Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite
Eindruck der Revolution in Deutschland.

Die Sünden der Revolution erschienen den harmlosen deutschen Zu-
schauern kaum minder verführerisch als ihre Größe. Der an Plutarchs
Heldengeschichten geschulte Geschmack begeisterte sich treuherzig für das
gespreizte Catonenthum der neuen Freiheitsapostel, die unhistorischen Ab-
stractionen ihrer Staatslehre entsprachen der philosophischen Selbstgefällig-
keit des Zeitalters. Die schwärmerische Jugend, der noch die Kraftworte
des Räubers Moor im Ohre klangen, fühlte sich hingerissen von dem
rhetorischen Pathos der Franzosen, bewunderte arglos die republikanische
Tugend der Girondisten -- zur selben Zeit, da diese Partei in frevel-
haftem Leichtsinn den Krieg gegen Deutschland anstiftete. Die romantische
Verherrlichung des alten Kaiserthums, die während der letzten Jahre
unter den schwäbischen Poeten in Schwung gekommen war, verstummte
jetzt gänzlich. Der alte Barde Klopstock selber wendete seine Blicke von
den cheruskischen Eichenhainen hinweg nach der neuen Hauptstadt der
Welt, besang den hundertarmigen, hundertäugigen Riesen und rief:
"Hätt' ich hundert Stimmen, ich feierte Galliens Freiheit nicht mit er-
reichendem Ton, sänge die göttliche schwach." Weltbürgerliche Freiheits-
begeisterung träumte von der Verbrüderung aller Völker, lärmte in Vers
und Prosa gegen Tyrannen und Sklaven: "Ketten rasseln ihnen Silber-
ton!" In Hamburg und mehreren anderen Städten wurde am Jahres-
tage des Bastillesturmes das Fest der Brüderlichkeit gefeiert und der
Freiheitsbaum aufgerichtet; der ganze Kreis, der sich um Klopstock schaarte
-- Hennings, der Herausgeber des Genius der Zeit, Frau Reimarus
und die Stolberge -- schwelgten im Rausche des seligen Völkerglücks.
Campe und die anderen Anhänger der neuen humanen Erziehungslehren
sahen mit Freude, wie die überbildete Welt wieder zurückzukehren schien
zu der Unschuld ursprünglicher Menschheit. Für Oberdeutschland wurde
Straßburg der Heerd der revolutionären Ideen; dorthin wallfahrteten die
jungen Brauseköpfe aus Schwaben um das neufränkische Evangelium
kennen zu lernen. Bei den herkömmlichen Straßenaufläufen der Stu-
denten ließen sich in Tübingen, Mainz und Jena zuweilen politische Rufe
vernehmen; da und dort kam es zu wilden Raufhändeln mit den Emi-
granten, der Hochmuth und die Unzucht dieser Landesverräther schienen
jede Gewaltthat der Revolution zu rechtfertigen. Selbst in Berlin sah
man vornehme Frauen mit dreifarbigen Bändern geschmückt, und der
Rector des Joachimsthaler Gymnasiums pries am Geburtstage des Königs
in feierlicher Amtsrede die Herrlichkeit der Revolution, unter lebhaftem
Beifall des Ministers Hertzberg.

Unter den Führern der Nation wurde Keiner von der großen Be-
wegung des Nachbarlandes tiefer ergriffen als der alte Kant. Der war
in seiner stillen Weise auch der politischen Gedankenarbeit des Zeitalters
wachsam nachgegangen, namentlich mit Rousseau und Adam Smith tief
vertraut geworden und brachte nun den metaphysischen Freiheitskämpfen

8*
Eindruck der Revolution in Deutſchland.

