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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 24te April.
viel möglich, das Uebel ab. Schrecktest du nicht manchen Dieb
und Mörder zurück, vereiteltest du nicht die schändlichen Absichten
der Unzüchtigen, lenktest du nicht den Uebermut trunkner Wage-
hälse: so würden am Morgen die meisten Familien weinen müssen.

Ausser den gröbern Nachtsünden giebt es auch noch feinere,
die wie langsames Gift desto sicherer würken. Ein ehrsüchtiger
Prinz oder Minister schmieder vieleicht in dieser Nacht einen Ent-
w[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]f, den hunderttausend Menschen mit Blut und Thränen aus-
führen müssen. Oder im kleinen entwirft jetzt ein Geitziger, ein
Prozeßsüchtiger und ein Betrüger einen Plan, welcher auf nichts
geringers, als auf den Ruin einiger Familien abzielt. Der Tag
erlaubet nicht allzuwohl, solche verfängliche Garne aufzustellen.
Jn der Nacht aber sind die Gedanken der Lasterhaften schwärzer,
und ihre Stirne wird nicht schamroth, wenn sie nichts sehen,
als sich selbst.

Aber dich könten sie doch sehen, Allgegenwärtiger und Hei-
liger! -- und sie sehen dich nicht. Du aber siehest mit göttli-
chem Abscheu auch in stockfinstrer Nacht das Spinnegewebe der
Unmenschen. Sie zittern für Verlangen, ihre gottlosen Zwecke
zu erreichen, und dein Herz wallet für Liebe gegen sie. Mitleldig
erhältst du ihnen Othem und Stärke, und errettest sie aus man-
cher augenscheinlichen Gefahr, nur damit sie nicht unter einer
schändlichen Arbeit sterben sollen.

Hier sitze ich jetzt und bete an; ach! daß ich doch niemals
mit unter der Horde gewesen wäre, welche zur Nachtzeit nach
Beute umherjägt, und keinen andern Gott, und kein anders
Gesetz erkennet, als Fleisch und Blut! Erbebe mein Herz! bitte
brünstig um Vergebung deiner Nachtsünden. Fleh, bis Jesus
sie vertilgt, damit sie nicht an das Licht jenes grossen Gerichtsta-
ges kommen mögen! Gedenk nicht, mein Gott! meiner Jugend-
sünden und meiner Werke der Finsterniß: sondern mache mich
immer frömmer, und beschütz mich auch diese Nacht für alle
Klauen und Schlingen gottloser Menschen!

Der

Der 24te April.
viel moͤglich, das Uebel ab. Schreckteſt du nicht manchen Dieb
und Moͤrder zuruͤck, vereitelteſt du nicht die ſchaͤndlichen Abſichten
der Unzuͤchtigen, lenkteſt du nicht den Uebermut trunkner Wage-
haͤlſe: ſo wuͤrden am Morgen die meiſten Familien weinen muͤſſen.

Auſſer den groͤbern Nachtſuͤnden giebt es auch noch feinere,
die wie langſames Gift deſto ſicherer wuͤrken. Ein ehrſuͤchtiger
Prinz oder Miniſter ſchmieder vieleicht in dieſer Nacht einen Ent-
w[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]f, den hunderttauſend Menſchen mit Blut und Thraͤnen aus-
fuͤhren muͤſſen. Oder im kleinen entwirft jetzt ein Geitziger, ein
Prozeßſuͤchtiger und ein Betruͤger einen Plan, welcher auf nichts
geringers, als auf den Ruin einiger Familien abzielt. Der Tag
erlaubet nicht allzuwohl, ſolche verfaͤngliche Garne aufzuſtellen.
Jn der Nacht aber ſind die Gedanken der Laſterhaften ſchwaͤrzer,
und ihre Stirne wird nicht ſchamroth, wenn ſie nichts ſehen,
als ſich ſelbſt.

