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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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Frieden über weites Gebiet das Gemeinwesen eines ganzen
Volkes ausgebreitet ist, so dass nur der Schutz der Reichs-
Grenzen erfordert wird, und vollends, wenn in Folge
dessen zugleich der schwergerüstete und berittene Streiter
die regelmässige, desshalb aber um so seltenere Einheit des
Heeres wird, so bildet sich aus Denen, die vormals etwa nur
in kleineren oder grösseren Gruppen Führer waren, eine
besondere Krieger-Kaste, welche insofern, als in ihr
die ältesten Herren und directesten Nachkommen der Vor-
fahren ganzer Stammes-Abtheilungen, man setze: der Clans,
verbunden sind, mit dem Stande des Adels zusammen-
fällt und so geheissen wird. Dieser ist daher in besonderem
und höherem Sinne frei, nämlich in Bezug auf die Ge-
sammtheit des Reiches oder, in engerem Sinne, des Landes,
welches er zu schützen und etwa auch zu mehren berufen
ist. Im Verhältniss zu ihm ist daher die Freiheit der
Gemeinen eine geminderte, ausser sofern diese auch
selber fortfahren, zur Heeresfolge oder zu einem gültigen
Ersatze derselben fähig und bereit zu sein; oder wenn
sie einem engeren Gemeinwesen angehören, das von den
Wirkungen dieser Umstände frei bleibend seine Abhängig-
keit vom Reiche nur durch sachliche Leistungen an den
Fürsten desselben zu bewähren nöthig hat. Der Adel
aber mag theils seines besonderen Eigenthums, durch wel-
ches der Einzelne den Mark- oder Dorfgenossen gleich ist
oder doch nur einige solche aufwiegt, durch Knechte, die
durchaus von ihm abhängig sind, walten -- wie denn ein
solcher Stand aus einer ursprünglich überwundenen Bevöl-
kerung herrühren oder durch Einwanderungen Fremder sich
bilden, endlich aber auch durch Vermehrung, zumal unge-
setzliche, des freien Volkes selber entstehen mag -- oder
wenn dies unmöglich oder unzureichend ist, durch Beiträge,
Abgaben der um seinen Hof herum ansässigen Bauern er-
nährt und gepflegt werden. Solche Abgaben können, so
lange als gedacht wird, dass die Dorfgemeinden ihrer Feld-
mark rechte Eigenthümer nach geglaubtem und gehaltenem
Herkommen sind, nur als freiwillige, wenn auch durch
Sitte pflichtmässige begriffen werden. Wenn der Baron
oder Ritter als Freiherr über ihnen im politischen, d. h. im

