Traun, Julius von der [d. i. Alexander Julius Schindler]: Der Gebirgspfarrer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–156. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Vor fünfzig Jahren sah man im Steierthal schon zu Anfang October Wildgänse fliegen, und ihr sonores Geschrei ertönte über den Buchenwäldern, deren Laub ungemein früh abgefallen war. Frühe Wildgänse und früher Blätterfall bedeuten aber einen strengen Winter, und der stellte sich auch damals bald ein. In diesem Thale ist er kein seltener Gast, Niemand wunderte sich daher über seine Ankunft und die ungestüme Weise, mit der er Platz nahm. Waren die Leute im Freien, so blies er ihnen unverschämt ins Gesicht und peinigte sie an Händen und Füßen; saßen sie am warmen Ofen, so lachten sie freilich den Grobian aus und dachten etwa: gelt, Geselle, jetzt giebst du es groß und wirst immer übermüthiger; im Vorfrühlinge wirfst du uns gar Riesen-Schneebälle auf Schwaighütten, Aecker und Wohnhaus herab; sobald aber der erste kräftige Frühlingssonnenstrahl niederzuckt, verzagst du und bist voll Thränen. Seufzend zersprengst du deinen Eispanzer, um leichter zu entfliehen; gern zögest du deinen weiten Schneemantel zusammen und nähmest ihn mit, aber unsere scharfen Vor fünfzig Jahren sah man im Steierthal schon zu Anfang October Wildgänse fliegen, und ihr sonores Geschrei ertönte über den Buchenwäldern, deren Laub ungemein früh abgefallen war. Frühe Wildgänse und früher Blätterfall bedeuten aber einen strengen Winter, und der stellte sich auch damals bald ein. In diesem Thale ist er kein seltener Gast, Niemand wunderte sich daher über seine Ankunft und die ungestüme Weise, mit der er Platz nahm. Waren die Leute im Freien, so blies er ihnen unverschämt ins Gesicht und peinigte sie an Händen und Füßen; saßen sie am warmen Ofen, so lachten sie freilich den Grobian aus und dachten etwa: gelt, Geselle, jetzt giebst du es groß und wirst immer übermüthiger; im Vorfrühlinge wirfst du uns gar Riesen-Schneebälle auf Schwaighütten, Aecker und Wohnhaus herab; sobald aber der erste kräftige Frühlingssonnenstrahl niederzuckt, verzagst du und bist voll Thränen. Seufzend zersprengst du deinen Eispanzer, um leichter zu entfliehen; gern zögest du deinen weiten Schneemantel zusammen und nähmest ihn mit, aber unsere scharfen <TEI> <text> <pb facs="#f0007"/> <body> <div n="1"> <p>Vor fünfzig Jahren sah man im Steierthal schon zu Anfang October Wildgänse fliegen, und ihr sonores Geschrei ertönte über den Buchenwäldern, deren Laub ungemein früh abgefallen war. Frühe Wildgänse und früher Blätterfall bedeuten aber einen strengen Winter, und der stellte sich auch damals bald ein. In diesem Thale ist er kein seltener Gast, Niemand wunderte sich daher über seine Ankunft und die ungestüme Weise, mit der er Platz nahm. Waren die Leute im Freien, so blies er ihnen unverschämt ins Gesicht und peinigte sie an Händen und Füßen; saßen sie am warmen Ofen, so lachten sie freilich den Grobian aus und dachten etwa: gelt, Geselle, jetzt giebst du es groß und wirst immer übermüthiger; im Vorfrühlinge wirfst du uns gar Riesen-Schneebälle auf Schwaighütten, Aecker und Wohnhaus herab; sobald aber der erste kräftige Frühlingssonnenstrahl niederzuckt, verzagst du und bist voll Thränen. Seufzend zersprengst du deinen Eispanzer, um leichter zu entfliehen; gern zögest du deinen weiten Schneemantel zusammen und nähmest ihn mit, aber unsere scharfen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
Vor fünfzig Jahren sah man im Steierthal schon zu Anfang October Wildgänse fliegen, und ihr sonores Geschrei ertönte über den Buchenwäldern, deren Laub ungemein früh abgefallen war. Frühe Wildgänse und früher Blätterfall bedeuten aber einen strengen Winter, und der stellte sich auch damals bald ein. In diesem Thale ist er kein seltener Gast, Niemand wunderte sich daher über seine Ankunft und die ungestüme Weise, mit der er Platz nahm. Waren die Leute im Freien, so blies er ihnen unverschämt ins Gesicht und peinigte sie an Händen und Füßen; saßen sie am warmen Ofen, so lachten sie freilich den Grobian aus und dachten etwa: gelt, Geselle, jetzt giebst du es groß und wirst immer übermüthiger; im Vorfrühlinge wirfst du uns gar Riesen-Schneebälle auf Schwaighütten, Aecker und Wohnhaus herab; sobald aber der erste kräftige Frühlingssonnenstrahl niederzuckt, verzagst du und bist voll Thränen. Seufzend zersprengst du deinen Eispanzer, um leichter zu entfliehen; gern zögest du deinen weiten Schneemantel zusammen und nähmest ihn mit, aber unsere scharfen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/traun_gebirgspfarrer_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/traun_gebirgspfarrer_1910/7 |
Zitationshilfe: | Traun, Julius von der [d. i. Alexander Julius Schindler]: Der Gebirgspfarrer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–156. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/traun_gebirgspfarrer_1910/7>, abgerufen am 27.07.2024. |