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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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solches Ganzes wird gefunden als aus kleineren Ganzen
zusammengesetzt, die eine gewisse Richtung und Geschwin-
digkeit der Bewegung in Bezug auf einander haben; die
Anziehung selber bleibt entweder (als Wirkung in die Ferne)
unerklärt, oder wird als mechanische Wirkung (durch äussere
Berührung), wenn auch auf unbekannte Weise, vor sich
gehend gedacht. Nach diesem Sinne zerfallen (wie bekannt
ist) die körperlichen Massen in gleichartige, mit grösserer
oder geringerer Energie sich anziehende Molekel, deren
Aggregat-Zustände die Körper sind; die Molekel werden
in ungleichartige (chemische) Atome geschieden, deren Un-
gleichheit auf verschiedenen Lagerungen gleicher Atomtheile
zurückzuführen, fernerer Analyse vorbehalten bleibt. Die
theoretische reine Mechanik aber statuirt nur ausdehnungs-
lose Kraftcentren als Subjecte der wirklichen Actionen und
Reactionen, deren Begriff mit demjenigen metaphysischer
Atome übereinkommt. Hierdurch wird alle Perturbation
der Rechnung durch die Bewegungen oder Bewegungsten-
denzen der Theile ausgeschlossen. Für die Anwendung aber
dienen die physikalischen Molekel in Bezug auf denselben
Körper, als ihr System, da sie als von gleicher Grösse und
ohne Rücksicht auf ihre mögliche Theilung betrachtet wer-
den, in ebenso geeigneter Weise als Kraftträger, als Stoff
schlechthin. Alle wirklichen Massen aber sind als Gewichte
vergleichbar, und werden als Mengen eines bestimmten
gleichen Stoffes ausgedrückt, indem ihre Theile als im voll-
kommen festen Aggregatzustande befindlich gedacht werden.
In jedem Falle ist die Einheit, welche als Subject einer
Bewegung oder als integrirender Theil eines Ganzen (einer
höheren Einheit) vorgestellt wird, Product einer wissen-
schaftlich nothwendigen Fiction. Im strengen Sinne können
nur die letzten Einheiten, metaphysische Atome, als ihre
adäquaten Repräsentanten gelten: Etwasse, welche Nichtse,
oder Nichtse, welche Etwasse sind; wobei man doch der
blos relativen Bedeutung aller Grössen-Vorstellungen ein-
gedenk ist. In Wahrheit aber gibt es, wenn auch als Ano-
malie für die mechanische Ansicht, ausser diesen zusammen-
setzbaren und sich zusammensetzenden Partikeln eines als
tot begriffenen Stoffes, Körper, welche durch ihr gesammtes

