Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite


Der 18te Mai.
Ach! solt ich die Gefahren wissen,
Die jede Nacht mein Haus umziehn:
So würd ich abends zittern müssen,
Und früh würd ich vom Danke glühn!
Mein Leben wird mit jeder Nacht,
Wie eine Beute hingebracht.


Die Gefahren der Nacht sind so mancherlei, daß es
Leichtsinn und Verwegenheit genennet werden muß, wenn
man ihrer gar nicht achtet. Wir sind wachend blödsichtig und
haben nicht viel Gewalt über uns: im Schlaf aber verlieren wir
den Gebrauch unsrer Sinne, und hängen von uns selbst nicht
ab. Jn dieser Welt schweben beständig Gefahren über unser
Haupt: was soll uns decken und wie wollen wir ihnen auswei-
chen, wenn wir erstarret und gedankenlos da liegen? Jch will
mich jetzt einiger dieser Gefahren, die der Nacht besonders eigen
sind, erinnern und zum Gebete reizen lassen:

Die Elemente können mich desto leichter verderben, je fester
ich schlafe. Feuer- und Wassersnoth kan mich übereilen, und eine
unvorsichtige Entblössung tödtlich erkälten. Licht und Zugluft
können meinen Augen und andern Gliedern heftige Zufälle erre-
gen, weil ich die ersten Angriffe davon nicht empfinde. Jnsekten
und Thiere, sonderlich in Sommernächten, schleichen umher und
fürchten sich vor dem todtenähnlichen Schläfer nicht, ja werden
durch seine läßige und ungeschickte Gegenwehr nur noch mehr,
Schaden zu thun, gereizt. Ein Wurm, der sich meinen Ohren
nähert, ist der fürchterlichste Feind. Sind Augen und Mund
nicht fest verschlossen, so ist die Gefahr im Schlafe noch grösser.
Gottlose Menschen find am Tage gefährlich, zur Nachtzeit sind
sie es noch weit mehr. Trunkenbolde, Unzüchtige, Diebe und
Mörder tappen im finstern umher, und habe ich nicht recht gute

Maaß-


Der 18te Mai.
Ach! ſolt ich die Gefahren wiſſen,
Die jede Nacht mein Haus umziehn:
So wuͤrd ich abends zittern muͤſſen,
Und fruͤh wuͤrd ich vom Danke gluͤhn!
Mein Leben wird mit jeder Nacht,
Wie eine Beute hingebracht.


Die Gefahren der Nacht ſind ſo mancherlei, daß es
Leichtſinn und Verwegenheit genennet werden muß, wenn
man ihrer gar nicht achtet. Wir ſind wachend bloͤdſichtig und
haben nicht viel Gewalt uͤber uns: im Schlaf aber verlieren wir
den Gebrauch unſrer Sinne, und haͤngen von uns ſelbſt nicht
ab. Jn dieſer Welt ſchweben beſtaͤndig Gefahren uͤber unſer
Haupt: was ſoll uns decken und wie wollen wir ihnen auswei-
chen, wenn wir erſtarret und gedankenlos da liegen? Jch will
mich jetzt einiger dieſer Gefahren, die der Nacht beſonders eigen
ſind, erinnern und zum Gebete reizen laſſen:

Die Elemente koͤnnen mich deſto leichter verderben, je feſter
ich ſchlafe. Feuer- und Waſſersnoth kan mich uͤbereilen, und eine
unvorſichtige Entbloͤſſung toͤdtlich erkaͤlten. Licht und Zugluft
koͤnnen meinen Augen und andern Gliedern heftige Zufaͤlle erre-
gen, weil ich die erſten Angriffe davon nicht empfinde. Jnſekten
und Thiere, ſonderlich in Sommernaͤchten, ſchleichen umher und
fuͤrchten ſich vor dem todtenaͤhnlichen Schlaͤfer nicht, ja werden
durch ſeine laͤßige und ungeſchickte Gegenwehr nur noch mehr,
Schaden zu thun, gereizt. Ein Wurm, der ſich meinen Ohren
naͤhert, iſt der fuͤrchterlichſte Feind. Sind Augen und Mund
nicht feſt verſchloſſen, ſo iſt die Gefahr im Schlafe noch groͤſſer.
Gottloſe Menſchen find am Tage gefaͤhrlich, zur Nachtzeit ſind
ſie es noch weit mehr. Trunkenbolde, Unzuͤchtige, Diebe und
Moͤrder tappen im finſtern umher, und habe ich nicht recht gute

