Form, in welcher er für diese seine Untergebenen seine Willkür durch allgemeine Sätze ausdrückt, nenne ich Satzung. Die Ausführung solcher Satzungen als für sie verbindlicher Normen ist die im Begriffe zusammen- gefasste Dienstleistung, für welche jene bezahlt werden; sie darf nicht selber als obligatorisch gedacht werden, son- dern sie ist wie im momentanen Tausche dargebotenes Aequivalent. Auch die individuelle Person kann auf diese Weise ihren Willen in allgemeine Befehle fassen und ausführen. Jeder Mandant ist für seinen Mandatar Ge- setzgeber. Aber das Förmliche der Satzung ist darum dem Vereine angemessen, weil dieser, auch wenn er durch eine individuelle Person vertreten wird, zumal aber wenn durch eine Versammlung, eines bestimmten (im Statut vorgesehenen) Schematismus bedarf, um seinen Willen überhaupt zu bilden und als gültigen Beschluss darzustellen. Eben desshalb ist ihm auch der allgemeinste Ausdruck am meisten natürlich, als wodurch in gegebener Zeit die grösste Lei- stung geschieht, wenn die Anwendung auf Gruppen von Fällen und auf einzelne Fälle jenen seinen abhängigen Per- sonen überlassen werden kann.
§ 29.
Der Staat hat einen zwieschlächtigen Charakter. Er ist zuerst die allgemeine gesellschaftliche Verbindung, be- stehend und gleichsam errichtet zu dem Zwecke, Frei- heit und Eigenthum seiner Subjecte zu beschützen, mithin das auf der Gültigkeit von Contracten beruhende natürliche Recht auszudrücken und durchzuführen. Er ist also, gleich jedem anderen constituirten Vereine, eine fingirte oder künst- liche Person und steht als solche in der Rechtsordnung allen übrigen Personen gleich und gegenüber. Es gibt ein natür- liches Recht zwischen ihm und den Einzelnen, als zwi- schen einem Mandatar und seinen Mandanten. Dieses Recht bleibt also auch über ihm, als gesellschaftlicher Wille, con- ventionelles Naturrecht, bestehen. Dazu gehört seine ge- sammte Verfassung und die Ordnung, in welcher er seinen Willen als gültigen ausdrücken soll. Dieses Recht kann, wie jedes Recht, streitig sein und es kann eine besondere Person
Form, in welcher er für diese seine Untergebenen seine Willkür durch allgemeine Sätze ausdrückt, nenne ich Satzung. Die Ausführung solcher Satzungen als für sie verbindlicher Normen ist die im Begriffe zusammen- gefasste Dienstleistung, für welche jene bezahlt werden; sie darf nicht selber als obligatorisch gedacht werden, son- dern sie ist wie im momentanen Tausche dargebotenes Aequivalent. Auch die individuelle Person kann auf diese Weise ihren Willen in allgemeine Befehle fassen und ausführen. Jeder Mandant ist für seinen Mandatar Ge- setzgeber. Aber das Förmliche der Satzung ist darum dem Vereine angemessen, weil dieser, auch wenn er durch eine individuelle Person vertreten wird, zumal aber wenn durch eine Versammlung, eines bestimmten (im Statut vorgesehenen) Schematismus bedarf, um seinen Willen überhaupt zu bilden und als gültigen Beschluss darzustellen. Eben desshalb ist ihm auch der allgemeinste Ausdruck am meisten natürlich, als wodurch in gegebener Zeit die grösste Lei- stung geschieht, wenn die Anwendung auf Gruppen von Fällen und auf einzelne Fälle jenen seinen abhängigen Per- sonen überlassen werden kann.
§ 29.