solches Ganzes wird gefunden als aus kleineren Ganzen
zusammengesetzt, die eine gewisse Richtung und Geschwin-
digkeit der Bewegung in Bezug auf einander haben; die
Anziehung selber bleibt entweder (als Wirkung in die Ferne)
unerklärt, oder wird als mechanische Wirkung (durch äussere
Berührung), wenn auch auf unbekannte Weise, vor sich
gehend gedacht. Nach diesem Sinne zerfallen (wie bekannt
ist) die körperlichen Massen in gleichartige, mit grösserer
oder geringerer Energie sich anziehende Molekel, deren
Aggregat-Zustände die Körper sind; die Molekel werden
in ungleichartige (chemische) Atome geschieden, deren Un-
gleichheit auf verschiedenen Lagerungen gleicher Atomtheile
zurückzuführen, fernerer Analyse vorbehalten bleibt. Die
theoretische reine Mechanik aber statuirt nur ausdehnungs-
lose Kraftcentren als Subjecte der wirklichen Actionen und
Reactionen, deren Begriff mit demjenigen metaphysischer
Atome übereinkommt. Hierdurch wird alle Perturbation
der Rechnung durch die Bewegungen oder Bewegungsten-
denzen der Theile ausgeschlossen. Für die Anwendung aber
dienen die physikalischen Molekel in Bezug auf denselben
Körper, als ihr System, da sie als von gleicher Grösse und
ohne Rücksicht auf ihre mögliche Theilung betrachtet wer-
den, in ebenso geeigneter Weise als Kraftträger, als Stoff
schlechthin. Alle wirklichen Massen aber sind als Gewichte
vergleichbar, und werden als Mengen eines bestimmten
gleichen Stoffes ausgedrückt, indem ihre Theile als im voll-
kommen festen Aggregatzustande befindlich gedacht werden.
In jedem Falle ist die Einheit, welche als Subject einer
Bewegung oder als integrirender Theil eines Ganzen (einer
höheren Einheit) vorgestellt wird, Product einer wissen-
schaftlich nothwendigen Fiction. Im strengen Sinne können
nur die letzten Einheiten, metaphysische Atome, als ihre
adäquaten Repräsentanten gelten: Etwasse, welche Nichtse,
oder Nichtse, welche Etwasse sind; wobei man doch der
blos relativen Bedeutung aller Grössen-Vorstellungen ein-
gedenk ist. In Wahrheit aber gibt es, wenn auch als Ano-
malie für die mechanische Ansicht, ausser diesen zusammen-
setzbaren und sich zusammensetzenden Partikeln eines als
tot begriffenen Stoffes, Körper, welche durch ihr gesammtes

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[6/0042] solches Ganzes wird gefunden als aus kleineren Ganzen zusammengesetzt, die eine gewisse Richtung und Geschwin- digkeit der Bewegung in Bezug auf einander haben; die Anziehung selber bleibt entweder (als Wirkung in die Ferne) unerklärt, oder wird als mechanische Wirkung (durch äussere Berührung), wenn auch auf unbekannte Weise, vor sich gehend gedacht. Nach diesem Sinne zerfallen (wie bekannt ist) die körperlichen Massen in gleichartige, mit grösserer oder geringerer Energie sich anziehende Molekel, deren Aggregat-Zustände die Körper sind; die Molekel werden in ungleichartige (chemische) Atome geschieden, deren Un- gleichheit auf verschiedenen Lagerungen gleicher Atomtheile zurückzuführen, fernerer Analyse vorbehalten bleibt. Die theoretische reine Mechanik aber statuirt nur ausdehnungs- lose Kraftcentren als Subjecte der wirklichen Actionen und Reactionen, deren Begriff mit demjenigen metaphysischer Atome übereinkommt. Hierdurch wird alle Perturbation der Rechnung durch die Bewegungen oder Bewegungsten- denzen der Theile ausgeschlossen. Für die Anwendung aber dienen die physikalischen Molekel in Bezug auf denselben Körper, als ihr System, da sie als von gleicher Grösse und ohne Rücksicht auf ihre mögliche Theilung betrachtet wer- den, in ebenso geeigneter Weise als Kraftträger, als Stoff schlechthin. Alle wirklichen Massen aber sind als Gewichte vergleichbar, und werden als Mengen eines bestimmten gleichen Stoffes ausgedrückt, indem ihre Theile als im voll- kommen festen Aggregatzustande befindlich gedacht werden. In jedem Falle ist die Einheit, welche als Subject einer Bewegung oder als integrirender Theil eines Ganzen (einer höheren Einheit) vorgestellt wird, Product einer wissen- schaftlich nothwendigen Fiction. Im strengen Sinne können nur die letzten Einheiten, metaphysische Atome, als ihre adäquaten Repräsentanten gelten: Etwasse, welche Nichtse, oder Nichtse, welche Etwasse sind; wobei man doch der blos relativen Bedeutung aller Grössen-Vorstellungen ein- gedenk ist. In Wahrheit aber gibt es, wenn auch als Ano- malie für die mechanische Ansicht, ausser diesen zusammen- setzbaren und sich zusammensetzenden Partikeln eines als tot begriffenen Stoffes, Körper, welche durch ihr gesammtes

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/42>, abgerufen am 29.03.2024.