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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 11te April.
Vom Puppenspiel zum grau'sten Alter
Jst alles weislich ausersehn.
Gott ist stets gütig, stets Erhalter,
So Gängelband als Krück' ist schön.


Einer der schönsten Frühlingsanblicke sind die Kinderspiele
unsrer Jugend. Unter Blumenbeeten hinzugehn ist nicht so
angenehm, als sich durch diese lustige kleine Menschen anfhalten
zu lassen. Man müßte sehr mürrisch seyn, wenn man sie neidisch
vor sich wegstossen, und nicht einige Augenblicke ihr Zuschauer
seyn wolte. Sie spielen nur; aber ihre Eltern spielen ja auch, und
weit langweiliger; so ernsthaft sie auch in ihren Zimmern Gelder
zählen, und Entwürfe für ihre Leidenschaften schmieden.

Mein erster Gedanke bei diesen lärmenden kleinen Gesellschaf-
ten, ist Verehrung der Wege Gottes. Ein Trieb ward dem
Menschen von ohngefehr eingepflanzt; jeder ist an sich unschuldig,
und befordert unser Bestes. Kinder müssen schreien und laufen,
wenn sie gesund und dauerhaft werden sollen. Bejahrten würden
diese Spiele zu heftig seyn, und ihr Blut tödlich erhitzen. Ein
Knabe, der nicht vom Lehnstuhl auf will, ist dem Körper nach
krank. Ein Greis, der nicht vom Tanzplatze hinweg will, ist
es der Seele nach; und beide handeln unnatürlich.

Jch finde bei den Spielen der Kinder Ordnung und bewun-
betnswerthe Abwechselung. Jede Jahrszeit und jedes Alter hat
seine besondre Arten. Der Knabe, der schon den Ball schlägt,
schämet sich des Kräusels. Und welcher Unterschied unter den
Spielen beiderlei Geschlechts! Kaum entwickelt sich die Vernunft,
so zittert der Knabe für Freuden, auf ein Pferd gesetzt zu werden:
das Mädgen aber fürchtet sich und weint. Nehmet dieser ihr

Nähe-
O 2


Der 11te April.
Vom Puppenſpiel zum grau’ſten Alter
Jſt alles weislich auserſehn.
Gott iſt ſtets guͤtig, ſtets Erhalter,
So Gaͤngelband als Kruͤck’ iſt ſchoͤn.


Einer der ſchoͤnſten Fruͤhlingsanblicke ſind die Kinderſpiele
unſrer Jugend. Unter Blumenbeeten hinzugehn iſt nicht ſo
angenehm, als ſich durch dieſe luſtige kleine Menſchen anfhalten
zu laſſen. Man muͤßte ſehr muͤrriſch ſeyn, wenn man ſie neidiſch
vor ſich wegſtoſſen, und nicht einige Augenblicke ihr Zuſchauer
ſeyn wolte. Sie ſpielen nur; aber ihre Eltern ſpielen ja auch, und
weit langweiliger; ſo ernſthaft ſie auch in ihren Zimmern Gelder
zaͤhlen, und Entwuͤrfe fuͤr ihre Leidenſchaften ſchmieden.

Mein erſter Gedanke bei dieſen laͤrmenden kleinen Geſellſchaf-
ten, iſt Verehrung der Wege Gottes. Ein Trieb ward dem
Menſchen von ohngefehr eingepflanzt; jeder iſt an ſich unſchuldig,
und befordert unſer Beſtes. Kinder muͤſſen ſchreien und laufen,
wenn ſie geſund und dauerhaft werden ſollen. Bejahrten wuͤrden
dieſe Spiele zu heftig ſeyn, und ihr Blut toͤdlich erhitzen. Ein
Knabe, der nicht vom Lehnſtuhl auf will, iſt dem Koͤrper nach
krank. Ein Greis, der nicht vom Tanzplatze hinweg will, iſt
es der Seele nach; und beide handeln unnatuͤrlich.

Jch finde bei den Spielen der Kinder Ordnung und bewun-
betnswerthe Abwechſelung. Jede Jahrszeit und jedes Alter hat
ſeine beſondre Arten. Der Knabe, der ſchon den Ball ſchlaͤgt,
ſchaͤmet ſich des Kraͤuſels. Und welcher Unterſchied unter den
Spielen beiderlei Geſchlechts! Kaum entwickelt ſich die Vernunft,
ſo zittert der Knabe fuͤr Freuden, auf ein Pferd geſetzt zu werden:
das Maͤdgen aber fuͤrchtet ſich und weint. Nehmet dieſer ihr

Naͤhe-
O 2
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[211[241]/0248] Der 11te April. Vom Puppenſpiel zum grau’ſten Alter Jſt alles weislich auserſehn. Gott iſt ſtets guͤtig, ſtets Erhalter, So Gaͤngelband als Kruͤck’ iſt ſchoͤn. Einer der ſchoͤnſten Fruͤhlingsanblicke ſind die Kinderſpiele unſrer Jugend. Unter Blumenbeeten hinzugehn iſt nicht ſo angenehm, als ſich durch dieſe luſtige kleine Menſchen anfhalten zu laſſen. Man muͤßte ſehr muͤrriſch ſeyn, wenn man ſie neidiſch vor ſich wegſtoſſen, und nicht einige Augenblicke ihr Zuſchauer ſeyn wolte. Sie ſpielen nur; aber ihre Eltern ſpielen ja auch, und weit langweiliger; ſo ernſthaft ſie auch in ihren Zimmern Gelder zaͤhlen, und Entwuͤrfe fuͤr ihre Leidenſchaften ſchmieden. Mein erſter Gedanke bei dieſen laͤrmenden kleinen Geſellſchaf- ten, iſt Verehrung der Wege Gottes. Ein Trieb ward dem Menſchen von ohngefehr eingepflanzt; jeder iſt an ſich unſchuldig, und befordert unſer Beſtes. Kinder muͤſſen ſchreien und laufen, wenn ſie geſund und dauerhaft werden ſollen. Bejahrten wuͤrden dieſe Spiele zu heftig ſeyn, und ihr Blut toͤdlich erhitzen. Ein Knabe, der nicht vom Lehnſtuhl auf will, iſt dem Koͤrper nach krank. Ein Greis, der nicht vom Tanzplatze hinweg will, iſt es der Seele nach; und beide handeln unnatuͤrlich. Jch finde bei den Spielen der Kinder Ordnung und bewun- betnswerthe Abwechſelung. Jede Jahrszeit und jedes Alter hat ſeine beſondre Arten. Der Knabe, der ſchon den Ball ſchlaͤgt, ſchaͤmet ſich des Kraͤuſels. Und welcher Unterſchied unter den Spielen beiderlei Geſchlechts! Kaum entwickelt ſich die Vernunft, ſo zittert der Knabe fuͤr Freuden, auf ein Pferd geſetzt zu werden: das Maͤdgen aber fuͤrchtet ſich und weint. Nehmet dieſer ihr Naͤhe- O 2

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 211[241]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/248>, abgerufen am 22.11.2024.