Die Sünden der Revolution erſchienen den harmloſen deutſchen Zu-
ſchauern kaum minder verführeriſch als ihre Größe. Der an Plutarchs
Heldengeſchichten geſchulte Geſchmack begeiſterte ſich treuherzig für das
geſpreizte Catonenthum der neuen Freiheitsapoſtel, die unhiſtoriſchen Ab-
ſtractionen ihrer Staatslehre entſprachen der philoſophiſchen Selbſtgefällig-
keit des Zeitalters. Die ſchwärmeriſche Jugend, der noch die Kraftworte
des Räubers Moor im Ohre klangen, fühlte ſich hingeriſſen von dem
rhetoriſchen Pathos der Franzoſen, bewunderte arglos die republikaniſche
Tugend der Girondiſten — zur ſelben Zeit, da dieſe Partei in frevel-
haftem Leichtſinn den Krieg gegen Deutſchland anſtiftete. Die romantiſche
Verherrlichung des alten Kaiſerthums, die während der letzten Jahre
unter den ſchwäbiſchen Poeten in Schwung gekommen war, verſtummte
jetzt gänzlich. Der alte Barde Klopſtock ſelber wendete ſeine Blicke von
den cheruskiſchen Eichenhainen hinweg nach der neuen Hauptſtadt der
Welt, beſang den hundertarmigen, hundertäugigen Rieſen und rief:
„Hätt’ ich hundert Stimmen, ich feierte Galliens Freiheit nicht mit er-
reichendem Ton, ſänge die göttliche ſchwach.“ Weltbürgerliche Freiheits-
begeiſterung träumte von der Verbrüderung aller Völker, lärmte in Vers
und Proſa gegen Tyrannen und Sklaven: „Ketten raſſeln ihnen Silber-
ton!“ In Hamburg und mehreren anderen Städten wurde am Jahres-
tage des Baſtilleſturmes das Feſt der Brüderlichkeit gefeiert und der
Freiheitsbaum aufgerichtet; der ganze Kreis, der ſich um Klopſtock ſchaarte
— Hennings, der Herausgeber des Genius der Zeit, Frau Reimarus
und die Stolberge — ſchwelgten im Rauſche des ſeligen Völkerglücks.
Campe und die anderen Anhänger der neuen humanen Erziehungslehren
ſahen mit Freude, wie die überbildete Welt wieder zurückzukehren ſchien
zu der Unſchuld urſprünglicher Menſchheit. Für Oberdeutſchland wurde
Straßburg der Heerd der revolutionären Ideen; dorthin wallfahrteten die
jungen Brauſeköpfe aus Schwaben um das neufränkiſche Evangelium
kennen zu lernen. Bei den herkömmlichen Straßenaufläufen der Stu-
denten ließen ſich in Tübingen, Mainz und Jena zuweilen politiſche Rufe
vernehmen; da und dort kam es zu wilden Raufhändeln mit den Emi-
granten, der Hochmuth und die Unzucht dieſer Landesverräther ſchienen
jede Gewaltthat der Revolution zu rechtfertigen. Selbſt in Berlin ſah
man vornehme Frauen mit dreifarbigen Bändern geſchmückt, und der
Rector des Joachimsthaler Gymnaſiums pries am Geburtstage des Königs
in feierlicher Amtsrede die Herrlichkeit der Revolution, unter lebhaftem
Beifall des Miniſters Hertzberg.

Unter den Führern der Nation wurde Keiner von der großen Be-
wegung des Nachbarlandes tiefer ergriffen als der alte Kant. Der war
in ſeiner ſtillen Weiſe auch der politiſchen Gedankenarbeit des Zeitalters
wachſam nachgegangen, namentlich mit Rouſſeau und Adam Smith tief
vertraut geworden und brachte nun den metaphyſiſchen Freiheitskämpfen

8*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0131" n="115"/>
            <fw place="top" type="header">Eindruck der Revolution in Deut&#x017F;chland.</fw><lb/>
            <p>Die Sünden der Revolution er&#x017F;chienen den harmlo&#x017F;en deut&#x017F;chen Zu-<lb/>
&#x017F;chauern kaum minder verführeri&#x017F;ch als ihre Größe. Der an Plutarchs<lb/>
Heldenge&#x017F;chichten ge&#x017F;chulte Ge&#x017F;chmack begei&#x017F;terte &#x017F;ich treuherzig für das<lb/>