Frieden über weites Gebiet das Gemeinwesen eines ganzen
Volkes ausgebreitet ist, so dass nur der Schutz der Reichs-
Grenzen erfordert wird, und vollends, wenn in Folge
dessen zugleich der schwergerüstete und berittene Streiter
die regelmässige, desshalb aber um so seltenere Einheit des
Heeres wird, so bildet sich aus Denen, die vormals etwa nur
in kleineren oder grösseren Gruppen Führer waren, eine
besondere Krieger-Kaste, welche insofern, als in ihr
die ältesten Herren und directesten Nachkommen der Vor-
fahren ganzer Stammes-Abtheilungen, man setze: der Clans,
verbunden sind, mit dem Stande des Adels zusammen-
fällt und so geheissen wird. Dieser ist daher in besonderem
und höherem Sinne frei, nämlich in Bezug auf die Ge-
sammtheit des Reiches oder, in engerem Sinne, des Landes,
welches er zu schützen und etwa auch zu mehren berufen
ist. Im Verhältniss zu ihm ist daher die Freiheit der
Gemeinen eine geminderte, ausser sofern diese auch
selber fortfahren, zur Heeresfolge oder zu einem gültigen
Ersatze derselben fähig und bereit zu sein; oder wenn
sie einem engeren Gemeinwesen angehören, das von den
Wirkungen dieser Umstände frei bleibend seine Abhängig-
keit vom Reiche nur durch sachliche Leistungen an den
Fürsten desselben zu bewähren nöthig hat. Der Adel
aber mag theils seines besonderen Eigenthums, durch wel-
ches der Einzelne den Mark- oder Dorfgenossen gleich ist
oder doch nur einige solche aufwiegt, durch Knechte, die
durchaus von ihm abhängig sind, walten — wie denn ein
solcher Stand aus einer ursprünglich überwundenen Bevöl-
kerung herrühren oder durch Einwanderungen Fremder sich
bilden, endlich aber auch durch Vermehrung, zumal unge-
setzliche, des freien Volkes selber entstehen mag — oder
wenn dies unmöglich oder unzureichend ist, durch Beiträge,
Abgaben der um seinen Hof herum ansässigen Bauern er-
nährt und gepflegt werden. Solche Abgaben können, so
lange als gedacht wird, dass die Dorfgemeinden ihrer Feld-
mark rechte Eigenthümer nach geglaubtem und gehaltenem
Herkommen sind, nur als freiwillige, wenn auch durch
Sitte pflichtmässige begriffen werden. Wenn der Baron
oder Ritter als Freiherr über ihnen im politischen, d. h. im

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[258/0294] Frieden über weites Gebiet das Gemeinwesen eines ganzen Volkes ausgebreitet ist, so dass nur der Schutz der Reichs- Grenzen erfordert wird, und vollends, wenn in Folge dessen zugleich der schwergerüstete und berittene Streiter die regelmässige, desshalb aber um so seltenere Einheit des Heeres wird, so bildet sich aus Denen, die vormals etwa nur in kleineren oder grösseren Gruppen Führer waren, eine besondere Krieger-Kaste, welche insofern, als in ihr die ältesten Herren und directesten Nachkommen der Vor- fahren ganzer Stammes-Abtheilungen, man setze: der Clans, verbunden sind, mit dem Stande des Adels zusammen- fällt und so geheissen wird. Dieser ist daher in besonderem und höherem Sinne frei, nämlich in Bezug auf die Ge- sammtheit des Reiches oder, in engerem Sinne, des Landes, welches er zu schützen und etwa auch zu mehren berufen ist. Im Verhältniss zu ihm ist daher die Freiheit der Gemeinen eine geminderte, ausser sofern diese auch selber fortfahren, zur Heeresfolge oder zu einem gültigen Ersatze derselben fähig und bereit zu sein; oder wenn sie einem engeren Gemeinwesen angehören, das von den Wirkungen dieser Umstände frei bleibend seine Abhängig- keit vom Reiche nur durch sachliche Leistungen an den Fürsten desselben zu bewähren nöthig hat. Der Adel aber mag theils seines besonderen Eigenthums, durch wel- ches der Einzelne den Mark- oder Dorfgenossen gleich ist oder doch nur einige solche aufwiegt, durch Knechte, die durchaus von ihm abhängig sind, walten — wie denn ein solcher Stand aus einer ursprünglich überwundenen Bevöl- kerung herrühren oder durch Einwanderungen Fremder sich bilden, endlich aber auch durch Vermehrung, zumal unge- setzliche, des freien Volkes selber entstehen mag — oder wenn dies unmöglich oder unzureichend ist, durch Beiträge, Abgaben der um seinen Hof herum ansässigen Bauern er- nährt und gepflegt werden. Solche Abgaben können, so lange als gedacht wird, dass die Dorfgemeinden ihrer Feld- mark rechte Eigenthümer nach geglaubtem und gehaltenem Herkommen sind, nur als freiwillige, wenn auch durch Sitte pflichtmässige begriffen werden. Wenn der Baron oder Ritter als Freiherr über ihnen im politischen, d. h. im

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/294>, abgerufen am 23.11.2024.