sie nach Jerusalem zurück getrieben hätte! So muß auch noch jetzt der Schwelger aufhören, wenn alles um ihn her einschläft oder ihn verläßt. Der größte Theil derer, welche nun auf ih- rem Lager schnarchen, würde, falls er wachen könte, noch flu- chen, Tugendhafte beleidigen und Sünden auf Sünden häufen. So aber kan ihre gottlose Seele sich jetzt nur selber in Träumen ängstigen, verführen oder mißhandeln.
Aber der Fromme verlieret doch eben so viel Zeit, welche er edler anwenden, und dem Dienste Gottes und der Menschen weihen könte! -- Ja! ist er aber nicht auch schon vom beständi- gen Kampfe mit seinen Fehlern ermüdet? War es nicht schon ein saures Tagewerk für ihn, sein Herz beständig zu bewachen, und sich dem Strome seiner Leidenschaften entgegen zu stellen? Disseits des Grabes bist du, o Mensch! noch zu schwach, unauf- hörlich Gott zu dienen. Du gleichest hier den Säuglingen, de- ren schwächlicher Körper vielen Schlaf nöthig hat, um sich zu seiner bevorstehenden Bestimmung gehörig zu entwickeln. Nim also mit innigstem Danke die dir von Gott verstattete Ruhe, und Ablösung von deinem gefährlichen Posten, an. Dort aber, wann du einst zu deinem wahren Leben gelanget bist, dann wirst du nicht mehr unter der Tugend ermatten, nicht mehr nach Er- holung dich sehnen. Keine Nacht wird dich mehr, wo alles Sonne ist, von deinen Lobgesängen abrufen, und du wirst nicht mehr über deiner Andacht einschlummern, wie leider jetzt nicht selten geschieht! Bis dahin aber wache und bete, daß du nicht in Anfechtung fallest; denn willig ist zwar der Geist, aber das Fleisch ist schwach!
O! hätte ich doch heute nur solche Gedanken geheget, nur so geredet und gehandelt, daß ich es mit gutem Gewissen mor- gen, oder wenn ich diese Nacht stürbe, in der Ewigkeit fortse- tzen könte! Vergib, Herr Jesu! was fehlerhaft war, und erlöse mich endlich von allem Uebel! Amen.
Der
Der 7te Januar.
ſie nach Jeruſalem zuruͤck getrieben haͤtte! So muß auch noch jetzt der Schwelger aufhoͤren, wenn alles um ihn her einſchlaͤft oder ihn verlaͤßt. Der groͤßte Theil derer, welche nun auf ih- rem Lager ſchnarchen, wuͤrde, falls er wachen koͤnte, noch flu- chen, Tugendhafte beleidigen und Suͤnden auf Suͤnden haͤufen. So aber kan ihre gottloſe Seele ſich jetzt nur ſelber in Traͤumen aͤngſtigen, verfuͤhren oder mißhandeln.
Aber der Fromme verlieret doch eben ſo viel Zeit, welche er edler anwenden, und dem Dienſte Gottes und der Menſchen weihen koͤnte! — Ja! iſt er aber nicht auch ſchon vom beſtaͤndi- gen Kampfe mit ſeinen Fehlern ermuͤdet? War es nicht ſchon ein ſaures Tagewerk fuͤr ihn, ſein Herz beſtaͤndig zu bewachen, und ſich dem Strome ſeiner Leidenſchaften entgegen zu ſtellen? Diſſeits des Grabes biſt du, o Menſch! noch zu ſchwach, unauf- hoͤrlich Gott zu dienen. Du gleicheſt hier den Saͤuglingen, de- ren ſchwaͤchlicher Koͤrper vielen Schlaf noͤthig hat, um ſich zu ſeiner bevorſtehenden Beſtimmung gehoͤrig zu entwickeln. Nim alſo mit innigſtem Danke die dir von Gott verſtattete Ruhe, und Abloͤſung von deinem gefaͤhrlichen Poſten, an. Dort aber, wann du einſt zu deinem wahren Leben gelanget biſt, dann wirſt du nicht mehr unter der Tugend ermatten, nicht mehr nach Er- holung dich ſehnen. Keine Nacht wird dich mehr, wo alles Sonne iſt, von deinen Lobgeſaͤngen abrufen, und du wirſt nicht mehr uͤber deiner Andacht einſchlummern, wie leider jetzt nicht ſelten geſchieht! Bis dahin aber wache und bete, daß du nicht in Anfechtung falleſt; denn willig iſt zwar der Geiſt, aber das Fleiſch iſt ſchwach!
