Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. schrieb, er möge sein eigenes Werk krönen durch die Genehmigung derneuen polnischen Theilung. Erzürnt entließ er seine Räthe und vertraute die Leitung der auswärtigen Geschäfte dem Minister Thugut. Dieser ge- hässigste aller Feinde Preußens, durch rührige Schlauheit und gewissen- lose Thatkraft den Berliner Staatsmännern weit überlegen, dachte nach dem Vorbilde Katharinas die ungeheure Verwirrung der europäischen Lage für eine Eroberungspolitik im großen Stile auszubeuten; überallhin schweiften seine begehrlichen Wünsche, nach Flandern und dem Elsaß, nach Baiern, nach Italien, nach den Donaulanden, nach Polen. Sein Haß gegen den norddeutschen Verbündeten stieg noch, seit der Erbe von Pfalz- baiern, der Herzog von Zweibrücken sich wider den bairisch-belgischen Tauschplan verwahrte, und Preußen, den begangenen Fehler endlich er- kennend, rundweg erklärte, ohne die freie Zustimmung des Hauses Wittels- bach dürfe der Tausch nicht stattfinden. Zunächst ging der österreichische Staatsmann darauf aus, die Macht Preußens in Polen niederzuhalten. Nichts konnte der Czarin willkommener sein; sie empfand es bitter, daß ihr die polnische Beute zum zweiten male durch Preußens Dazwischen- treten geschmälert wurde, und benutzte geschickt den gegenseitigen Haß der deutschen Mächte um den einen Nachbarn durch den anderen zu schwächen. Schon im Sommer 1793 traten die Höfe von Wien und Petersburg einander näher; über die feindseligen Absichten dieses neuen Kaiserbundes konnte man sich in Berlin nicht täuschen. Der Zerfall der Coalition zeigte sich sofort in den Kriegsereignissen. I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. ſchrieb, er möge ſein eigenes Werk krönen durch die Genehmigung derneuen polniſchen Theilung. Erzürnt entließ er ſeine Räthe und vertraute die Leitung der auswärtigen Geſchäfte dem Miniſter Thugut. Dieſer ge- häſſigſte aller Feinde Preußens, durch rührige Schlauheit und gewiſſen- loſe Thatkraft den Berliner Staatsmännern weit überlegen, dachte nach dem Vorbilde Katharinas die ungeheure Verwirrung der europäiſchen Lage für eine Eroberungspolitik im großen Stile auszubeuten; überallhin ſchweiften ſeine begehrlichen Wünſche, nach Flandern und dem Elſaß, nach Baiern, nach Italien, nach den Donaulanden, nach Polen. Sein Haß gegen den norddeutſchen Verbündeten ſtieg noch, ſeit der Erbe von Pfalz- baiern, der Herzog von Zweibrücken ſich wider den bairiſch-belgiſchen Tauſchplan verwahrte, und Preußen, den begangenen Fehler endlich er- kennend, rundweg erklärte, ohne die freie Zuſtimmung des Hauſes Wittels- bach dürfe der Tauſch nicht ſtattfinden. Zunächſt ging der öſterreichiſche Staatsmann darauf aus, die Macht Preußens in Polen niederzuhalten. Nichts konnte der Czarin willkommener ſein; ſie empfand es bitter, daß ihr die polniſche Beute zum zweiten male durch Preußens Dazwiſchen- treten geſchmälert wurde, und benutzte geſchickt den gegenſeitigen Haß der deutſchen Mächte um den einen Nachbarn durch den anderen zu ſchwächen. Schon im Sommer 1793 traten die Höfe von Wien und Petersburg einander näher; über die feindſeligen Abſichten dieſes neuen Kaiſerbundes konnte man ſich in Berlin nicht täuſchen. Der Zerfall der Coalition zeigte ſich ſofort in den Kriegsereigniſſen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0148" n="132"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 2. Revolution und Fremdherrſchaft.</fw><lb/> ſchrieb, er möge ſein eigenes Werk krönen durch die Genehmigung der<lb/> neuen polniſchen Theilung. 