Rußland, Schweden und England Genugthuung zu<lb/>
fordern für die frevelhafte Verletzung des Reichsfriedens. Baden dagegen<lb/>
erſuchte, auf Napoleons Befehl, inſtändig, die peinliche Angelegenheit nicht<lb/>
zu verfolgen, die übrigen Geſandten aber traten vor der Zeit ihre Ferien<lb/>
an, ſchnitten durch die Flucht jede weitere Verhandlung ab. Im Mai 1804<lb/>
wurde das napoleoniſche Kaiſerthum gegründet; und es lag vor Augen:<lb/>
die Krone, womit dieſer Uſurpator unter dem Segen des Papſtes ſeinen<lb/>
Scheitel ſchmückte, war das Diadem der Caeſaren und der Karolinger.<lb/>
Das römiſche Kaiſerthum ging von den Habsburg-Lothringern auf die<lb/>
Napoleons über. Unverhohlen ſprach der Gewaltige ſchon von dem Kaiſer-<lb/>
thum des Abendlandes; alle die altrömiſchen Erinnerungen, die in der<lb/>
galliſchen Miſchcultur ſich erhalten hatten, rief er wach; die Adler des<lb/>
kaiſerlichen Roms prangten auf den Feldzeichen ſeiner Legionen. Und ſchon<lb/>
fragte er drohend in ſeinen Briefen: ob wohl Oeſterreich oder Rußland<lb/>
die Narrheit begehen würden die Fahne der Empörung zu erheben?</p><lb/><p>Vergeblich beſchwor Gentz den Wiener Hof: die Anerkennung dieſer<lb/>
angemaßten Krone werde den Unerſättlichen, der nur groß ſei durch die<lb/>
Kleinheit ſeiner Knechte, zu neuen Uebergriffen ermuthigen. Der geiſtvolle<lb/>
Anwalt der alten Staatengeſellſchaft erfand bereits die vieldeutige Formel,<lb/>
welche nachher den Höfen bei der Bekämpfung des Bonapartismus zur<lb/>
Richtſchnur gedient hat; es gelte, ſo ſchrieb er, das hiſtoriſche Recht zu<lb/>
behaupten gegen das Recht der Empörung, gegen die Idee der Volks-<lb/>ſouveränität. Die ermüdete öſterreichiſche Politik blieb für ſolche Ideen<lb/>
vorderhand noch ganz unempfänglich. Die Krone Karls des Großen war<lb/>
ihrem rechtmäßigen Träger längſt verleidet, zumal da das Haus Lothringen<lb/>
auf die Stimmen der Kurfürſten nicht mehr ſicher rechnen konnte. Kaiſer<lb/>
Franz benutzte alſo die Aufrichtung der napoleoniſchen Monarchie um<lb/>
den hohen Rang ſeines Hauſes für alle Zukunft ſicher zu ſtellen. Mit<lb/>
Zuſtimmung Napoleons nahm er den Namen eines Kaiſers von Oeſter-<lb/>
reich an, und zum Danke erhielt der Uſurpator die Anerkennung des<lb/>
alten Kaiſerhauſes. So wurde das Kaiſerthum Oeſterreich, das in Wahr-<lb/>
heit ſchon ſeit Leopold <hirendition="#aq">I.</hi> beſtand, förmlich begründet; die Hauspolitik der<lb/>
Habsburg-Lothringer, die ſeit drei Jahrhunderten allein auf die Wahrung<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[216/0232]
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
die Erfahrungen der jüngſten fünfzehn Jahre beſtätigt zu werden ſchien:
als ob der Staat durch friedliche Verhandlungen einen Gewinn, eine
Verſtärkung ſeines unhaltbaren Beſitzſtandes erlangen könne. Auch der
gewandte neue Miniſter des Auswärtigen war noch weit entfernt von der
Einſicht, daß allein ein europäiſcher Bund gegen Frankreich die Rettung
bringen konnte, ſondern erhoffte von Frankreichs Freundſchaft eine Ver-
größerung des preußiſchen Gebiets.
Indeſſen mußte das heilige Reich den Becher der Schande bis zur
Hefe leeren. Als Bonaparte den Herzog von Enghien auf badiſchem Ge-
biete aufheben und zum Tode führen ließ, da wagten in Regensburg nur
die fremden Mächte Rußland, Schweden und England Genugthuung zu
fordern für die frevelhafte Verletzung des Reichsfriedens. Baden dagegen
erſuchte, auf Napoleons Befehl, inſtändig, die peinliche Angelegenheit nicht
zu verfolgen, die übrigen Geſandten aber traten vor der Zeit ihre Ferien
an, ſchnitten durch die Flucht jede weitere Verhandlung ab. Im Mai 1804
wurde das napoleoniſche Kaiſerthum gegründet; und es lag vor Augen:
die Krone, womit dieſer Uſurpator unter dem Segen des Papſtes ſeinen
Scheitel ſchmückte, war das Diadem der Caeſaren und der Karolinger.
Das römiſche Kaiſerthum ging von den Habsburg-Lothringern auf die
Napoleons über. Unverhohlen ſprach der Gewaltige ſchon von dem Kaiſer-
thum des Abendlandes; alle die altrömiſchen Erinnerungen, die in der
galliſchen Miſchcultur ſich erhalten hatten, rief er wach; die Adler des
kaiſerlichen Roms prangten auf den Feldzeichen ſeiner Legionen. Und ſchon
fragte er drohend in ſeinen Briefen: ob wohl Oeſterreich oder Rußland
die Narrheit begehen würden die Fahne der Empörung zu erheben?
Vergeblich beſchwor Gentz den Wiener Hof: die Anerkennung dieſer
angemaßten Krone werde den Unerſättlichen, der nur groß ſei durch die
Kleinheit ſeiner Knechte, zu neuen Uebergriffen ermuthigen. Der geiſtvolle
Anwalt der alten Staatengeſellſchaft erfand bereits die vieldeutige Formel,
welche nachher den Höfen bei der Bekämpfung des Bonapartismus zur
Richtſchnur gedient hat; es gelte, ſo ſchrieb er, das hiſtoriſche Recht zu
behaupten gegen das Recht der Empörung, gegen die Idee der Volks-
ſouveränität. Die ermüdete öſterreichiſche Politik blieb für ſolche Ideen
vorderhand noch ganz unempfänglich. Die Krone Karls des Großen war
ihrem rechtmäßigen Träger längſt verleidet, zumal da das Haus Lothringen
auf die Stimmen der Kurfürſten nicht mehr ſicher rechnen konnte. Kaiſer
Franz benutzte alſo die Aufrichtung der napoleoniſchen Monarchie um
den hohen Rang ſeines Hauſes für alle Zukunft ſicher zu ſtellen. Mit
Zuſtimmung Napoleons nahm er den Namen eines Kaiſers von Oeſter-
reich an, und zum Danke erhielt der Uſurpator die Anerkennung des
alten Kaiſerhauſes. So wurde das Kaiſerthum Oeſterreich, das in Wahr-
heit ſchon ſeit Leopold I. beſtand, förmlich begründet; die Hauspolitik der
Habsburg-Lothringer, die ſeit drei Jahrhunderten allein auf die Wahrung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/232>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.