Aber dich koͤnten ſie doch ſehen, Allgegenwaͤrtiger und Hei-
liger! — und ſie ſehen dich nicht. Du aber ſieheſt mit goͤttli-
chem Abſcheu auch in ſtockfinſtrer Nacht das Spinnegewebe der
Unmenſchen. Sie zittern fuͤr Verlangen, ihre gottloſen Zwecke
zu erreichen, und dein Herz wallet fuͤr Liebe gegen ſie. Mitleldig
erhaͤltſt du ihnen Othem und Staͤrke, und erretteſt ſie aus man-
cher augenſcheinlichen Gefahr, nur damit ſie nicht unter einer
ſchaͤndlichen Arbeit ſterben ſollen.

Hier ſitze ich jetzt und bete an; ach! daß ich doch niemals
mit unter der Horde geweſen waͤre, welche zur Nachtzeit nach
Beute umherjaͤgt, und keinen andern Gott, und kein anders
Geſetz erkennet, als Fleiſch und Blut! Erbebe mein Herz! bitte
bruͤnſtig um Vergebung deiner Nachtſuͤnden. Fleh, bis Jeſus
ſie vertilgt, damit ſie nicht an das Licht jenes groſſen Gerichtsta-
ges kommen moͤgen! Gedenk nicht, mein Gott! meiner Jugend-
ſuͤnden und meiner Werke der Finſterniß: ſondern mache mich
immer froͤmmer, und beſchuͤtz mich auch dieſe Nacht fuͤr alle
Klauen und Schlingen gottloſer Menſchen!

Der
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[238[268]/0275] Der 24te April. viel moͤglich, das Uebel ab. Schreckteſt du nicht manchen Dieb und Moͤrder zuruͤck, vereitelteſt du nicht die ſchaͤndlichen Abſichten der Unzuͤchtigen, lenkteſt du nicht den Uebermut trunkner Wage- haͤlſe: ſo wuͤrden am Morgen die meiſten Familien weinen muͤſſen. Auſſer den groͤbern Nachtſuͤnden giebt es auch noch feinere, die wie langſames Gift deſto ſicherer wuͤrken. Ein ehrſuͤchtiger Prinz oder Miniſter ſchmieder vieleicht in dieſer Nacht einen Ent- w_f, den hunderttauſend Menſchen mit Blut und Thraͤnen aus- fuͤhren muͤſſen. Oder im kleinen entwirft jetzt ein Geitziger, ein Prozeßſuͤchtiger und ein Betruͤger einen Plan, welcher auf nichts geringers, als auf den Ruin einiger Familien abzielt. Der Tag erlaubet nicht allzuwohl, ſolche verfaͤngliche Garne aufzuſtellen. Jn der Nacht aber ſind die Gedanken der Laſterhaften ſchwaͤrzer, und ihre Stirne wird nicht ſchamroth, wenn ſie nichts ſehen, als ſich ſelbſt. Aber dich koͤnten ſie doch ſehen, Allgegenwaͤrtiger und Hei- liger! — und ſie ſehen dich nicht. Du aber ſieheſt mit goͤttli- chem Abſcheu auch in ſtockfinſtrer Nacht das Spinnegewebe der Unmenſchen. Sie zittern fuͤr Verlangen, ihre gottloſen Zwecke zu erreichen, und dein Herz wallet fuͤr Liebe gegen ſie. Mitleldig erhaͤltſt du ihnen Othem und Staͤrke, und erretteſt ſie aus man- cher augenſcheinlichen Gefahr, nur damit ſie nicht unter einer ſchaͤndlichen Arbeit ſterben ſollen. Hier ſitze ich jetzt und bete an; ach! daß ich doch niemals mit unter der Horde geweſen waͤre, welche zur Nachtzeit nach Beute umherjaͤgt, und keinen andern Gott, und kein anders Geſetz erkennet, als Fleiſch und Blut! Erbebe mein Herz! bitte bruͤnſtig um Vergebung deiner Nachtſuͤnden. Fleh, bis Jeſus ſie vertilgt, damit ſie nicht an das Licht jenes groſſen Gerichtsta- ges kommen moͤgen! Gedenk nicht, mein Gott! meiner Jugend- ſuͤnden und meiner Werke der Finſterniß: ſondern mache mich immer froͤmmer, und beſchuͤtz mich auch dieſe Nacht fuͤr alle Klauen und Schlingen gottloſer Menſchen! Der

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 238[268]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/275>, abgerufen am 24.08.2024.