ge&#x017F;preizte Catonenthum der neuen Freiheitsapo&#x017F;tel, die unhi&#x017F;tori&#x017F;chen Ab-<lb/>
&#x017F;tractionen ihrer Staatslehre ent&#x017F;prachen der philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Selb&#x017F;tgefällig-<lb/>
keit des Zeitalters. Die &#x017F;chwärmeri&#x017F;che Jugend, der noch die Kraftworte<lb/>
des Räubers Moor im Ohre klangen, fühlte &#x017F;ich hingeri&#x017F;&#x017F;en von dem<lb/>
rhetori&#x017F;chen Pathos der Franzo&#x017F;en, bewunderte arglos die republikani&#x017F;che<lb/>
Tugend der Girondi&#x017F;ten &#x2014; zur &#x017F;elben Zeit, da die&#x017F;e Partei in frevel-<lb/>
haftem Leicht&#x017F;inn den Krieg gegen Deut&#x017F;chland an&#x017F;tiftete. Die romanti&#x017F;che<lb/>
Verherrlichung des alten Kai&#x017F;erthums, die während der letzten Jahre<lb/>
unter den &#x017F;chwäbi&#x017F;chen Poeten in Schwung gekommen war, ver&#x017F;tummte<lb/>
jetzt gänzlich. Der alte Barde Klop&#x017F;tock &#x017F;elber wendete &#x017F;eine Blicke von<lb/>
den cheruski&#x017F;chen Eichenhainen hinweg nach der neuen Haupt&#x017F;tadt der<lb/>
Welt, be&#x017F;ang den hundertarmigen, hundertäugigen Rie&#x017F;en und rief:<lb/>
&#x201E;Hätt&#x2019; ich hundert Stimmen, ich feierte Galliens Freiheit nicht mit er-<lb/>
reichendem Ton, &#x017F;änge die göttliche &#x017F;chwach.&#x201C; Weltbürgerliche Freiheits-<lb/>
begei&#x017F;terung träumte von der Verbrüderung aller Völker, lärmte in Vers<lb/>
und Pro&#x017F;a gegen Tyrannen und Sklaven: &#x201E;Ketten ra&#x017F;&#x017F;eln ihnen Silber-<lb/>
ton!&#x201C; In Hamburg und mehreren anderen Städten wurde am Jahres-<lb/>
tage des Ba&#x017F;tille&#x017F;turmes das Fe&#x017F;t der Brüderlichkeit gefeiert und der<lb/>
Freiheitsbaum aufgerichtet; der ganze Kreis, der &#x017F;ich um Klop&#x017F;tock &#x017F;chaarte<lb/>
&#x2014; Hennings, der Herausgeber des Genius der Zeit, Frau Reimarus<lb/>
und die Stolberge &#x2014; &#x017F;chwelgten im Rau&#x017F;che des &#x017F;eligen Völkerglücks.<lb/>
Campe und die anderen Anhänger der neuen humanen Erziehungslehren<lb/>
&#x017F;ahen mit Freude, wie die überbildete Welt wieder zurückzukehren &#x017F;chien<lb/>
zu der Un&#x017F;chuld ur&#x017F;prünglicher Men&#x017F;chheit. Für Oberdeut&#x017F;chland wurde<lb/>
Straßburg der Heerd der revolutionären Ideen; dorthin wallfahrteten die<lb/>
jungen Brau&#x017F;eköpfe aus Schwaben um das neufränki&#x017F;che Evangelium<lb/>
kennen zu lernen. Bei den herkömmlichen Straßenaufläufen der Stu-<lb/>
denten ließen &#x017F;ich in Tübingen, Mainz und Jena zuweilen politi&#x017F;che Rufe<lb/>
vernehmen; da und dort kam es zu wilden Raufhändeln mit den Emi-<lb/>
granten, der Hochmuth und die Unzucht die&#x017F;er Landesverräther &#x017F;chienen<lb/>
jede Gewaltthat der Revolution zu rechtfertigen. Selb&#x017F;t in Berlin &#x017F;ah<lb/>
man vornehme Frauen mit dreifarbigen Bändern ge&#x017F;chmückt, und der<lb/>
Rector des Joachimsthaler Gymna&#x017F;iums pries am Geburtstage des Königs<lb/>
in feierlicher Amtsrede die Herrlichkeit der Revolution, unter lebhaftem<lb/>
Beifall des Mini&#x017F;ters Hertzberg.</p><lb/>
            <p>Unter den Führern der Nation wurde Keiner von der großen Be-<lb/>
wegung des Nachbarlandes tiefer ergriffen als der alte Kant. Der war<lb/>
in &#x017F;einer &#x017F;tillen Wei&#x017F;e auch der politi&#x017F;chen Gedankenarbeit des Zeitalters<lb/>
