Vorhöhen des Gebirges, wo dereinst die ersten Schläge des großen Ver- geltungskrieges fallen sollten, befreite das von den Verbündeten belagerte Landau und zwang Wurmser zum Rückzuge. Das preußische Heer konnte nach den Niederlagen der Oesterreicher das Gebirge nicht mehr halten und räumte die Pfalz. Das unglückliche Land lernte in den Schrecken des "Plünderwinters" die Wohlthaten der französischen Freiheit kennen.
Schwere Niederlagen wecken die sittliche Kraft in einem tüchtigen Heere; dieser durch fremde Schuld verlorene Feldzug zerrüttete die Mannszucht unter den preußischen Offizieren. Man schalt und klagte laut, forderte die Heimkehr aus dem unnützen Kriege. Das unpreußische Wesen, das die Verwaltung lähmte, drang auch in das Heer; die Armee glich einer militärischen Republik; der Groll gegen die Oesterreicher entlud sich in hundert gehässigen Händeln. Auch auf dem niederländischen Kriegstheater war die jetzt durch England verstärkte Coalition wenig glücklich. Sie hatte Belgien zurückgewonnen, und im Sommer, nach der Einnahme von Valenciennes und Mainz, lag die Straße nach Paris offen vor den ver- bündeten Heeren, wenn man den Entschluß fand die Armeen zu einem gemeinsamen Vorstoße zu vereinigen. Aber die englische Handelspolitik verlangte nach dem Besitze von Dünkirchen, Thugut forderte die Eroberung der Picardie; über dem Gezänk der Diplomaten ging der günstige Zeit- punkt verloren, und zu Ausgang des Feldzugs stand man wieder in der Defensive an der belgischen Südgrenze. Unterdessen war die Kriegsmacht der Republik in beständigem Wachsen. Die Schreckensherrschaft der Jaco- biner unterwarf das gesammte Land der Dictatur der Hauptstadt; sie bedurfte des Krieges, weil sie jedes wirthschaftliche Gedeihen zerstörte. Der Gedanke der revolutionären Propaganda ward zur furchtbaren Wahr- heit; eine ruhelose Verschwörung spannte ihre Netze über den halben Welt- theil, bis nach Warschau und Turin, nach Amsterdam und Irland, ver- suchte die Grenzen aller Länder ins Wanken zu bringen. Das Volk brachte zitternd die ungeheuren Opfer, welche das Gebot der Pariser Gewalt- haber ihm auferlegte. Wenngleich der Terrorismus der Conventscom- missäre die deutschen Provinzen Frankreichs erbitterte und im katholischen Elsaß da und dort sogar altösterreichische Erinnerungen wachrief, die Masse der Bauerschaft im Osten hielt doch treu zu der Tricolore, weil sie von dem Siege der Coalition die Rückkehr der Zehnten und Frohnden fürchtete. In Straßburg wurde das hohe Lied der Revolution gedichtet. Carnots Genie gab dem Heere eine neue Organisation, fügte Linientruppen und Nationalgarden in der taktischen Einheit der Halbbrigaden zusammen, beseitigte die unbrauchbaren gewählten Führer, bildete aus den frischesten Kräften der altbourbonischen Offiziere und der neuen Freiwilligen ein fähiges Offizierscorps. Die wilde Verwegenheit der ungeschulten republi- kanischen Generale, die mit rücksichtsloser Vergeudung von Menschenleben und Kriegsmaterial auf den Gegner losstürmten, wurde den bedachtsamen
Feldzug von 1793.
Vorhöhen des Gebirges, wo dereinſt die erſten Schläge des großen Ver- geltungskrieges fallen ſollten, befreite das von den Verbündeten belagerte Landau und zwang Wurmſer zum Rückzuge. Das preußiſche Heer konnte nach den Niederlagen der Oeſterreicher das Gebirge nicht mehr halten und räumte die Pfalz. Das unglückliche Land lernte in den Schrecken des „Plünderwinters“ die Wohlthaten der franzöſiſchen Freiheit kennen.