Maaß-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0324" n="287[317]"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Der 18<hi rendition="#sup">te</hi> Mai.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <l><hi rendition="#in">A</hi>ch! &#x017F;olt ich die Gefahren wi&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Die jede Nacht mein Haus umziehn:</l><lb/>
              <l>So wu&#x0364;rd ich abends zittern mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Und fru&#x0364;h wu&#x0364;rd ich vom Danke glu&#x0364;hn!</l><lb/>
              <l>Mein Leben wird mit jeder Nacht,</l><lb/>
              <l>Wie eine Beute hingebracht.</l>
            </lg><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p><hi rendition="#in">D</hi><hi rendition="#fr">ie Gefahren der Nacht</hi> &#x017F;ind &#x017F;o mancherlei, daß es<lb/>
Leicht&#x017F;inn und Verwegenheit genennet werden muß, wenn<lb/>
man ihrer gar nicht achtet. Wir &#x017F;ind wachend blo&#x0364;d&#x017F;ichtig und<lb/>
haben nicht viel Gewalt u&#x0364;ber uns: im Schlaf aber verlieren wir<lb/>
den Gebrauch un&#x017F;rer Sinne, und ha&#x0364;ngen von uns &#x017F;elb&#x017F;t nicht<lb/>
ab. Jn die&#x017F;er Welt &#x017F;chweben be&#x017F;ta&#x0364;ndig Gefahren u&#x0364;ber un&#x017F;er<lb/>
Haupt: was &#x017F;oll uns decken und wie wollen wir ihnen auswei-<lb/>
chen, wenn wir er&#x017F;tarret und gedankenlos da liegen? Jch will<lb/>
mich jetzt einiger die&#x017F;er Gefahren, die der Nacht be&#x017F;onders eigen<lb/>
&#x017F;ind, erinnern und zum Gebete reizen la&#x017F;&#x017F;en:</p><lb/>
            <p>Die Elemente ko&#x0364;nnen mich de&#x017F;to leichter verderben, je fe&#x017F;ter<lb/>
ich &#x017F;chlafe. Feuer- und Wa&#x017F;&#x017F;ersnoth kan mich u&#x0364;bereilen, und eine<lb/>
unvor&#x017F;ichtige Entblo&#x0364;&#x017F;&#x017F;ung to&#x0364;dtlich erka&#x0364;lten. Licht und Zugluft<lb/>
ko&#x0364;nnen meinen Augen und andern Gliedern heftige Zufa&#x0364;lle erre-<lb/>
gen, weil ich die er&#x017F;ten Angriffe davon nicht empfinde. Jn&#x017F;ekten<lb/>
und Thiere, &#x017F;onderlich in Sommerna&#x0364;chten, &#x017F;chleichen umher und<lb/>
fu&#x0364;rchten &#x017F;ich vor dem todtena&#x0364;hnlichen Schla&#x0364;fer nicht, ja werden<lb/>
durch &#x017F;eine la&#x0364;ßige und unge&#x017F;chickte Gegenwehr nur noch mehr,<lb/>
Schaden zu thun, gereizt. Ein Wurm, der &#x017F;ich meinen Ohren<lb/>
na&#x0364;hert, i&#x017F;t der fu&#x0364;rchterlich&#x017F;te Feind. Sind Augen und Mund<lb/>
nicht fe&#x017F;t ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o i&#x017F;t die Gefahr im Schlafe noch gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er.<lb/>
Gottlo&#x017F;e Men&#x017F;chen find am Tage gefa&#x0364;hrlich, zur Nachtzeit &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;ie es noch weit mehr. Trunkenbolde, Unzu&#x0364;chtige, Diebe und<lb/>
Mo&#x0364;rder tappen im fin&#x017F;tern umher, und habe ich nicht recht gute<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Maaß-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287[317]/0324] Der 18te Mai. Ach! ſolt ich die Gefahren wiſſen, Die jede Nacht mein Haus umziehn: So wuͤrd ich abends zittern muͤſſen, Und fruͤh wuͤrd ich vom Danke gluͤhn! Mein Leben wird mit jeder Nacht, Wie eine Beute hingebracht. Die Gefahren der Nacht ſind ſo mancherlei, daß es Leichtſinn und Verwegenheit genennet werden muß, wenn man ihrer gar nicht achtet. Wir ſind wachend bloͤdſichtig und haben nicht viel Gewalt uͤber uns: im Schlaf aber verlieren wir den Gebrauch unſrer Sinne, und haͤngen von uns ſelbſt nicht ab. Jn dieſer Welt ſchweben beſtaͤndig Gefahren uͤber unſer Haupt: was ſoll uns decken und wie wollen wir ihnen auswei- chen, wenn wir erſtarret und gedankenlos da liegen? Jch will mich jetzt einiger dieſer Gefahren, die der Nacht beſonders eigen ſind, erinnern und zum Gebete reizen laſſen: Die Elemente koͤnnen mich deſto leichter verderben, je feſter ich ſchlafe. Feuer- und Waſſersnoth kan mich uͤbereilen, und eine unvorſichtige Entbloͤſſung toͤdtlich erkaͤlten. Licht und Zugluft koͤnnen meinen Augen und andern Gliedern heftige Zufaͤlle erre- gen, weil ich die erſten Angriffe davon nicht empfinde. Jnſekten und Thiere, ſonderlich in Sommernaͤchten, ſchleichen umher und fuͤrchten ſich vor dem todtenaͤhnlichen Schlaͤfer nicht, ja werden durch ſeine laͤßige und ungeſchickte Gegenwehr nur noch mehr, Schaden zu thun, gereizt. Ein Wurm, der ſich meinen Ohren naͤhert, iſt der fuͤrchterlichſte Feind. Sind Augen und Mund nicht feſt verſchloſſen, ſo iſt die Gefahr im Schlafe noch groͤſſer. Gottloſe Menſchen find am Tage gefaͤhrlich, zur Nachtzeit ſind ſie es noch weit mehr. Trunkenbolde, Unzuͤchtige, Diebe und Moͤrder tappen im finſtern umher, und habe ich nicht recht gute Maaß-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-05-24T12:24:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/324
Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 287[317]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/324>, abgerufen am 23.11.2024.