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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 14te Februar.
vieh vermehrt sich leichter, als Pfauen und Nachtigallen. Die
ihr so wenig Gottes Weisheit in den Werken der Schöpfung be-
merkt, kehret es einmal in Gedanken um! Jeder Baum sey eine
Goldstange; das Holz hingegen liege in tiefen Gründen verbor-
gen, und erfordre eine lange und kostbare Zubereitung! O ihr
Thoren! in eurer umgeschmiedeten Natur müßten wir erfrieren
und verhungern.

Mögte es doch seyn, wenn nur unsre Vorurtheile nicht auf
Gott und Religion mit ausgedehnt würden! Aber träumen nicht
viele, daß der Allerhöchste so urtheile wie die Menschen? Holz
nicht achte und kein Lob dafür erwarte, mit Golde hingegen leicht
zu bestechen sey? Sein Zorn soll allenfals Strohhütten anzünden:
aber vor goldnen Zimmern ehrfurchtvoll vorüber gehn? Jene sol-
len fasten und Busse thun: diese hingegen schwelgen? Man wür-
de es dem armen Landmann verargen, wenn er den Gottesdienst
nicht fleißig abwartete: der Vornehme aber ist fromm genug, und
thut dem Herrn aller Herrn viel Ehre an, wenn er in dreißig
Tagen Einmal mit raschen Pferden und rollendem Wagen an die
Kirchthure sprengt!

Du bist also, mein Erlöser! in meinen Augen dadurch nicht
erniedriget, weil du im Stall, und keinem marmornen Pallast ge-
boren wurdest. Das Holz, an welchem du starbst, war nützli-
cher und erhabener, als die höchste Pyramide! Du danktest un-
serm Vater, so oft du das Brod brachst: o! ich will die Reizun-
gen zum Lobe Gottes auch nicht erst aus fremden Welttheilen er-
warten. Ich will den Allgütigen preisen, so oft meine erstarrte
Glieder in geheizten Zimmern aufthauen. Der unzählbare Ge-
brauch des Holzes, auf dem Heerd, im Hausrath, ja fast bei
allen unsern Handlungen, soll an mir hinfort keinen stummen Be-
obachter finden. Ich will mich anjetzt zur Ruhe legen: auch da
trägt mich das dienstfertige Holz, und einst wird es so gar meinen
Leichnam aufnehmen, wenn ihn die Welt von sich hinausschaft!
Ob der Baum zu diesem meinem letzten Behältmß schon gefället ist?

Der

Der 14te Februar.
vieh vermehrt ſich leichter, als Pfauen und Nachtigallen. Die
ihr ſo wenig Gottes Weisheit in den Werken der Schoͤpfung be-
merkt, kehret es einmal in Gedanken um! Jeder Baum ſey eine
Goldſtange; das Holz hingegen liege in tiefen Gruͤnden verbor-
gen, und erfordre eine lange und koſtbare Zubereitung! O ihr
Thoren! in eurer umgeſchmiedeten Natur muͤßten wir erfrieren
und verhungern.

Moͤgte es doch ſeyn, wenn nur unſre Vorurtheile nicht auf
Gott und Religion mit ausgedehnt wuͤrden! Aber traͤumen nicht
viele, daß der Allerhoͤchſte ſo urtheile wie die Menſchen? Holz
nicht achte und kein Lob dafuͤr erwarte, mit Golde hingegen leicht
zu beſtechen ſey? Sein Zorn ſoll allenfals Strohhuͤtten anzuͤnden:
aber vor goldnen Zimmern ehrfurchtvoll voruͤber gehn? Jene ſol-
len faſten und Buſſe thun: dieſe hingegen ſchwelgen? Man wuͤr-
de es dem armen Landmann verargen, wenn er den Gottesdienſt
nicht fleißig abwartete: der Vornehme aber iſt fromm genug, und
thut dem Herrn aller Herrn viel Ehre an, wenn er in dreißig
Tagen Einmal mit raſchen Pferden und rollendem Wagen an die
Kirchthure ſprengt!