wach&#x017F;am nachgegangen, namentlich mit Rou&#x017F;&#x017F;eau und Adam Smith tief<lb/>
vertraut geworden und brachte nun den metaphy&#x017F;i&#x017F;chen Freiheitskämpfen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">8*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0131] Eindruck der Revolution in Deutſchland. Die Sünden der Revolution erſchienen den harmloſen deutſchen Zu- ſchauern kaum minder verführeriſch als ihre Größe. Der an Plutarchs Heldengeſchichten geſchulte Geſchmack begeiſterte ſich treuherzig für das geſpreizte Catonenthum der neuen Freiheitsapoſtel, die unhiſtoriſchen Ab- ſtractionen ihrer Staatslehre entſprachen der philoſophiſchen Selbſtgefällig- keit des Zeitalters. Die ſchwärmeriſche Jugend, der noch die Kraftworte des Räubers Moor im Ohre klangen, fühlte ſich hingeriſſen von dem rhetoriſchen Pathos der Franzoſen, bewunderte arglos die republikaniſche Tugend der Girondiſten — zur ſelben Zeit, da dieſe Partei in frevel- haftem Leichtſinn den Krieg gegen Deutſchland anſtiftete. Die romantiſche Verherrlichung des alten Kaiſerthums, die während der letzten Jahre unter den ſchwäbiſchen Poeten in Schwung gekommen war, verſtummte jetzt gänzlich. Der alte Barde Klopſtock ſelber wendete ſeine Blicke von den cheruskiſchen Eichenhainen hinweg nach der neuen Hauptſtadt der Welt, beſang den hundertarmigen, hundertäugigen Rieſen und rief: „Hätt’ ich hundert Stimmen, ich feierte Galliens Freiheit nicht mit er- reichendem Ton, ſänge die göttliche ſchwach.“ Weltbürgerliche Freiheits- begeiſterung träumte von der Verbrüderung aller Völker, lärmte in Vers und Proſa gegen Tyrannen und Sklaven: „Ketten raſſeln ihnen Silber- ton!“ In Hamburg und mehreren anderen Städten wurde am Jahres- tage des Baſtilleſturmes das Feſt der Brüderlichkeit gefeiert und der Freiheitsbaum aufgerichtet; der ganze Kreis, der ſich um Klopſtock ſchaarte — Hennings, der Herausgeber des Genius der Zeit, Frau Reimarus und die Stolberge — ſchwelgten im Rauſche des ſeligen Völkerglücks. Campe und die anderen Anhänger der neuen humanen Erziehungslehren ſahen mit Freude, wie die überbildete Welt wieder zurückzukehren ſchien zu der Unſchuld urſprünglicher Menſchheit. Für Oberdeutſchland wurde Straßburg der Heerd der revolutionären Ideen; dorthin wallfahrteten die jungen Brauſeköpfe aus Schwaben um das neufränkiſche Evangelium kennen zu lernen. Bei den herkömmlichen Straßenaufläufen der Stu- denten ließen ſich in Tübingen, Mainz und Jena zuweilen politiſche Rufe vernehmen; da und dort kam es zu wilden Raufhändeln mit den Emi- granten, der Hochmuth und die Unzucht dieſer Landesverräther ſchienen jede Gewaltthat der Revolution zu rechtfertigen. Selbſt in Berlin ſah man vornehme Frauen mit dreifarbigen Bändern geſchmückt, und der Rector des Joachimsthaler Gymnaſiums pries am Geburtstage des Königs in feierlicher Amtsrede die Herrlichkeit der Revolution, unter lebhaftem Beifall des Miniſters Hertzberg. Unter den Führern der Nation wurde Keiner von der großen Be- wegung des Nachbarlandes tiefer ergriffen als der alte Kant. Der war in ſeiner ſtillen Weiſe auch der politiſchen Gedankenarbeit des Zeitalters wachſam nachgegangen, namentlich mit Rouſſeau und Adam Smith tief vertraut geworden und brachte nun den metaphyſiſchen Freiheitskämpfen 8*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/131
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/131>, abgerufen am 21.11.2024.