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Unter dem Schutze<lb/> ihrer Waffen kehrte der entflohene hohe Adel zurück und ſtellte unbeläſtigt<lb/> allen Unfug der Kleinſtaaterei wieder her, deren rettungsloſe Verderbniß<lb/> man doch in Berlin wohl kannte. Dann ſtand die preußiſche Armee<lb/> lange im pfälziſchen Gebirge, mit der Front ſüdwärts gegen das Elſaß,<lb/> überall ſiegreich wo der Feind einen Angriff verſuchte; doch ſie wagte keinen<lb/> Vorſtoß, denn das Berliner Cabinet mißtraute den Abſichten ſeines Ver-<lb/> bündeten. Der kaiſerliche General Wurmſer, der den linken Flügel des<lb/> Heeres vor den Weißenburger Linien befehligte, verlangte den Einmarſch<lb/> ins Elſaß, um auch dort wie am Mittelrhein die Herrſchaft ſeiner Standes-<lb/> genoſſen vom Reichsadel wiederherzuſtellen, und trotzte dem preußiſchen<lb/> Oberbefehlshaber in offenem Ungehorſam. Da trat gegen das Ende des<lb/> Jahres General Hoche an die Spitze der franzöſiſchen Truppen, der<lb/> reinſte Menſch unter den jungen militäriſchen Talenten der Republik.<lb/> Von den Preußen bei Kaiſerslautern zurückgeſchlagen, wendete er ſich mit<lb/> dem Ungeſtüm des genialen Naturaliſten gegen Wurmſers Corps, ſchlug<lb/> die Kaiſerlichen auf dem Gaisberge, bei Wörth, bei Fröſchweiler, auf jenen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [132/0148]
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
ſchrieb, er möge ſein eigenes Werk krönen durch die Genehmigung der
neuen polniſchen Theilung. Erzürnt entließ er ſeine Räthe und vertraute
die Leitung der auswärtigen Geſchäfte dem Miniſter Thugut. Dieſer ge-
häſſigſte aller Feinde Preußens, durch rührige Schlauheit und gewiſſen-
loſe Thatkraft den Berliner Staatsmännern weit überlegen, dachte nach
dem Vorbilde Katharinas die ungeheure Verwirrung der europäiſchen Lage
für eine Eroberungspolitik im großen Stile auszubeuten; überallhin
ſchweiften ſeine begehrlichen Wünſche, nach Flandern und dem Elſaß, nach
Baiern, nach Italien, nach den Donaulanden, nach Polen. Sein Haß
gegen den norddeutſchen Verbündeten ſtieg noch, ſeit der Erbe von Pfalz-
baiern, der Herzog von Zweibrücken ſich wider den bairiſch-belgiſchen
Tauſchplan verwahrte, und Preußen, den begangenen Fehler endlich er-
kennend, rundweg erklärte, ohne die freie Zuſtimmung des Hauſes Wittels-
bach dürfe der Tauſch nicht ſtattfinden. Zunächſt ging der öſterreichiſche
Staatsmann darauf aus, die Macht Preußens in Polen niederzuhalten.
Nichts konnte der Czarin willkommener ſein; ſie empfand es bitter, daß
ihr die polniſche Beute zum zweiten male durch Preußens Dazwiſchen-
treten geſchmälert wurde, und benutzte geſchickt den gegenſeitigen Haß der
deutſchen Mächte um den einen Nachbarn durch den anderen zu ſchwächen.
Schon im Sommer 1793 traten die Höfe von Wien und Petersburg
einander näher; über die feindſeligen Abſichten dieſes neuen Kaiſerbundes
konnte man ſich in Berlin nicht täuſchen.
Der Zerfall der Coalition zeigte ſich ſofort in den Kriegsereigniſſen.
Die Preußen überſchritten den Rhein nahe der alten Pfalz bei Caub, an
derſelben Stelle, wo ſie zwei Jahrzehnte ſpäter den Kampf um den
deutſchen Strom von Neuem begonnen haben; ſie vertrieben den Feind
vom linken Ufer, belagerten und eroberten Mainz. Unter dem Schutze
ihrer Waffen kehrte der entflohene hohe Adel zurück und ſtellte unbeläſtigt
allen Unfug der Kleinſtaaterei wieder her, deren rettungsloſe Verderbniß
man doch in Berlin wohl kannte. Dann ſtand die preußiſche Armee
lange im pfälziſchen Gebirge, mit der Front ſüdwärts gegen das Elſaß,
überall ſiegreich wo der Feind einen Angriff verſuchte; doch ſie wagte keinen
Vorſtoß, denn das Berliner Cabinet mißtraute den Abſichten ſeines Ver-
bündeten. Der kaiſerliche General Wurmſer, der den linken Flügel des
Heeres vor den Weißenburger Linien befehligte, verlangte den Einmarſch
ins Elſaß, um auch dort wie am Mittelrhein die Herrſchaft ſeiner Standes-
genoſſen vom Reichsadel wiederherzuſtellen, und trotzte dem preußiſchen
Oberbefehlshaber in offenem Ungehorſam. Da trat gegen das Ende des
Jahres General Hoche an die Spitze der franzöſiſchen Truppen, der
reinſte Menſch unter den jungen militäriſchen Talenten der Republik.
Von den Preußen bei Kaiſerslautern zurückgeſchlagen, wendete er ſich mit
dem Ungeſtüm des genialen Naturaliſten gegen Wurmſers Corps, ſchlug
die Kaiſerlichen auf dem Gaisberge, bei Wörth, bei Fröſchweiler, auf jenen
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