Du biſt alſo, mein Erloͤſer! in meinen Augen dadurch nicht
erniedriget, weil du im Stall, und keinem marmornen Pallaſt ge-
boren wurdeſt. Das Holz, an welchem du ſtarbſt, war nuͤtzli-
cher und erhabener, als die hoͤchſte Pyramide! Du dankteſt un-
ſerm Vater, ſo oft du das Brod brachſt: o! ich will die Reizun-
gen zum Lobe Gottes auch nicht erſt aus fremden Welttheilen er-
warten. Ich will den Allguͤtigen preiſen, ſo oft meine erſtarrte
Glieder in geheizten Zimmern aufthauen. Der unzaͤhlbare Ge-
brauch des Holzes, auf dem Heerd, im Hausrath, ja faſt bei
allen unſern Handlungen, ſoll an mir hinfort keinen ſtummen Be-
obachter finden. Ich will mich anjetzt zur Ruhe legen: auch da
traͤgt mich das dienſtfertige Holz, und einſt wird es ſo gar meinen
Leichnam aufnehmen, wenn ihn die Welt von ſich hinausſchaft!
Ob der Baum zu dieſem meinem letzten Behaͤltmß ſchon gefaͤllet iſt?

Der
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[94[124]/0131] Der 14te Februar. vieh vermehrt ſich leichter, als Pfauen und Nachtigallen. Die ihr ſo wenig Gottes Weisheit in den Werken der Schoͤpfung be- merkt, kehret es einmal in Gedanken um! Jeder Baum ſey eine Goldſtange; das Holz hingegen liege in tiefen Gruͤnden verbor- gen, und erfordre eine lange und koſtbare Zubereitung! O ihr Thoren! in eurer umgeſchmiedeten Natur muͤßten wir erfrieren und verhungern. Moͤgte es doch ſeyn, wenn nur unſre Vorurtheile nicht auf Gott und Religion mit ausgedehnt wuͤrden! Aber traͤumen nicht viele, daß der Allerhoͤchſte ſo urtheile wie die Menſchen? Holz nicht achte und kein Lob dafuͤr erwarte, mit Golde hingegen leicht zu beſtechen ſey? Sein Zorn ſoll allenfals Strohhuͤtten anzuͤnden: aber vor goldnen Zimmern ehrfurchtvoll voruͤber gehn? Jene ſol- len faſten und Buſſe thun: dieſe hingegen ſchwelgen? Man wuͤr- de es dem armen Landmann verargen, wenn er den Gottesdienſt nicht fleißig abwartete: der Vornehme aber iſt fromm genug, und thut dem Herrn aller Herrn viel Ehre an, wenn er in dreißig Tagen Einmal mit raſchen Pferden und rollendem Wagen an die Kirchthure ſprengt! Du biſt alſo, mein Erloͤſer! in meinen Augen dadurch nicht erniedriget, weil du im Stall, und keinem marmornen Pallaſt ge- boren wurdeſt. Das Holz, an welchem du ſtarbſt, war nuͤtzli- cher und erhabener, als die hoͤchſte Pyramide! Du dankteſt un- ſerm Vater, ſo oft du das Brod brachſt: o! ich will die Reizun- gen zum Lobe Gottes auch nicht erſt aus fremden Welttheilen er- warten. Ich will den Allguͤtigen preiſen, ſo oft meine erſtarrte Glieder in geheizten Zimmern aufthauen. Der unzaͤhlbare Ge- brauch des Holzes, auf dem Heerd, im Hausrath, ja faſt bei allen unſern Handlungen, ſoll an mir hinfort keinen ſtummen Be- obachter finden. Ich will mich anjetzt zur Ruhe legen: auch da traͤgt mich das dienſtfertige Holz, und einſt wird es ſo gar meinen Leichnam aufnehmen, wenn ihn die Welt von ſich hinausſchaft! Ob der Baum zu dieſem meinem letzten Behaͤltmß ſchon gefaͤllet iſt? Der

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 94[124]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/131>, abgerufen am 12.06.2024.