Schwere Niederlagen wecken die ſittliche Kraft in einem tüchtigen Heere; dieſer durch fremde Schuld verlorene Feldzug zerrüttete die Mannszucht unter den preußiſchen Offizieren. Man ſchalt und klagte laut, forderte die Heimkehr aus dem unnützen Kriege. Das unpreußiſche Weſen, das die Verwaltung lähmte, drang auch in das Heer; die Armee glich einer militäriſchen Republik; der Groll gegen die Oeſterreicher entlud ſich in hundert gehäſſigen Händeln. Auch auf dem niederländiſchen Kriegstheater war die jetzt durch England verſtärkte Coalition wenig glücklich. Sie hatte Belgien zurückgewonnen, und im Sommer, nach der Einnahme von Valenciennes und Mainz, lag die Straße nach Paris offen vor den ver- bündeten Heeren, wenn man den Entſchluß fand die Armeen zu einem gemeinſamen Vorſtoße zu vereinigen. Aber die engliſche Handelspolitik verlangte nach dem Beſitze von Dünkirchen, Thugut forderte die Eroberung der Picardie; über dem Gezänk der Diplomaten ging der günſtige Zeit- punkt verloren, und zu Ausgang des Feldzugs ſtand man wieder in der Defenſive an der belgiſchen Südgrenze. Unterdeſſen war die Kriegsmacht der Republik in beſtändigem Wachſen. Die Schreckensherrſchaft der Jaco- biner unterwarf das geſammte Land der Dictatur der Hauptſtadt; ſie bedurfte des Krieges, weil ſie jedes wirthſchaftliche Gedeihen zerſtörte. Der Gedanke der revolutionären Propaganda ward zur furchtbaren Wahr- heit; eine ruheloſe Verſchwörung ſpannte ihre Netze über den halben Welt- theil, bis nach Warſchau und Turin, nach Amſterdam und Irland, ver- ſuchte die Grenzen aller Länder ins Wanken zu bringen. Das Volk brachte zitternd die ungeheuren Opfer, welche das Gebot der Pariſer Gewalt- haber ihm auferlegte. Wenngleich der Terrorismus der Conventscom- miſſäre die deutſchen Provinzen Frankreichs erbitterte und im katholiſchen Elſaß da und dort ſogar altöſterreichiſche Erinnerungen wachrief, die Maſſe der Bauerſchaft im Oſten hielt doch treu zu der Tricolore, weil ſie von dem Siege der Coalition die Rückkehr der Zehnten und Frohnden fürchtete. In Straßburg wurde das hohe Lied der Revolution gedichtet. Carnots Genie gab dem Heere eine neue Organiſation, fügte Linientruppen und Nationalgarden in der taktiſchen Einheit der Halbbrigaden zuſammen, beſeitigte die unbrauchbaren gewählten Führer, bildete aus den friſcheſten Kräften der altbourboniſchen Offiziere und der neuen Freiwilligen ein fähiges Offizierscorps. Die wilde Verwegenheit der ungeſchulten republi- kaniſchen Generale, die mit rückſichtsloſer Vergeudung von Menſchenleben und Kriegsmaterial auf den Gegner losſtürmten, wurde den bedachtſamen
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Feldzug von 1793.
Vorhöhen des Gebirges, wo dereinſt die erſten Schläge des großen Ver-
geltungskrieges fallen ſollten, befreite das von den Verbündeten belagerte
Landau und zwang Wurmſer zum Rückzuge. Das preußiſche Heer konnte
nach den Niederlagen der Oeſterreicher das Gebirge nicht mehr halten
und räumte die Pfalz. Das unglückliche Land lernte in den Schrecken
des „Plünderwinters“ die Wohlthaten der franzöſiſchen Freiheit kennen.
Schwere Niederlagen wecken die ſittliche Kraft in einem tüchtigen Heere;
dieſer durch fremde Schuld verlorene Feldzug zerrüttete die Mannszucht
unter den preußiſchen Offizieren. Man ſchalt und klagte laut, forderte
die Heimkehr aus dem unnützen Kriege. Das unpreußiſche Weſen, das
die Verwaltung lähmte, drang auch in das Heer; die Armee glich einer
militäriſchen Republik; der Groll gegen die Oeſterreicher entlud ſich in
hundert gehäſſigen Händeln. Auch auf dem niederländiſchen Kriegstheater
war die jetzt durch England verſtärkte Coalition wenig glücklich. Sie hatte
Belgien zurückgewonnen, und im Sommer, nach der Einnahme von
Valenciennes und Mainz, lag die Straße nach Paris offen vor den ver-
bündeten Heeren, wenn man den Entſchluß fand die Armeen zu einem
gemeinſamen Vorſtoße zu vereinigen. Aber die engliſche Handelspolitik
verlangte nach dem Beſitze von Dünkirchen, Thugut forderte die Eroberung
der Picardie; über dem Gezänk der Diplomaten ging der günſtige Zeit-
punkt verloren, und zu Ausgang des Feldzugs ſtand man wieder in der
Defenſive an der belgiſchen Südgrenze. Unterdeſſen war die Kriegsmacht
der Republik in beſtändigem Wachſen. Die Schreckensherrſchaft der Jaco-
biner unterwarf das geſammte Land der Dictatur der Hauptſtadt; ſie
bedurfte des Krieges, weil ſie jedes wirthſchaftliche Gedeihen zerſtörte.
Der Gedanke der revolutionären Propaganda ward zur furchtbaren Wahr-
heit; eine ruheloſe Verſchwörung ſpannte ihre Netze über den halben Welt-
theil, bis nach Warſchau und Turin, nach Amſterdam und Irland, ver-
ſuchte die Grenzen aller Länder ins Wanken zu bringen. Das Volk brachte
zitternd die ungeheuren Opfer, welche das Gebot der Pariſer Gewalt-
haber ihm auferlegte. Wenngleich der Terrorismus der Conventscom-
miſſäre die deutſchen Provinzen Frankreichs erbitterte und im katholiſchen
Elſaß da und dort ſogar altöſterreichiſche Erinnerungen wachrief, die Maſſe
der Bauerſchaft im Oſten hielt doch treu zu der Tricolore, weil ſie von
dem Siege der Coalition die Rückkehr der Zehnten und Frohnden fürchtete.
In Straßburg wurde das hohe Lied der Revolution gedichtet. Carnots
Genie gab dem Heere eine neue Organiſation, fügte Linientruppen und
Nationalgarden in der taktiſchen Einheit der Halbbrigaden zuſammen,
beſeitigte die unbrauchbaren gewählten Führer, bildete aus den friſcheſten
Kräften der altbourboniſchen Offiziere und der neuen Freiwilligen ein
fähiges Offizierscorps. Die wilde Verwegenheit der ungeſchulten republi-
kaniſchen Generale, die mit rückſichtsloſer Vergeudung von Menſchenleben
und Kriegsmaterial auf den Gegner losſtürmten, wurde den bedachtſamen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/149>, abgerufen am 21.11.2024.
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