Gott züchtigt uns, damit wir zu ihm nahen, Die Heiligung des Geistes zu empfahen, Und mit dem Trost der Hülfe, die wir merken, Andre zu stärken.
Unter dem Druck der Trübsale stumm und fühllos zu seyn, das widerstreitet Gottes Absicht und unsrer Natur. Wollen wir aber nur weinen, mit den Zähnen knirschen und heimlich schim- pfen, so macht uns dis Verhalten fast noch trauriger und elender, als das Leiden selbst. Ich will mir das verschiedene Betragen der Leidenden vorstellen, und alsdann wählen; denn ein ächter oder unächter Trost im Leiden macht glücklich oder unglücklich.
Ich Armer, spricht der Unchrist, muß auch immer leiden. Es ist, als habe sich das Schicksal wider mich verschworen. Mein gutes Gemüth macht mich unglücklich. Ich war nahe am Ziel, aber ein unglückliches Ohngefehr schleuderte mich wieder zurück! Um an mein Kreuz nicht zu denken, will ich mich zerstreuen; Vielgeschäftigkeit, starke Getränke und Gesellschaften werden mich vieleicht meinen Gram vergessen lehren. Zwar habe ich den Trost, daß andre auch leiden, aber sie leiden doch lange nicht so viel als ich. Nun es kan doch auch nicht ewig dauren: der Tod wird mich ja endlich erlösen. Könte ich nur die Freude haben, mich an meinen niederträchtigen Verfolgern zu rächen: mit Freuden wolte ich noch unglücklicher werden. Man spricht viel von der Vorsicht, von ihrer Macht, Güte und Weisheit: aber was hilft mir das alles? Mein Schicksal ist wenigstens eine Ausnahme von der Regel. Und das schmerzet mich am meisten, daß andre la- chen und satt sind, und ich Hungriger muß weinen! Bin ich denn nicht so gut, als jene Nichtswürdigen?
Es
J 3
Der 4te Maͤrz.
Gott zuͤchtigt uns, damit wir zu ihm nahen, Die Heiligung des Geiſtes zu empfahen, Und mit dem Troſt der Huͤlfe, die wir merken, Andre zu ſtaͤrken.
Unter dem Druck der Truͤbſale ſtumm und fuͤhllos zu ſeyn, das widerſtreitet Gottes Abſicht und unſrer Natur. Wollen wir aber nur weinen, mit den Zaͤhnen knirſchen und heimlich ſchim- pfen, ſo macht uns dis Verhalten faſt noch trauriger und elender, als das Leiden ſelbſt. Ich will mir das verſchiedene Betragen der Leidenden vorſtellen, und alsdann waͤhlen; denn ein aͤchter oder unaͤchter Troſt im Leiden macht gluͤcklich oder ungluͤcklich.
Ich Armer, ſpricht der Unchriſt, muß auch immer leiden. Es iſt, als habe ſich das Schickſal wider mich verſchworen. Mein gutes Gemuͤth macht mich ungluͤcklich. Ich war nahe am Ziel, aber ein ungluͤckliches Ohngefehr ſchleuderte mich wieder zuruͤck! Um an mein Kreuz nicht zu denken, will ich mich zerſtreuen; Vielgeſchaͤftigkeit, ſtarke Getraͤnke und Geſellſchaften werden mich vieleicht meinen Gram vergeſſen lehren. Zwar habe ich den Troſt, daß andre auch leiden, aber ſie leiden doch lange nicht ſo viel als ich. Nun es kan doch auch nicht ewig dauren: der Tod wird mich ja endlich erloͤſen. Koͤnte ich nur die Freude haben, mich an meinen niedertraͤchtigen Verfolgern zu raͤchen: mit Freuden wolte ich noch ungluͤcklicher werden. Man ſpricht viel von der Vorſicht, von ihrer Macht, Guͤte und Weisheit: aber was hilft mir das alles? Mein Schickſal iſt wenigſtens eine Ausnahme von der Regel. Und das ſchmerzet mich am meiſten, daß andre la- chen und ſatt ſind, und ich Hungriger muß weinen! Bin ich denn nicht ſo gut, als jene Nichtswuͤrdigen?
Es
J 3
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[133[163]/0170]
Der 4te Maͤrz.
Gott zuͤchtigt uns, damit wir zu ihm nahen,
Die Heiligung des Geiſtes zu empfahen,
Und mit dem Troſt der Huͤlfe, die wir merken,
Andre zu ſtaͤrken.
Unter dem Druck der Truͤbſale ſtumm und fuͤhllos zu ſeyn, das
widerſtreitet Gottes Abſicht und unſrer Natur. Wollen wir
aber nur weinen, mit den Zaͤhnen knirſchen und heimlich ſchim-
pfen, ſo macht uns dis Verhalten faſt noch trauriger und elender,
als das Leiden ſelbſt. Ich will mir das verſchiedene Betragen der
Leidenden vorſtellen, und alsdann waͤhlen; denn ein aͤchter oder
unaͤchter Troſt im Leiden macht gluͤcklich oder ungluͤcklich.
Ich Armer, ſpricht der Unchriſt, muß auch immer leiden.
Es iſt, als habe ſich das Schickſal wider mich verſchworen. Mein
gutes Gemuͤth macht mich ungluͤcklich. Ich war nahe am Ziel,
aber ein ungluͤckliches Ohngefehr ſchleuderte mich wieder zuruͤck!
Um an mein Kreuz nicht zu denken, will ich mich zerſtreuen;
Vielgeſchaͤftigkeit, ſtarke Getraͤnke und Geſellſchaften werden mich
vieleicht meinen Gram vergeſſen lehren. Zwar habe ich den Troſt,
daß andre auch leiden, aber ſie leiden doch lange nicht ſo viel als
ich. Nun es kan doch auch nicht ewig dauren: der Tod wird
mich ja endlich erloͤſen. Koͤnte ich nur die Freude haben, mich
an meinen niedertraͤchtigen Verfolgern zu raͤchen: mit Freuden
wolte ich noch ungluͤcklicher werden. Man ſpricht viel von der
Vorſicht, von ihrer Macht, Guͤte und Weisheit: aber was hilft
mir das alles? Mein Schickſal iſt wenigſtens eine Ausnahme von
der Regel. Und das ſchmerzet mich am meiſten, daß andre la-
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 133[163]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/170>, abgerufen am 21.11.2024.
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