Der Staat hat einen zwieschlächtigen Charakter. Er ist zuerst die allgemeine gesellschaftliche Verbindung, be- stehend und gleichsam errichtet zu dem Zwecke, Frei- heit und Eigenthum seiner Subjecte zu beschützen, mithin das auf der Gültigkeit von Contracten beruhende natürliche Recht auszudrücken und durchzuführen. Er ist also, gleich jedem anderen constituirten Vereine, eine fingirte oder künst- liche Person und steht als solche in der Rechtsordnung allen übrigen Personen gleich und gegenüber. Es gibt ein natür- liches Recht zwischen ihm und den Einzelnen, als zwi- schen einem Mandatar und seinen Mandanten. Dieses Recht bleibt also auch über ihm, als gesellschaftlicher Wille, con- ventionelles Naturrecht, bestehen. Dazu gehört seine ge- sammte Verfassung und die Ordnung, in welcher er seinen Willen als gültigen ausdrücken soll. Dieses Recht kann, wie jedes Recht, streitig sein und es kann eine besondere Person
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0300"n="264"/>
Form, in welcher er für diese seine Untergebenen seine<lb/>
Willkür durch allgemeine Sätze ausdrückt, nenne ich<lb/><hirendition="#g">Satzung</hi>. Die Ausführung solcher Satzungen als für<lb/>
sie verbindlicher Normen ist die im Begriffe zusammen-<lb/>
gefasste Dienstleistung, für welche jene bezahlt werden;<lb/>
sie darf nicht selber als obligatorisch gedacht werden, son-<lb/>
dern sie ist wie im momentanen Tausche dargebotenes<lb/>
Aequivalent. Auch die individuelle Person kann auf<lb/>
diese Weise ihren Willen in allgemeine Befehle fassen und<lb/>
ausführen. Jeder Mandant ist für seinen Mandatar Ge-<lb/>
setzgeber. Aber das Förmliche der Satzung ist darum dem<lb/>
Vereine angemessen, weil dieser, auch wenn er durch eine<lb/>
individuelle Person vertreten wird, zumal aber wenn durch<lb/>
eine Versammlung, eines bestimmten (im Statut vorgesehenen)<lb/>
Schematismus bedarf, um seinen Willen überhaupt zu bilden<lb/>
und als gültigen Beschluss darzustellen. Eben desshalb<lb/>
ist ihm auch der <hirendition="#g">allgemeinste</hi> Ausdruck am meisten<lb/>
natürlich, als wodurch in gegebener Zeit die grösste Lei-<lb/>
stung geschieht, wenn die Anwendung auf Gruppen von<lb/>
Fällen und auf einzelne Fälle jenen seinen abhängigen Per-<lb/>
sonen überlassen werden kann.</p></div><lb/><divn="3"><head>§ 29.</head><lb/><p>Der <hirendition="#g">Staat</hi> hat einen zwieschlächtigen Charakter. Er<lb/>
ist <hirendition="#g">zuerst</hi> die allgemeine gesellschaftliche Verbindung, be-<lb/>
stehend und <hirendition="#g">gleichsam errichtet</hi> zu dem Zwecke, Frei-<lb/>
heit und Eigenthum seiner Subjecte zu beschützen, mithin<lb/>
das auf der Gültigkeit von Contracten beruhende natürliche<lb/>
Recht auszudrücken und durchzuführen. Er ist also, gleich<lb/>
jedem anderen constituirten Vereine, eine fingirte oder künst-<lb/>
liche Person und steht als solche in der Rechtsordnung allen<lb/>
übrigen Personen gleich und gegenüber. Es gibt ein natür-<lb/>
liches Recht <hirendition="#g">zwischen</hi> ihm und den Einzelnen, als zwi-<lb/>
schen einem Mandatar und seinen Mandanten. Dieses Recht<lb/>
bleibt also auch <hirendition="#g">über</hi> ihm, als gesellschaftlicher Wille, con-<lb/>
ventionelles Naturrecht, bestehen. Dazu gehört seine ge-<lb/>
sammte Verfassung und die Ordnung, in welcher er seinen<lb/>
Willen als gültigen ausdrücken soll. Dieses Recht kann, wie<lb/>
jedes Recht, streitig sein und es kann eine besondere Person<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[264/0300]
Form, in welcher er für diese seine Untergebenen seine
Willkür durch allgemeine Sätze ausdrückt, nenne ich
Satzung. Die Ausführung solcher Satzungen als für
sie verbindlicher Normen ist die im Begriffe zusammen-
gefasste Dienstleistung, für welche jene bezahlt werden;
sie darf nicht selber als obligatorisch gedacht werden, son-
dern sie ist wie im momentanen Tausche dargebotenes
Aequivalent. Auch die individuelle Person kann auf
diese Weise ihren Willen in allgemeine Befehle fassen und
ausführen. Jeder Mandant ist für seinen Mandatar Ge-
setzgeber. Aber das Förmliche der Satzung ist darum dem
Vereine angemessen, weil dieser, auch wenn er durch eine
individuelle Person vertreten wird, zumal aber wenn durch
eine Versammlung, eines bestimmten (im Statut vorgesehenen)
Schematismus bedarf, um seinen Willen überhaupt zu bilden
und als gültigen Beschluss darzustellen. Eben desshalb
ist ihm auch der allgemeinste Ausdruck am meisten
natürlich, als wodurch in gegebener Zeit die grösste Lei-
stung geschieht, wenn die Anwendung auf Gruppen von
Fällen und auf einzelne Fälle jenen seinen abhängigen Per-
sonen überlassen werden kann.
§ 29.
Der Staat hat einen zwieschlächtigen Charakter. Er
ist zuerst die allgemeine gesellschaftliche Verbindung, be-
stehend und gleichsam errichtet zu dem Zwecke, Frei-
heit und Eigenthum seiner Subjecte zu beschützen, mithin
das auf der Gültigkeit von Contracten beruhende natürliche
Recht auszudrücken und durchzuführen. Er ist also, gleich
jedem anderen constituirten Vereine, eine fingirte oder künst-
liche Person und steht als solche in der Rechtsordnung allen
übrigen Personen gleich und gegenüber. Es gibt ein natür-
liches Recht zwischen ihm und den Einzelnen, als zwi-
schen einem Mandatar und seinen Mandanten. Dieses Recht
bleibt also auch über ihm, als gesellschaftlicher Wille, con-
ventionelles Naturrecht, bestehen. Dazu gehört seine ge-
sammte Verfassung und die Ordnung, in welcher er seinen
Willen als gültigen ausdrücken soll. Dieses Recht kann, wie
jedes Recht, streitig sein und es kann eine besondere Person
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/300>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.