und wie viel erquickender Wein um euch her mit Widerwillen ge- nossen, oder wol gar auf die Erde geschüttet wird! Nicht wahr, wir könten mit einer kleinen Gabe euer Glück, und euch zu Ver- ehrern und Fürbittern, machen? Aber, habt Mitleiden mit uns, wenn wir es nicht thun; denn die Strafe folgt uns auf den Füssen. Unsre Geschenke, die wir den Vornehmen durch die dritte vierte Hand machen; unsre Gastereien, um uns Freunde vom Stande zu verschaffen; unsre niederträchtige Ehrerbietungen, und er- zwungne freundliche Gesichter und Gespräche, helfen uns zu nichts. Oft machen sie uns so gar in den Augen unsrer Götzen verächtli- cher, als ihr es in unsern Augen seyd. In den meinigen sollt ihr es, wofern ihr Gott fürchtet, nicht mehr seyn. Brüder und Schwestern will ich euch nennen, und meine Linke soll nicht wis- sen, was meine Rechte euch giebt. Ich will öfters an euch, als an neue Moden gedenken, und mit euch leiden und weinen.
Wie ists doch möglich, unpartheiischer Vater! daß du deine Kinder so sehr verschieden ausgestattet hast! Eine Taufe, Ein Glaube, Ein Nachtmal, Ein Erlöser, Ein und derselbe Himmel: aber die Beköstigung und Kleidung wie unterschieden! Wenn ich einen prächtigen Reichen und unter seinen Hunden einen halb- nackenden wimmerden Armen sehe: so scheinet mir jener ein Ueberbleibsel des Paradises, und dieser ein Beweis des Sünden- falls zu seyn. Jener trägt die Liverei der Tugend, und dieser des Lasters. Jedoch deine Urtheile, o Gott! sind nicht die unsrigen; die wir das Wesen eines Menschen nach Seide oder Wolle ver- schieden finden, und mehr die Kleidungen als den Menschen be- trachten. In deinen Augen war Lazarus ruhmwerth, der reiche Mann aber nahmen- und ehrlos. Und dis tröstet mich in Ab- sicht meiner armen Nächsten. Wie könte ich mich jetzt wohl- beköstigt in weiche Betten legen, da so viele Arme, die im Winter noch ärmer sind als sonst, Steine durch ihr Aechzen bewegen mögten! Aber du bist ja ihr Vater und kanst mehr thun als jemals ich. Nach Pflicht und Gewissen will ich geben: aber mehr noch für sie beten. Dir befehle ich die Armen, diese Brü- der Jesu! Erhalt mich jederzeit weichherzig gegen sie, und erlös uns alle von unsern mannigfaltigen Uebeln!
Der
Der 25te Januar.
und wie viel erquickender Wein um euch her mit Widerwillen ge- noſſen, oder wol gar auf die Erde geſchuͤttet wird! Nicht wahr, wir koͤnten mit einer kleinen Gabe euer Gluͤck, und euch zu Ver- ehrern und Fuͤrbittern, machen? Aber, habt Mitleiden mit uns, wenn wir es nicht thun; denn die Strafe folgt uns auf den Fuͤſſen. Unſre Geſchenke, die wir den Vornehmen durch die dritte vierte Hand machen; unſre Gaſtereien, um uns Freunde vom Stande zu verſchaffen; unſre niedertraͤchtige Ehrerbietungen, und er- zwungne freundliche Geſichter und Geſpraͤche, helfen uns zu nichts. Oft machen ſie uns ſo gar in den Augen unſrer Goͤtzen veraͤchtli- cher, als ihr es in unſern Augen ſeyd. In den meinigen ſollt ihr es, wofern ihr Gott fuͤrchtet, nicht mehr ſeyn. Bruͤder und Schweſtern will ich euch nennen, und meine Linke ſoll nicht wiſ- ſen, was meine Rechte euch giebt. Ich will oͤfters an euch, als an neue Moden gedenken, und mit euch leiden und weinen.