O! haͤtte ich doch heute nur ſolche Gedanken geheget, nur ſo geredet und gehandelt, daß ich es mit gutem Gewiſſen mor- gen, oder wenn ich dieſe Nacht ſtuͤrbe, in der Ewigkeit fortſe- tzen koͤnte! Vergib, Herr Jeſu! was fehlerhaft war, und erloͤſe mich endlich von allem Uebel! Amen.
Der
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[16[46]/0053]
Der 7te Januar.
ſie nach Jeruſalem zuruͤck getrieben haͤtte! So muß auch noch
jetzt der Schwelger aufhoͤren, wenn alles um ihn her einſchlaͤft
oder ihn verlaͤßt. Der groͤßte Theil derer, welche nun auf ih-
rem Lager ſchnarchen, wuͤrde, falls er wachen koͤnte, noch flu-
chen, Tugendhafte beleidigen und Suͤnden auf Suͤnden haͤufen.
So aber kan ihre gottloſe Seele ſich jetzt nur ſelber in Traͤumen
aͤngſtigen, verfuͤhren oder mißhandeln.
Aber der Fromme verlieret doch eben ſo viel Zeit, welche er
edler anwenden, und dem Dienſte Gottes und der Menſchen
weihen koͤnte! — Ja! iſt er aber nicht auch ſchon vom beſtaͤndi-
gen Kampfe mit ſeinen Fehlern ermuͤdet? War es nicht ſchon
ein ſaures Tagewerk fuͤr ihn, ſein Herz beſtaͤndig zu bewachen,
und ſich dem Strome ſeiner Leidenſchaften entgegen zu ſtellen?
Diſſeits des Grabes biſt du, o Menſch! noch zu ſchwach, unauf-
hoͤrlich Gott zu dienen. Du gleicheſt hier den Saͤuglingen, de-
ren ſchwaͤchlicher Koͤrper vielen Schlaf noͤthig hat, um ſich zu
ſeiner bevorſtehenden Beſtimmung gehoͤrig zu entwickeln. Nim
alſo mit innigſtem Danke die dir von Gott verſtattete Ruhe, und
Abloͤſung von deinem gefaͤhrlichen Poſten, an. Dort aber,
wann du einſt zu deinem wahren Leben gelanget biſt, dann wirſt
du nicht mehr unter der Tugend ermatten, nicht mehr nach Er-
holung dich ſehnen. Keine Nacht wird dich mehr, wo alles
Sonne iſt, von deinen Lobgeſaͤngen abrufen, und du wirſt nicht
mehr uͤber deiner Andacht einſchlummern, wie leider jetzt nicht
ſelten geſchieht! Bis dahin aber wache und bete, daß du nicht in
Anfechtung falleſt; denn willig iſt zwar der Geiſt, aber das
Fleiſch iſt ſchwach!
O! haͤtte ich doch heute nur ſolche Gedanken geheget, nur
ſo geredet und gehandelt, daß ich es mit gutem Gewiſſen mor-
gen, oder wenn ich dieſe Nacht ſtuͤrbe, in der Ewigkeit fortſe-
tzen koͤnte! Vergib, Herr Jeſu! was fehlerhaft war, und erloͤſe
mich endlich von allem Uebel! Amen.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 16[46]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/53>, abgerufen am 16.02.2025.
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