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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 3te Januar.
wenn mich nicht der Gedanke beruhigte: auch sie sind in der Hand
Gottes, der nicht den geringsten Grad von Leiden ohne weise und
liebreiche Absichten verhängt. Kranke haben freilich zu wichtige
und deingende Pflichten, als daß sie nun schlafen und ruhen wol-
ten! Sie haben genug geschlafen, und sollen durch Kreuz und
Trübsal ins Reich Gottes eingehen.

Wie glücklich bin ich, daß ich jetzt ruhig zu Bette gehen,
und eines erquickenden Schlafs mich getrösten darf! Aber höchst
wohrscheinlich stehen mir auch noch schlaflose Nächte beter.
Bald werde auch ich vieleicht durch einen kochenden Puls, oder
durch stechende Schmerzen von der herbeigeseufzten Ruhe abgehal-
ten werden; werde verdrießlich seyn, daß meine Wärter schla-
fen; ungeduldig jeden Gleckenschlag zählen und dem Morgen,
dieser armseligen Wohlthat für Kranke! entgegen schmachten.
Alsdann, o! Jesu, beruhige mich dein Mittlerstod, und der
Anblick der frohen Ewigkeit verkürze mir die langsam schleichende
Stunden. Um aber dieser göttlichen Arznei alsdann fähig zu
seyn, will ich jetzt, da ich noch schlafen kan, über meine Seele
wachen, und bußfertig den Pfeilen des Gewissens die Schärfe
benehmen, welche sonst mein krankes Herz auf den Tod verwun-
den würden. Gib mir dazu Gnade, o! Gott, und mache
mich täglich fähiger, krank seyn und sterben zu können. Laß
mich den Schlaf jetzt von deiner Hand als eine unschätzbate
Wohlchat annehmen. Beruhige, so viel es ihnen mützlich ist,
alle deine Kranken, denn in deiner Hand liegen sie sämtlich ver
dir. Verkürz ihnen mit Trost und Hofnung diese Nacht und
ihre Leiden: und von den Tausenden, welche heunte versterben,
müsse keiner deiner Gnade und des Verdienstes Jesu unfähig seyn!
So eile ich denn zur Ruhe, und bleibe fest an dir, bis du mich
dereinst, nach einigen Nachtwachen der Krankheiten, zur ewi-
gen Ruhe fühcen wäst. Amen.

Der

Der 3te Januar.
wenn mich nicht der Gedanke beruhigte: auch ſie ſind in der Hand
Gottes, der nicht den geringſten Grad von Leiden ohne weiſe und
liebreiche Abſichten verhaͤngt. Kranke haben freilich zu wichtige
und deingende Pflichten, als daß ſie nun ſchlafen und ruhen wol-
ten! Sie haben genug geſchlafen, und ſollen durch Kreuz und
Truͤbſal ins Reich Gottes eingehen.