Wie iſts doch moͤglich, unpartheiiſcher Vater! daß du deine Kinder ſo ſehr verſchieden ausgeſtattet haſt! Eine Taufe, Ein Glaube, Ein Nachtmal, Ein Erloͤſer, Ein und derſelbe Himmel: aber die Bekoͤſtigung und Kleidung wie unterſchieden! Wenn ich einen praͤchtigen Reichen und unter ſeinen Hunden einen halb- nackenden wimmerden Armen ſehe: ſo ſcheinet mir jener ein Ueberbleibſel des Paradiſes, und dieſer ein Beweis des Suͤnden- falls zu ſeyn. Jener traͤgt die Liverei der Tugend, und dieſer des Laſters. Jedoch deine Urtheile, o Gott! ſind nicht die unſrigen; die wir das Weſen eines Menſchen nach Seide oder Wolle ver- ſchieden finden, und mehr die Kleidungen als den Menſchen be- trachten. In deinen Augen war Lazarus ruhmwerth, der reiche Mann aber nahmen- und ehrlos. Und dis troͤſtet mich in Ab- ſicht meiner armen Naͤchſten. Wie koͤnte ich mich jetzt wohl- bekoͤſtigt in weiche Betten legen, da ſo viele Arme, die im Winter noch aͤrmer ſind als ſonſt, Steine durch ihr Aechzen bewegen moͤgten! Aber du biſt ja ihr Vater und kanſt mehr thun als jemals ich. Nach Pflicht und Gewiſſen will ich geben: aber mehr noch fuͤr ſie beten. Dir befehle ich die Armen, dieſe Bruͤ- der Jeſu! Erhalt mich jederzeit weichherzig gegen ſie, und erloͤſ uns alle von unſern mannigfaltigen Uebeln!
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[52[82]/0089]
Der 25te Januar.
und wie viel erquickender Wein um euch her mit Widerwillen ge-
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wir koͤnten mit einer kleinen Gabe euer Gluͤck, und euch zu Ver-
ehrern und Fuͤrbittern, machen? Aber, habt Mitleiden mit uns,
wenn wir es nicht thun; denn die Strafe folgt uns auf den Fuͤſſen.
Unſre Geſchenke, die wir den Vornehmen durch die dritte vierte
Hand machen; unſre Gaſtereien, um uns Freunde vom Stande
zu verſchaffen; unſre niedertraͤchtige Ehrerbietungen, und er-
zwungne freundliche Geſichter und Geſpraͤche, helfen uns zu nichts.
Oft machen ſie uns ſo gar in den Augen unſrer Goͤtzen veraͤchtli-
cher, als ihr es in unſern Augen ſeyd. In den meinigen ſollt ihr
es, wofern ihr Gott fuͤrchtet, nicht mehr ſeyn. Bruͤder und
Schweſtern will ich euch nennen, und meine Linke ſoll nicht wiſ-
ſen, was meine Rechte euch giebt. Ich will oͤfters an euch, als
an neue Moden gedenken, und mit euch leiden und weinen.
Wie iſts doch moͤglich, unpartheiiſcher Vater! daß du deine
Kinder ſo ſehr verſchieden ausgeſtattet haſt! Eine Taufe, Ein
Glaube, Ein Nachtmal, Ein Erloͤſer, Ein und derſelbe Himmel:
aber die Bekoͤſtigung und Kleidung wie unterſchieden! Wenn ich
einen praͤchtigen Reichen und unter ſeinen Hunden einen halb-
nackenden wimmerden Armen ſehe: ſo ſcheinet mir jener ein
Ueberbleibſel des Paradiſes, und dieſer ein Beweis des Suͤnden-
falls zu ſeyn. Jener traͤgt die Liverei der Tugend, und dieſer des
Laſters. Jedoch deine Urtheile, o Gott! ſind nicht die unſrigen;
die wir das Weſen eines Menſchen nach Seide oder Wolle ver-
ſchieden finden, und mehr die Kleidungen als den Menſchen be-
trachten. In deinen Augen war Lazarus ruhmwerth, der reiche
Mann aber nahmen- und ehrlos. Und dis troͤſtet mich in Ab-
ſicht meiner armen Naͤchſten. Wie koͤnte ich mich jetzt wohl-
bekoͤſtigt in weiche Betten legen, da ſo viele Arme, die
im Winter noch aͤrmer ſind als ſonſt, Steine durch ihr Aechzen
bewegen moͤgten! Aber du biſt ja ihr Vater und kanſt mehr thun
als jemals ich. Nach Pflicht und Gewiſſen will ich geben: aber
mehr noch fuͤr ſie beten. Dir befehle ich die Armen, dieſe Bruͤ-
der Jeſu! Erhalt mich jederzeit weichherzig gegen ſie, und erloͤſ
uns alle von unſern mannigfaltigen Uebeln!
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 52[82]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/89>, abgerufen am 03.07.2024.
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