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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 15te April.
stehet, als sie vor zehn Jahren bestand. Sie dunstet beständig
aus (ich darf nur einen Spiegel anrühren, so sehe ich es) und der
Abgang wird, so lange ich gesund und nicht zu alt bin, immer
wieder ersetzt; und es bleibet doch immer meine Hand.

Wie manches also, was ehemals zu meinem Körper gehörte,
und was ich so zärtlich liebte, macht jetzt schon die Bestandtheile
eines andern Körpers aus, und vieleicht eines solchen, vor dem
mir ekelt. Mit meiner Seele verhält es sich nicht also. Sie ist
mir eigenthümlicher, und verdienet also meine Liebe und Vorsorge
weit mehr, als mein wandernder Leib. Was will ich demnach
zweifeln? Jch trage ja schon in diesem Leben die Beweise meiner
Auferstehung an mir. Jmmer ein andrer Körper, und doch im-
mer der meinige! Jmmer der Tod einiger Theile, und zugleich
eine Art von Auferstehung, eine Verneuung und Ersatz! Was
wir Verwesung im Grabe nennen, ist demnach nichts neues, son-
dern nur eine beschleunigte Auflösung des Körpers, und eine lang-
same Ersetzung desselben, nemlich am jüngsten Tage erst.

Und wenn du, mein Gott! mir auch nicht so einleuchtende
Beweise aufgestellet hättest: so glaube ich doch deinem untriegli-
chen Worte. Und weun du, mein Heiland! auch keinen Men-
schen jemals auferwecket, und keine Gräber um Jerusalem leben-
dig gemacht hättest: so wäre mir deine Auferstehung Beweises
genug!

Weil du vom Tod erstanden bist,
Werd ich im Grabe nicht bleiben.

O! so will ich mich denn bereit halten, meinen Leib dem
Moder zu überliefern. Jst nur mein Geist durch dich genesen: so
stehet er einst auf dem Hügel meiner Verwesung, und freuet sich
seines verklärten Körpers. Jch will jetzt schlafen, das heißt ge-
wissermassen: sterben; ich will (wenn Gott mich erhält) morgen
früh wieder erwachen, das heißt: auferstehen.

Der

Der 15te April.
ſtehet, als ſie vor zehn Jahren beſtand. Sie dunſtet beſtaͤndig
aus (ich darf nur einen Spiegel anruͤhren, ſo ſehe ich es) und der
Abgang wird, ſo lange ich geſund und nicht zu alt bin, immer
wieder erſetzt; und es bleibet doch immer meine Hand.

Wie manches alſo, was ehemals zu meinem Koͤrper gehoͤrte,
und was ich ſo zaͤrtlich liebte, macht jetzt ſchon die Beſtandtheile
eines andern Koͤrpers aus, und vieleicht eines ſolchen, vor dem
mir ekelt. Mit meiner Seele verhaͤlt es ſich nicht alſo. Sie iſt
mir eigenthuͤmlicher, und verdienet alſo meine Liebe und Vorſorge
weit mehr, als mein wandernder Leib. Was will ich demnach
zweifeln? Jch trage ja ſchon in dieſem Leben die Beweiſe meiner
Auferſtehung an mir. Jmmer ein andrer Koͤrper, und doch im-
mer der meinige! Jmmer der Tod einiger Theile, und zugleich
eine Art von Auferſtehung, eine Verneuung und Erſatz! Was
wir Verweſung im Grabe nennen, iſt demnach nichts neues, ſon-
dern nur eine beſchleunigte Aufloͤſung des Koͤrpers, und eine lang-
ſame Erſetzung deſſelben, nemlich am juͤngſten Tage erſt.

Und wenn du, mein Gott! mir auch nicht ſo einleuchtende
Beweiſe aufgeſtellet haͤtteſt: ſo glaube ich doch deinem untriegli-
chen Worte. Und weun du, mein Heiland! auch keinen Men-
ſchen jemals auferwecket, und keine Graͤber um Jeruſalem leben-
dig gemacht haͤtteſt: ſo waͤre mir deine Auferſtehung Beweiſes
genug!

Weil du vom Tod erſtanden biſt,
Werd ich im Grabe nicht bleiben.

O! ſo will ich mich denn bereit halten, meinen Leib dem
Moder zu uͤberliefern. Jſt nur mein Geiſt durch dich geneſen: ſo
ſtehet er einſt auf dem Huͤgel meiner Verweſung, und freuet ſich
ſeines verklaͤrten Koͤrpers. Jch will jetzt ſchlafen, das heißt ge-
wiſſermaſſen: ſterben; ich will (wenn Gott mich erhaͤlt) morgen
fruͤh wieder erwachen, das heißt: auferſtehen.

Der
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[220[250]/0257] Der 15te April. ſtehet, als ſie vor zehn Jahren beſtand. Sie dunſtet beſtaͤndig aus (ich darf nur einen Spiegel anruͤhren, ſo ſehe ich es) und der Abgang wird, ſo lange ich geſund und nicht zu alt bin, immer wieder erſetzt; und es bleibet doch immer meine Hand. Wie manches alſo, was ehemals zu meinem Koͤrper gehoͤrte, und was ich ſo zaͤrtlich liebte, macht jetzt ſchon die Beſtandtheile eines andern Koͤrpers aus, und vieleicht eines ſolchen, vor dem mir ekelt. Mit meiner Seele verhaͤlt es ſich nicht alſo. Sie iſt mir eigenthuͤmlicher, und verdienet alſo meine Liebe und Vorſorge weit mehr, als mein wandernder Leib. Was will ich demnach zweifeln? Jch trage ja ſchon in dieſem Leben die Beweiſe meiner Auferſtehung an mir. Jmmer ein andrer Koͤrper, und doch im- mer der meinige! Jmmer der Tod einiger Theile, und zugleich eine Art von Auferſtehung, eine Verneuung und Erſatz! Was wir Verweſung im Grabe nennen, iſt demnach nichts neues, ſon- dern nur eine beſchleunigte Aufloͤſung des Koͤrpers, und eine lang- ſame Erſetzung deſſelben, nemlich am juͤngſten Tage erſt. Und wenn du, mein Gott! mir auch nicht ſo einleuchtende Beweiſe aufgeſtellet haͤtteſt: ſo glaube ich doch deinem untriegli- chen Worte. Und weun du, mein Heiland! auch keinen Men- ſchen jemals auferwecket, und keine Graͤber um Jeruſalem leben- dig gemacht haͤtteſt: ſo waͤre mir deine Auferſtehung Beweiſes genug! Weil du vom Tod erſtanden biſt, Werd ich im Grabe nicht bleiben. O! ſo will ich mich denn bereit halten, meinen Leib dem Moder zu uͤberliefern. Jſt nur mein Geiſt durch dich geneſen: ſo ſtehet er einſt auf dem Huͤgel meiner Verweſung, und freuet ſich ſeines verklaͤrten Koͤrpers. Jch will jetzt ſchlafen, das heißt ge- wiſſermaſſen: ſterben; ich will (wenn Gott mich erhaͤlt) morgen fruͤh wieder erwachen, das heißt: auferſtehen. Der

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 220[250]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/257>, abgerufen am 03.07.2024.