Wie gluͤcklich bin ich, daß ich jetzt ruhig zu Bette gehen,
und eines erquickenden Schlafs mich getroͤſten darf! Aber hoͤchſt
wohrſcheinlich ſtehen mir auch noch ſchlafloſe Naͤchte beter.
Bald werde auch ich vieleicht durch einen kochenden Puls, oder
durch ſtechende Schmerzen von der herbeigeſeufzten Ruhe abgehal-
ten werden; werde verdrießlich ſeyn, daß meine Waͤrter ſchla-
fen; ungeduldig jeden Gleckenſchlag zaͤhlen und dem Morgen,
dieſer armſeligen Wohlthat fuͤr Kranke! entgegen ſchmachten.
Alsdann, o! Jeſu, beruhige mich dein Mittlerstod, und der
Anblick der frohen Ewigkeit verkuͤrze mir die langſam ſchleichende
Stunden. Um aber dieſer goͤttlichen Arznei alsdann faͤhig zu
ſeyn, will ich jetzt, da ich noch ſchlafen kan, uͤber meine Seele
wachen, und bußfertig den Pfeilen des Gewiſſens die Schaͤrfe
benehmen, welche ſonſt mein krankes Herz auf den Tod verwun-
den wuͤrden. Gib mir dazu Gnade, o! Gott, und mache
mich taͤglich faͤhiger, krank ſeyn und ſterben zu koͤnnen. Laß
mich den Schlaf jetzt von deiner Hand als eine unſchaͤtzbate
Wohlchat annehmen. Beruhige, ſo viel es ihnen muͤtzlich iſt,
alle deine Kranken, denn in deiner Hand liegen ſie ſaͤmtlich ver
dir. Verkuͤrz ihnen mit Troſt und Hofnung dieſe Nacht und
ihre Leiden: und von den Tauſenden, welche heunte verſterben,
muͤſſe keiner deiner Gnade und des Verdienſtes Jeſu unfaͤhig ſeyn!
So eile ich denn zur Ruhe, und bleibe feſt an dir, bis du mich
dereinſt, nach einigen Nachtwachen der Krankheiten, zur ewi-
gen Ruhe fuͤhcen waͤſt. Amen.

Der
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[8[38]/0045] Der 3te Januar. wenn mich nicht der Gedanke beruhigte: auch ſie ſind in der Hand Gottes, der nicht den geringſten Grad von Leiden ohne weiſe und liebreiche Abſichten verhaͤngt. Kranke haben freilich zu wichtige und deingende Pflichten, als daß ſie nun ſchlafen und ruhen wol- ten! Sie haben genug geſchlafen, und ſollen durch Kreuz und Truͤbſal ins Reich Gottes eingehen. Wie gluͤcklich bin ich, daß ich jetzt ruhig zu Bette gehen, und eines erquickenden Schlafs mich getroͤſten darf! Aber hoͤchſt wohrſcheinlich ſtehen mir auch noch ſchlafloſe Naͤchte beter. Bald werde auch ich vieleicht durch einen kochenden Puls, oder durch ſtechende Schmerzen von der herbeigeſeufzten Ruhe abgehal- ten werden; werde verdrießlich ſeyn, daß meine Waͤrter ſchla- fen; ungeduldig jeden Gleckenſchlag zaͤhlen und dem Morgen, dieſer armſeligen Wohlthat fuͤr Kranke! entgegen ſchmachten. Alsdann, o! Jeſu, beruhige mich dein Mittlerstod, und der Anblick der frohen Ewigkeit verkuͤrze mir die langſam ſchleichende Stunden. Um aber dieſer goͤttlichen Arznei alsdann faͤhig zu ſeyn, will ich jetzt, da ich noch ſchlafen kan, uͤber meine Seele wachen, und bußfertig den Pfeilen des Gewiſſens die Schaͤrfe benehmen, welche ſonſt mein krankes Herz auf den Tod verwun- den wuͤrden. Gib mir dazu Gnade, o! Gott, und mache mich taͤglich faͤhiger, krank ſeyn und ſterben zu koͤnnen. Laß mich den Schlaf jetzt von deiner Hand als eine unſchaͤtzbate Wohlchat annehmen. Beruhige, ſo viel es ihnen muͤtzlich iſt, alle deine Kranken, denn in deiner Hand liegen ſie ſaͤmtlich ver dir. Verkuͤrz ihnen mit Troſt und Hofnung dieſe Nacht und ihre Leiden: und von den Tauſenden, welche heunte verſterben, muͤſſe keiner deiner Gnade und des Verdienſtes Jeſu unfaͤhig ſeyn! So eile ich denn zur Ruhe, und bleibe feſt an dir, bis du mich dereinſt, nach einigen Nachtwachen der Krankheiten, zur ewi- gen Ruhe fuͤhcen waͤſt. Amen. Der

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 8[38]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/45>, abgerufen am 20.05.2024.