Jch bitte, Herr! Gott Zebaoth! Dich nicht um langes Leben. Jm Glücke Demuth, Muth in Noth: Das wollest du mir geben. Jn deiner Hand steht meine Zeit; Laß du mich nur Barmherzigkeit Vor dir im Tode finden!
Je sündlicher ein Mensch ist, desto mehr pflegt er sich irdische Schätze zu wünschen, und unter diesen stehet ein langes Le- ben fast immer oben an. Ein Geiziger, der nicht einen Thaler verthun kan, ohne lächerlich dabei zu werden, wünscht sich alle Güter der Erde; und ein Thor, der keine Stunde gut anzu- wenden weiß, verlanget das höchste Alter! Thörigter Wunsch nach langem Leben, wandelt auch wol Klugen wie eine Laune an. Gleich als wenn es leicht wäre, sehr lange mit Anstand und Vergnügen zu leben!
Nach dem vierzigsten Jahre meines Lebens giebt es beinahe nichts neues und reizendes mehr für mich. Die Erde hat sich in Absicht meiner erschöpft, und alles Vergnügen im Alter ist nur eine Wiederkäuung, wofern ich kein Vergnügen an Gott finde! Was ich im achzigsten, neunzigsten Jahre wünschen, hoffen und geniessen könte: das kan ich ja ein halb Jahrhundert früher genies- sen; ausser die neuen Aufschlüsse, welche mir die Religion giebt, und ausser tägliche neue Gnadenbeweise Gottes. Nein! wir ha- ben zu viel Gutes genossen, als daß uns im höchsten Alter noch
etwas
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Der 28te Maͤrz.
Jch bitte, Herr! Gott Zebaoth! Dich nicht um langes Leben. Jm Gluͤcke Demuth, Muth in Noth: Das wolleſt du mir geben. Jn deiner Hand ſteht meine Zeit; Laß du mich nur Barmherzigkeit Vor dir im Tode finden!
Je ſuͤndlicher ein Menſch iſt, deſto mehr pflegt er ſich irdiſche Schaͤtze zu wuͤnſchen, und unter dieſen ſtehet ein langes Le- ben faſt immer oben an. Ein Geiziger, der nicht einen Thaler verthun kan, ohne laͤcherlich dabei zu werden, wuͤnſcht ſich alle Guͤter der Erde; und ein Thor, der keine Stunde gut anzu- wenden weiß, verlanget das hoͤchſte Alter! Thoͤrigter Wunſch nach langem Leben, wandelt auch wol Klugen wie eine Laune an. Gleich als wenn es leicht waͤre, ſehr lange mit Anſtand und Vergnuͤgen zu leben!
Nach dem vierzigſten Jahre meines Lebens giebt es beinahe nichts neues und reizendes mehr fuͤr mich. Die Erde hat ſich in Abſicht meiner erſchoͤpft, und alles Vergnuͤgen im Alter iſt nur eine Wiederkaͤuung, wofern ich kein Vergnuͤgen an Gott finde! Was ich im achzigſten, neunzigſten Jahre wuͤnſchen, hoffen und genieſſen koͤnte: das kan ich ja ein halb Jahrhundert fruͤher genieſ- ſen; auſſer die neuen Aufſchluͤſſe, welche mir die Religion giebt, und auſſer taͤgliche neue Gnadenbeweiſe Gottes. Nein! wir ha- ben zu viel Gutes genoſſen, als daß uns im hoͤchſten Alter noch
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[181[211]/0218]
Der 28te Maͤrz.
Jch bitte, Herr! Gott Zebaoth!
Dich nicht um langes Leben.
Jm Gluͤcke Demuth, Muth in Noth:
Das wolleſt du mir geben.
Jn deiner Hand ſteht meine Zeit;
Laß du mich nur Barmherzigkeit
Vor dir im Tode finden!
Je ſuͤndlicher ein Menſch iſt, deſto mehr pflegt er ſich irdiſche
Schaͤtze zu wuͤnſchen, und unter dieſen ſtehet ein langes Le-
ben faſt immer oben an. Ein Geiziger, der nicht einen Thaler
verthun kan, ohne laͤcherlich dabei zu werden, wuͤnſcht ſich alle
Guͤter der Erde; und ein Thor, der keine Stunde gut anzu-
wenden weiß, verlanget das hoͤchſte Alter! Thoͤrigter Wunſch
nach langem Leben, wandelt auch wol Klugen wie eine Laune
an. Gleich als wenn es leicht waͤre, ſehr lange mit Anſtand und
Vergnuͤgen zu leben!
Nach dem vierzigſten Jahre meines Lebens giebt es beinahe
nichts neues und reizendes mehr fuͤr mich. Die Erde hat ſich in
Abſicht meiner erſchoͤpft, und alles Vergnuͤgen im Alter iſt nur
eine Wiederkaͤuung, wofern ich kein Vergnuͤgen an Gott finde!
Was ich im achzigſten, neunzigſten Jahre wuͤnſchen, hoffen und
genieſſen koͤnte: das kan ich ja ein halb Jahrhundert fruͤher genieſ-
ſen; auſſer die neuen Aufſchluͤſſe, welche mir die Religion giebt,
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 181[211]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/218>, abgerufen am 21.11.2024.
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