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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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somit in Erinnerung und Erneuerung. Dies ist Sinn und
Werth von Festen und Ceremonien, worin Theilnahme an
Freude und Trauer, gemeinschaftliche Hingebung an ein
Höheres, Göttliches sich kundgibt.

§ 24.

Was aber durch Eintracht sich ergibt, als Inhalt und
Form des Zusammenlebens, das ist eine natürliche und
a priori in ihrem Keime enthaltene Ordnung und Harmonie,
nach welcher jedes Mitglied das Seine thut, thun muss oder
doch soll; das Seine geniesst, geniessen soll oder doch darf.
Das will sagen: es ist durch die organisch-animalische Natur
des Menschen, also vor aller menschlichen Cultur oder Ge-
schichte, gegeben und bedarf nur der Entwicklung durch
ein freies Wachsthum, welches nichts als die ihm gün-
stigen äusseren Bedingungen erfordert; und diese mögen
freilich auch in historischen Umständen liegen. Hin-
gegen Sitte kann auch ihrer inneren Anlage nach nur aus
der schon entwickelten mentalen Fähigkeit und Arbeit der
Menschen begriffen werden; und sie entwickelt sich mit und
an solcher Arbeit, insonderheit wie gesagt wurde: dem
Ackerbau und je mehr diese und andere Kunst mit Geschick
und Klugheit betrieben werden. So muss denn in der
Volksgemeinde aus einem allgemeinen gleichen Wesenwillen,
allgemeiner gleicher Kraft, Pflicht und Gerechtsame, alles
Besondere von dieser Art abgeleitet werden, als durch
eigene Anlage und Thätigkeit ausgebildet; und insofern
also jene selber, in Gesammtheit, solche Arbeit aus sich hervor-
gebracht hat und in ihrer Beschaffenheit und Verfassung
die Kraft und den Willen dazu darstellt, ungleiche Pflichten
und Gerechtsame auf ihre Einheit beziehend -- so ist sol-
cher Wille Sitte und (positives) Recht. Hierdurch hat die
Gemeinde zu einzelnen Individuen oder einzelnen Gruppen
das Verhältniss des Organismus zu seinen Geweben und Or-
ganen; und dies ergibt die Begriffe von Aemtern und Stän-
den, welche, indem sie dauernd und etwa gar in Fami-
lien erblich werden, zugleich ihren Zusammenhang mit dem
Ganzen und ihre eigene Freiheit vermehren und befestigen;
sofern nicht das eine auf Kosten des anderen geschieht, wie

somit in Erinnerung und Erneuerung. Dies ist Sinn und
Werth von Festen und Ceremonien, worin Theilnahme an
Freude und Trauer, gemeinschaftliche Hingebung an ein
Höheres, Göttliches sich kundgibt.

§ 24.

Was aber durch Eintracht sich ergibt, als Inhalt und
Form des Zusammenlebens, das ist eine natürliche und
a priori in ihrem Keime enthaltene Ordnung und Harmonie,
nach welcher jedes Mitglied das Seine thut, thun muss oder
doch soll; das Seine geniesst, geniessen soll oder doch darf.
Das will sagen: es ist durch die organisch-animalische Natur
des Menschen, also vor aller menschlichen Cultur oder Ge-
schichte, gegeben und bedarf nur der Entwicklung durch
ein freies Wachsthum, welches nichts als die ihm gün-
stigen äusseren Bedingungen erfordert; und diese mögen
freilich auch in historischen Umständen liegen. Hin-
gegen Sitte kann auch ihrer inneren Anlage nach nur aus
der schon entwickelten mentalen Fähigkeit und Arbeit der
Menschen begriffen werden; und sie entwickelt sich mit und
an solcher Arbeit, insonderheit wie gesagt wurde: dem
Ackerbau und je mehr diese und andere Kunst mit Geschick
und Klugheit betrieben werden. So muss denn in der
Volksgemeinde aus einem allgemeinen gleichen Wesenwillen,
allgemeiner gleicher Kraft, Pflicht und Gerechtsame, alles
Besondere von dieser Art abgeleitet werden, als durch
eigene Anlage und Thätigkeit ausgebildet; und insofern
also jene selber, in Gesammtheit, solche Arbeit aus sich hervor-
gebracht hat und in ihrer Beschaffenheit und Verfassung
die Kraft und den Willen dazu darstellt, ungleiche Pflichten
und Gerechtsame auf ihre Einheit beziehend — so ist sol-
cher Wille Sitte und (positives) Recht. Hierdurch hat die
Gemeinde zu einzelnen Individuen oder einzelnen Gruppen
das Verhältniss des Organismus zu seinen Geweben und Or-
ganen; und dies ergibt die Begriffe von Aemtern und Stän-
den, welche, indem sie dauernd und etwa gar in Fami-
lien erblich werden, zugleich ihren Zusammenhang mit dem
Ganzen und ihre eigene Freiheit vermehren und befestigen;
sofern nicht das eine auf Kosten des anderen geschieht, wie

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[253/0289] somit in Erinnerung und Erneuerung. Dies ist Sinn und Werth von Festen und Ceremonien, worin Theilnahme an Freude und Trauer, gemeinschaftliche Hingebung an ein Höheres, Göttliches sich kundgibt. § 24. Was aber durch Eintracht sich ergibt, als Inhalt und Form des Zusammenlebens, das ist eine natürliche und a priori in ihrem Keime enthaltene Ordnung und Harmonie, nach welcher jedes Mitglied das Seine thut, thun muss oder doch soll; das Seine geniesst, geniessen soll oder doch darf. Das will sagen: es ist durch die organisch-animalische Natur des Menschen, also vor aller menschlichen Cultur oder Ge- schichte, gegeben und bedarf nur der Entwicklung durch ein freies Wachsthum, welches nichts als die ihm gün- stigen äusseren Bedingungen erfordert; und diese mögen freilich auch in historischen Umständen liegen. Hin- gegen Sitte kann auch ihrer inneren Anlage nach nur aus der schon entwickelten mentalen Fähigkeit und Arbeit der Menschen begriffen werden; und sie entwickelt sich mit und an solcher Arbeit, insonderheit wie gesagt wurde: dem Ackerbau und je mehr diese und andere Kunst mit Geschick und Klugheit betrieben werden. So muss denn in der Volksgemeinde aus einem allgemeinen gleichen Wesenwillen, allgemeiner gleicher Kraft, Pflicht und Gerechtsame, alles Besondere von dieser Art abgeleitet werden, als durch eigene Anlage und Thätigkeit ausgebildet; und insofern also jene selber, in Gesammtheit, solche Arbeit aus sich hervor- gebracht hat und in ihrer Beschaffenheit und Verfassung die Kraft und den Willen dazu darstellt, ungleiche Pflichten und Gerechtsame auf ihre Einheit beziehend — so ist sol- cher Wille Sitte und (positives) Recht. Hierdurch hat die Gemeinde zu einzelnen Individuen oder einzelnen Gruppen das Verhältniss des Organismus zu seinen Geweben und Or- ganen; und dies ergibt die Begriffe von Aemtern und Stän- den, welche, indem sie dauernd und etwa gar in Fami- lien erblich werden, zugleich ihren Zusammenhang mit dem Ganzen und ihre eigene Freiheit vermehren und befestigen; sofern nicht das eine auf Kosten des anderen geschieht, wie

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/289>, abgerufen am 24.11.2024.